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Bruecken zwischen spirituell unterschiedlichen Kulturen bauen


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 11 Mar 1998 15:28:24

Am evangelischen slowakisch-englischen Lyzeum in Bratislava unterrichten
von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika entsandte Lehrer und
Lehrerinnen

Bratislava (Slowakische Republik)/Genf, 10. Maerz 1998 (lwi) - "In zwoelf
Stunden sollten die ersten Schueler und Schuelerinnen kommen, und wir
hatten noch keine Schulbaenke." Heute kann L'uba Slabonova, die
stellvertretende Rektorin des evangelischen Lyzeums in Bratislava, ueber
die Anfangsschwierigkeiten bei der Schuleinweihung im September 1991 nur
noch lachen, damals war ihr wohl eher zum Weinen zumute. "Aber wir haben
dann noch alles rechtzeitig geschafft", versichert sie. Keine Hilfsmittel,
wenig Lehrbuecher und eine fehlende Grundausstattung; dafuer aber
hochmotivierte Lehrer und Lehrerinnen, die gemeinsam ein besonderes Ziel
verfolgten: eine evangelische slowakisch-englische Schule. Das Wagnis hat
sich gelohnt. Sieben Jahre nach der Schuleinweihung, kann Slabonova eine
positive Bilanz ziehen: Rund 900 Schueler und Schuelerinnen besuchen die
vier Grundschulklassen, das klassische achtjaehrige Gymnasium mit
erweitertem Sprachunterricht in Englisch und Deutsch oder das zweisprachige
fuenfjaehrige Gymnasium. Laut Statut muessen 90 Prozent der Schueler und
Schuelerinnen lutherisch sein. Der Andrang ist gross. Slabonova bereitet
gerade die Aufnahmepruefung vor. Die Aussicht, mit dem Abitur auch die
fachstaatliche Pruefung in Englisch mitablegen zu koennen, ist sicherlich
ein Anreiz fuer Eltern und Schueler, den die stellvertretende Rektorin zwar
nicht von der Hand weist, aber nur teilweise gelten laesst: "Unser Ziel ist
zunaechst der Religionsunterricht und dann die Fremdsprache", betont sie.

In den hoeheren Klassen wird Religionsunterricht sowie englische Literatur
zu 100 Prozent in Englisch unterrichtet. Mathematik, Biologie, Geographie,
Geschichte, Chemie und Informatik zu jeweils 50 Prozent, waehrend die
Faecher slowakische Literatur, Physik, Sport, Kunst und Sozialkunde in der
Muttersprache unterrichtet werden. Moeglich ist der zweisprachige
Unterricht nur, weil es neben dem 25-koepfigen slowakischen Lehrerkollegium
auch noch 18 US-amerikanische Kollegen und Kolleginnen gibt. Die meisten
von ihnen wurden von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA)
entsandt.  Sie arbeiten auf freiwilliger Basis, wie zum Beispiel der
Theologieprofessor Andrew J.White vom Lutheran Theological Seminary in
Philadelphia. Das erste Jahr seines Ruhestandes verbringt White in
Bratislava. An Stelle von angehenden Pastoren und Pastorinnen unterrichtet
er nun Abiturienten - eine Herausforderung, die er gerne annimmt, ebenso
wie seine Kollegin Christine Mummert aus Pennsylvania.

Die studierte Germanistin mit einer Zusatzausbildung in Englisch als
Fremdsprache wollte einfach gerne ein Jahr in Europa leben. An dem
evangelischen Lyzeum in Bratislava unterrichtet sie jeweils vier Klassen an
fuenf Wochentagen. Sie erhaelt das gleiche Gehalt wie ihre slowakischen
Kollegen.

In einem sind sich alle amerikanischen Dozenten und Dozentinnen einig: sie
haben eine Mission. "Ich fuehle mich dazu berufen, hier zu sein", betont
Mummert. "Ich bin ueberzeugt davon, dass ich mehr als nur Englisch
unterrichte. Ich moechte etwas von meinen kulturellen und persoenlichen
Werten vermitteln."  White sieht seinen Auftrag auch darin, "eine Bruecke
zwischen zwei spirituell unterschiedlichen Kulturen zu bauen". Zu dieser
Aufgabe bekennt sich auch Paul Hanson. Als Pfarrer der englischsprachigen
lutherischen Gemeinde in Bratislava erteilt er einige Religionsstunden an
dem Lyzeum. "Wir brauchen Menschen, die die beiden Seiten der Bruecke
kennen. Menschen, die die slowakische Kultur fuer die Welt uebersetzen und
die gleichzeitig die Welt in die slowakische Kultur tragen", betont Hanson.
"Was wir aber mit dem englischsprachigen Unterricht nicht wollen, ist,
Amerikaner aus den Schuelern zu machen." Waehrend in Hansons Klasse 5B2 die
Schueler und Schuelerinnen nach fuenf Jahren zweisprachigen Unterrichts
spielend Referate auf englisch halten und lebhafte Diskussionen fuehren,
steht die 15jaehrige Diana gerade am Anfang. Sie besucht die englische
Vorbereitungsklasse. 20 Stunden Englisch in der Woche. Jeden Tag eine
Stunde Konversation, eine Stunde Grammatik, eine Stunde Geographie und
Geschichte sowie eine Stunde Schreiben und Lesen. "Und dann auch noch
manchmal zwei Tests am Tag", stoehnt sie. Aber Diana will durchhalten,
schliesslich moechte sie ja einmal in den USA Management studieren.

Die Qualen des Anfangs haben die Abiturienten und Abiturientinnen aus der
5B2 schon laengst vergessen. Der Religionsunterricht auf englisch macht
Spass. "Aber beten", sagt eine Schuelerin, "beten, das tun wir weiterhin
auf slowakisch, auch wenn wir ueber Religion auf englisch reden".

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Das Evangelische Lyzeum in Bratislava kann auf eine mehr als 350jaehrige
Geschichte zurueckblicken. Es wurde 1606 durch den gebuertigen Pfaelzer
David Kilge gegruendet. Seither hat das Lyzeum eine wechselvolle Geschichte
durchgemacht: von 1672 bis 1682 war das Gebaeude in jesuitischer Hand, seit
1895 erhielt die Schule auch staatliche Unterstuetzung, 1923 wurde das
Lyzeum schliesslich verstaatlicht, die Schliessung des verbliebenen
deutschsprachigen Schulzweiges im Jahr 1944 markiert das veruebergehende
Ende der Schule. Heute unterhaelt die rund 350.000 Mitglieder zaehlende
Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakischen
Republik fuenf Gymnasien, zwei Grundschulen und eine Sonderschule.

Vor wenigen Wochen berieten die slowakische und die oesterreichische
evangelische Kirchenleitung ueber Kooperationsmoeglichkeiten in Blick auf
eine zweisprachige slowakisch-deutsche Schule, die im Bratislaver Stadtteil
Petrizalka im September 1998 ihren Betrieb aufnehmen soll.

(Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag der deutschsprachigen
lwi-Redakteurin, Karin Achtelstetter, entstand im Rahmen eines
Redaktionstreffens mit lwi-Korrespondenten und -Korrespondentinnen aus den
europaeischen Minderheitskirchen, das vom 24. Februar bis 1.

Maerz in Svaet  Jur, Slowakische Republik, abgehalten wurde.)

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Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redakteurin: Karin Achtelstetter
E-mail: ka@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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