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Antwort der katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklaerung


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 10 Jul 1998 11:46:29

Dokumentation
Antwort der katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklaerung zwischen der
katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund ueber die
Rechtfertigungslehre

ERKLAeRUNG

Die "Gemeinsame Erklaerung zwischen der Katholischen Kirche und dem
Lutherischen Weltbund ueber die Rechtfertigungslehre" ("Gemeinsame
Erklaerung") stellt einen bemerkenswerten Fortschritt im gegenseitigen
Verstaendnis und in der Annaeherung der Dialogpartner dar; sie zeigt, dass
es zwischen der katholischen und der lutherischen Position in einer
jahrhundertelang so kontroversen Frage zahlreiche Konvergenzpunkte gibt.
Man kann mit Sicherheit sagen, dass sowohl, was die Ausrichtung der
Fragestellung betrifft, als auch hinsichtlich der Beurteilung, die sie
verdient, ein hoher Grad an Uebereinstimmung erreicht worden ist1. Die
Feststellung, dass es "einen Konsens in Grundwahrheiten der
Rechtfertigungslehre"2 gibt, ist richtig.

Trotzdem ist die katholische Kirche der Ueberzeugung, dass man noch nicht
von einem so weitgehenden Konsens sprechen koenne, der jede Differenz
zwischen Katholiken und Lutheranern im Verstaendnis der Rechtfertigung
ausraeumen wuerde. Die "Gemeinsame Erklaerung" nimmt selbst auf einige
dieser Unterschiede Bezug. Tatsaechlich sind die Positionen in einigen
Punkten noch unterschiedlich. Auf der Grundlage der bereits unter
zahlreichen Aspekten erzielten Uebereinstimmung will die katholische Kirche
zur Ueberwindung der noch bestehenden Divergenzen dadurch beitragen, dass
sie im folgenden eine Reihe von Punkten, nach ihrer Bedeutung geordnet,
vorlegt, die bei diesem Thema einer Verstaendigung in allen Grundwahrheiten
zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund noch
entgegenstehen. Die katholische Kirche hofft, dass die nachfolgenden
Hinweise ein Ansporn sein koennen, um das Studium dieser Fragen in
demselben bruederlichen Geist weiterzufuehren, der den Dialog zwischen der
katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund in letzter Zeit gepraegt
hat.

PRAeZISIERUNGEN

1. Die groessten Schwierigkeiten, um von einem vollstaendigen Konsens ueber
das Thema Rechtfertigung zwischen den beiden Seiten sprechen zu koennen,
finden sich in Paragraph 4.4 "Das Suendersein des Gerechtfertigten" (Nr.
28-30). Selbst unter Beruecksichtigung der in sich legitimen Unterschiede,
die von unterschiedlichen theologischen Zugangswegen zur Gegebenheit des
Glaubens herruehren, loest vom katholischen Standpunkt her schon allein die
Ueberschrift Erstaunen aus.

Nach der Lehre der katholischen Kirche wird naemlich in der Taufe all das,
was wirklich Suende ist, hinweggenommen, und darum hasst Gott nichts in den
Wiedergeborenen3. Daraus folgt, dass die Konkupiszenz, die im Getauften
bleibt, nicht eigentlich Suende ist. Deshalb ist die Formel "zugleich
Gerechter und Suender" so, wie sie am Anfang von Nr. 29 erklaert wird ("Er
ist ganz gerecht, weil Gott ihm durch Wort und Sakrament seine Suende
vergibt... In Blick auf sich selbst aber erkennt er...., dass er zugleich
ganz Suender bleibt, dass die Suende noch in ihm wohnt..."), fuer
Katholiken nicht annehmbar. Diese Aussage erscheint naemlich unvereinbar
mit der Erneuerung und Heiligung des inneren Menschen, von der das Trienter
Konzil spricht4. Der in Nr. 28-30 verwendete Begriff "Gottwidrigkeit" wird
von Katholiken und Lutheranern unterschiedlich verstanden und wird daher
tatsaechlich zu einem mehrdeutigen Begriff. In demselben Sinn ist fuer
einen Katholiken auch der Satz in Nr. 22: "... rechnet ihm Gott seine
Suende nicht an und wirkt in ihm taetige Liebe durch den Heiligen Geist",
nicht eindeutig genug, weil die innere Verwandlung des Menschen nicht klar
zum Ausdruck kommt.

Aus all diesen Gruenden gibt es Schwierigkeiten mit der Aussage, diese
Lehre ueber das "simul iustus et peccator" sei in der aktuellen Fassung, in
der sie in der "Gemeinsamen Erklaerung" vorgelegt wird, nicht von den
Anathemata (Verurteilungen) der tridentinischen Dekrete ueber die Ursuende
und die Rechtfertigung betroffen.

2. Eine weitere Schwierigkeit findet sich in Nr. 18 der "Gemeinsamen
Erklaerung", in der sich ein klarer Unterschied in bezug auf die Bedeutung
herausstellt, welche die Rechtfertigungslehre fuer Katholiken und
Lutheraner als Kriterium fuer das Leben und die Praxis der Kirche hat.
Waehrend fuer die Lutheraner diese Lehre eine ganz einzigartige Bedeutung
erlangt hat, muss, was die katholische Kirche betrifft, gemaess der Schrift
und seit den Zeiten der Vaeter die Botschaft von der Rechtfertigung
organisch in das Grundkriterium der "regula fidei" einbezogen werden,
naemlich das auf Christus als Mittelpunkt ausgerichtete und in der
lebendigen Kirche und ihrem sakramentalen Leben verwurzelte Bekenntnis des
dreieinigen Gottes.

3. Wie es in Nr. 17 der "Gemeinsamen Erklaerung" heisst, teilen Lutheraner
und Katholiken die gemeinsame Ueberzeugung, dass das neue Leben aus der
goettlichen Barmherzigkeit und nicht aus unserem Verdienst kommt. Es muss
jedoch daran erinnert werden, dass diese goettliche Barmherzigkeit, wie es
in 2 Kor 5,17 heisst, eine neue Schoepfung bewirkt und damit den Menschen
befaehigt, in seiner Antwort auf das Geschenk Gottes mit der Gnade
mitzuwirken. In diesem Zusammenhang nimmt die katholische Kirche mit
Befriedigung zur Kenntnis, dass Nr. 21 in Uebereinstimmung mit can. 4 des
Dekretes des Trienter Konzils ueber die Rechtfertigung (DS 1554) sagt, dass
der Mensch die Gnade zurueckweisen kann; es muesste aber auch gesagt
werden, dass dieser Freiheit zur Zurueckweisung auch eine neue Faehigkeit
zur Annahme des goettlichen Willens entspricht, eine Faehigkeit, die man
mit Recht "cooperatio" (Mitwirkung) nennt. Diese mit der neuen Schoepfung
geschenkte Neubefaehigung gestattet nicht die Verwendung des Ausdrucks
"mere passive" (Nr. 21). Dass diese Faehigkeit andererseits
Geschenkcharakter hat, drueckt das 5. Kapitel des tridentinischen Dekretes
(DS 1525) treffend aus, wenn es sagt: "ita ut tangente Deo cor hominis per
Spiritus Sancti illuminationem, neque homo ipse nihil omnino agat,
inspirationem illam recipiens, quippe qui illam et abicere potest, neque
tamen sine gratia Dei movere se ad iustitiam coram illo libera sua
voluntate possit" ["wenn also Gott durch die Erleuchtung des Heiligen
Geistes das Herz des Menschen beruehrt, tut der Mensch selbst, wenn er
diese Einhauchung aufnimmt, weder ueberhaupt nichts - er koennte sie ja
auch verschmaehen -, noch kann er sich andererseits ohne die Gnade Gottes
durch seinen freien Willen auf die Gerechtigkeit vor ihm zubewegen"].

In der Tat wird auch von lutherischer Seite in Nr. 21 ein "volles
personales Beteiligtsein im Glauben" festgehalten. Es beduerfte jedoch
einer Klarstellung ueber die Vereinbarkeit dieses Beteiligtsein mit der
Annahme der Rechtfertigung "mere passive", um den Grad der Uebereinstimmung
mit der katholischen Lehre genauer festzustellen. Was sodann den Schlussatz
von Nr. 24 - "Gottes Gnadengabe in der Rechtfertigung bleibt unabhaengig
von menschlicher Mitwirkung" - betrifft, so muss er in dem Sinne verstanden
werden, dass die Gnadengaben Gottes nicht von den Werken des Menschen
abhaengig sind, nicht aber in dem Sinne, dass die Rechfertigung ohne
Mitwirkung des Menschen erfolgen koenne. In analoger Weise muss sich der
Satz in Nr. 19, wonach die Freiheit des Menschen "keine Freiheit auf sein
Heil hin" ist, mit der Aussage ueber das Unvermoegen des Menschen, aus
eigener Kraft die Rechtfertigung zu erlangen, verbinden lassen.

Die katholische Kirche vertritt auch die Ansicht, dass die guten Werke des
Gerechtfertigten immer Frucht der Gnade sind. Doch gleichzeitig und ohne
irgend etwas von der totalen goettlichen Initiative aufzuheben5, sind sie
Frucht des gerechtfertigten und innerlich verwandelten Menschen. Man kann
daher sagen, dass das ewige Leben gleichzeitig sowohl Gnade als auch Lohn
ist, der von Gott fuer die guten Werke und Verdienste erstattet wird6.
Diese Lehre ist die Konsequenz aus der inneren Verwandlung des Menschen,
von der in Nr. 1 dieser Note die Rede war. Diese Klarstellungen verhelfen
zu dem vom katholischen Standpunkt aus angemessenen Verstaendnis von
Paragraph 4.7 (Nr. 37-39) ueber die guten Werke des Gerechtfertigten.

4. Bei der Fortfuehrung dieser Bemuehung wird man auch das Sakrament der
Busse behandeln muessen, das in Nr. 30 der "Gemeinsamen Erklaerung"
erwaehnt wird. Denn durch dieses Sakrament kann, wie das Konzil von Trient
formuliert7, der Suender aufs neue gerechtfertigt werden (rursus
iustificari); das schliesst die Moeglichkeit ein, durch dieses Sakrament,
das sich von dem der Taufe unterscheidet, die verlorene Gerechtigkeit
wiederzuerlangen8. Nicht auf alle diese Aspekte wird in besagter Nr. 30
ausreichend hingewiesen.

5. Diese Beobachtungen wollen die Lehre der katholischen Kirche in bezug
auf jene Punkte praezisieren, ueber die keine voellige Uebereinstimmung
erreicht wurde, und einige der Paragraphen, die die katholische Lehre
darlegen, ergaenzen, um das Mass des Konsenses, zu dem man gelangt ist,
besser ins Licht zu ruecken. Der hohe Grad der erreichten Uebereinstimmung
gestattet allerdings noch nicht zu behaupten, dass alle Unterschiede, die
Katholiken und Lutheraner in der Rechtfertigungslehre trennen, lediglich
Fragen der Akzentuierung oder sprachlichen Ausdrucksweise sind. Einige
betreffen inhaltliche Aspekte und daher sind nicht alle, wie in Nr. 40
behauptet wird, wechselseitig miteinander vereinbar.

Ausserdem ist zu sagen: Auch wenn es stimmt, dass auf jene Wahrheiten,
ueber die ein Konsens erreicht worden ist, die Verurteilungen des Trienter
Konzils nicht mehr anzuwenden sind, muessen dennoch erst die Divergenzen,
die andere Punkte betreffen, ueberwunden werden, bevor man geltend machen
kann, dass - wie es in Nr. 41 ganz allgemein heisst - diese Punkte nicht
mehr unter die Verurteilungen des Konzils von Trient fallen. Das gilt an
erster Stelle fuer die Lehre ueber das "simul iustus et peccator" (vgl.
oben Nr. 1).

6. Schliesslich ist unter dem Gesichtspunkt der Repraesentativitaet auf den
unterschiedlichen Charakter der beiden Partner hinzuweisen, die diese
"Gemeinsame Erklaerung" erarbeitet haben. Die katholische Kirche erkennt
die vom Lutherischen Weltbund unternommene grosse Anstrengung an, durch
Konsultation der Synoden den "magnus consensus" zu erreichen, um seiner
Unterschrift echten kirchlichen Wert zu geben: es bleibt allerdings die
Frage der tatsaechlichen Autoritaet eines solche synodalen Konsenses, heute
und auch in Zukunft, im Leben und in der Lehre der lutherischen
Gemeinschaft.

PERSPEKTIVEN FUeR DIE KUeNFTIGE ARBEIT

7. Die katholische Kirche moechte ihre Erwartungen bekraeftigen, dass
diesem wichtigen Schritt hin zu einem Einvernehmen in der
Rechtfertigungslehre weitere Studien folgen moegen, die eine
zufriedenstellende Klaerung der noch bestehenden Divergenzen erlauben.
Wuenschenswert waere insbesondere eine Vertiefung des biblischen
Fundaments, das sowohl fuer die Katholiken wie fuer die Lutheraner die
gemeinsame Grundlage der Rechtfertigungslehre darstellt.

Besagte Vertiefung sollte dem ganzen Neuen Testament und nicht nur den
paulinischen Schriften gelten. Denn auch wenn es zutrifft, dass der hl.
Paulus der neutestamentliche Autor ist, der am meisten ueber dieses Thema
gesprochen hat, was eine gewisse vorrangige Aufmerksamkeit verlangt, fehlt
es auch in den anderen Schriften des Neuen Testamentes nicht an fundierten
Bezugnahmen auf dieses Thema. Was die von der "Gemeinsamen Erklaerung"
erwaehnten verschiedenen Formen betrifft, mit denen Paulus den neuen
Zustand des Menschen beschreibt, so koennte man die Kategorien der
Sohnschaft und der Erbschaft (Gal 4,4-7; Roem 8,14-17) hinzufuegen. Die
Betrachtung aller dieser Elemente wird fuer das gegenseitige Verstaendnis
sehr hilfreich sein und die Loesung jener noch bestehenden Divergenzen in
der Rechtfertigungslehre ermoeglichen.

8. Schliesslich sollten sich Lutheraner und Katholiken gemeinsam darum
bemuehen, eine Sprache zu finden, die imstande ist, die
Rechtfertigungslehre auch den Menschen unserer Zeit verstaendlicher zu
machen. Die Grundwahrheiten von dem von Christus geschenkten und im Glauben
angenommenen Heil, vom Primat der Gnade vor jeder menschlichen Initiative,
von der Gabe des heiligen Geistes, der uns dazu faehig macht, unserem Stand
als Kinder Gottes entsprechend zu leben, usw. sind wesentliche Aspekte der
christlichen Botschaft, die die Glaeubigen aller Zeiten erleuchten sollten.

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Diese Note, welche die offizielle katholische Antwort auf den Text der
"Gemeinsamen Erklaerung" darstellt, ist in gemeinsamer Verstaendigung
zwischen der Kongregation fuer die Glaubenslehre und dem Paepstlichen Rat
fuer die Foerderung der Einheit der Christen ausgearbeitet worden und wird
vom Praesidenten dieses Paepstlichen Rates als direkt Verantwortlichem fuer
den oekumenischen Dialog unterzeichnet.

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ANMERKUNGEN

1 Vgl. "Gemeinsame Erklaerung", Nr. 4: "ein hohes Mass an gemeinsamer
Ausrichtng und gemeinsamem Urteil".
2 Ebd., Nr. 5; vgl. Nr. 13; 40; 43.
3 Vgl. Konzil von Trient, Dekret ueber die Ursuende (DS 1515).
4 Vgl. Konzil von Trient, Dekret ueber die Rechtfertigung, Kap. 8: "...
iustificatio ... quae non est sola peccatorum remissio, sed et
sanctificatio et renovatio interioris hominis ["... die Rechtfertigung ...,
die nicht nur Vergebung der Suenden ist, sondern auch Heiligung und
Erneuerung des inneren Menschen"] (DS 1528); vgl. auch can 11 (DS 1561).
5 Vgl. Konzil von Trient, Dekret ueber die Rechtfertigung, Kap. 16 (DS
1546), wo Joh 15,5, der Weinstock und die Reben, zitiert wird.
6 Vgl. ebd. DS 1545; und can. 26 (DS 1576).
7 Ebd. Kap. 14 (vgl. DS 1542).
8 Vgl. ebd. can. 29 (DS 1579); Dekret ueber das Sakrament der Busse, Kap. 2
(DS 1671); can. 2 (DS 1702)).

                               (Uebersetzt aus dem italienischen Original)
***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redakteurin: Karin Achtelstetter
E-mail: ka@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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