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Adventisten und Intellektuelle in Russland


From "Christian B. Schäffler" <APD_Info_Schweiz@compuserve.com>
Date 30 Aug 1998 03:46:27

August 29, 1998
Adventistischer Pressedienst (APD)
Christian B. Schaeffler, Chefredakteur
Fax +41-61-261 61 18
APD@stanet.ch
CH-4003 Basel, Schweiz

ADVENTISTEN UND INTELLEKTUELLE IN RUSSLAND
98/06/07/12

Moskau/Russland, (APD) In der Sowjetunion lebten die Gemeinden 
der Siebenten-Tags-Adventisten wegen der fehlenden 
Religionsfreiheit in erzwungener Isolation und konnten ihre 
Reihen nur durch die Kinder der Mitglieder auffüllen. Als durch 
die Perestrojka Tausende von Menschen von der dynamischen 
Predigt ausländischer Missionare angezogen wurden und aus den 
unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten zu den 
Adventisten stiessen, fühlten sich die meisten einheimischen 
Pastoren wegen ihrer geringen Erfahrung im Umgang mit Menschen
ausserhalb der eigenen Konfession überfordert. Zu dieser 
Feststellung gelangt Michail Kulakow (Moskau), adventistischer 
Pastor und zeitweiliger Leiter des Theologischen Seminars der 
Freikirche in Saokski, in einem Artikel der in Zollikon/Schweiz 
erscheinenden Zeitschrift "Glaube in der 2. Welt". 

Die adventistischen Pastoren, die oft aus Dörfern kamen und in 
den Städten tätig wurden, hatten plötzlich die Aufgabe, unter 
neuen Bedingungen den Aufbau von Gemeindeschulen, 
Wohlfahrtseinrichtungen und den Druck von christlicher
Literatur für die schnell wachsenden Gemeinden in die Hand
zu nehmen. Sie, die bisher ihr geistliches Wissen aus einfachen 
Broschüren schöpften und weder mit der Weltliteratur noch
russischem Bildungsgut vertraut waren, sahen sich unvermittelt 
einer ihnen völlig unbekannten Bevölkerungsschicht gegenüber: 
Akademikern, die in der Hoffnung zu den Adventisten kamen, ihre 
Fähigkeiten dort einsetzen zu können. Die meisten von ihnen 
hätten sich nicht mit den Problemen der Kirchengeschichte und 
der Entstehung der heutigen Konfessionen befasst, so Kulakow, 
der an der Theologischen Fakultät der Universität Oxford 
promovierte. Sie fühlten sich von der Idee eines liebenden 
Gottes, der Sünden vergibt, angesprochen und hatten meist eine 
genaue Vorstellung davon, welche soziale Bedeutung diese Idee
im Leben der Gesellschaft haben sollte. Sie pflegten dazu 
weiterhin enge Beziehungen zur "weltlichen" Gesellschaft und 
sagten sich nicht von ihren alten Freunden, 
Lieblingsschriftstellern und Komponisten los. 

Viele Pastoren hätten eine derartige Haltung nicht begreifen 
können. Sie versuchten, die intellektuellen Neugläubigen so 
schnell wie möglich in ihre eigene enge Weltsicht einzubinden.
Laut Kulakow befürchte eine Reihe seiner Amtskollegen, wenn sie 
sich auf die sie umgebende weltliche Kultur einliesse und von
"ihrem apologetischen Monolog" Abschied nähme, dass die
Autorität der Heiligen Schrift verlorengehe und sich das 
Spezifische des Adventismus verwische. Jahrzehntelang hätten 
sie sich bemüht, ihre adventistische Identität zu bewahren und 
sich dadurch von der Gesellschaft entfernt. Die Pastoren 
könnten zwar adventistische Lehrsätze vermitteln, doch es falle
ihnen schwer, ein überzeugendes christliches Weltbild 
weiterzugeben. Dazu gehöre die Einführung in die elementarsten 
Gewohnheiten des Gottvertrauens und des Umgangs mit Gott in
Gebet und gemeinsamen Gottesdiensten. Sie müssten "gründlich
reformiert werden", denn "trockene Predigten" und 
"weitschweifige Betrachtungen" würden Menschen keine "Antwort 
auf ihre brennenden Fragen" geben.

In den Jahren der Perestrojka habe die adventistische
Freikirche durch den Aufbau des ersten protestantischen 
Seminars in der Sowjetunion sowie die Gründung eines Verlages
und der ersten christlichen Radiostation in Russland einen 
gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Auf die religionsfremde 
Umwelt übte auch der Dienst an Strafgefangenen und 
Waisenkindern Anziehungskraft aus. Diese Aktivitäten seien
"eine direkte Folge der Herzlichkeit und Wärme in unseren 
Gemeinden" gewesen, die sich "als Teil einer grossen Familie in 
der Gesellschaft" betrachteten. Jetzt jedoch sieht Kulakow das
gesellschaftliche Profil der adventistischen Kirche in Gefahr, 
indem sie durch eine "bürokratische Struktur" zwar "lautstark
ihre Prinzipien verkündet", aber "zu keinem Dialog mit den 
Menschen fähig" sei.

Die Reaktion der auf sich selbst bezogenen adventistischen 
Gemeinden auf das Erscheinen von gebildeten Menschen aus der
"Welt" der Gesellschaft ist für Gerd Stricker, Redakteur von
"Glaube in der 2. Welt", bezeichnend. Verunsicherung, Skepsis 
und fast Ablehnung habe es praktisch in allen Gemeinden des
"alten Typs", wie er unter dem Kommunismus entstanden sei, 
gegeben. Dies könne nicht nur bei den Adventisten, sondern auch
bei Orthodoxen, Katholiken, Lutheranern und Baptisten 
beobachtet werden. 


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