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LWB-Generalsekretaer Ishmael Noko zu aktuellen oekumenischen Fragen


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 03 Feb 1999 07:57:38

Tagesdienst, 1/99, Nr. 4
Datum: 31. Januar 1999

Interview mit LWB-Generalsekretaer Ishmael Noko zu aktuellen oekumenischen
Fragen

*1. Der Oekumenische Rat der Kirchen und die weltweiten christlichen
Gemeinschaften

lwi: Welche Bedeutung hat ihrer Ansicht nach die Achte Vollversammlung in
Harare fuer die Zukunft des Oekumenischen Rates der Kirchen (OeRK)?

Noko: Der OeRK ist noch immer die wichtigste Ausformung und das
bedeutendste Instrument der weltweiten oekumenischen Bewegung. Die
Diskussionen und Beschluesse der Achten Vollversammlung verweisen deutlich
auf die Bereitschaft der Organisation, sich direkt und offen mit den sich
ihr stellenden Herausforderungen auseinanderzusetzen. Das ist
entscheidend. In der Zukunft wird es zu einer allmaehlichen
Umstrukturierung der Organisation kommen, wobei die Grundsatzerklaerung
"Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verstaendnis und einer gemeinsamen
Vision" (CUV) des Oekumenischen Rates der Kirchen einen wichtigen Anfang
bildet. Die von diesem Prozess zu erwartenden Ergebnisse sind zur Zeit
noch nicht klar zu erkennen. Doch hat die Vollversammlung deutlich
bekundet, dass sie sich diesen Prozess verpflichtet fuehlt. Die
OeRK-Mitgliedskirchen und die weltweiten christlichen Gemeinschaften
sollten diesen Prozess aktiv mitverfolgen.

lwi: Wie sehen sie die zukuenftige Mitwirkung der kirchlichen
Bekenntnisfamilien (CWCs) im OeRK?

Noko: Fuer die OeRK-Mitgliedskirchen und die CWCs ist die Zeit gekommen,
um ihr Engagement gegenueber dem OeRK deutlich zu bekraeftigen und alle
Bestrebungen zu unterstuetzen, die dem OeRK bei der Wahrnehmung seiner
oekumenischen Aufgaben helfen. Die CWCs oder kirchlichen Familien sind
kirchliche Netzwerke, die dank einem inneren Zusammenhalt das gemeinsame
Zeugnis und den gemeinsamen Dienst auf oertlicher, nationaler, regionaler
und Weltebene foerdern. Die oekumenische Bedeutung dieser Netzwerke tritt
immer deutlicher hervor. Das zeigt sich in der wachsenden Zahl von
bilateralen oekumenischen Beziehungen.

lwi: Welches war Ihrer Ansicht nach der wichtigste Beschluss der
OeRK-Vollversammlung in diesem Zusammenhang?

Noko: Die Vollversammlung (Weisungsausschuss 1, VII) schlug vor, einen
Prozess einzuleiten, "um die Beziehungen zwischen dem OeRK und den CWCs zu
erleichtern und zu verstaerken, wie dies im CUV-Dokument gefordert wird".
Das stellt eine historische Entwicklung in der Geschichte des OeRK dar.
Das erklaerte Ziel ist die "Staerkung von Zusammenarbeit, Wirksamkeit und
Leistungsfaehigkeit". In der Einfuehrung zu der Resolution wird
festgestellt, dass Fortschritte in der Debatte ueber "Modelle der Einheit"
das direkte Ergebnis des gemeinsamen Engagements des OeRK und der CWCs
sind und dass die Betonung des kirchlichen Selbstverstaendnisses zu diesem
gemeinsamen Engagement gehoert. Ich bin sehr froh darueber, dass dies
spezifisch erwaehnt und auch unterstrichen wird, dass der OeRK die
Einmaligkeit in Geschichte und Kirche erkennt, die in der Verstaerkung der
bestehenden Beziehungen zu den verschiedenen CWCs besteht.

lwi: Was sagen sie zur Vollversammlungsentscheidung im Zusammenhang mit
dem Vorschlag fuer ein Forum christlicher Kirchen und oekumenischer
Organisationen?

Noko: Ich finde es interessant, dass die Vollversammlung im wesentlichen
die Zukunft des Vorschlags fuer ein 'Forum' dem Zentralausschuss
ueberlaesst. Ich meine, dass dies der beste Weg ist, mit diesem Vorschlag
umzugehen. Der LWB wird an der laufenden Diskussion ueber diesen Gedanken
teilnehmen. Vor allem aber sollte die Erneuerung und zukuenftige
Entwicklung des OeRK selbst im Vordergrund stehen. Es wird eine wichtige
Aufgabe fuer den neuen Zentralausschuss sein, darauf zu achten, dass der
Anspruch des OeRK als Weltrat nicht beeintraechtigt wird. Der
Zentralausschuss sollte aktiv Wege suchen, wie der OeRK am besten die
Konziliaritaet des oekumenischen Prozesses zum Ausdruck bringt. Ich
wuensche mir, dass in den kommenden Jahren sich der OeRK weiterhin als
umfassendste und konkreteste Ausformung unserer gemeinsamen Suche nach
sichtbarer christlicher Einheit erweist.

*2. Zu der kuerzlich erschienenen "Verkuendigungsbulle des Grossen
Jubilaeums des Jahres 2000" von Papst Johannes Paul II.

lwi: Am ersten Adventssonntag 1998 erliess Papst Johannes Paul II. seine
Bulle 'Incarnationis mysterium'. Dazu gehoeren auch *Anweisungen fuer die
Erlangung des Jubilaeumsablasses'. Fuer viele beschwoert die Ablassfrage
Erinnerungen an die Kontroverse herauf, die seinerzeit die Reformation
ausloeste. Was sagen Sie zu der jetzt erschienenen Bulle?

Noko: Fuer manche Lutheraner und Lutheranerinnen, die mit
roemisch-katholischer Theologie nicht sehr vertraut sind, war diese Bulle
ueberraschend. Ablass als Strafnachlass ist in der roemisch-katholischen
Kirche unueblich. Somit betrachten wir diese Frage als etwas in der
Vergangenheit Verhaftetes. Fuer einige Katholiken ist die Sache weniger
verwunderlich, denn seit 600 Jahren wird in bestimmten Jubeljahren der
Ablass erklaert. Zuletzt wurde 1983 als ausserordentliches Jubeljahr
ausgerufen. Ich glaube allerdings, dass auch viele Katholiken in ihrem
Katechismus nachschauen mussten, welche Bedeutung dieses Elements in der
roemisch-katholischen Tradition hat.

lwi: In der Schule haben wir gelernt, dass die Ablassgewaehrung im
Mittelalter der Hintergurnd war fuer Luthers starke Betonung der
Rechtfertigung durch den Glauben. Wie verhaelt sich diese Bulle zu der
Rechtfertigungslehre?

Noko: Zuerst wuerde ich sagen, dass es die roemisch-katholische Kirche
ist, die diese Frage beantworten muss. Die Gewaehrung von Ablass gehoert
nicht zur lutherischen Tradition. Wir sind uns bewusst, dass die
Gewaehrung von Ablass in der roemisch-katholischen Kirche nicht heisst,
dass die Glaubenden - allein und durch ihre Werke - Suendenvergebung
erkaufen koennen. Auch nach der Lehre der roemisch-katholischen Kirche
kann Rechtfertigung nur aufgrund von Gottes Gnadenwerk in Christus
stattfinden. Das wird auch in der Bulle deutlich hervorgehoben. In der
roemisch-katholischen Tradition geht es aber auch um die Konsequenzen der
Suende oder, wenn Sie so wollen, den durch die Suende entstandenen
Schaden, also um ein seelsorgerliches Anliegen, das zu tun hat mit dem,
was wir normalerweise Heiligung nennen.

lwi: Welche theologischen Herausforderungen sehen Sie in der Bulle?

Noko: Die Hauptfrage, die direkt mit der Zukunft unseres Dialogs zu tun
hat, stellt sich im Bereich der Ekklesiologie, der Lehre von der Kirche.
Die Ablassgewaehrung in der roemisch-katholischen Kirche gruendet sich auf
die Lehre des 'Schatzes der Kirche', der durch die guten Werke Christi und
der Heiligen erworben wird, und die Kirche gilt als Hueterin dieses
Schatzes. Dieses Thema ist eines von mehreren wichtigen Elementen der
Lehre, die in den kommenden Jahren in unserem Dialog angesprochen werden
muessen. Es ist ganz klar, dass fuer uns die Rechtfertigungslehre hier
auch etwas zu sagen hat.

lwi: Wird diese Bulle die Weiterentwicklung der
lutherisch/roemisch-katholischen Beziehungen bremsen?

Noko: Als Gemeinschaften sind wir unserer jeweiligen historischen
Tradition zutiefst verpflichtet. Die seit langer Zeit bestehende
roemisch-katholische Ablasspraxis muss aus dieser Perspektive betrachtet
werden. Wir haben keinen Anlass zu glauben, dass diese Bulle jetzt vom
Papst erlassen wurde, um die oekumenischen Partner zu provozieren! Aber
gleichzeitig ist es klar, dass das Thema der Bulle und des Dekrets in
unseren fortdauernden Beziehungen erschoepfend besprochen werden muessen -
im Geist des Dialogs, zu dem Papst Johannes Paul II. die Vertreter der
christlichen Kirchen in seiner Enzyklika von 1995 "Ut Unum Sint" einlaedt.

lwi: Wird sich diese Bulle auf die Haltung des LWB-Rates zur Gemeinsamen
Erklaerung auswirken?

Noko: Nein, nicht direkt. Sie enthaelt ja keine neuen
roemisch-katholischen Lehren. Gleichzeitig wird aber klar, wie wichtig die
Fortsetzung der Diskussion ueber die Rechtfertigungslehre ist. Wir haben
ja nie behauptet, dass wir mit der roemisch-katholischen Kirche zu einem
vollstaendigen Einverstaendnis in allen Aspekten der Rechtfertigungslehre
oder ihrer Konsequenzen gelangt sind. In dem vom LWB-Rat im Juni 1998
angenommenen Beschluss wird der LWB besonders ermutigt, zusammen mit der
roemisch-katholischen Kirche die pastoralen Konsequenzen, die die
Uebereinstimmungen in der Gemeinsamen Erklaerung haben, zu klaeren. Der
Beschluss betont auch die Notwendigkeit weiterer gemeinsamer
Untersuchungen sowohl im Blick auf die Konsequenzen der
Rechtfertigungslehre fuer bestimmte Bereiche von Lehre und Praxis der
Kirche. Darueber hinaus denke ich, dass aufgrund der bemerkenswerten
historischen Zusammenhaenge dieses Themas die Bulle im
lutherisch/roemisch-katholischen Dialog entsprechend behandelt werden
wird.

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redakteurin: Karin Achtelstetter
E-mail: ka@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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