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Die Gemeinsame Erklarung - neue Chancen im okumenischen Dialog


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 19 Oct 1999 11:17:56

Entscheidender Durchbruch auf dem schweren Weg zur Einheit der Kirche

Genf, 19. Oktober 1999 (lwi) - Der Dialog zwischen den lutherischen
Kirchen, die Mitglieder im Lutherischen Weltbund (LWB) sind, und der
romisch-katholischen Kirche begann schon bald nach dem Ende des Zweiten
Vatikanischen Konzils. Die Gemeinsame Erklarung ist der vorlaufige
Hohepunkt dieses mehr als dreissigjahrigen Prozesses. Beide Dialogpartner
bekraftigen, "dass  sie einen Konsensus im Hinblick auf Grundwahrheiten der
Rechtfertigungslehre erreicht haben" und "dass die gegenseitigen
Lehrverurteilungen aus der Zeit der Reformation im Hinblick auf die Lehre
von der Rechtfertigung, wie sie von Lutheranern und Katholiken in der
Gemeinsamen Erklarung dargelegt wird, nicht treffen."

Neben diesem gemeinsam vollzogenen, theologisch begrundeten Schlussstrich
unter die Lehrverurteilungen und Spannungen der Vergangenheit in Hinblick
auf die Rechtfertigungslehre ist allerdings auch die Tatsache
bemerkenswert, dass mit der Bestatigung der Erklarung im gottesdienstlichen
Rahmen durch den LWB und den Papstlichen Rat zur Forderung der Einheit der
Christen beide Kirchen auf neue Weise ihrer Beziehung zueinander Ausdruck
verleihen. Mit diesem Ereignis wird fur den LWB der Beschluss der
Vollversammlung von Curitiba (1990), in dem der Lutherische Weltbund als
Gemeinschaft (communio) lutherischer Kirchen beschrieben wurde, praktisch
wirksam und zugleich vom Dialogpartner trotz mancher Vorbehalte
offensichtlich anerkannt.  Gemeinsames Ziel ist es: "zu voller
Kirchengemeinschaft, zu einer Einheit in Verschiedenheit zu gelangen, in
der verbleibende Unterschiede miteinander 'versohnt' wurden und keine
trennende Kraft mehr hatten."

Der Generalsekretar des LWB, Ishmael Noko, erklarte anlasslich der
gemeinsamen lutherisch/romisch-katholischen Pressekonferenz am 11. Juni
1999 in Genf: *Fur die Lutheraner unterstreicht die Unterzeichnung der
Gemeinsamen Erklarung am Reformationstag das Verstandnis der Reformation
selbst als einer Bewegung, die nicht eine Spaltung innerhalb der Kirche
Christi, sondern auf die Reform der einen Kirche in gewissen Bereichen
zielte."

Wer sich der kirchengeschichtlichen Bedeutung der vorgesehenen Bestatigung
der Gemeinsamen Erklarung bewusst ist, kann eigentlich nicht erstaunt
daruber sein, dass der Text der Gemeinsamen Erklarung wie nun auch die
Ankundigung der Unterzeichung der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zu
kontroversen Reaktionen fuhrte. Das gilt fur beide beteiligte Partner
gleichermassen. Denen, die die Einigung enthusiastisch begrussten, standen
die Skeptiker gegenuber, die auf lutherischer Seite einen faulen Kompromiss
witterten, der der zentralen Stellung der Rechtfertigungslehre als
Kriterium fur die Lehre, Ordnung und Praxis der Kirche nicht gerecht werde.
Wahrend die grosse Mehrzahl der Mitgliedskirchen des LWB den im Februar
1997 veroffentlichten Text in ihren Synoden bestatigten, kam es in
Deutschland zu einer heftigen Diskussion. Sie wurde im Januar 1998 weiter
angeheizt durch eine offentliche Stellungnahme theologischer Lehrer, die
zur Ablehnung der Gemeinsamen Erklarung aufforderte und schliesslich von
160 Theologieprofessoren unterzeichnet wurde.

Unter dem Eindruck der Kontroverse entschied sich die Mehrheit der Synoden
der lutherischen Kirchen in Deutschland fur eine differenzierte Zustimmung
zur Gemeinsamen Erklarung. Zwar sei das Ziel der vollen Ubereinstimmung in
der Rechtfertigungslehre noch nicht erreicht, doch sei die Erklarung ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung, dem weitere Klarstellungen
folgen mussten. Auf der Basis der mit wenigen Ausnahmen grundsatzlich
positiven Beschlusse der Mitgliedskirchen nahm der Rat des LWB am 16. Juni
1998 den Text der Gemeinsamen Erklarung einstimmig an und unterstrich, dass
in entscheidenden Fragen Ubereinstimmung erreicht sei, obwohl einige Punkte
noch weiterer Klarung bedurften.

Neue Diskussionen loste dann jedoch die Stellungnahme des Papstlichen Rates
zur Forderung der Einheit der Christen aus, in dem festgestellt wurde, dass
es immer noch Punkte gabe, in denen die Lehre der lutherischen Kirchen
nicht mit der Lehre des Konzils von Trient ubereinstimme wie z.B. in der
Interpretation der Feststellung Martin Luthers, der Mensch stehe vor Gott
zugleich als Gerechter und als Sunder (simul iustus et peccator).
Zweifelhaft sei auch, ob die Synoden der lutherischen Kirchen vertreten
durch den LWB tatsachlich mit Autoritat uber Fragen der Lehre entscheiden
konnten. Diese Reaktion schien den Kritikern der Gemeinsamen Erklarung
Recht zu geben, konnte aber auch als Anstoss und Impuls gesehen werden, die
aufgeworfenen Fragen vor einer Unterzeichnung weiter zu bearbeiten, weil
eine nur halbherzige Zustimmung dem Anliegen und der Bedeutung der
Gemeinsamen Erklarung nicht angemessen ware und die gemeinsame Arbeit fur
die Zukunft erschwert hatte.

Schien es zunachst, als sei nun Schadensbegrenzung angesagt, erwiesen sich
die folgenden Monate als eine Pause zum Atemholen. Sie gaben Gelegenheit,
einige der nun aufgebrochenen Probleme zu bearbeiten. Eine neue Situation
wurde durch eine Initiative des Munchner Altbischofs Johannes Hanselmann
und Joseph Kardinal Ratzingers geschaffen. Sie trafen sich mit den beiden
Theologieprofessoren Heinz Schutte von katholischer Seite und Joachim Track
von evangelischer Seite und erarbeiteten einen funfseitigen Text, der vom
LWB und dem Einheitssekretariat entgegengenommen und uberarbeitet wurde.
Das Ergebnis waren eine Gemeinsame Offizielle Festellung und ein Anhang zu
dieser Feststellung, die im Juni dieses Jahres in Genf der Offentlichkeit
vorgestellt wurden.

Die Texte antworten auf einige in der Kontroverse um die Gemeinsame
Erklarung aufgebrochenen Fragestellungen. Diese Klarstellungen, die
ausdrucklich von Johannes Paul II. unterstutzt wurden, haben die zuvor
verbliebenen Vorbehalte fur eine Unterschrift ausgeraumt. Sie haben, so der
Kolner Okumeniker Hans-Georg Link, "jene evangelischen Stimmen eines
Besseren belehrt, die die katholische Kirche auf ihre Positionen im 16.
Jahrhundert zur Zeit des Konzils von Trient festnageln und ihr ein
Fortschreiten und Fortschreiben im okumenischen Dialog nicht zugestehen
wollten". Und der zuvor so kritische Eberhard Jungel sah offensichtlich
seinen Bedenken Rechnung getragen und begrusste die beiden Dokumente in
einem Kommentar im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt. Doch es konnte
nicht erwartet werden, dass damit schon die Kontroverse ihren Abschluss
finden wurde.

Fur den LWB und den Papstlichen Rat zur Forderung der Einheit der Christen
war nun der Weg fur die Unterzeichnung frei. Auf der Pressekonferenz zur
Veroffentlichung der beiden Dokumente verwiesen Ishmael Noko,
Generalsekretar des LWB, und Idris Kardinal Cassidy vom Papstlichen Rat zur
Forderung der Einheit der Christen noch einmal auf die
kirchengeschichtliche Bedeutung der Gemeinsamen Erklarung. Das kann
offensichtlich nicht oft genug unterstrichen werden, denn vielen scheint
das bisher in der okumenischen Bewegung Erreichte so selbstverstandlich,
dass sie kaum mehr erfassen, was die Uberwindung einer uber 400-jahrigen
Geschichte gegenseitiger Verketzerung und Sprachlosigkeit innerhalb von 30
Jahren okumenischer Dialoge bedeutet. Noko und Cassidy betonten
daruberhinaus, dass die Gemeinsame Erklarung neue Moglichkeiten fur den
okumenischen Dialog und den gemeinsamen Weg der Kirchen eroffnet.

Von einem "entscheidenden Durchbruch" sprach Konrad Raiser, Generalsekretar
des Okumenischen Rates der Kirchen. Es ware das erste Mal, dass der Vatikan
in autoritativer Form die Ergebnisse eines bilateralen Dialoges
entgegennahme und bereit ware, die Annahme in einer gemeinsamen Feier zur
Unterzeichnung auszudrucken. "Indem das Kapitel der Kirchengeschichte, das
sich mit den Verurteilungen der Vergangenheit beschaftigt, abgeschlossen
wird, befreit uns die Gemeinsame Erklarung, uns den Problembereichen eines
zeitgenossischen Zeugnisses der okumenischen Bewegung zuzuwenden", so
Raiser in einem Interview mit ENI, dem okumenischen Nachrichtendienst. Und
er fugte hinzu: "Wenn wir einen Konsensus uber die Grundwahrheiten der
Rechtfertigungslehre ausdrucken konnen, wird das hoffentlich den Prozess in
anderen Gebieten beschleunigen."

Barbara Robra,
verantwortlich fur die Koordination der Kommunikation anlasslich der
Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklarung in Augsburg

Genf, Oktober 1999

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer Kirchen
weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegrundet, zahlt er inzwischen 128
Mitgliedskirchen, denen rund 58 der 61,5 Millionen Lutheraner und
Lutheranerinnen in 70 Landern angehoren. Das LWB-Sekretariat befindet sich
in Genf (Schweiz). Das ermoglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem
Okumenischen Rat der Kirchen (ORK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in
Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. okumenische Beziehungen, Theologie,
humanitare Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte
von Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "lwi"
gekennzeichneten Beitrage konnen kostenlos mit Quellenangabe abgedruckt
werden.

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
E-mail: dmg@lutheranworld.org
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