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Die Entstehung der Gemeinsamen Erklarung zur Rechtfertigungslehre


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 22 Oct 1999 08:21:41

Von den ersten Gesprachen bis zur Unterschrift

Genf, 22. Oktober 1999 (lwi) - Am 31. Oktober 1999 wird die Gemeinsame
offizielle Feststellung in Augsburg feierlich unterzeichnet. Die
Entwicklung des okumenischen Dialogs und der zahlreichen Gesprache und
Studien sollen im Folgenden dargestellt werden.

A. Die deutsche Entwicklung

Am 17. November 1980 traf sich Papst Johannes Paul II. wahrend seines
Deutschlandbesuches mit Reprasentanten der lutherischen und der
reformierten Kirchen in Mainz. Aus diesem Anlass verwies Landesbischof
Eduard Lohse, von 1979 bis 1985 Vorsitzender des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), auf die dringend notwendige Verbesserung
der Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche im Hinblick auf
Gottesdienste, Abendmahlsgemeinschaft und konfessionelle Mischehen.

Im Anschluss an dieses Treffen wurde eine Gemeinsame Okumenische
Kommission gegrundet, die erstmals am 6. und 7. Mai 1981 unter Leitung
von Landesbischof Eduard Lohse und dem romisch-katholischen Bischof von
Munchen, Kardinal Joseph Ratzinger, tagte. In den Protokollen dieses
Treffens ist nachzulesen, dass Landesbischof Lohse eine offizielle,
bindende Stellungnahme forderte, die die Lehrverurteilungen der
lutherischen Konfessionsschriften des 16. Jahrhunderts gegenuber der
romisch-katholischen Kirche als nicht mehr zutreffend bezeichnen.
Ebenfalls in den Protokollen finden sich die Uberlegungen Ratzingers,
dass die Lehrentscheidungen des Trienter Konzils uberpruft werden
mussten, da neue Realitaten entstanden seien und der alte massive
Dissens faktisch nicht mehr existiert.

Bereits zu diesem fruhen Zeitpunkt (auf der zweiten Sitzung der
Gemeinsamen Okumenischen Kommission am14. und 15. September 1982) wurde
von den Theologieprofessoren Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg die
Frage aufgeworfen, ob es genuge, sich mit den Lehrverurteilungen selbst
auseinanderzusetzen oder ebenfalls auch notig sei, den positiven Inhalt
der Lehren zu behandeln. Zu Beginn der Auseinandersetzung lag der
Schwerpunkt eindeutig auf der Frage der Lehrverurteilungen. Im Laufe der
Zeit manifestierte sich das Vorhaben, ein gemeinsames Verstandnis von
der Rechtfertigung zu formulieren, um eindeutig untermauern zu konnen,
dass die Lehrverurteilungen die gegenwartigen Lehren der beiden Partner
nicht treffen.

Fetszustellen bleibt, dass diese Perspektive bereits zu Beginn in
Deutschland aufgeworfen wurde, wenn auch die deutsche Studie direkter
und spezifischer die Anwendbarkeit der Lehrverurteilungen betraf. Die
Voraussetzung  war ein bestehender "fundamentaler Konsens" im
Verstandnis des Evangeliums.

Die Okumenische Studiengruppe bildete drei Arbeitsgruppen, die sich mit
den folgenden drei Themen auseinandersetzten:

- Rechtfertigung (Glaube, Taufe, Busse)
- Sakramente ( insbesondere Abendmahl)
- Geistliches Amt ( eingeschlossen der ekklesiologischen
Voraussetzungen)

Insgesamt waren 50 Theologen uber einen Zeitraum von funf Jahren in
diese Arbeit involviert. Es bestand ein intensiver Kontakt zwischen der
Gemeinsamen Okumenischen Kommission und der Okumenischen Studiengruppe.
Im Oktober 1996 wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen der Gemeinsamen
Okumenischen Kommission ubergeben, die den 14-seitigen Report am 26.
Oktober 1996 unter dem Titel: "Final Report of the Joint Commission on
the Examination of the Sixteenth-Century Condemnations." (vgl.
Condemnations, S. 178f.) veroffentlichte.

Die Ergebnisse der deutschen Studien wurden dem Rat der Evangelischen
Kirche (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz vorgelegt. Die
offizielle gemeinsame Antwort der protestantischen Kirchen Deutschlands
wurde 1995 veroffentlicht, (Okumenische Rundschau, Nr. 1, 1995, S. 99ff)
 Weiterhin gab es eine inoffizielle, nie veroffentlichte Antwort der
romisch-katholischen Kirche, die darauf hinweist, dass die Studien die
Lehrverurteilungen in einer neuen Perspektive erscheinen lassen.

B. Die Entwicklung in den USA

Der lutherisch/romisch-katholische Dialog in den USA entstand 1965 und
war von 1979 bis 1983 in die Studien uber Rechtfertigung durch Glauben
einbezogen. Der Bericht wurde 1985 veroffentlicht (Justification by
Faith: Lutherans and Catholics in Dialoque VII, Minneapolis 1985).

Im Gegensatz der Fokussierung der deutschen Studien auf die
Lehrverurteilungen als solche, konzentrierten sich die amerikanischen
Bemuhungen auf die Formulierung der getroffenen Verstandigung
hinsichtlich der Rechtfertigung. In einer gemeinsamen Feststellung
hielten die Dialogpartner fest, "die ganze Hoffnung der Rechtfertigung
und Erlosung liege bei Jesus Christus und dem Evangelium, wobei die gute
Botschaft von Gottes erbarmendem Handeln in Christus bekannt gemacht
wird." (Justification, S. 10)
Weiterhin heisst es im Dialogbericht, "dass theologische
Meinungsverschiedenheiten uber die Strukturen des Denkens (.....) nicht
kirchentrennend sein mussen." (Ebend.)

1993 wurde ein amerikanisches lutherisch/romisch-katholisches
gemeinsames Koordinationskomitee (U.S. Lutheran/Roman Catholic Joint
Coordination Committee) ins Leben gerufen, das die Moglichkeit einer
gemeinsamen Erklarung zu den Lehrverurteilungen hinsichtlich der
Rechfertigung prufen sollte. Im Marz 1993 stimmten der Papstliche Rat
zur Forderung der Einheit der Christen (PCPCU) und die Bischofskonferenz
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELCA) darin uberein,
dass sowohl die lutherischen Kirchen als auch die romisch-katholische
Kirche erklaren konnten, dass ein Konsens in der Rechtfertigungslehre
gefunden sei und die Lehrverurteilungen heute nicht mehr zutreffen.

C. Die internationale Entwicklung

Der internationale lutherisch/romisch-katholische Dialog begann 1967 und
veroffentlichte 1972 seinen Bericht "Das Evangelium und die Kirche", den
sogenannten "Malta Report". Schon in diesem fruhen Stadium des Dialogs
ist nachzulesen:

"Heute zeichnet sich in der Interpretation der Rechtfertigung ein
weitreichender Konsens ab. Auch die katholischen Theologen betonen in
der Rechtfertigungsfrage, dass die Heilsgabe Gottes fur den Glaubenden
an keine menschlichen Bedingungen geknupft ist. Die lutherischen
Theologen betonen, dass das Rechtfertigungsgeschehen nicht auf die
individuelle Sundenvergebung beschrankt ist, und sehen in ihm nicht eine
rein ausserlich bleibende Gerechterklarung des Sunders. Vielmehr wird
durch die Rechtfertigungsbotschaft die im Christusgeschehen realisierte
Gottesgerechtigkeit dem Sunder als eine ihn umfassende Wirklichkeit
ubereignet und dadurch das neue Leben der Glaubenden begrundet." (vgl.
Evangelium - Welt - Kirche, S. 15,  26)

1973 wurde die Leuenberger Konkordie durch die reformierten und
lutherischen Kirchen in Zentraleuropa angenommen, in der die Kirchen
erklaren, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen nicht zur Anwendung
kommen. Zwar war der Lutherische Weltbund als solcher an dieser
Vereinbarung nicht beteiligt, schloss sich jedoch dieser Entwicklung an
wie auch das Institut fur okumenische Forschung in Strassburg. Auf
internationaler lutherischer Seite war man sich der okumenischen
Bedeutung dieser regionalen Entwicklung bewusst, insbesondere dass die
Bildung engerer Formen von Kirchengemeinschaft die Klarung der vererbten
historischen Lehrverurteilungen voraussetzen.

Nach der Veroffentlichung der deutschen Studie zu den Lehrverurteilungen
beschloss das Exekutivkomitee des Lutherischen Weltbundes auf seiner
Tagung 1986 in Munchen, die Ubersetzung der Studie zu veranlassen und
einen Diskussionsprozess innerhalb des LWB und seiner Mitgliedskirchen
in Gang zu setzen. Doch erst 1990 lag eine Ubersetzung der deutschen
Studie vor und auch die Antwort der deutschen Lutheraner erfolgte erst
1991.

Im Ergebnis der Ratstagung des LWB 1991 grundeten sich Regionalgruppen
in den nordlichen Landern und den USA, die sich mit den deutschen
Studien auseinandersetzten und ihren Bericht 1997 vorlegten.

Aus den USA kam auch derVorschlag, den Blickwinkel der gemeinsamen
amerikanischen Erklarung zur Rechtfertigungslehre zu erweitern und die
Gemeinschaft der deutschen Lutheraner einzuschliessen. Dies wurde durch
eine Entscheidung des LWB-Rates 1993 in Kristiansand, Norwegen,
unterstutzt.

Der erste Entwurf der Gemeinsamen Erklarung wurde im Marz 1994 von einer
Arbeitsgruppe aus lutherischen und romisch-katholischen Theologen in
Genf ausgearbeitet. Dieser Entwurf, der erklarte, dass die
Lehrverurteilungen die Rechtfertigung betreffend nicht mehr gelten,
wurde an verschiedene Experten auf beiden Seiten versandt. Im Ergebnis
der Reaktionen wurde im September 1994 ein zweiter Entwurf
ausgearbeitet. Der LWB und der PCPCU entschieden, diesen Entwurf den
Kirchen zur Vorlage zu geben. Den Mitgliedskirchen des LWB wurde der
Entwurf  am 30. Januar 1995 zugeschickt. Als zeitlicher Abschluss fur
die Diskussion und die Moglichkeit der Reaktion auf den Entwurf wurde
das Fruhjahr 1996 festgesetzt, um mit dem zeitgleichen Prozess auf
romisch-katholischer Seite zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Dies
wurde auf lutherischer Seite teilweise als Behinderung der vollen
Teilnahme der lutherischen Mitgliedskirchen bewertet. Die Reaktionen der
lutherischen Kirchen wurden vom Institut fur okumenische Forschung in
Strassburg analysiert und bildeten gemeinsam mit den Antworten der
romisch-katholischen Kirche die Basis fur einen weiteren Entwurf, der im
Juni 1996 erarbeitet wurde.

Zu diesem Punkt wurde deutlich, dass mehr Zeit fur die Uberarbeitung des
Dokuments notig war. Im Juni 1996 entschied die SCEA, dass das
Exekutivkomitee den endgultigen Entwurf im Februar 1997 zur Diskussion
an die Mitgliedskirchen weitergeben solle. Der 1. Mai 1998 wurde als
abschliessendes Datum vereinbart.

Am 16. Juni 1998 beschloss der LWB-Rat auf der Grundlage der positiven
Antworten der grossen Mehrheit der lutherischen Kirchen zur Gemeinsamen
Erklarung, den Ubereinstimmungen in der Rechtfertigungslehre, wie sie in
der Gemeinsamen Erklarung dargelegt sind, zuzustimmen und zu erklaren,
dass die Lehrverurteilungen der lutherischen Bekenntnisschriften, die
die Lehre von der Rechtfertigung betreffen, die Lehre der
romisch-katholischen Kirche, wie sie in der Gemeinsamen Erklarung
vorgelegt sind, nicht treffen.

In der Antwortnote der romisch-katholischen Kirche wurde am 25. Juni
1998 zwar bejaht, dass ein Konsens in Grundwahrheiten der
Rechtfertigungslehre besteht, zur Bedeutung der Gemeinsamen Erklarung
betreffs der Lehrverurteilungen folgte jedoch keine Stellungnahmne.
Weiterhin enthielt die Antwortnote den Hinweis, dass weiterhin einige
Schwierigkeiten bestehen bezuglich des Verstandnisses des Sunderseins
des Gerechtfertigten, der Rechtfertigungslehre als Kriterium fur das
Leben und die Praxis der Kirche, des Empfangens der Gnade sowie des
Zusammenwirkens mit der Gnade und der Bedeutung der guten Werke. Damit
war eine Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklarung vorerst in Frage
gestellt.

Ein Brief des Papstlichen Rates zur Forderung der Einheit der Christen
vom 30. Juli 1998 eroffnete neue Perspektiven, wie die
romisch-katholische Stellungnahme zu verstehen sei. In dem Brief wurde
festgehalten, dass die romisch-katholische Kirche keine Schwierigkeiten
sehe, die Gemeinsame Erklarung zu bejahen und zu unterschreiben, dass
ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre erreicht wurde.

In der Folge wurde vereinbart, eine Gemeinsame offizielle Feststellung
auszuarbeiten und zu unterschreiben, worin die Schlussfolgerungen der
Gemeinsamen Erklarung (GE 40 und 41) vorbehaltlos bestatigt werden und
gleichzeitig die Notwendigkeit weiterer gemeinsamer Untersuchungen und
praktischer Auslegung der Rechtfertigungslehre betont wird. Am 3. Juni
1999 wurde die Gemeinsame offizielle Feststellung an alle
Mitgliedskirchen des LWB versandt. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz
wurde diese Feststellung am 11. Juni 1999 von Dr. Noko, Generalsekretar
des LWB, und Kardinal Cassidy, Prasident des Papstlichen Rates zur
Forderung der Einheit der Christen, der Offentlichkeit vorgestellt.

Am 31. Oktober 1999 wird diese Gemeinsame offizielle Feststellung in
Augsburg feierlich unterzeichnet, von Seiten des LWB: der Prasident, der
Generalsekretar und die Vizeprasidentinnen und Vizeprasidenten und von
Seiten der romisch-katholischen Kirche: der Prasident sowie der Sekretar
des Papstlichen Rates zur Forderung der Einheit der Christen.

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegrundet, zahlt er inzwischen
128 Mitgliedskirchen, denen rund 58 der 61,5 Millionen Lutheraner und
Lutheranerinnen in 70 Landern angehoren. Das LWB-Sekretariat befindet
sich in Genf (Schweiz). Das ermoglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem
Okumenischen Rat der Kirchen (ORK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in
Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. okumenische Beziehungen,
Theologie, humanitare Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und
verschiedene Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "lwi"
gekennzeichneten Beitrage konnen kostenlos mit Quellenangabe abgedruckt
werden.

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
E-mail: dmg@lutheranworld.org
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