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Lutheraner Russlands sehen ihre Kirche im Aufbruch


From FRANK.IMHOFF@ecunet.org
Date 18 Apr 2000 15:40:06

Kasachische Kirche plant eigene Ausbildungsstaette

Genf, 18. April 2000 (lwi) - Wenn Bischof Robert Moser seine
lutherischen Gemeinden besuchen will, muss er Reisen von meheren tausend
Kilometern auf sich nehmen. Die Entfernung zwischen den Gemeinden
betraegt von Sueden nach Norden bis zu 2.000 km, von Westen nach Osten
erreichen die Entfernungen mehr als 2.500 km. Moser ist seit 1996
Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Kasachstan
(ELKRK), einem riesigen Flaechenstaat von mehr als 2,7 Millionen kmı,
circa ¬ der Flaeche Europas.

Wird Robert Moser nach der Mitgliederzahl seiner Kirche befragt, so
lehnt er jegliche Schaetzungen freundlich ab, gezaehlt werden nur die
Gemeinden. Noch vor zehn Jahren wurde mit rund 200 lutherischen
Gemeinden in Kasachstan gerechnet, heute gibt Bischof Moser die
Gemeindenzahl mir circa 83 an. Der Grund liegt in der extrem hohen
Abwanderung der  Russlanddeutschen seit Beginn der 90er Jahre, viele von
ihnen gehoerten zu den lutherischen Gemeinden Kasachstans.

Nach der Zwangsumsiedlung mehrerer Volksgruppen, unter anderem der
Wolgadeutschen, waehrend und nach dem 2. Weltkrieg betrug der Anteil der
Deutschen an der Bevoelkerung Kasachstans rund sechs Prozent. Vor der
Zwangsumsiedlung der Deutschen gab es in dem traditionell muslimisch
gepraegten Land kaum Christen. Bedingt durch zahlreiche
Ansiedlungsprogramme nahm auch der Anteil der Russen an der Bevoelkerung
stetig zu, bis zur Unabhaengigkeitserklaerung Kasachstans 1991 bildeten
Russen sogar die Mehrheit. Die rigide Religionspolitik der
Sowjetregierung verhinderte jedoch ueber Jahrzehnte jegliches
Gemeindeleben, weder durften Kirchen gebaut, noch Theologen ausgebildet
werden. Der einzige Kirchenbau Kasachstans war die orthodoxe
Kathedralkirche in Almaty (Alma Ata), der Hauptstadt Kasachstans bis
1997.

Lebten 1992 offiziell noch rund 960.000 Russlanddeutsche in Kasachstan,
so emigrierten bis 1997 ueber 600.000 nach Deutschland, Russland, nach
Sibirien, in die Ukraine oder andere Staaten. Die lutherischen Gemeinden
in Kasachstan werden immer kleiner, an Orten, wo sich noch vor wenigen
Jahren hunderte Christen zum Gottesdienst versammelten, kommen heute oft
nur noch wenige Familien zusammen. Ihre waehrend der Zeit der Verfolgung
errichteten kleinen Bethaeuser (vorwiegend aus Lehm) koennen nun nicht
mehr unterhalten werden. Die Gemeinden stehen vor der Entscheidung, die
Haeuser zu sanieren oder zu verschenken, oft werden sie an andere
Konfessionsgruppen abgegeben. Sehr kleine Gemeinden versammeln sich nun
in Wohnungen.

Bischof Moser sieht darin keinen Grund zur Resignation. Er legt den
Schwerpunkt seiner Arbeit auf grosse Siedlungen und Staedte, wenigstens
in den Bezirkszentren sollen Gemeinden ueberleben. Robert Moser weiss,
welche Anstrengungen zum Aufbau einer Gemeinde aufzuwenden sind. Der
heute 60jaehrige gelernte Agrarwissenschaftler war seit 1994
Gemeindepfarrer im kasachischen Koektschetau, spaeter Probst, bevor er
1996 zum Bischof gewaehlt wurde.

Im Mai 1993 wurde in Almaty die konstituierende Synode der "Eparchie der
Evangelisch-Lutherischen Gemeinden im Staate Kasachstan" abgehalten, im
Mai 1994 die zweite. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik
Kasachstan (ELKRK) ist als Regionalkirche Teil der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten
(ELKRAS), die als Mitgliedskirche des Lutherischen Weltbundes (LWB) rund
250.000 Mitglieder zaehlt.

Inzwischen hat die lutherische Kirche in Kasachstan 13 hauptamtliche
Pfarrer, die eine theologische Grundausbildung von 240 Stunden
absolviert haben, wobei der Schwerpunkt auf der praktischen Ausbildung
lag. Ueber Jahrzehnte fehlte jegliche theologische Ausbildung, nicht nur
in Kasachstan, sondern dies betraf nahezu alle Gebiete der damaligen
Sowjetunion. Seit 1996 werden wieder Diakone, Katecheten und Prediger in
sechswoechigen Kursen ausgebildet und Bischof Moser plant nun die
Einrichtung eines biblischen Colleges in Astana, der neuen Hauptstadt
Kasachstans, die zugleich Bischofssitz ist.

Anfang Februar besuchte Robert Moser in Begleitung von Prof. D. Georg
Kretschmar, Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland
und anderen Staaten (ELKRAS), Alexander Pastor, Praesident der
Generalsynode, und Ekaterina Woropanowa, persoenliche Referentin des
Erzbischofs, den Lutherischen Weltbund in Genf, um u.a. fuer
Unterstuetzung des Ausbildungsprojektes in Astana zu werben. Neben den
veranschlagten Baukosten von etwa 150.000 bis 200.000 USD in den
naechsten vier Jahren, benoetigt Moser jaehrlich zwischen 70.000 und
80.000 USD, um die laufenden Kosten zu decken. Erzbischof Kretschmar
zeigte sich nach den Gespraechen sehr zufrieden, "es ist das Aeusserste
geschehen, was nach Lage der Dinge geschehen konnte." Die theologische
Ausbildung in Kasachstan soll als eigenes Projekt gefoerdert werden.

Fuer Kretschmar liegt der Erfolg der Besuchsreise vor allem darin, dass
seine Delegation verdeutlichen konnte, dass die ELKRAS aus verschiedenen
Regionalkirchen mit ganz spezifischen Problemen und Anliegen besteht.
Wurde vom LWB bisher vorrangig das Theologische Seminar der ELKRAS in
Novosaratovka gefoerdert, so strebt die ELKRAS die Unterstuetzung auch
der Ausbildungsstaetten der anderen Regionalkirchen an.

Kretschmar sieht im LWB sozusagen den Taufpaten seiner Kirche. "Der LWB
hat uns von Anfang an, seit wir uns wieder sammeln konnten, unterstuetzt
und zur Kenntnis genommen." Nun hofft er auf Verstaendnis, dass seine
Kirche als ein Verbund von acht regionalen Kirchen mit ganz eigenen
Gesichtern wahrgenommen wird.

Fuer das biblische College erhofft sich Bischof Moser, dass in wenigen
Jahren "missionarisch gut ausgebildete junge Leute" das College
verlassen, denn als Hauptaufgabe sieht er eine "innere Mission". Ihm
geht es um eine Ausbildungsstaette fuer "theologische aber auch
diakonische Arbeit, eine Ausbildungsstelle fuer kirchliche Mitarbeiter
bis hin zum Pastor". Dabei hat er nicht nur Studenten aus Kasachstan,
sondern aus ganz Mittelasien im Blick.

Neben den immer kleiner werdenden deutschsprachigen Gemeinden setzt
Moser auf den Neuanfang, auf den Aufbau und die Gruendung neuer
Gemeinden, die ihre Gottesdienste in russischer Sprache feiern. Er
hofft, dass es auch in Zukunft lutherische Gemeinden in Kasachstan geben
wird, wobei er weiss, dass diese Gemeinden in naher Zukunft nur mit
Unterstuetzung von aussen zu erhalten sind. Ziel der Unterstuetzung ist
fuer ihn "Hilfe zur Selbsthilfe". In Genf wollte Moser Verstaendnis
finden, "dass es Lutheraner in Kasachstan gibt, die jetzt Unterstuetzung
brauchen. Das Kind ist geboren, aber das soll jetzt auch wachsen." Moser
wuenscht sich eine wirklich lebendige, eine starke, wenn auch kleinere
Kirche. Die Ausbildung von Geistlichen ist fuer ihn dabei "die Aufgabe
Nummer eins".

Waehrend Bischof Robert Moser mit schwindenden Gemeindegliederzahlen in
Kasachstan zu kaempfen hat, zeichnet sich im europaeischen Teil
Russlands ein gegenlaeufiger Trend ab. Aus vereinzelten Gemeinden wurden
in den letzten Jahren ueber 150 wachsende lutherische Gemeinden und es
kommen immer neue Gemeinden hinzu. Global betrachtet ist die ELKRAS
nicht kleiner geworden, sondern ihr Schwerpunkt hat sich verschoben.
Mitglieder wandern aus dem Osten zu und die alten Zentren im Westen
bilden sich wieder neu. Erzbischof Kretschmar sieht Parallelen zur Zeit
vor der Verfolgung, als in jeder groesseren russischen Stadt eine
lutherische Kirche stand. Seit Mitte der 90er Jahre besteht nun auch die
Moeglichkeit, dass die lutherischen Gemeinden ihre Kirchgebaeude
zurueckerhalten, "weil sich neue Gemeinden gebildet haben um diese
Kirchen". Kretschmar beobachtet "ein Stueck weit Aufbruchstimmung".

Fuer die 26-jaehrige persoenliche Referentin und Dolmetscherin des
Erzbischofs, Ekaterina Woropanowa, hat diese Aufbruchstimmung zum
Gemeindebeitritt gefuehrt. Vor fuenf Jahren wurde die Germanistin von
der Gemeinde als Sekretaerin angestellt, ein Jahr spaeter wurde sie
getauft und wurde inzwischen zu Kirchenvorsteherin gewaehlt. Ihre St.
Petersburger Gemeinde, 1993 erhielt sie die Petrikirche zurueck, wertet
Ekaterina Woropanowa als "Grossstadtgemeinde,  die eher intellektuell
gepraegt und sehr aktiv ist". Seit einigen Jahren betreut, pflegt und
besucht eine ehrenamtliche Diakoniegruppe Alte und Kranke, geplant ist
jetzt eine eigene Diakoniestation.

Trotz der zahlreichen organisatorischen Sorgen und Anlaufschwierigkeiten
sieht Alexander Pastor, Praesident der Generalsynode, eine sich langsam
formende Verwaltungsstruktur. Das anfaengliche "Chaos" weicht der
Ordnung. Der seit 1991 zur Gemeinde gehoerende Physiker, er ist Dozent
fuer Laserphysik an der St. Petersburger Universitaet, beobachtet, dass
alle Gemeinden im europaeischen Teil Russlands viel aktiver geworden
sind, "wir sind wirklich Kirche im Aufbruch". Er hofft, dass seine
Kirche in einigen Jahren eine "normale lutherische Kirche wie in
Oesterreich oder in einem der deutschen Bundeslaender" geworden ist.
Wachstumspotenzial sieht er in den "Millionen Menschen, die nicht
Muslime, nicht Orthodoxe und nicht Lutheraner sind, sondern einfach
Suchende".

Auch fuer Erzbischof Kretschmar liegt darin "die Herausforderung und
auch unglaubliche Chance". Schon frueher hatten die lutherischen
Gemeinden fuer die Intellektuellen des Landes eine gewisse
Anziehungskraft. Nun beobachtet Kretschmar, dass diese Menschen in den
Staedten im europaeischen Russland und auch Sibiriens und der Ukraine
wieder Interesse haben. "Vielleicht kommen sie auch zu uns." Fest steht
fuer ihn dabei jedoch, "wir sind missionarisch, aber wir fischen nicht
in fremden Teichen, das ist anerkannt." Drauf gruendet sich das
Verhaeltnis zur Orthodoxen Kirche in Russland, das Kretschmar auf
gesamtkirchlicher Ebene als "tadellos" bewertet.

Fuer die Zukunft erwartet Kretschmar, dass es seiner Kirche Schritt fuer
Schritt gelingen wird, auf eigenen Fuessen zu stehen, wobei "das
finanziell auf eigenen Fuessen wird das letzte sein. Aber Menschen, die
in der Kirche arbeiten - mit Freude - das hoffe ich, waechst sehr
schnell."

*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 128 Mitgliedskirchen, denen knapp 59,5 der weltweit 63,1
Millionen Lutheraner und Lutheranerinnen in 70 Laendern angehoeren. Das
LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht eine
enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) und
anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als
Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B.
oekumenische Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte,
Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und
Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "lwi"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden.

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
E-mail: dmg@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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