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Lutherischer Erzbischof fordert Umdenken der lettischen Regierung


From franki@elca.org
Date 12 Dec 2000 15:56:56

Lettische Kirchenleiter boykottieren offiziellen Gottesdienst zum
Unabhaengigkeitstag

Riga (Lettland)/Genf, 12. Dezember (LWI/ENI) - Der lettische Erzbischof
Janis Vanags  hat die Politiker des Landes beschuldigt, die "Hoffnungen
und Emotionen" verraten zu haben, die 1991 anlaesslich der
Unabhaengigkeit Lettlands von der Sowjetunion geweckt worden seien. 

Der 42jaehrige Erzbischof, Leiter der Evangelisch-Lutherischen Kirche
Lettlands, aeusserte sich, nachdem er aus Protest gegen die offizielle
Regierungspolitik gemeinsam mit roemisch-katholischen, orthodoxen und
baptistischen Kirchenleitern den offiziellen Gottesdienst zum
Unabhaengigkeitstag am 18. November boykottiert hatte. Bei diesem
Gottesdienst in der lutherischen Kathedrale von Riga, an dem die
Praesidentin und der Premierminister Lettlands teilnahmen, waren die
Kirchenleiter zwar anwesend, weigerten sich jedoch, aktiv am
Gottesdienst mitzuwirken und ueberliessen Predigt und Gebete einfachen
Priestern und Pastoren. 

Erzbischof Vanags erklaerte gegenueber ENI, der Protest sollte auf die
enttaeuschten Erwartungen der Oeffentlichkeit aufmerksam machen und
darauf hinweisen, dass es die Regierung versaeumt habe,
"zufriedenstellende Massnahmen" gegen eine Reihe von Problemen zu
ergreifen, die bei den Kirchen Besorgnis erregt haetten. Er dementierte
jedoch, sich mit der parteilosen Praesidentin des Landes, Vaira
Vike-Freiberga, ueberworfen zu haben. 

Als Beispiele nannte Vanags den Verdacht auf Korruption in staatlichen
und Regierungskreisen; das Problem von Kindesmissbrauch, dem nach
Meinung vieler LettInnen die Regierung nicht energisch genug begegne;
die geplante Liberalisierung der Abtreibung in Lettland, wo die Zahl der
Schwangerschaftsabbrueche bereits die der Geburten uebersteige; und eine
neue Steuer auf kirchliche Unternehmen, die laendliche Gemeinden
existenziell bedrohe, so Erzbischof Vanags.

"Es ist mir klar, dass dieser Schritt fuer die Praesidentin peinlich
war und dass versucht wurde, es so darzustellen, als gebe es einen
Konflikt zwischen uns," sagte Erzbischof Vanags. "Nach einigen
kritischen Reaktionen der Medien aenderte sich jedoch die Lage.
Inzwischen stimmen uns alle praktisch zu, dass geeignete und
zufriedenstellende Massnahmen noetig sind."

Aus einer kirchlichen Quelle verlautete, dass Praesidentin
Vike-Freiberga diesen Protest "urspruenglich verurteilt" habe, spaeter
jedoch zugestanden haben soll, dass die Anliegen der Kirchen "echt"
seien. Weiterhin wurde bekannt, das Gesetz, das kirchlichen Unternehmen
eine neue Steuer auferlege, sei in abgeaenderter Form verabschiedet
worden, was darauf schliessen lasse, dass der Gesetzgeber den Protest
zur Kenntnis genommen habe.

Erzbischof Vanags aeusserte gegenueber ENI, er habe die Anliegen der
Kirchen am 23. November in einem "sehr herzlichen Gespraech" mit der
Praesidentin eroertert. "Sie versicherte mir, dass sie unsere
Bemuehungen um eine Loesung der Probleme des Landes unterstuetze."
 
"Vor zehn Jahren hat sich die Bevoelkerung natuerlich von Hoffnungen
und Emotionen mitreissen lassen. Auch heute sind viele angesehene
Persoenlichkeiten, die nichts mit Politik zu tun haben, bereit, mit uns
gemeinsam einen Dialog mit Parlament und Regierung zu fuehren",
erklaerte Vanags.

Gegenueber ENI verwies er auf eine Untersuchung der Weltbank, die eine
"zu enge" Verquickung politischer und wirtschaftlicher Interessen in
Lettland beanstandet habe. Aus Meinungsumfragen gehe weiterhin hervor,
so der Erzbischof, dass die historischen Kirchen des Landes durchgehend
als dessen vertrauenswuerdigste Institutionen eingestuft wuerden. Sie
haetten jedoch unter gesetzlichen Behinderungen sowie einem
"Beziehungsstillstand" zum Staat gelitten.

"Vor einem Jahrzehnt haben sich die Kirchen mit anderen
regierungsunabhaengigen FuehrerInnen unserer Gesellschaft im Streben
nach Demokratie und Unabhaengigkeit zusammengeschlossen. Ich hoffe, dass
dies auch jetzt geschehen kann," erklaerte Vanags. "Als Kirchen haben
wir hier schon jetzt eine gemeinsame Basis,  was hier einmal zum
Ausdruck kam. So wurden unsere oekumenischen Beziehungen auf den
Pruefstand gestellt und gestaerkt." 

Erzbischof Janis Pujats, Leiter der roemisch-katholischen Kirche in
Lettland, erklaerte, dass die lettische Gesellschaft nicht bereit sei
fuer "Liberalismus des Westens". "Die Tatsache, dass wir in diesem Punkt
gemeinsam gehandelt haben, zeigt, dass alle christlichen Kirchen einig
sind. Das sollte die Menschen zum Nachdenken bringen  - auch die
Mitglieder des Parlaments."
 
55 Prozent der Bevoelkerung Lettlands (rund 2,5 Millionen) gehoeren
nominell der lutherischen Kirche an, 24 Prozent sind roemisch-katholisch
und 9 Prozent russisch-orthodox. Die Evangelisch-Lutherische Kirche
Lettlands hat rund 250.000 Mitglieder und ist seit 1963 Mitgliedskirche
des Lutherischen Weltbundes (LWB). 

Erzbischof Vanags wurde seit seiner Ernennung zum Leiter der lettischen
Kirche 1993 zweimal wiedergewaehlt. Er loeste eine kontroverse Debatte
aus, als er 1993 die Aussetzung der Frauenordination und 1994 einen
Synodalbeschluss zum Ausschluss aktiver Homosexueller vom Abendmahl
unterstuetzte. 

(Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag von Jonathan Luxmoore, ENI -
Ecumenical News International.) 

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