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Diese Kinder sind unsere Zukunft


From "Frank Imhoff" <franki@elca.org>
Date Sun, 17 Jun 2001 08:39:18 -0500

Interview mit dem palaestinensischen Bischof Munib A. Younan

LWB-Ratstagung in Genf, Schweiz, 12. - 19. Juni 2001
PRESSEMITTEILUNG NR: 13

Genf, 16. Juni 2001 (LWI) - Bischof Munib A. Younan von der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien (ELKJ) lebt in Palaestina
und vertritt die palaestinensische Gemeinde lutherischer ChristInnen.
Der dreifache Vater ist seit dreieinhalb Jahren Bischof der ELKJ, zu der
rund 3.000 Mitglieder in Jerusalem, Palaestina und in Jordanien
gehoeren. Seit 1974 gehoert die Kirche zum Lutherischen Weltbund (LWB).

Younan gilt als gemaessigt und hat reiche oekumenische Erfahrung. Er ist
unter anderem im Vorstand des Auguste Victoria-Krankenhauses in
Jerusalem, eines der Projekte im Rahmen des Jerusalemer Programms der
LWB-Abteilung fuer Weltdienst (AWD). Weiterhin ist Younan Mitglied im
Kirchenrat des Mittleren Ostens (MECC) und in der Studiengruppe
Orthodoxes Christentum des Oekumenischen Rates der Kirchen (OeRK).

Die LWB-Ratstagung, die vom 12. bis 19. Juni 2001 in Chavannes-de-Bogis
bei Genf stattfindet, steht unter dem Thema: "Die Kirche - berufen zum
Dienst der Versoehnung", einem Vorschlag der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Jordanien (ELKJ). Der Rat des LWB hatte auf seiner Tagung im
Juni 2000 im finnischen Turku entschieden, die Ratstagung in diesem Jahr
auf Einladung der ELKJ in Jerusalem abzuhalten, verlegte den Tagungsort
jedoch aufgrund des tragischen Konflikts im Nahen Osten von
Israel/Palaestina in die Schweiz.

Ueber die Situation in Israel/Palaestina und das Engagementder
lutherischen Kirche in Jordanien im Ringen um Frieden und Versoehnung
sprach Klaus Rieth, Leiter der Abteilung Presse und Information von Brot
fuer die Welt.

LWI: Bischof Younan, wie beschreiben Sie die gegenwaertige Situation in
Ihrem Land?

Younan: Die Situation ist hochexplosiv und gefaehrlich. Seit dem
Aufflammen der Intifada im September letzten Jahres gab es keinen Tag,
an dem nicht mindestens ein Toter zu beklagen gewesen waere. Wir haben
eine Kultur des Unfriedens und sprechen die Sprache des Hasses. Und die
Anzahl der Toten in diesem Konflikt ist nicht irgendeine Zahl, sondern
das sind auch Gemeindeglieder meiner Kirche. Unser gegenwaertiger
Zustand hat nichts mehr mit Normalitaet zu tun. Wir koennen nicht
reisen, selbst der taegliche Weg zur Arbeit oder zur Schule ist unsicher
und oft nicht moeglich und an ein Zusammentreten unserer Synode ist
derzeit nicht einmal zu denken, wegen der Reiseeinschraenkungen.

Wir haben fuenf Schulen mit insgesamt 3.000 Kindern. Darin sind rund 6
Prozent lutherischen Glaubens, 40 Prozent MuslimInnen und 54 Prozent
sind anderen Glaubens. Jeden Morgen ist meine erste Frage an die
LehrerInnen "Wer fehlt heute?". LehrerInnen und Kinder sind
traumatisiert. Letzte Woche hat ein kleiner Junge seine Lehrerin
gefragt, ob er nach Hause gehen koennen, er wisse nicht, wann die
naechste Bombe fallen wuerde.

LWI: Wie koennen Sie in einer solchen Situation trotzdem arbeiten und
wie versuchen Sie, diesen Konflikt zu bewaeltigen?

Younan: Wir haben ein spezielles Programm fuer traumatisierte Kinder und
Jugendliche. Wir arbeiten direkt an den Orten der Gewalt und holen die
Kinder dort ab, wo sie sind. Aber wir sind auch der Meinung, dass die
Welt, speziell Europa uns nicht vergessen sollte. Es ist notwendig, sich
einzumischen. Auch und gerade von Deutschland erwarten wir dies. Wir
wollen den Frieden und die Gerechtigkeit. Und wir wollen differenziert
beurteilt werden. Nicht alle Israelis sind extreme Siedler und nicht
alle Palaestinenser sind Unruhestifter und Raecher.Wir muessen endlich
die unsaegliche Propaganda stoppen, und uns mehr um Frieden und
Gerechtigkeit kuemmern. Friedenserziehung steht deshalb an oberster
Stelle unserer Aufgaben. Wir brauchen eine Kultur des Widerstandes gegen
jeden Extremismus und wollen uns als Kirche gezielt fuer Frieden und
Gerechtigkeit sowie Versoehnung einsetzen.

Vor wenigen Tagen habe ich im Fernsehen verfolgt, dass bestimmte Gruppen
dazu aufriefen, den Jahrestag des Massakers in der Al-Aksa-Moschee zu
feiern. Gegen solche Vorschlaege muss die Kirche deutlich Stellung
nehmen. Wir duerfen gerade als Kirche nie mit dem Strom schwimmen,
sondern ganz heftig dagegen. Nach dem Dritten Reich wurde oft der
Vorwurf laut, warum habt ihr mitgemacht, warum habt ihr euch nicht
frueher gegen den Terror gewehrt. Es ist deshalb Aufgabe der Kirche,
prophetisch zu reden, auch wenn dies nicht immer einfach, ja sogar
gefaehrlich sein kann.

LWI: Wie kann die Rolle der lutherischen Kirchen konkret aussehen in
diesem Konflikt?

Younan: Wir muessen mehr die Sprache der Gerechtigkeit reden. Als
ChristInnen sind wir AgentInnen des Friedens. Und wir muessen noch viel
mehr in Bildungsprogramme investieren. Deshalb haben wir angefangen,
Wohnungen zu bauen, dass Menschen menschenwuerdig wohnen koennen. Hier
erwarten wir ganz konkret Geld von den Regierungen Europas. Allein die
Kinder und Jugendlichen in unseren Schulen machen rund ein Sechstel der
Gesamtzahl der Kinder und Jugendlichen in unserem Land aus. Diese Kinder
sind unsere Zukunft. Sie brauchen eine Perspektive und wenn wir sie
ihnen nicht geben, wer sonst?! (742 Woerter)

(Das Gespraech mit Bischof Munib A. Younan fuehrte Klaus Rieth, Brot
fuer die Welt.)

An der LWB-Ratstagung vom 12. bis 19. Juni in Genf nehmen 96
VertreterInnen der 131 LWB-Mitgliedskirchen aus 72 Laendern und 77
MitarbeiterInnen des LWB, DolmetscherInnen, Stewards,
PressevertreterInnen und Gaeste teil. Der jaehrlich tagende LWB-Rat ist
das hoechste Gremium zwischen den in der Regel alle sechs Jahre
stattfindenden Vollversamlungen des LWB. Er besteht aus einem
Praesidenten/einer Praesidentin und 48 Mitgliedern und wird von der
Vollversammlung gewaehlt. Der Lutherische Weltbund umfasst zur Zeit
insgesamt 131 Mitgliedskirchen in 72 Laendern und vertritt rund 60,2
Millionen der weltweit knapp 64 Millionen LutheranerInnen.

Waehrend der LWB-Ratstagung erreichen Sie das LWB-Kommunikationsbuero
ueber den Mobilfunk-Anschluss: +41 - 78 - 666 27 33

*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 131 Mitgliedskirchen, denen rund 60,2 der weltweit knapp 64
Millionen LutheranerInnen in 72 Laendern angehoeren. Das LWB-Sekretariat
befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht eine enge
Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) und anderen
weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner
Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische
Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation
und verschiedene Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden.

***
LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
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Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
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