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Geschaerftes Bewusstsein, welche Gefahren Reichtum in sich birgt


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Thu, 16 Aug 2001 15:05:49 -0500

Interview mit dem Leitenden Bischof der ELKA, H. George Anderson

Genf, 16. August 2001 (LWI) - Der US-amerikanische Bischof H. George
Anderson tritt im Herbst als Leitender Bischof der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) in den Ruhestand.
Seine Amtszeit endet am 31. Oktober, zum 1. November wird der derzeitige
Bischof der Gebietssynode Saint Paul, der 54-jaehrige Pfarrer Mark
Hanson, Leitender Bischof der rund 5,15 Millionen LutheranerInnen der
USA. Hanson wurde am 11. August auf der ELKA-Vollversammlung im Indiana
Convention Center gewaehlt.

In einem Gespraech mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) betonte
Bischof Anderson, er halte es fuer aeussert wichtig, dass der Leitende
Bischof der ELKA am Leben des Lutherischen Weltbundes (LWB) grossen
Anteil nimmt. Anderson ist einer der Vizepraesidenten des LWB. Er wisse,
so der 69-jaehrige Theologe, dass ein neu gewaehlter Bischof viele
Aufgaben wahrzunehmen habe und deshalb biete er seinem Nachfolger ebenso
Hilfe und Unterstuetzung an, wie sie ihm zuvor von Bischof Herbert
Childstrom zuteil wurde.

Die sechs Jahre im Amt des Leitenden Bischofs der ELKA seien fuer ihn
"eine angenehme Ueberraschung" gewesen, betonte Anderson. "Es war im
Wesentlichen eine tiefe spirituelle Erfahrung. Ich habe besser
verstanden, wie Gott einer Kirche auf der Suche nach ihrem Weg Hilfe und
Geleit geben kann." Ab November plane er ein "Jahr des Nachdenkens", er
habe sich "im Wesentlichen ein Sabbatjahr zur Erneuerung verordnet", ehe
er sich nach neuen Verpflichtungen oder Herausforderungen umsehe.

Fuer sich persoenlich empfinde er als groesste Veraenderung in den
letzten sechs Jahren, dass er "eine tiefere Ueberzeugung und ein
geschaerftes Bewusstsein dafuer gewinnen konnte, welche Gefahren der
Reichtum in sich birgt und welche spirituellen Gaben Menschen, die mit
viel weniger auskommen muessen, Kulturen wie der meinen vermitteln
koennen." Ihm sei es ein sehr wichtiges Anliegen geworden, erklaerte
Anderson, seine Kirche "dazu zu bringen, die Armen ernst zu nehmen, sie
nicht als Objekte der Naechstenliebe, sondern als Menschen anzusehen,
die uns etwas ueber Gottes Fuersorge und ueber spirituelle Gesundheit zu
sagen haben."

Als "grosse Bereicherung" habe er mit Blick auf sein internationales
kirchliches Engagement besonders die Zusammenarbeit mit VertreterInnen
anderer Kirchen empfunden, so Bischof Anderson, der 1997 zum
LWB-Vizepraesidenten gewaehlt wurde. Er habe sie "nicht nur als Menschen
kennengelernt, mit denen wir zusammen essen, sondern auch als
Ausschussmitglieder, mit denen wir uns zusammensetzen und entdecken,
dass wir aehnliche Sorgen und Vorstellungen miteinander teilen". Es sei
"aufregend, wenn diese Menschen nicht von jenseits der Grenze zu Kanada
kommen, sondern von der anderen Seite des Erdballs und aus voellig
anderen Kulturen."

Die Arbeit gerade im Zusammenhang im Rahmen des LWB habe aber auch in
vielen Fragen seine Ansichten veraendert. Dies betreffe zum Beispiel
seine Einstellung "zur Armut und zu dem Schaden, den der Ueberfluss im
geistlichen Leben einer Kirche anrichtet", so Anderson. "Wir sind
schnell dabei, aus der Bibel zu zitieren, dass die Liebe zum Geld die
Wurzel allen Uebels ist, aber wir denken nicht daran, dass das auch uns
betrifft. Wenn wir die uebrige Welt betrachten und sehen, wie sehr wir
im Norden von unseren finanziellen Ressourcen abhaengig sind, und das
mit dem Glauben vergleichen, den uns Menschen in anderen Teilen der Welt
bezeugen, die auf die Gaben Gottes angewiesen sind, dann ist dies
zumindest eine Lernerfahrung."

Als weitere Beispiele, wie die Zusammenarbeit mit dem LWB ihn und seine
Kirche beeinflusst habe, fuehrt Anderson die Frage der Schuldensenkung
an. Auch hier habe der LWB ihm und seiner Kirche geholfen, die Bedeutung
der Problematik zu erkennen. "Der LWB war in dieser Sache der ELKA
voraus", betonte der Theologe. Die AmerikanerInnen haetten in der
Schuldenkrise im Allgemeinen kein Problem gesehen. Durch die Arbeit des
LWB haette die Frage der Schuldensenkung jedoch in seiner Kirche "immer
mehr an Prioritaet" gewonnen. "Das hat unsere Kirche dazu gebracht, in
dieser Frage ihre Rolle als Anwalt zu erkennen."

Auch in der Frage der Globalisierung sei die ELKA von der
internationalen Gemeinschaft lutherischer Kirchen inspiriert worden.
"Die Menschen in den Vereinigten Staaten sehen in der Globalisierung im
Allgemeinen etwas Segensreiches, eine wunderbare neue Aera, weil dadurch
die Preise sinken und neue Maerkte fuer unsere Waren erschlossen werden.
Wir haben nicht darueber nachgedacht, welche Auswirkungen das auf andere
Kulturen und Laender hat."

Hinsichtlich der umfangreichen Not- und Entwicklungshilfe des LWB, der
allein im Jahr 2000 mit rund 86 Millionen US-Dollar Programme des
LWB-Abteilung fuer Weltdienst unterstuetzte, befuerwortet Anderson neue
Formen der Zusammenarbeit zwischen Geberorganisationen, die in der
Nothilfe taetig sind, und den Strukturen des LWB. Diese koennten helfen,
Spannungen abzubauen, die in der Arbeit mit dem LWB entstehen. "Da wir
ein Zusammenschluss von Kirchen sind, muessen die Stimmen der
Mitgliedskirchen, auch derer im Sueden, fuer die Entscheidungsfindung
von Gewicht sein," betonte er. "Diese Kirchen wollen und muessen bei der
Umsetzung der Hilfe in ihren Regionen beteiligt werden."

"Wenn das Geld der Geberorganisationen in Europa und in den Vereinigten
Staaten direkt an die verschiedenen Gruppen floesse, die vor Ort
arbeiten, dann wuerden die Gremien der Ortskirchen glattweg aus dem
Prozess ausgeschlossen. Das mag effektiv erscheinen, denn dadurch waere
mit einem Gremium weniger zu verhandeln, aber" so fragt er sich, "wuerde
dann das, was vor Ort dazu beizutragen ist, und wuerde die
Verantwortlichkeit der Mitgliedskirche vor Ort beruecksichtigt werden
koennen?"

Ein weiteres Spannungsfeld sieht Bischof Anderson hinsichtlich der
unterschiedlichen Sichtweisen, die sich aus der oekumenischer
Zusammenarbeit und dem, was in den Gemeinden zu Hause gedacht und getan
werde, ergeben. Das ganze Thema "Stellung der Frauen in der Kirche" sei
dafuer ein Beispiel. "Wenn VertreterInnen aus verschiedenen kirchlichen
Organisationen zum LWB kommen, bringen sie bestimmte Vorstellungen von
der Rolle der Frauen und der Gleichheit von Maennern und Frauen mit, was
sich unter anderem in der Art ihrer Amtsfuehrung in der Kirche und in
der Frauenordination zeigt, waehrend zu Hause in ihrer heimischen
Gemeinschaft Frauen moeglicherweise eine ganz andere Stellung haben."

Bischof Anderson stellt sich die Frage, wie sich das miteinander
vereinbaren laesst. "Wenn wir in Genf und an aehnlichen Orten
zusammenkommen, sind wir buchstaeblich an einem anderen Ort als in
unseren Heimatgemeinden." Alle die beim oder fuer den LWB arbeiten,
muessten das im Blick haben, so Anderson. "Und zwar nicht nur um unserer
selbst willen, die wir in unserer Heimatkirche arbeiten; sondern wir
muessen auch an die Beduerfnisse unserer anderen Partner denken, wenn
wir zu Hause zurechtkommen wollen, denn dort haben wir es mit anderen
Bedingungen und mit einer anderen Atmosphaere zu tun als der, in der wir
hier arbeiten." (1054 Woerter)

(Mit Bischof H. George Anderson sprach Pfr. Kenn Ward, Chefredakteur der
Zeitschrift Canada Lutheran, Magazin der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Kanada.)

*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 133 Mitgliedskirchen, denen rund 60,5 Millionen der weltweit
rund 64,3 Millionen LutheranerInnen in 73 Laendern angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht
eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK)
und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als
Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B.
oekumenische Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte,
Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und
Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden.

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