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Die Macht der Worte - UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban


From "Frank Imhoff" <franki@elca.org>
Date Fri, 14 Sep 2001 08:21:33 -0500

Opfer von Rassismus verschafften sich Gehoer 

Durban (Suedafrika)/Genf, 13. September 2001 (LWI) - Einen erneuten
Beweis fuer die Macht des geschriebenen Wortes - selbst im Zeitalter
der Massenmedien - lieferte die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in
Durban, Suedafrika. Mehr als 10.000 VertreterInnen aus ueber 150
Staaten und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) debattierten rund
zwei Wochen lang ueber Definitionen und Formulierungen, oft wurde um
die Akzeptanz eines einzigen Wortes gestritten. 

Die Auseinandersetzungen um den Begriff "rassistischer Staat" in Bezug
auf Israel sowie die geforderte Gleichsetzung der Begriffe Rassismus
und Zionismus in der Schlusserklaerung fuehrte schliesslich zum Abzug
der US-amerikanischen sowie der israelischen Delegationen. Auch der
wenig medienwirksame Titel: "Konferenz gegen Rassismus,
Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhaengende
Intoleranz" war ein Beleg fuer das Ringen um die richtige Wahl der
Worte, das Ringen um eine einheitliche Sprachregelung. 

"Letztendlich ging es uns um ein einziges Wort", so das Resuemee von
Dr. Raja Selvakumar aus Indien, er gehoerte zur 9-koepfigen Delegation
des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf der Rassismuskonferenz im
suedlichen Afrika. Selvakumar ist selbst ein Opfer von Diskriminierung,
er gehoert zu den Dalits, den "Unberuehrbaren". Sein Ziel war es, bei
der schriftlichen Kategorisierung des Begriffs "Opfer des Rassismus"
den Begriff "Kaste" einzubringen. Aufgrund der heftigen Proteste der
indischen Regierung ist dies nicht gelungen. 

Dennoch ist die Stimmung unter den Dalits gut. "Ich fahre zufrieden
nach Hause", sagte Bennet Benjamin, ebenfalls Mitglied der
LWB-Delegation. "Die ganze Welt weiss jetzt, dass es das Kastensystem
und Diskriminierung aufgrund von Kastenzugehoerigkeit in Indien gibt.
Dass das Problem der Dalits hier offensiv von uns vorgetragen und
dadurch international bekannt gemacht wurde, ist fuer mich das
wichtigste Ergebnis der Konferenz." 

Auf der UN-Konferenz in Durban waren zwei gegenlaeufige Prozesse zu
beobachten. Das NGO-Forum im Vorfeld der Konferenz hatte zum Ziel, den
Stimmen der direkt Betroffenen Raum zu geben. Die Opfer des Rassismus
auf der ganzen Welt wollten gesehen und gehoert werden. Als Ergebnis
ihrer Diskussionen forderten sie lautstark, ausdruecklich in den
Deklarationen der Vereinten Nationen benannt zu werden, sei es als
Dalits oder Migranten, als Roma, Sinti, "Menschen afrikanischer
Herkunft" oder Angehoerige von Urbevoelkerungen. 

Im Gegensatz dazu fanden von Rassismus Betroffene auf der
UN-Hauptkonferenz kaum noch Gehoer. Die UN-Konferenz der
RegierungsvertreterInnen ist vielmehr zu einer Bastion der Verteidigung
gegen Menschenrechtsgruppen aus aller Welt und oft gegen die eigenen
BuergerInnen geworden. Hier baute man Wortdaemme gegen die Wellen der
Anklagen, die aus den lauten und bunten Lobbygruppen der NGOs in die
hehren UN-Konferenzhallen schwappen. Es ging darum, Worte wie "Kaste"
wieder zu streichen, Begriffe wie "Opfer des Rassismus" zu
verallgemeinern, Ausdruecke wie "Verbrechen gegen die Menschheit" in
Bezug auf Sklaverei und Kolonialismus zu relativieren, die Benennung
einzelner Staaten weitmoeglichst zu vermeiden und den Formulierungen
die Schaerfe und Klarheit zu nehmen. 

Die LWB-Delegation hat sich als NGO engagiert, um Betroffene zu Wort
kommen zu lassen. Der suedafrikanische LWB-Vertreter Dr. Ramathate
Dolamo von der University of the North sagte: "Ich war besonders
bewegt, dass hier Opfer des Rassismus ein oeffentliches Forum, eine
Stimme hatten, wo sie ihre ganz persoenlichen Geschichten erzaehlen
konnten. Wir als Kirche muessen auch solch eine Stimme werden, auch
hier in Suedafrika, wo es immer noch Rassismus gibt."

Darueber hinaus beabsichtigte die LWB-Delegation, VertreterInnen von
LWB-Mitgliedskirchen und Gemeinschaften, mit denen der LWB im Rahmen
seiner Laenderprogramme weltweit zusammenarbeitet, einen Einblick zu
ermoeglichen, wie mit dem Problem des Rassismus auf internationaler
Ebene verfahren wird. "Communities, die direkt von Rassismus,
Diskriminierung und aehnlicher Intoleranz betroffen sind, haben ein
Recht darauf zu wissen, wie Regierungen auf diplomatischer Ebene mit
ihren Noeten und Problemen umgehen", betonte Peter Prove, Assistent des
LWB-Generalsekretaers im Bereich Internationale Angelegenheiten und
Menschenrechte.

Dieses Ziel sei erreicht worden, so Prove. Aufgrund der Erfahrungen und
Lernprozesse in Durban seien die Mitglieder der Delegation informiert,
motiviert und mobilisiert worden, um in ihren Gemeinden und in
nationalen Lobbygruppen gezielter aktiv zu werden. "Sie haben nicht nur
erfahren, wie Prozesse auf diplomatischer Ebene ablaufen. Sie haben
auch erlebt, wie wichtig sie als zivilgesellschaftliche Instanzen und
Kirchen in diesen Prozessen sind und dass ohne starken Druck von ihrer
Seite auf Regierungen und internationale Foren sich nicht viel
veraendern wird." 

"Die Dalits haben es geschafft, ihre Forderungen auf die internationale
Tagesordnung zu setzen. Andere Gruppen, die wir unterstuetzt haben, wie
zum Beispiel die butanesischen Fluechtlinge, leider noch nicht", so das
Resuemee von Peter Prove. Er bedauerte, dass Themen wie die Rechte der
PalaestinenserInnen sowie das Problem des Antisemitismus, "beides
Themen, die uns auch am Herzen lagen", zwischen gegenseitigen
Beschuldigungen steckengeblieben sind. 

Molefi Tsele von der lutherischen Kirche in Suedafrika und
Generalsekretaer des Suedafrikanischen Kirchenrats betonte: "Die
Probleme des noch herrschenden Rassismus in Suedafrika wurden auf der
Konferenz nicht prominent diskutiert. Einerseits haben wir uns als
Gastgeber zurueckgehalten, um allen Gaesten genug Raum zu geben, um
ueber die verschiedenen Formen des Rassismus in der Welt zu
reflektieren." 

Andererseits wollte Suedafrika als Gastgeber zwischen Taetern und
Opfern des Rassismus vermitteln. "Wir wissen aus unserer Erfahrung nach
der Apartheid, dass es bei Rassismus und Versoehnung nicht nur um die
Opfer geht", sagte Tsele. "Es geht um die Wiederherstellung der
Menschlichkeit in einer Gesellschaft, und dass bedeutet sowohl der
Opfer als auch der Taeter. Aus der suedafrikanischen Erfahrung wissen
wir, dass man die Verletzungen der Opfer nicht heilen kann, wenn man
nicht auch den Taetern ihre Wuerde laesst." 

Suedafrika habe besonders gegen Ende der Konferenz eine wichtige
Vermittlerrolle gespielt, als es um die Benennung von Taetern und
Opfern wie Israel und Palaestina ging sowie bei der Frage der
Entschuldigung der ehemaligen Kolonialmaechte gegenueber afrikanischen
Laendern. "Wir haben nicht darauf bestanden, dass eine Entschuldigung
nur Gueltigkeit hat, wenn sie mit garantierten Reparationszahlungen
einhergeht", betonte Tsele. "Ich persoenlich meine, dass es reicht,
wenn ein Land wie zum Beispiel Deutschland sich oeffentlich
entschuldigt und anerkennt, dass es Unrecht in der Vergangenheit
gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass diese oeffentliche Entschuldigung
die zukuenftige Beziehung zu Afrika beeinflussen wird und Europa hat ja
auch schon konkrete Vorschlaege gemacht. Wir geben diesen oeffentlich
geaeusserten Worten eine Chance." 

Nicht alle, die sich im Kampf gegen Rassismus engagieren und von der
UNO Konferenz mehr erhofft hatten, teilen diese Einschaetzung. Ueber 24
Stunden lang kaempfte man ueber die geplante Konferenzzeit hinaus um
jeden Buchstaben. Am Samstagnachmittag, 8. September, endete in Durban
die UN-Konferenz gegen Rassismus. Mit einer Abschlusserklaerung, die
durch Konsens von 160 Teilnehmerstaaten angenommen wurde, steht nun
nach zwei Wochen harter Arbeit das geschriebene Wort. Dass auch
ungeschriebene und gestrichene Worte mitschwingen und in zukuenftige
Diskussionen getragen werden, ist der Lobbyarbeit der zahlreichen NGOs
zu verdanken. (1974 Woerter) 

(Ein Beitrag der LWI-Korrespondentin Erika von Wietersheim aus Namibia,
die im Auftrag von OERK und LWB ueber die UN-Konferenz gegen Rassismus
in Durban berichtete.)

* * * 

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
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inzwischen 133 Mitgliedskirchen, denen rund 60,5 Millionen der weltweit
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und Entwicklungsarbeit. 

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