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Abwurf von Lebensmitteln gefaehrdet Hilfsmassnahmen in Afghanistan


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Date Fri, 19 Oct 2001 10:17:23 -0400 (EDT)

Christliche Organisationen warnen vor Verknuepfung militaerischer
Aktionen mit Hilfsmassnahmen

Genf, 19. Oktober (LWI/ENI) - Das internationale Netzwerk kirchlicher
Hilfsorganisationen ACT (Action by Churches Together - Kirchen helfen
gemeinsam) hat den Abwurf humanitaerer Hilfsgueter in Verbindung mit
den US-amerikanischen und britischen Militaerschlaegen in Afghanistan
kritisiert. Der Abwurf von Nahrungsmitteln gefaehrde andere
Hilfsoperationen in der Region, betonte der Direktor des
ACT-Koordinierungsbueros Thor-Arne Prois in einer Erklaerung Anfang
der Woche.

Der Abwurf von Lebensmittelpaketen aus Militaermaschinen sei
"sinnlos" und moeglicherweise sogar "gefaehrlich" fuer die
Zivilbevoelkerung, so Prois. Die Abwuerfe verletzten Grundprinzipien
humanitaerer Hilfe wie die Notwendigkeit von Neutralitaet und
Unparteilichkeit, dadurch stuende die Glaubwuerdigkeit humanitaerer
Hilfe in der Region auf dem Spiel.

"Luftangriffe und der gleichzeitige Abwurf von Nahrungsmitteln
vermengt humanitaere und militaerische Aktionen so, dass sie nicht
mehr voneinander zu unterscheiden sind", betonte Prois. Dies sei kein
geeignetes Mittel, der verzweifelten Not der Menschen in Afghanistan
zu begegnen. Hinzu kaeme, dass Hilfsleistungen kuenftig verzoegert
oder blockiert werden koennten, wenn afghanische Behoerden durch die
mangelnde Unterscheidbarkeit der Aktionen dazu veranlast wuerden, die
Neutralitaet der Hilfsorganisationen in Zweifel zu ziehen.

Piloten, die Nahrungsmittel abwerfen, koennten nicht gewaehrleisten,
dass sie die Beduerftigen auch wirklich erreichen, so Prois.
Ausserdem koennten Menschen verletzt werden, wenn sie versuchten,
Nahrungsmittel aufzusammeln, die auf vermintes Gelaende gefallen
sind. Diese Abwuerfe seien bestenfalls "eine symbolische Geste",
betonte Prois, der mehrere Jahre fuer die norwegische kirchliche
Hilfsorganisation NCA (Norwegian Church Aid), die eng mit ACT
zusammenarbeitet, in Afghanistan taetig war.

Das weltweite Netzwerk von Kirchen und Partnerorganisationen ACT hat
seinen Sitz in Genf und koordiniert seine Hilfsmassnahmen fuer
Menschen in Not gemeinsam. Der Lutherische Weltbund (LWB) gehoert zu
den Gruendungsmitgliedern von ACT.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld soll nach Medienberichten
inzwischen eingeraeumt haben, dass der Abwurf von
Nahrungsmittelpaketen in Zusammenhang mit militaerischen Aktionen
weniger wirksam ist als Hilfslieferungen auf dem Landweg.

ACT-Pressesprecher Rainer Lang, der gegenwaertig aus Pakistan ueber
den Fortgang der Hilfsaktionen berichtet, erklaerte, nach Aussagen
afghanischer Fluechtlinge wuerde nur ein Teil der Bevoelkerung die
abgeworfenen Nahrungsmittel wirklich nutzen, andere glaubten, die
Lebensmittel seien vergiftet und wuerden sie daher verbrennen.

"Jedermann weiss, dass die Menschen langfristige Hilfe brauchen, um
durch den Winter zu kommen, betonte Lang in einem Telefongespraech
aus Peschawar in Pakistan. Selbst wenn taeglich 100.000 Pakete mit
Nahrungsmitteln abgeworfen wuerden, waere dies nicht genug, so Lang.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als sieben Millionen
Menschen in Afghanistan dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Schon vor den US-amerikanischen und britischen Militaeraktionen gegen
die Taliban hatten die Vereinten Nationen die Situation in
Afghanistan als humanitaere Krise bezeichnet, da das Land bereits
unter einer schon drei Jahre andauerden Duerreperiode leidet. Nach
mehr als zwei Jahrzehnten Krieg waren bereits mehr als drei Millionen
AfghanInnen nach Pakistan geflohen, eine weitere Million war
innerhalb des Landes vertrieben worden. Mit Beginn der
Militaeraktionen gegen die Taliban am 7. Oktober fluechteten erneut
Tausende Menschen aus afghanischen Staedten.

Seit die Grenzen zu den Nachbarstaaten offiziell fuer afghanische
Fluechtlinge geschlossen sind, ist die Bereitstellung humanitaerer
Hilfe auf dem Landweg ein gewagtes Unterfangen.
MitarbeiterInnen der Hilfswerke berichten, dass Hilfslieferungen von
einzelnen Personen auf dem Ruecken ueber die Grenze nach Afghanistan
transportiert wuerden, Hilfskonvois seien hingegen - teils aus
Sicherheitsgruenden - tagelang an der Grenze festgehalten worden.
Demonstrationen in der pakistanischen Grenzstadt Quetta und in
anderen Teilen des Landes sowie politische Streiks haetten die
Transporte zusaetzlich behindert.

"Hier ist alles bewacht", berichtete Lang. "Polizei und Militaer sind
mit einem massiven Aufgebot an Lastwagen praesent. Es ist schwierig,
sie zu umfahren." Ein Lastwagenkonvoi des Kirchlichen Weltdienstes
CWS (Church World Service), eine US-amerikanische oekumenische
Hilfsorganisation, die eng mit ACT zusammenarbeitet, konnte Anfang
der Woche die Grenze bei Quetta mit Material fuer 500 Notunterkuenfte
in Richtung Zentralafghanistan ueberqueren. Die CWS-Lastwagen waren
eine Woche an der Grenze festgehalten worden.

NCA hat Weizen und Speiseoel fuer zwei Monate an ueber 3.000 Familien
in den Aussenbezirken der afghanischen Hauptstadt Kabul verteilt. Die
norwegische Hilfsorganisation und ihre lokalen Partner planen, rund
20.000 der beduerftigsten Familien nahe Kabul und in der gebirgigen
Zentralregion des Landes mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die
Hilfsorganisationen bemuehen sich vor allem, Menschen in den
Bergregionen mit Hilfsguetern zu versorgen, da bereits Anfang
November mit dem Wintereinbruch gerechnet wird, der diese Regionen
komplett von der Aussenwelt abschneidet.

In grossem Umfang wurden bereits Nahrungsmittel und Hilfslieferungen
in die Grenzgebiete von Iran, Tadschikistan und Pakistan gebracht.
Von dort soll die afghanische Zivilbevoelkerung erreicht werden.
ACT-Mitarbeiter Prois fordert die Schaffung "sicherer Korridore", die
von den Behoerden auf beiden Seiten der Grenzen geschuetzt werden
sollen.

Diese Forderung unterstuetzt auch die Evangelische Kirche in
Deutschland (EKD). In einer Erklaerung rief der Ratsvorsitzende der
EKD, Manfred Kock, die deutsche Regierung auf, darauf zu draengen, in
Afghanistan "leicht zugaengliche Schutz- und Sicherheitszonen fuer
die Zivilbevoelkerung" einzurichten. Anstatt Lebensmittel wahllos aus
der Luft abzuwerfen, waere es sinnvoller, sichere Zugangswege fuer
die Hilfsorganisationen zu schaffen, damit diese die Notleidenden
auch wirklich erreichten, betonte Kock. (801 Woerter)

 (Dieser Beitrag basiert auf Informationen von ENI - Ecumenical News
International/Internationaler Oekumenischer Nachrichtendienst.)

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 Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
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inzwischen 133 Mitgliedskirchen, denen rund 60,5 Millionen der
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