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Chilenischer Bischof Kurt Gysel zu Besuch beim LWB


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Wed, 23 Jan 2002 12:17:10 -0600

Chilenischer Bischof: Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch
1973 sind unverzeihlich
Bischof Kurt Gysel zu Besuch beim LWB

Genf, 22. Januar 2002 (LWI) - Vor 25 Jahren kehrte der
jungverheiratete Schweizer Pfarrer Kurt Gysel ausgeruestet mit
einem Dreijahres-Vertrag seinem Heimatland den Ruecken und trat
eine Pfarrstelle in der gerade gegruendeten Lutherischen Kirche in
Chile (ILCH) an. Heute ist der 49-jaehrige Kurt Gysel Bischof
dieser Kirche und kann sich eine Rueckkehr nach Europa kaum noch
vorstellen. Zu sehr seien er, seine Frau sowie die fuenf in Chile
geborenen Kinder, zwei Toechter und drei Soehne im Alter zwischen
elf und 24, bereits in das soziale Netz Chiles, in Beziehungen,
Freundschaften und Gewohnheiten hineingewachsen, so Gysel in einem
Gespraech mit den Lutherischen Welt-Informationen (LWI) Mitte
Januar in Genf.

Den Kontakt zu seiner Familie und seinen Freunden in der Schweiz
liess Gysel allerdings nie abbrechen. Zur Zeit verbringt er mit
seiner Familie den Jahresurlaub in der Schweiz und nutzt die
Gelegenheit, Kontakte aufzufrischen, so auch mit dem Lutherischen
Weltbund (LWB), der Ende der 80er Jahre ein
Berufsausbildungsprojekt der ILCH foerderte sowie immer wieder
Stipendien fuer Theologiestudenten bereitstellt. Gegenwaertig sind
zwei Theologiestudenten der ILCH Stipendiaten des LWB.

Die Spaltung der chilenischen Kirche geht auf die unterschiedliche
Bewertung des Putsches am 11. September 1973 zurueck. Ein
kleinerer Teil der Kirche erklaerte sich solidarisch mit den
Gefolterten, Ermordeten und Entfuehrten des Regimes unter General
Augusto Pinochet, der groessere Teil der Mitglieder befuerwortete
das Eingreifen des Militaers. Ende 1974 verliessen zehn Gemeinden
die IELCH, acht Gemeinden gruendeten 1975 die Lutherische Kirche
in Chile (ILCH). Zwei Gemeinden blieben unabhaengig, traten aber
der ILCH spaeter bei, zu der rund 12.000 Mitglieder gehoeren. Zur
IELCH gehoeren circa 3.000 Mitglieder.

Noch heute gehen die Meinungen zum Putsch 1973 in Chile weit
auseinander. Viele Gemeindemitglieder, so Bischof Gysel,
beurteilen das Eingreifen des Militaers am 11. September 1973 noch
heute positiv, allerdings finden die im Zusammenhang mit dem
Militaerputsch begangenen Menschenrechtsverletzungen kaum noch
BefuerworterInnen. Bei aller Diskussion auch ueber den heutigen
Umgang mit Pinochet, ueber den viele Gemeindemitglieder "empoert"
seien, werde eindeutig zwischen Putsch und
Menschenrechtsverletzungen unterschieden, die nicht zu
entschuldigen seien und als falsch angesehen wuerden.

Weiterhin bestuenden jedoch Vorbehalte und Aengste hinsichtlich
einer sozialistischen Regierung, betonte Gysel. Viele Mitglieder
der ILCH seien unter der Allende-Regierung enteignet worden, dies
meist "voellig zu Unrecht" und auf illegalem Wege.
Landwirtschaftliche Gueter seien damals besetzt worden und die
Menschen wurden vertrieben. In der Diskussion werde dies oft
vergessen, so der lutherische Bischof.

Viele bedauern heute das Auseinanderbrechen der lutherischen
Kirche in Chile, der Riss geht durch Freundeskreise und sogar
Familien. Seit Jahren pflegen beide Kirchen inzwischen wieder
intensivere Kontakte, Gysel spricht von "freundschaftlichen
Kontakten". Bereits seit Anfang der 80er Jahre diskutieren beide
Kirchen im Rat Lutherischer Kirchen in Chile anstehende
Alltagsprobleme und gemeinsame Projekte. Am 31. Oktober letzten
Jahres feierten beide lutherischen Kirchen einen gemeinsamen
Reformationsgottesdienst. Dennoch gibt der Bischof einem
Zusammengehen beider Kirchen fuer die nahe Zukunft keine Chance,
zu unterschiedlich haetten sich beide Kirchen in den letzten 25
Jahren entwickelt.

Im Gegensatz zur weitaus kleineren IELCH finanziere sich die ILCH
weitgehend selbst, waehrend die IELCH auf Hilfe und Unterstuetzung
aus dem Ausland angewiesen sei. Die ILCH-Mitglieder gehoeren vor
allem zur Mittel- und Oberschicht. Die "recht foederalistische"
Struktur seiner Kirche habe zu einer sehr kleinen und bescheidenen
Kirchenstruktur gefuehrt, so Gysel, die Gemeinden agierten daher
in vielen Bereichen voellig unabhaengig.

Bisher hat die ILCH aus Ruecksicht auf die katholische Kirche, der
nach offiziellen Angaben knapp 80 Prozent der Bevoelkerung
angehoeren, keine missionarischen Projekte in Angriff genommen.
Angesichts der abnehmenden Teilnahme katholischer ChristInnen am
katholischen Gemeindeleben sieht Bischof Gysel ein grosses
Arbeitsfeld. Schon heute versuche die ILCH, in allen Gemeinden
spanische und deutsche Gottesdienste anzubieten und oeffne sich
damit der spanisch sprechenden Bevoelkerung. Gerade spanische
Gottesdienste wuerden verstaerkt von Jugendlichen angenommen.

Angesichts einer leicht fallenden Tendenz bei Taufen und
Konfirmationen sieht Bischof Gysel einen besonderen Schwerpunkt in
der Jugendarbeit. Viele Jugendliche haetten eine gute Schul- und
Berufsausbildung, die der kirchlichen Arbeit zugute komme. Stolz
ist der Bischof auf das Engagement vieler Jugendlicher seiner
Kirche, die voellig selbstaendig Arbeitseinsaetze zur
Unterstuetzung sozial Beduerftiger organisierten. So wurden
Projekte zum Bau einfacher Wohnhaeuser realisiert, Kurse mit
Hebammen oder auch Elektromonteuren angeboten. An diesen
zehntaegigen Einsaetzen, die "richtig harte Arbeit" seien,
beteiligen sich zwischen 30 bis 40 Jugendliche.

Fuer die Zukunft seiner Kirche wuenscht sich Bischof Gysel ein
wachsendes Bewusstsein dafuer, was Kirche eigentlich bedeutet,
eine persoenliche Verbindlichkeit im Glauben. Er hofft, dass die
Mitglieder nicht nur aus Tradition zu seiner Kirche gehoeren,
sondern dass die Menschen entdecken, "wer Jesus Christus
eigentlich ist, was er fuer sie getan hat, was er fuer sie, fuer
diese Welt bedeutet". (765 Woerter)

*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 133 Mitgliedskirchen, denen rund 60,5 Millionen der
weltweit rund 64,3 Millionen LutheranerInnen in 73 Laendern
angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der
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humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene
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Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst
des Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes
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***
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