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Liberia: Auf der Flucht vor Krieg, Pluenderung und Einschuechterung


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Mon, 04 Mar 2002 08:45:50 -0600

Buergerkrieg in Liberia
Father Garry: Sie kamen vor allem nachts und mit lautem Gebruell

Tubmanburg (Liberia)/Genf, 3. Maerz 2002 (LWI) - Tubmanburg, eine
kleine Stadt, ungefaehr 60 km noerdlich von Monrovia.
Menschenleer. Eine Geisterstadt. Panikartig sind die Menschen von
hier geflohen. Zum ersten Mal ist es moeglich, nach den
Ueberfaellen der Rebellen wieder in die Stadt zu kommen. Fast alle
Haeuser wurden ausgeraubt. Auch die MitarbeiterInnen der Abteilung
fuer Weltdienst (AWD) des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Liberia
verloren sieben Motorraeder, Computer, Klimaanlage und vieles
mehr.

Ein LWB/AWD-Mitarbeiter, der mit uns im Auto sitzt, bittet uns
anzuhalten. Er will nach seinem Haus sehen. Alles Wertvolle und
Wiederverwertbare wurde mitgenommen. Matratzen, Kleider, Lampen,
Radio, Geschirr... Alles ist weg.

Er beschwert sich nicht, er klagt nicht. Er erzaehlt es einfach.
Nur die Schuhe hat er gewechselt. Die Schuhe hatten sie nicht
mitgenommen. Fast alles findet er spaeter auf einem Markt in der
liberianischen Hauptstadt Monrovia wieder. Doch es sei zu
gefaehrlich, es zurueckzufordern, sagt er spaeter.

Drei Motorraeder wurden noch rechtzeitig in Sicherheit auf das
eingezaeunte Gelaende der katholischen Kirche in Tubmanburg
gebracht. Bis auch dort die Rebellen mit Gewehren im Anschlag
anrueckten. Die kleine Gruppe von MitarbeiterInnen der Kirche
hielt gerade eine Andacht, sie liessen sich nicht irritieren. Aber
dann wollten die Rebellen die Schluessel fuer die Motorraeder.

Das erzaehlt uns der englische Father Garry, der hier seit den
70er Jahren lebt, ein engagierter, dynamischer und liebenswerter
Mann. Er hat in den Schulraeumen und in allen sonst zur Verfuegung
stehenden Raeumen des Kirchengelaendes ueber 600 Fluechtlinge
untergebracht. Er versorgt sie aus eigenen Reserven, die
Hilfsorganisationen haben ihn nicht mit eingeplant.

Garry zeigt uns das Gelaende, eine Kirche, eine kleine
medizinische Notapotheke, Reislager, den Friedhof. Ein kleiner
Junge bleibt uns immer auf den Fersen. Es sei der Hunger, der ihn
hinter uns herlaufen laesst, sagt Father Garry.

Weiter oben zeigt er uns ein grosses Holzkreuz. Es ist ein Kreuz
auf einem grossen Massengrab. Ueber 300 Menschen sind hier
begraben, vor allem Kinder, die waehrend der Unruhen 1996
umgekommen sind, vor Hunger gestorben.

Und nun nehmen sie jeden Freitag das Kreuz und gehen singend und
betend durch den Ort. Vorsichtig oeffnet sich dann ein Fenster
nach dem anderen. Es sind die Alten, die Kranken und
Gebrechlichen, die zurueckgeblieben sind und in ihrer Angst hinter
ihren Hausmauern still verharren. Wenn sie die Gesaenge hoeren und
Father Garry mit seinen Leuten sehen, trauen sie sich, die Fenster
zu oeffnen.

Wir teilen uns ein paar Colanuesse, die einer der Fluechtlinge uns
anbietet. Gegen den Hunger und den Durst. Dann gibt er uns noch
einen Schluck Wasser. Mit herzlicher Umarmung gehen wir
auseinander in beiderseitigem Wissen, dass die Lage schwierig, ja
die Aufgabe eigentlich zu gross ist. Aber es gibt eigentlich keine
Wahl, wenn Gott einen da hineinstellt.

Kurz nach meinem Besuch ist das Kirchengelaende von Father Garry
ueberfallen und gepluendert worden. Ich erfahre es von einer
Mitarbeiterin. Father Garry hat sich mit den Fluechtlingen
aufgemacht in Richtung Monrovia.

Ich versuche ihn ausfindig zu machen. Ein paar Tage spaeter
begegne ich ihm in Monrovia. In seinem weissen Gewand. Eine
zierliche Gestalt. Bewaffnete seien gekommen, so erzaehlt er mir,
haetten alle Lebensmittel mitgenommen, auch den Autoschluessel.
Ein Transporter der katholischen Hilfsorganisation Caritas wurde
ueberfallen, der Fahrer getoetet.

Und vor allem nachts, vor allem nachts seien sie gekommen. Mit
lautem Gebruell und haetten die Menschen belaestigt. Und so sei er
aufgebrochen, Father Gerry zusammen mit den Menschen, die auf dem
Gelaende untergebracht waren. Schnell. Nicht viel dabei.

Von einem Huegel aus werden sie beschossen. Sie haben Angst und
werfen sich auf den Boden. Es sind Drohgebaerde,
Einschuechterungen - Teil der Kriegsfuehrung. Menschen werden in
Angst und Panik versetzt. Die Bewaffneten demonstrieren Macht und
freuen sich an der Furcht der anderen. Nun haben sie freie Hand,
die eilig verlassenen Gebaeude zu pluendern.

Und dann die Checkpoints. Einer seiner Jungen wird aus dem Auto
gezogen. Was werden sie mit ihm machen? Gebt sofort den Jungen
raus, er gehoert zu mir! Father Garry ist besorgt. Sie holen sein
Geld aus den Taschen - 200 US-Dollar, die eiserne Reserve. Aber
sie koennen weitergehen. Er, der Junge und all die anderen.

Fuenf Stunden sind sie unterwegs. Bis sie die Hauptstadt
erreichen, bis einige Autos ihnen entgegenkommen und sie
mitnehmen.

Father Garry, ein knochiger Englaender, der nun bald 30 Jahre hier
lebt. Als er mir gegenuebersitzt, spuere ich hinter seinem zaehen
Ringen auch die Enttaeuschung, die Ermuedung und die Spuren seiner
Angst.

Und dann entschwindet er in seinem weissen Kleid.

Gerne wuerde ich noch eine Weile mit ihm zusammensitzen, mit ihm
das kuehle Wasser und die Geschichten teilen, die Ratlosigkeit,
den Schrecken, seinen Mut und den Blick.

Das war Mitte Februar.
Seitdem herrscht der Ausnahmezustand in Liberia. (789 Woerter)

(Ein Beitrag von Pfarrerin Sabine Foerster aus Stuttgart, die seit
Mitte 2001 in der Erwachsenenbildung in Liberia arbeitet.)

*       *       *

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