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Schaad: Die Globalisierung zerstoerte unser Land


From "Frank Imhoff" <franki@elca.org>
Date Thu, 18 Apr 2002 08:09:17 -0500

Argentinischer Kirchenpraesident Schaad: Die Globalisierung
zerstoerte unser Land
Praesident Evangelischer Kirche am La Plata kritisiert
argentinische Wirtschaftspolitik 

Hannover (Deutschland)/Genf, 18. April 2002 (LWI) - Die
Evangelische Kirche am La Plata (IERP) hat nach den Worten ihres
Kirchenpraesidenten Pfr. Juan Pedro Schaad (Buenos Aires) in der
gegenwaertigen Wirtschaftskrise Argentiniens erhebliche
finanzielle Verluste zu verkraften. Schuld an der Misere dieses
einst als reich geltenden suedamerikanischen Landes sei eine
verfehlte Wirtschaftspolitik, bei der man Argentinien durch die
ganzen Privatisierungsprozesse regelrecht aussaugte, so Schaad in
einem Interview mit dem Informationsdienst der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD Informationen,
Ausgabe vom 12. April 2002) in Hannover.

Eine weitere Ursache sei die Globalisierung. "Sie zerstoerte unser
Land, unsere Industrie, weil wir gezwungen wurden, unsere Tueren
zu oeffnen fuer Produkte aus dem Ausland, die zu Dumpingpreisen
auf den Markt kamen und unsere heimische Produktion an den Rand
draengten", betonte Schaad. Auch die Korruption habe zum
Niedergang beigetragen. Die Lage der 14 Millionen Arbeitslosen
bezeichnete Kirchenpraesident Schaad als wirklich dramatisch, weil
diese Menschen weder eine Krankenversicherung noch eine
Alterssicherung haetten. Kirchliche Hilfsprojekte koennten nur
punktuell ein Zeichen setzen.

Juan Pedro Schaad ist skeptisch, ob der Einsatz seiner Kirche
dafuer, dass die Verbrechen zur Zeit der Militaerdiktatur nicht
straflos bleiben, auch Erfolg haben werde. Zuversicht gebe ihm,
dass sich auch die katholische Kirche sowie andere nichtstaatliche
Organisationen mit dieser Thematik auseinander setzten. Schaad
wuerdigte die Zusammenarbeit mit der roemisch-katholischen Kirche,
insbesondere auf dem Gebiet der Menschenrechte.

Die IERP umfasst rund 47.000 Mitglieder in 42 Gemeinden in
Argentinien, Paraguay und Uruguay und gehoert seit 1991 zum
Lutherischen Weltbund (LWB). (258 Woerter)

Im Folgenden finden Sie den vollstaendigen Wortlaut des
Interviews:

Das Interview - mit Kirchenpraesident Juan Pedro Schaad
"Die Globalisierung zerstoerte unser Land"

Der Praesident der Evangelischen Kirche am La Plata (IERP) weist
auf die gute Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche hin. Juan
Pedro Schaad steht seit fast vier Jahren an der Spitze dieses
Verbundes von 42 Gemeinden in Argentinien, Paraguay und Uruguay,
der auf Einwanderer aus Deutschland und der Schweiz zurueckgeht.
Seit 1991 ist seine Kirche mit ihren 47.000 Glaeubigen Mitglied im
Lutherischen Weltbund (LWB).

VELKD-Informationen: Herr Kirchenpraesident Schaad, Argentinien
befindet sich in einer anhaltenden, schweren Wirtschaftskrise.
Dabei galt das Land einmal als reich. Wie kam es zu diesem
Niedergang?

Juan Pedro Schaad: Es handelt sich um den letzten oder den
vorletzten Schritt einer dreissigjaehrigen Wirtschaftspolitik, bei
der man Argentinien durch die ganzen Privatisierungsprozesse
regelrecht aussaugte. Alles, was der Staat in seinen Haenden
hatte, wurde privatisiert. Hinzu kommt die Globalisierung. Sie
zerstoerte unser Land, unsere Industrie, weil wir gezwungen
wurden, unsere Tueren zu oeffnen fuer Produkte aus dem Ausland,
die zu Dumpingpreisen auf den Markt kamen und unsere heimische
Produktion an den Rand draengten. Schliesslich merkten wir, dass
es nicht nur bei uns Korruption gibt, sondern dieses System
international funktioniert - wie geschmiert. So sind nun Hunderte
von Fabriken im Land bankrott gegangen und 14 Millionen
Arbeitslose auf der Strasse.

VELKD-Informationen: Wie ist die Rolle der Kirche in dieser
Situation? 

Juan Pedro Schaad: Ich will nicht verschweigen, dass auch die
Kirche erhebliche finanzielle Verluste zu verkraften hat, weil
nach zwoelf Jahren die Bindung des Peso an den US-Dollar
aufgehoben wurde. Das Wichtigste aber ist, dass wir die
Menschenrechtsarbeit fortfuehren koennen. Wir muessen versuchen,
unseren Auftrag, das Evangelium zu verkuendigen und mit unserer
Diakonie zu helfen, unter den gegenwaertigen Bedingungen so gut es
geht zu erfuellen. Die Lage der 14 Millionen Arbeitslosen ist
wirklich dramatisch, denn sie haben keine Krankenkasse und keinen
Anspruch auf Alterssicherung und sind aus dem Wirtschafts- und
Sozialsystem praktisch ausgeschlossen. Die Projekte, die die
Kirchen durchfuehren, koennen bestenfalls ein Zeichen setzen.
Neben der materiellen Not leiden die Menschen, die ihre Arbeit
verloren haben, auch seelische Qualen. Sie entwickeln
Schuldgefuehle und fragen sich, was sie falsch gemacht haben, weil
sie jetzt ohne Job dastehen. Dieses Denken kommt aus der
spezifischen Praegung unserer Mitglieder, fuer die in besonderer
Weise Arbeit auch Lebenssinn bedeutet.

VELKD-Informationen: Ihre Kirche setzt sich sehr dafuer ein, dass
die Verbrechen zur Zeit der Militaerdiktatur nicht straflos
bleiben. Unlaengst hat Ihre Kirche eine Kampagne zur
Strafverfolgung gestartet. Werden Sie damit Erfolg haben?

Juan Pedro Schaad: Das weiss ich nicht. Natuerlich hoffen wir,
dass unser Einsatz erfolgreich ist. Wir sind mit unserem
Engagement nicht allein, denn die katholische Kirche und andere
nichtstaatlichen Organisationen setzten sich auch mit dieser
Thematik auseinander.

VELKD-Informationen: Das heisst, gerade mit Blick auf diese Fragen
koennen Sie auf gute oekumenische Zusammenarbeit zurueckgreifen?

Juan Pedro Schaad: Ja, durchaus. Wir unterhalten beispielsweise
gemeinsam ein oekumenisches theologisches Seminar. Zudem haben
sich waehrend der Militaerdiktatur Kirchenvertreter regelmaessig
getroffen, um zu sehen, wie man Menschen helfen kann, die nach
verschwundenen Familienangehoerigen suchten. Nicht zu vergessen
die oekumenische Menschenrechtsarbeit, die wir mit der
katholischen Kirche leisten.

VELKD-Informationen: Was erwarten Sie vor dem Hintergrund der
Situation Ihrer Kirche von den Christinnen und Christen sowie den
Kirchenleitungen in Deutschland?

Juan Pedro Schaad: Wir sind sehr dankbar fuer die Unterstuetzung,
die wir etwa ueber das Gustav-Adolf-Werk bekommen. Viele Gemeinden
in Deutschland lassen sich auf diese Weise mobilisieren, uns zu
unterstuetzen. Ich sehe aber auch, dass es zwischen der
evangelischen Kirche in Deutschland und meiner Kirche Unterschiede
in der Beurteilung von Vorgaengen gibt. Das haengt wohl damit
zusammen, dass die Kirchen in Deutschland ein anderes Verhaeltnis
dem Staat gegenueber haben. Es ist von Diplomatie gepraegt.
Auseinandersetzungen, wie wir sie mit unserer Regierung haben,
gibt es in Deutschland nicht. Ich war ueberrascht, dass die
EKD-Synode im November letzten Jahres kein klares Wort gegen den
Krieg in Afghanistan formulierte. Es hiess, man sei zwar gegen
Krieg, aber die USA verdienten zugleich Unterstuetzung. Ich sehe, 
dass die Deutschen mit den Vereinigten Staaten ganz andere
Erfahrungen gemacht haben als wir. In Berlin erzaehlten mir
Menschen, den USA verdanke man die Rettung der Stadt. Wir in
Argentinien haben hingegen die andere Seite erlebt, dass die USA
Staatsterrorismus betreiben, nicht nur in Afghanistan, sondern
auch bei uns, als sie unsere Militaerregierungen unterstuetzten,
die 30.000 Menschen das Leben kostete. (710 Woerter)

Die Fragen stellte Oberkirchenraetin Dr. Christina Kayales. 

(Das Interview wurde am 20. Februar 2002 in Berlin gefuehrt.) 

*       *       *

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