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ORK - Die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im


From "Sheila Mesa" <smm@wcc-coe.org>
Date Wed, 15 May 2002 15:17:15 +0200

ORK auf dem Weg zu ihrem abschliessenden Bericht
(Teil 1)

Okumenischer Rat der Kirchen
ORK-Feature, Feat-02-03
zur Veroffentlichung frei
15. Mai 2002

Die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ORK auf dem Weg
zu ihrem abschliessenden Bericht

Noch einmal wird die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit
im Okumenischen Rat der Kirchen (ORK) tagen. Dieses Mal vom 27.
Mai bis 2. Juni in Jarvenpaa, unweit der finnischen Hauptstadt
Helsinki. Die Ergebnisse ihrer dreijahrigen Arbeit wird die
Sonderkommission in einem Schlussbericht dem dieses Jahr vom 26.
August bis 3. September in Genf tagenden ORK-Zentralausschuss
vorlegen.  

Dem Beschluss der Achten ORK-Vollversammlung 1998 in Harare,
Simbabwe, diese Sonderkommission einzurichten, war die deutliche
Kritik orthodoxer Kirchen am ORK vorausgegangen.   

Besonders die ostlich-orthodoxen Kirchen hatten im Mai 1998 auf
einer Tagung in Thessaloniki, Griechenland, ernsthafte Bedenken
uber bestimmte Entwicklungen in einigen protestantischen
Mitgliedskirchen des Rates geaussert. Zudem wiesen sie auf die
mangelnden Fortschritte in okumenischen theologischen
Diskussionen hin und stellten fest, dass die gegenwartige
Struktur des ORK eine sinnvolle Mitarbeit der orthodoxen Kirchen
zunehmend erschwere und fur einige sogar unmoglich mache.  

Indem die Vollversammlung in Harare der Einsetzung einer
Sonderkommission zustimmte, reagierte sie nicht nur auf die
Anliegen der Orthodoxen in angemessener Form, sie wies vielmehr
auch darauf hin, dass "andere Kirchen und Kirchenfamilien"
ahnliche Anliegen hatten.  

Vieles ist seither in den Plenartagungen und Unterausschussen
der Sonderkommission erarbeitet und wahrend des
ORK-Zentralausschusses in Potsdam, Deutschland, Ende Januar
2001 diskutiert worden.   

In den Diskussionen ging es hauptsachlich um funf
Problembereiche:

- Fragen im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft
- Prozesse der Entscheidungsfindung
- gemeinsames Gebet
- soziale und ethische Fragen
- ekklesiologische Fragen

Dass es, wie zuletzt im November 2001, in Berekfurdo, Ungarn, zu
erheblichen Fortschritten kam, zeugt auch von dem personlichen
Engagement der Mitglieder dieser paritatisch besetzten
Kommission.   

Gerade um dieses personliche Engagement, um Geschichten,
Erfahrungen, sich profilierende Uberzeugungen und Standpunkte
geht es in einer dreiteiligen Serie von Beitragen, die die
ORK-Medienbeauftragte, Karin Achtelstetter, zusammengestellt
hat. Kommissionsmitglieder aus unterschiedlichen Traditionen
melden sich zu Wort und teilen Ihre ganz personlichen Erfahrungen
und Gedanken mit einer breiten Offentlichkeit.  

Die Serie greift drei der funf Problembereiche auf: Prozesse der
Entscheidungsfindung (Teil 1), soziale und ethische Fragen (Teil
2) sowie das gemeinsame Gebet (Teil 3).  

Quasi als Vorlaufer zu dieser Serie befasste sich ein bereits im
Dezember 2000 veroffentlichtes Interview mit dem damaligen
Referenten fur interchristliche Angelegenheiten der Russischen
Orthodoxen Kirche, Dr. Hilarion Alfejew, mit den die
Sonderkommission betreffenden ekklesiologischen Fragen. Die
Fragen der Mitgliedschaft werden indessen in einer eigens
eingerichteten Studiengruppe erortert und werden auch aus diesem
Grund in der Serie uber die Arbeit der Sonderkommission nicht
behandelt.   

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Wie soll der ORK in Zukunft seine Entscheidungen fallen?  (Teil
1)

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Plenartagung der
Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im Okumenischen Rat der
Kirchen (ORK) in Berekfurdo, Ungarn, im November 2001 war, dass
die Kommission "das Konsensverfahren" als "die geeignetste
Methode der Entscheidungsfindung fur die Leitungsorgane des ORK"
identifizierte.  

Bereits die Diskussion des von der Sonderkommission vorgelegten
Zwischenberichts wahrend des ORK-Zentralausschusses in Potsdam,
Deutschland, im Februar 2001, brachte die positive Haltung der
Mitglieder dieses Leitungsgremiums zutage. So wies Seine
Seligkeit Erzbischof Anastasios von Tirana, Durres und ganz
Albanien Anastasios darauf hin, dass in biblischen Zeugnissen die
Eingebung des Heiligen Geistes die Menschen leitete und nicht
irgendwelche im parlamentarischen Stil herbeigefuhrte
Mehrheitsbeschlusse.  

Ein mogliches Konsensmodell als zukunftiges Abstimmungsverfahren
fur den ORK musse nicht die prophetische Stimme des ORK in Frage
stellen, betonte auch die lutherische Pfarrerin Mari Kinnunen aus
Finnland. "Was passiert mit der prophetischen Stimme des ORK?",
fragte sie. "Wird ein konsensgestutzter Prozess der
Entscheidungsfindung diese Stimme verstummen lassen?" Mari
Kinnunen zufolge sind solche Befurchtungen jedoch unbegrundet.  

Zwei Mitglieder der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im
ORK, die US-Amerikanerin Eden Grace von der Religiosen
Gesellschaft der Freunde (Quaker) und der Australier D'Arcy Wood
von der Unionskirche in Australien, haben beide - allerdings ganz
unterschiedliche - Erfahrungen mit dem Konsensverfahren gemacht .
  

Eden Grace kommt aus einer christlichen Tradition, "die der vom
Geist geleiteten Urteilsbildung in Fragen der Kirchenleitung ganz
besondere Aufmerksamkeit schenkt. Wir Freunde (Quaker) suchen
nach 'sichtbarer Einheit' in der kirchlichen Gemeinschaft und
finden sie gegeben, wenn alle "ein Herz und eine Seele' in
geschaftlichen Angelegenheiten sind", schreibt sie in ihrem
Beitrag.  

Was D'Arcy Wood anbelangt, so hat er sich vor gut zehn Jahren -
gemeinsam mit seiner Kirche - auf das Wagnis eingelassen hat,
Entscheidungen nicht langer im parlamentarischen Stil, sondern
per Konsens zu fallen.  

Zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen. Was sie gemeinsam haben?
Sie machen Mut, neue alte Wege zu beschreiten.  
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Von Christus geleitet
Entscheidungsfindung bei den Quakern und im ORK
Eden Grace

Wie sollen wir miteinander umgehen als Christen und als
Mitglieder des Okumenischen Rates der Kirchen (ORK)? Mit Liebe,
Respekt und Gute oder mit Misstrauen und Rivalitat? So lautet
meiner Meinung nach die tiefere Frage, die der Arbeit der
Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ORK in allen ihren
Bereichen zugrunde liegt.  

Wenn die Kommission vorschlagt, die Entscheidungsfindung im Rat
von der Mehrheitsabstimmung in ein Konsensverfahren zu
verwandeln, dann geht es dabei fur mich um die Kernqualitaten der
christlichen Gemeinschaft. Es ist wichtig, wie wir Entscheidungen
treffen, denn wie wir miteinander umgehen zeigt, ob wir im Geist
leben oder nicht. Der Apostel Paulus zahlt eine ganze Reihe von
ausseren Anzeichen dafur auf, ob wir vom wahren Geist Gottes
recht geleitet werden: "Die Frucht aber des Geistes ist Liebe,
Freude und Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gute, Treue, Sanftmut,
Keuschheit;..." (Galater 5, 22-23).  

Als Quakerin komme ich aus einer Gemeinschaft, die der vom Geist
geleiteten Urteilsbildung in Fragen der Kirchenleitung ganz
besondere Aufmerksamkeit schenkt. Wir Freunde (Quaker) suchen
nach "sichtbarer Einheit" in der kirchlichen Gemeinschaft und
finden sie gegeben, wenn alle "ein Herz und eine Seele" in
geschaftlichen Angelegenheiten sind. Wir messen unserer
Geschaftstatigkeit eine hohe geistliche Bedeutung bei, denn
wir betrachten sie als eine nahtlose Erweiterung unseres
Gottesdienstes.  

Kirchenleitung bedeutet nicht Politik, Geschaftsordnung und
Abstimmung. Kirchenleitung hat es vielmehr damit zu tun, dass wir
als die glaubige Gemeinschaft leben sollen, die Gott ins Leben
gerufen hat und die Gottes versohnende Liebe in der Welt sichtbar
werden lasst. Paulus gibt dazu folgenden Rat: "(Seid) eines
Sinnes, (habt) gleiche Liebe, (seid) einmutig und eintrachtig.
Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in
Demut achte einer den anderen hoher als sich selbst, und ein
jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem
anderen dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der
Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht" (Philipper 2, 2-5).  

Dies ist naturlich schwierig und es gelingt uns nicht so gut,
wenn wir uns dabei allein auf unsere eigenen Krafte verlassen.
Wenn wir uns aber auf die Kraft des Heiligen Geistes stutzen, der
unter uns ist und uns gerne lenken will, dann legen die Quaker
ein Zeugnis davon ab, dass wir die gesegnete Gemeinschaft
erfahren, der die von Paulus beschriebenen Qualitaten innewohnen.
Wir bemuhen uns nicht, eines Sinnes zu sein, sondern wollen uns -
wie Paulus es ausdruckt - vom Sinn Christi leiten lassen.  

Bei den Quakern habe ich haufig als "Schreiberin" gedient, das
heisst als die Person, die den Willen Gottes, wie ihn die
Versammlung erkennt, in Worte kleidet. Das ist eine gewichtige
Aufgabe, nicht etwa blosse Schriftfuhrung. In dieser Rolle habe
ich erkannt, was es bedeutet, den Willen Gottes zu erkennen.  

Ich erinnere mich an eine bestimmte Versammlung, auf der eine
Entscheidung mit moglicherweise  ernsthaften Folgen gefallt
werden musste. Was die Freunde gesprochen und was sie in dieser
Angelegenheit zu raten hatten, hatte ich grosstenteils auf meinem
Laptop mitgetippt.  

Es waren viele ausgezeichnete Bemerkungen gemacht und stichfeste
Argumente vorgebracht worden. Das alles dauerte eine ganze Weile.
Ich hatte schon eine Menge Text auf meinem Bildschirm. Aber die
Versammlung war noch immer gespalten. Dann stand einer der
Freunde auf, um zu sprechen. Zunachst aber stand er einen
Augenblick lang still da, und ich spurte, dass mit der
Versammlung eine fuhlbare Veranderung vor sich ging. Es war mir
so, als ruhte Gottes Hand auf diesem Mann und verlieh seiner
Botschaft Autoritat. Ich bin mir sicher, dass die anderen diese
Veranderung auch bemerkt hatten. Bevor er das Wort ergriff, habe
ich meinen Bildschirm frei gemacht, um seine Botschaft
aufzuzeichnen. Ich wusste im Voraus, dass ihn der Sinn Christi
leitete.  

Das hort sich nach einer mystischen Erfahrung an, und es ist
auch eine. Dieses Geschehen lasst sich nicht von systematischen
Regeln kontrollieren, sondern hangt allein von der Gnade Gottes
ab. Dennoch ist es kein abstraktes oder uberirdisches Erlebnis.
Wir Freunde treffen alle unsere Entscheidungen auf diese Weise,
und nicht jedes Mal kommt es dabei zu einem so eindrucksvollen
und denkwurdigen Erlebnis, wo wir erfahren, dass Gottes Hand in
unserer Mitte am Werk ist. Ich meine aber, dass wir selbst bei
weniger wichtigen Verhandlungsgegenstanden die Fruchte des
Geistes empfangen, weil wir liebevoll und rucksichtsvoll
miteinander umgehen und weil wir uns gemeinsam verpflichtet
haben, Gottes Willen zu gehorchen.  

Die Friedenserfahrung bezeugen

Seit dem Vorschlag der Sonderkommission, das Konsensverfahren im
ORK einzufuhren, habe ich Skeptiker fragen horen, ob so etwas im
weltweiten okumenischen Kontext uberhaupt funktionieren kann. Ich
personlich bin von zwei Dingen uberzeugt.  

Einmal davon, dass es fur den ORK weder praktikabel noch ratsam
ist, die Entscheidungsfindung der Quaker, wie ich sie oben als
gemeinsame Erfahrung einer vom Geist geleiteten Urteilsbildung
beschrieben habe, zu ubernehmen. Die ORK-Mitgliedschaft hat zu
unterschiedliche Auffassungen von Autoritat als dass sie sich auf
die Voraussetzungen verstandigen konnte, die den Quaker-Prozess
erfolgreich machen.  

Zweitens bin ich aber auch davon uberzeugt, dass wir Raum
schaffen konnen, damit der Heilige Geist unter uns wirkt, wenn
wir neue Formen des Umgangs miteinander einfuhren und die
Erwartungen verandern, die wir aneinander stellen. Auf diese
Weise konnen wir, so denke ich, grossere Liebe unter uns
verwirklichen.  

Der Wunsch, die Entscheidungsfindung im Rat zu reformieren,
lauft parallel zu unserer Verpflichtung zur Dekade zur
Uberwindung von Gewalt. In beiden Fallen bemuhen wir uns, die
christliche Gabe der Versohnung getreuer zu verkorpern. Wir
konnen nicht erwarten, dass wir vor der Welt eine
Friedensbotschaft ablegen werden, wenn die Qualitat unserer
Gemeinschaft nicht auf einer Friedenserfahrung beruht.   

Tragt unser eigenes Verfahren im ORK das Zeichen der
"antagonistischen Logik des Krieges"? Neigen wir dazu, "ein
Problem oder einen Konflikt zu losen durch die Aufrichtung der
Herrschaft einer Position uber die andere? ... Friedliche
Konfliktlosung ist nur moglich, wenn das Gewinn- und
Verlustschema umgewandelt wird in einen Prozess, bei dem beide
Seiten am Ende als Gewinner dastehen." Diese Worte stammen von
ORK-Generalsekretar Konrad Raiser und er hat sie im Blick auf
die Dekade zur Uberwindung von Gewalt formuliert.  

Ich finde, diese Worte treffen auch auf die interne Kultur des
Rates zu. Wir versuchen nun, diese Kultur zu verandern und das
weltliche politische Gewinn- und Verlustschema in das
christlich-biblische Modell der gegenseitigen Liebe umzuwandeln. 

"Euch aber lasse der Herr wachsen und immer reicher werden in
der Liebe untereinander und zu jedermann..." (1. Thessalonicher
3, 12). So sehen die Fruchte des Geistes aus, und sie erhoffe ich
mir  von der Arbeit der Sonderkommission zum Prozess der
Entscheidungsfindung .  

______________________
Die Verfasserin dieses Beitrages, Eden Grace, gehort der
Religiosen Gesellschaft der Freunde (Quaker) an und ist
Mitglied des ORK-Zentralausschusses und der Sonderkommission zur
orthodoxen Mitarbeit im ORK. Sie gehort dem Allgemeinen Ausschuss
der Vereinigten Versammlung der Freunde an, einem internationalen
Gremium der Quaker, und hat als Jugenddelegierte der Vereinigten
Versammlung der Freunde an der Vollversammlung in Harare
teilgenommen. Sie arbeitet im Kirchenrat von Massachusetts, USA,
mit.  

----------------------

Entscheidungsprozesse - vom parlamentarischen til zum
Konsensverfahren
Die Unionskirche in Australien hat den Wechsel vollzogen
D'Arcy Wood

Die Unionskirche in Australien wurde 1977 aus drei Kirchen
gebildet: der kongregationalistischen, der methodistischen und
der presbyterianischen Kirche. Eines der Hauptziele bei der
Ausarbeitung der neuen Verfassung und Kirchenordnung fur die
vereinigte Kirche bestand darin, eine breite Verteilung der
Aufgaben auf die Mitglieder, sowohl Laien als auch Ordinierte,
vorzunehmen.  

Die theologische Untermauerung dieses Zieles liegt in der
Metapher, die der Heilige Paulus fur den Leib Christi mit seinen
Gliedern und Organen, die alle unterschiedliche Funktionen im
Leib haben, benutzte. Der Heilige Geist schenkt den Gliedern der
Kirche seine Gaben, wann und wo er will, und es ist die Aufgabe
der Kirche, diese Gaben zu erkennen und sie in den Dienst der
kirchlichen Amter zu stellen.  

Die Verfassung der Unionskirche, die sogenannte Basis of Union,
legt fest, dass die Leitung der Kirche Einzelpersonen und Raten,
je nach den geistlichen Gaben, die sie empfangen haben,
ubertragen wird. Historisch gesehen konnte man sagen, dass die
Leitungsstrukturen der Unionskirche stark dem presbyterianischen
System ahneln, in dem mindestens genauso viele Laien und Laiinnen
wie Geistliche mitwirken: auf Bundesebene in der Nationalen
Versammlung, auf bundesstaatlicher Ebene in Synoden, auf
regionaler Ebene in Presbyterien und auf lokaler Ebene in
Gemeinden und Kongregationen.  

In den 1980er Jahren unternahm die Unionskirche gezielte
Anstrengungen, um Frauen und junge Menschen verstarkt dafur zu
gewinnen, Aufgaben in den Kirchenraten zu ubernehmen und bei
anstehenden Wahlen zu kandidieren. Diese Anstrengungen waren bis
zu einem gewissen Grad von Erfolg gekront, aber eines der
Hindernisse fur eine umfassende Beteiligung lag im Stil der
Debatten und der Entscheidungsfindung, die die Unionskirche von
ihren Vorgangerinnen ubernommen hatte. Diese Art von
Geschaftsordnung wird manchmal als "parlamentarisch" oder
"Westminster-like" beschrieben.  

Ich selbst war von 1981 bis 1983 Prasident der Synode von
Sudaustralien, und es war damals ganz offensichtlich, dass
Personen mit langjahrigen Erfahrungen in Kirche und kirchlichen
Arbeitsablaufen einen ungeheuren Einfluss auf Entscheidungen der
Synode hatten und auch ausubten. Es konnte gesagt werden, dass
dies in gewisser Weise unausweichlich war. Andererseits muss auch
festgestellt werden, dass die Gaben vieler Mitglieder,
insbesondere von Frauen und jungen Menschen, in dieser Zeit nicht
genug genutzt wurden. Immer starker wurde daher der Ruf nach
einer Reform der Entscheidungsprozesse.  
In der Unionskirche gelten in ganz Australien gleichen
Entscheidungsprozesse. Wahrend anderen Denominationen je nach
Diozese oder Bundesstaat unterschiedliche Leitungsstrukturen
haben konnen, herrschen in der Unionskirche bundesweit
einheitliche Strukturen vor. Die Reform der Entscheidungsprozesse
musste daher auf gesamtaustralischer Ebene angegangen werden.  

So richtete der Standige Ausschuss der Nationalen Versammlung
eine kleine Arbeitsgruppe ein, die den Auftrag erhielt,
alternative Verfahrensweisen vorzubereiten. Ich nahm ein- oder
zweimal an den Sitzungen dieser Arbeitsgruppe teil, aber ein
Grossteil der Arbeit wurde von Leuten wie Dr. Jill Tabart - der
spateren Prasidentin der Nationalen Versammlung -, Pfarrer Gregor
Henderson - dem Generalsekretar der Nationalen Versammlung - und
Pfarrer Hamish Christie-Johnston geleistet.  

Das neue System, das schliesslich angenommen wurde, wird als
"Konsensmethode" bezeichnet. Es verfolgt ganz allgemein das Ziel,
so viele Personen wie moglich an der Ausarbeitung der Beschlusse
eines Rates oder einer Tagung zu beteiligen. Die neuen
Verfahrensweisen sind zudem weniger rigide.  

Zwei Beispiele mogen zur Veranschaulichung dieser Methode
dienen: erstens kann eine Person in einer Debatte mehr als einmal
das Wort zu einem bestimmten Vorschlag ergreifen. Dem oder der
Vorsitzenden fallt dabei die Aufgabe zu, dafur zu sorgen, dass es
nicht dazu kommt, dass nur eine bestimmte Person oder eine kleine
Gruppe die Diskussion beherrscht und andere nicht zu Wort kommen
lasst. Zweitens kann eine Frage in einer Sitzung auch dann
behandelt werden, wenn dem oder der Vorsitzenden kein
entsprechender schriftlicher Antrag vorliegt. Die neue
Geschaftsordnung sieht vor, dass ein Antrag im Einvernehmen -
per "Konsens" - eingebracht (und auch abgeandert) werden kann.  

Wesentlich ist, dass im Verlauf des Entscheidungsprozesses der
oder die Vorsitzende die Mitglieder haufig nach ihrer Meinung
fragt - ohne dass dabei eine formelle Abstimmung durchgefuhrt
wird.  

Ich kann mich noch gut an die letzte Tagung der Nationalen
Versammlung erinnern, auf der das "alte" Verfahren angewandt
wurde. Sie fand 1991 statt und wurde von mir geleitet. Auf der
darauf folgenden Tagung im Jahr 1994 wurde das neue System
eingefuhrt. Ungefahr zur gleichen Zeit wurde es auch von den
Synoden, Presbyterien und Gemeinderaten - sowie von den
verschiedenen Ausschussen und Kommissionen - ubernommen.  

Ein Jahrzehnt spater: die Erfahrungen mit der neuen
Konsensmethode

Seit einem Jahrzehnt sammelt die Unionskirche nun bereits
Erfahrungen mit der Konsensmethode. Wie sehen diese Erfahrungen
aus?  

Erstens hat es sich als notwendig erwiesen, "Feineinstellungen"
vorzunehmen, damit die neue Methode der Kirche bessere Dienste
erweisen kann. Und zweitens wage ich zu behaupten, dass nur sehr
wenige Leute dem alten System den Vorzug gaben. Trotz mancher
Schwierigkeiten, die es hier und dort gibt, funktioniert das neue
Verfahren. Es hat uns tatsachlich die Flexibilitat und grossere
Beteiligung gebracht, wie wir sie Ende der 1980er Jahre als Ziel
definiert hatten.  

Ob das neue System neben den Vorteilen auch Nachteile gebracht
hat?   

Es konnte gesagt werden, dass das neue Verfahren langsamer ist
als das alte. Das lasst sich darauf zuruckfuhren, dass viele
Meinungen gehort werden mussen und dass sich so viele Personen
wie moglich an der Ausarbeitung von Beschlussen beteiligen
sollen. Es muss allerdings auch gesagt werden, dass die
Verlangsamung der Entscheidungsprozesse nicht das Ausmass
angenommen hat, das einige befurchtet hatten. Das ist zumindest
die Erfahrung, die ich gemacht habe.  

Zwar nehmen jetzt mehr Leute an den Diskussionen teil, aber
dafur geht weniger Zeit mit Verfahrensfragen verloren, wie zum
Beispiel mit "Abanderungsantragen", "Antragen auf erneute
Behandlung der vorherigen Frage", "Antragen auf Vertagung der
Sitzung" etc. Ferner lasst sich ein hoherer Grad an Zufriedenheit
feststellen, weil bei Entscheidungsprozessen alle Moglichkeiten
zur Losung einer Frage in angemessener Weise diskutiert werden
konnen.  

Ein moglicher Nachteil - oder vielleicht sollte man besser von
einer potentiellen Gefahr reden - liegt darin, dass der oder die
Vorsitzende einen sehr grossen Einfluss hat. Er oder sie muss
dafur sorgen, dass die Debatte umfassend und ausgewogen ist
und dass alle diskussionsrelevanten Wortmeldungen gehort und
gepruft werden. Er oder sie muss sich auch bemuhen, "die
Meinung der Versammlung" zu erkennen, und versuchen, diese
"Meinung" in klare Worte zu fassen. Das erfordert ein hohes Mass
an Kompetenz. Die Wahl des oder der Vorsitzenden ist daher ganz
offensichtlich von entscheidender Bedeutung.  

Ausserdem ist die grundliche Vorbereitung der Vorsitzenden auf
ihre Aufgabe von immenser Bedeutung. Dies gilt insbesondere dann,
wenn sie noch keine Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt
haben. Aus diesem Grunde wurden Anfang der 1990er Jahre nicht nur
die Vorsitzenden, sondern auch alle Mitglieder von Kirchenraten
im Rahmen von Einfuhrungskursen mit diesem neuen Verfahren
vertraut gemacht.  

Ich mochte noch hinzufugen, dass der Einfluss der Vorsitzenden
eingeschrankt werden kann, wenn ihnen ein Beratungs- oder
Geschaftsausschuss zur Seite gestellt wird, der den oder die
Vorsitzende vor und wahrend einer Tagung berat.  

Die Erfahrungen der Unionskirche haben sich fur die Arbeit der
Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im Okumenischen Rat der
Kirchen (ORK) als sehr nutzlich erwiesen. Allerdings
unterscheidet ein okumenisches Gremium sich naturlich sehr stark
von einer einzelnen Denomination.   

Der ORK wird meiner Meinung nach Verfahrensweisen entwickeln
mussen, die auf ihn und seine Arbeit zugeschnitten sind. Die
Erfahrungen, die die Unionskirche in Australien mit der
Konsensmethode in Entscheidungsprozessen gesammelt hat, sind
nutzlich, aber sie stellen nur ein Beispiel dafur dar, wie ein
solches System funktionieren kann. 

Die Sonderkommission hat sich jetzt uber einige allgemeine
Prinzipien der Entscheidungsfindung im Konsensverfahren geeinigt.
Falls der Ende August tagende Zentralausschuss die Vorschlage der
Sonderkommission annimmt, so wird er auch die Aufgabe haben,
diesen Prinzipien in angemessener Weise praktischen Ausdruck zu
verleihen. Ich hoffe, dass der Zentralausschuss diesen Weg
einschlagen wird. Einige der Schwierigkeiten, die nicht nur
orthodoxe, sondern auch andere ORK-Mitglieder mit dem Rat haben,
konnten auf diese Weise sehr wohl uberwunden werden.  
____________________
Der Autor, Dr. D'Arcy Wood ist pensionierter Pfarrer der
Unionskirche in Australien. Von 1974 bis 1988 lehrte er
Systematische Theologie und Liturgie in Adelaide. Von 1981 bis
1983 war er Vorsitzender der Synode von Sudaustralien und von
1991 bis 1994 Prasident der Nationalen Versammlung. Von 1969 bis
1973 war Dr. Wood Stabsmitglied und von 1984 bis 1988 Prasident
des Nationalen Kirchenrats in Australien.  

Fotos zu diesen Features finden Sie auf unserer Webseite:
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**********
Der Okumenische Rat der Kirchen (ORK) ist eine Gemeinschaft von
342 Kirchen in uber 100 Landern auf allen Kontinenten und aus
praktisch allen christlichen Traditionen. Die romisch-katholische
Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ORK
zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die
ungefahr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ORK wurde 1948 in
Amsterdam (Niederlande) offiziell gegrundet. An der Spitze der
Mitarbeiterschaft steht Generalsekretar Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.

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