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ORK - Osttimor: hoffnung auf neues leben


From "Sheila Mesa" <smm@wcc-coe.org>
Date Thu, 13 Jun 2002 11:29:59 +0200

Okumenischer Rat der Kirchen
ORK-Feature, Feat-02-06
zur Veroffentlichung frei
13. Juni 2002

Osttimor:  hoffnung auf neues leben
Bob Scott 

"Wir haben eine lange Reise hinter uns. Mehr als 220 000 unserer
Mitburger sind ums Leben gekommen. Dennoch sind wir glucklich,
dass unser Land nun endlich unabhangig wird", sagte Pastor
Francisco de Vasconcelos, Moderator der Protestantischen Kirche
in Osttimor, kurzlich bei einem Besuch im Okumenischen Rat der
Kirchen (ORK). "Wie sind eine kleine Kirche, und da wir keine
"Mutterkirche' haben, wenden wir uns an unsere okumenische
Familie".   

Wahrend der mehr als zwei Jahrzehnte anhaltenden Kampfe stand
diese kleine protestantische Kirche vor einem Dilemma. Die
Gemeinden bestanden je zur Halfte aus Indonesiern und Timoresen.
Sie betrachteten sich als Teil einer okumenischen Kirche und
wollten verhindern, dass auch die Kirche aufgrund des politischen
Konflikts auseinander brach. "Fur uns war es wichtig, als
Gottesdienst haltende Gemeinde zusammenzubleiben. Wir wollten uns
nicht miteinander streiten" sagt Vasconcelos. Dies ist einer der
Grunde dafur, dass die internationale Gemeinschaft in den Jahren
des Konflikts kaum amtliche Verlautbarungen dieser Kirche horte.
Stattdessen entschied sich die Kirche Vasconcelos zufolge fur
eine Zusammenarbeit mit der Kirche, der die Bevolkerungsmehrheit
angehort, namlich der Katholischen Kirche unter Bischof Belo.  

Es war eine hochst belastende Zeit fur die kleine Kirche, doch
1994 war die Entscheidung gefallen: Die Kirche wollte sich
offentlich fur Selbstbestimmung einsetzen. Das teilte sie
ihren okumenischen Partnern noch im gleichen Jahr auf einer
Tagung in Hongkong mit. "Wir wussten", so Vasconcelos, "dass sich
viele unserer Bruder und Schwestern in aller Welt Sorgen um uns
machten, und wir sind ihnen dankbar dafur, dass sie uns
unterstutzt haben."   

Einige der Pastoren, darunter Vasconcelos, entschieden sich
personlich dafur, mit der Untergrundbewegung fur die
Unabhangigkeit zu arbeiten. Im September 1999 hiess es,
Vasconcelos sei offenbar von einer der Milizen getotet worden,
die damals uberall im Land verheerende Schaden anrichteten. Er
hatte zuvor bereits mehrere Morddrohungen erhalten. Spater gab es
Berichte, denen zufolge er zusammen mit einigen anderen fuhrenden
kirchlichen Personlichkeiten getotet worden war, als sie
Menschen, die den marodierenden Milizen zu entkommen suchten, auf
der Strasse von der Hauptstadt Dili nach Baucau begleiteten. In
einem damals veroffentlichten Nachruf erklarte der ORK,
Vasconcelos sei "ein mutiger Kirchenfuhrer gewesen, der sich
entschlossen hatte, an der Seite seiner Glaubigen zu bleiben".  

Einen Monat spater stellte sich heraus, dass er am Leben war und
in jenem Teil Osttimors arbeitete, in dem "auch weiterhin Angst
und Schrecken herrschen und erneute Gewalttaten zu befurchten
sind". Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch vier der ursprunglich
27 Pastoren in Osttimor, die meisten waren nach Westtimor
geflohen.   

Gerechtigkeit und Versohnung 

Mit welchen Herausforderungen sind die Kirchen in Osttimor heute
konfrontiert? Die Vereinten Nationen werden zwar noch benotigt,
um die Sicherheit in den Grenzgebieten zu gewahrleisten, doch
ihre anderen Aufgaben haben sie der neuen Regierung ubergeben.
Nun muss nicht nur die staatliche Infrastruktur wieder aufgebaut
werden, die durch die Gewaltakte von 1999 fast vollstandig
zerstort wurde, sondern auch das Bildungswesen, das
Gesundheitswesen und die Wirtschaft - die Partner im Ausland
werden also noch eine Weile gebraucht werden.  

Mit der Unabhangigkeit stellt sich den Kirchen eine neue
Aufgabe: die Versohnung. Die Spaltung geht durch viele Dorfer und
selbst durch Familien. Nicht immer standen im Kampf alle auf der
gleichen Seite. Einige derer, die nach Westtimor geflohen waren,
sind heute recht wohlhabend. Wie konnen sie zuruckkehren und
ihren Brudern und Schwestern unter die Augen treten, die damals
geblieben sind und all die Jahre fast taglich um ihr Leben und
ihren Besitz furchten und Hunger und Krankheit ertragen mussten? 

Die neue Regierung hat bereits eine Wahrheits- und
Versohnungskommission eingesetzt. Vasconcelos fragt sich, ob
"die Versohnung ein Teil der Gerechtigkeit wird oder die
Gerechtigkeit ein Teil der Versohnung? Wir durfen nichts
ubersturzen. Wir mussen uber Gerechtigkeit, aber auch uber
Heilung sprechen. Und wir mussen akzeptieren, dass Versohnung ein
langwieriger Prozess ist." Er spricht von einem "Prozess sozialer
Gerechtigkeit", bei dem nicht nur das Gesetz, sondern auch die
Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft die Voraussetzungen fur
Gerechtigkeit schaffen. Die Sehnsucht nach Frieden ist naturlich
sehr stark. "Wir haben genug von dem Morden, von den 24 Jahren
Konflikt", sagt Vasconcelos. "Jetzt geht es an den Wiederaufbau."
  

Er besuchte den ORK, um die okumenische Gemeinschaft aufzurufen,
die Kirchen und die Menschen in Osttimor zu unterstutzen. "Wir
haben keine direkten Kontakte zu Kirchen oder Hilfswerken in
Europa. In dieser Hinsicht sind wir unabhangig. Wir brauchen
keine Missionare, denn wir wissen, was wir als Kirche in Osttimor
zu tun haben. Was wir brauchen sind Leute, die uns dabei helfen,
unsere Kirchen wieder in die Lage zu versetzen, den Menschen zu
dienen", sagt er.  

Vasconcelos hat Austauschprogramme fur leitende kirchliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeregt. Er weist darauf hin,
dass wahrend der portugiesischen Kolonialherrschaft niemand aus
den protestantischen Gemeinden eine theologische Ausbildung
erhielt. Aus diesem Grund sind die meisten Pastoren in Osttimor
heute relativ jung. Seiner Meinung nach mussen sie mit eigenen
Augen sehen, wie in anderen Kirchen gearbeitet wird, welche
Debatten ihre Bruder und Schwestern im Ausland fuhren und welche
Anliegen sie haben. Der ORK hat daraufhin begonnen, zusammen mit
Kirchen in Osttimor und in Portugal Vorschlage fur ein
Austauschprogramm zwischen Kirchen in beiden Landern
auszuarbeiten.   

Eine kleine Gruppe hat begonnen, die Bildung eines nationalen
Kirchenrates zu erortern. Mitglieder der Pfingstkirche und der
Versammlungen Gottes nehmen bereits an diesem vom ORK
unterstutzten Gesprach teil.   

"Wir wollen als Kirche eine prophetische Rolle in dieser
jungsten Nation des neuen Jahrtausends spielen", sagt
Vasconcelos, "obgleich das nicht einfach sein wird. Es gibt
genugend Leute, die mit Vorschlagen und Anregungen kommen.
Doch wir brauchen eine starke Regierung und eine starke
Zivilgesellschaft, und die Kirche muss dazugehoren".   
_________________

Bob Scott aus Aotearoa/Neuseeland ist Kommunikationsreferent im
ORK-Team fur Information und Offentlichkeitsarbeit. Mit Pastor
Francisco de Vasconcelos sprach er im Mai 2002 bei dessen Besuch
im ORK.   

Fotos zu diesen Features finden Sie auf unserer Webseite:
http://www.photooikoumene.org/countries/countries.html 

Weitere Informationen erhalten Sie vom Buro der
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Der Okumenische Rat der Kirchen (ORK) ist eine Gemeinschaft von
342 Kirchen in uber 100 Landern auf allen Kontinenten und aus
praktisch allen christlichen Traditionen. Die romisch-katholische
Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ORK
zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die
ungefahr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ORK wurde 1948 in
Amsterdam (Niederlande) offiziell gegrundet. An der Spitze der
Mitarbeiterschaft steht Generalsekretar Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.

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