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Medizinische Hilfe zwischen Strassensperren


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Mon, 14 Oct 2002 08:10:28 -0500

Mobile Dorfkliniken im Westjordanland

Ost-Jerusalem/Genf, 11. Oktober 2002 (LWI) - Der Arzt Dr. Shihab
Walid und vier Krankenschwestern laden auf dem Oelberg in
Ost-Jerusalem Kartons mit Medizin in einen Transporter. Geplant
ist ein Besuch im Dorf Quibie in der Westbank. Sie bilden eines
der Teams der mobilen Dorfkliniken, die vom Lutherischen Weltbund
(LWB) in die von der israelischen Armee abgeriegelten
palaestinensischen Doerfer entsandt werden. In den vergangenen
Monaten waren sie fuer viele PalaestinenserInnen eine der wenigen
Verbindungen zur Aussenwelt. Das Team startet vom Auguste
Victoria-Krankenhaus (AVK), das seit 1950 unter treuhaenderischer
Verwaltung des LWB steht und eine zentrale Rolle fuer die
medizinische Versorgung der palaestinensischen Bevoelkerung in der
Westbank hat.

"Die Menschen brauchen einfach Hilfe", begruendet Shihab Walid den
Einsatz der mobilen Dorfkliniken. Der Zugang zu den
Krankenhaeusern in den groesseren palaestinensischen Staedten ist
sehr schwierig geworden. Die israelischen Kontrollpunkte schneiden
die Doerfer von der Aussenwelt ab. Auch das Auguste
Victoria-Krankenhaus ist fuer viele unerreichbar geworden. In
vielen Faellen mussten Frauen ihre Kinder am Kontrollpunkt zur
Welt bringen. Die meisten Menschen koennen die Ambulanz zum
Transport ins Krankenhaus ohnehin nicht bezahlen.

An diesem Tag steht die mobile Klinik in Quibie den Frauen offen.
Die meisten der PatientInnen sind junge Frauen mit ihren Babys auf
dem Arm. Die Versorgung nach der Geburt ist eine der Hauptaufgaben
des Teams. Die mobilen Kliniken sind dafuer ausgeruestet,
leichtere Krankheiten zu behandeln. Tests koennen in einem Labor
vor Ort gemacht werden, Medizin fuer Hautkrankheiten,
Atemwegserkrankungen oder kleinere Verletzungen wird kostenlos
ausgegeben.

Die mobilen Kliniken stellen die medizinische Grundversorgung und
Gesundheitserziehung fuer rund 40.000 Menschen, die in der
Westbank eingeschlossen sind, sicher. "Sie sind auf unseren Dienst
angewiesen", sagt Shihab Whalid. Nicht immer ist es so einfach
fuer die Teams, die Doerfer zu erreichen, wie an diesem Tag. Nach
stundenlangem Warten an israelischen Kontrollposten mussten sie
auch schon unverrichteter Dinge umkehren. Manchmal konnte das
Personal nur unter enormen Schwierigkeiten aus einer Stadt, ueber
die eine Ausgangssperre verhaengt war, herauskommen. "Das
bedeutet, dass wir uns von Haus zu Haus zu einem der Treffpunkte
entlang der Hauptstrassen schleichen muessen, wo Kleinbusse
warten", erklaert Schwester Aida Soudah.

Viele der 180 Angestellten des AVK uebernachten unter der Woche
wegen der extrem eingeschraenkten Bewegungsfreiheit auf dem
Gelaende der Klinik. Sie wollen den Klinikbetrieb nicht
gefaehrden, da immer mehr PalaestinenserInnen darauf angewiesen
sind. "Der Zusammenbruch der palaestinensischen Autonomiebehoerde
und die von der israelischen Armee eingefuehrten Kontrollen und
Beschraenkungen haben zur Folge, dass die Krankenhaeuser in der
Westbank ihren Betrieb nicht aufrecht erhalten koennen", erklaert
Dr. Tawfiq Nasser, Leiter des AVK. Drei Wochen lang ist er nicht
mehr zu Hause bei seiner Familie gewesen.

Das Auguste Victoria-Krankenhaus ist auf Dialyse und
Krebsbehandlung spezialisiert. Fuer die DialysepatientInnen ist
die regelmaessige Behandlung - dreimal woechentlich -
ueberlebenswichtig. Vor einigen Monaten habe das AVK 53 Kranke aus
der Westbank evakuieren muessen, um ihre Behandlung zu
gewaehrleisten. Der sieben Jahre alte Muhammad Azmi ist aus
Dschenin, im Norden der Westbank. Zwischen Jerusalem und Jenin
gibt es mehr als 20 israelische Kontrollstellen. Muhammads Eltern
hatten daher keine andere Wahl, als vorerst nach Ost-Jerusalem zu
ziehen, weil das AVK in der ganzen Westbank der einzige Ort ist,
wo PalaestinenserInnen gegenwaertig eine Dialysebehandlung
erhalten koennen.

PatientInnen, die naeher wohnen, werden von MitarbeiterInnen des
AVK abgeholt, um sicherzustellen, dass sie puenktlich zur Dialyse
kommen, denn die Geraete sind von morgens bis abends ausgebucht.
Die achtjaehrige Suhur laechelt in die Kamera, waehrend sie in der
Dialyseabteilung darauf wartet, an die Schlaeuche zur
Blutreinigung angeschlossen zu werden. Nebenan schaut die
15-jaehrige Rana zur Seite, waehrend die Krankenschwester die
Nadeln an Arm und Leiste anbringt. Ihr Gesichtsausdruck verraet,
dass es weh tut.

Dreimal in der Woche kommen die Maedchen von Hebron nach
Jerusalem, um jeweils vier Stunden am Dialysegeraet zu verbringen.
Nicht immer verlaeuft die Fahrt reibungslos. Einmal zerriss ein
israelischer Soldat den Passierschein eines Maedchens, ein anderes
Mal wurden eine Mutter und ihre Tochter von herumirrenden Kugeln
ins Bein getroffen. Oekumenische Begleiter, die im Auftrag des
Oekumenischen Rates der Kirchen (OeRK) vor Ort sind, sollen
helfen, dass die Krankentransporte durchgelassen werden.
Inzwischen sitzen auch AuslaenderInnen hinter dem Steuer, weil die
palaestinensischen Fahrer oft ohne ersichtlichen Grund - trotz
gueltiger Papiere - zurueckgewiesen werden.

Aber das sind nicht die einzigen Beschraenkungen, klagt Tawfiq
Nasser. Die Klinik wuerde auch gern Bestrahlungen fuer
KrebspatientInnen anbieten. Das Geraet aus Deutschland steht im
Keller, doch die israelischen Behoerden verweigern die
Inbetriebnahme der Anlage, da die mit radioaktivem Material
betrieben wird. Ausserdem wird das Geld fuer den
Krankenhausbetrieb knapp. Kuerzlich konnte Nasser nur die Haelfte
der Gehaelter zahlen, weil er mit dem restlichen Geld Medizin
kaufen musste. Er schaetzt sich gluecklich, dass noch niemand
entlassen werden musste. Angesichts der derzeitigen enormen
Belastungen waere das Krankenhaus ohne Spenden der
Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes und des
internationalen kirchlichen Netzwerkes ACT (Action by Churches
Together - Kirchen helfen gemeinsam), zu dessen
Gruendungsmitgliedern der LWB gehoert, in einer akuten Krise.
"Dauert die Situation bis Ende des Jahres an, wissen wir nicht,
was wir tun werden", sagt Nasser, jedoch ohne den Mut zu
verlieren. (830 Woerter)

(Ein Beitrag von LWI-Korrespondent Rainer Lang.)

Das Auguste Victoria-Krankenhaus
Im Auguste Victoria-Krankenhaus (AVK) in Ost-Jerusalem arbeiten
rund 180 palaestinensische AerztInnen, KrankenpflegerInnen,
TechnikerInnen sowie weitere MitarbeiterInnen, ein Grossteil von
ihnen kommt aus dem Westjordanland. Das AVH ist ein
Allgemeinkrankenhaus, zu dem u.a. eine spezialisierte
Hals-Nasen-Ohren-Klinik gehoert, weiterhin ist das Krankenhaus das
einzige Kinderdialyse-Zentrum fuer das Westjordanland. In
Zusammenarbeit mit der palaestinensischen Autonomiebehoerde ist
das AVH fuer die Behandlung palaestinensischer Fluechtlinge
zustaendig.

Das Auguste Victoria-Krankenhaus ist eines der Projekte im Rahmen
des Jerusalemer Programms der LWB-Abteilung fuer Weltdienst (AWD).
Das heutige Krankenhaus liegt auf dem Oelberg und wurde 1910 als
Teil der Kaiserin Auguste Victoria-Stiftung eingeweiht. Weiterhin
gehoert zum Komplex der Stiftung, benannt nach der letzten
deutschen Kaiserin Auguste Victoria, der Gattin Kaiser Wilhelms
II., die Jerusalemer Himmelfahrtkirche. Die Stiftung wurde nur
vier Jahre entsprechend ihrer urspruenglichen Bestimmung als
Hospiz, Erholungs- und Gemeindezentrum genutzt. Mit Ausbruch des
Ersten Weltkriegs wurde sie militaerisch besetzt und diente als
Hauptquartier der jeweiligen Mandatsmaechte, bis ein Erdbeben 1927
die Gebaeude schwer beschaedigte. Waehrend des Zweiten Weltkriegs
wurden die Hospizgebaeude erstmals als Krankenhaus genutzt.

Nach der Gruendung des Staates Israel 1948 wurde das Auguste
Victoria-Krankenhaus 1950 in die treuhaenderische Verwaltung des
Lutherischen Weltbundes ueberfuehrt. In Absprache und enger
Zusammenarbeit mit dem UN-Hilfswerk fuer palaestinensische
Fluechtlinge UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for
Palestine Refugees in the Near East), das vom Internationalen
Roten Kreuz die Verantwortung fuer die palaestinensischen
Fluechtlinge uebernommen hatte, versorgt das Auguste
Victoria-Krankenhaus vorwiegend Fluechtlinge aus
palaestinensischen Gebieten. Rund 75 Prozent der PatientInnen des
Krankenhauses kommen aus dem Westjordanland bzw. dem Gazastreifen.

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