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Palaestinensische SchuelerInnen in Beit Hanina


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Thu, 06 Mar 2003 10:32:12 -0600

Im Dezember 2002 haben vier JournalistInnen an einer vom
Lutherischen Weltbund (LWB) organisierten JournalistInnenreise
nach Israel/Palaestina teilgenommen. Der Kanadier Michael McAteer,
ehemaliger Leiter der Kirchenredaktion des Toronto Star, bereiste
zusammen mit einem deutschen und zwei suedafrikanischen
JournalistInnen die besetzten palaestinensischen Gebiete und
besuchte Programme des LWB. Bemuehungen um Treffen mit
israelischen RegierungsvertreterInnen waehrend dieser Reise
blieben erfolglos. McAteer hat fuer die Lutherische
Welt-Information (LWI) drei Features verfasst. Anbei finden Sie
den dritten Beitrag.

FEATURE: Jenseits der Kontrollpunkte finden palaestinensische
SchuelerInnen in Beit Hanina eine sichere Zuflucht
LWB-Programm hilft christlichen und muslimischen Auszubildenden,
religioese und kulturelle Unterschiede zu ueberbruecken

Ost-Jerusalem/Genf, 6. Maerz 2003 (LWI) - Angehende Tischler
versammeln sich laechelnd in einer Werkstatt zum Gruppenfoto. In
einem Pausenraum ist gerade ein Tischtennis-Spiel im Gange. Junge
weibliche Auszubildende zeigen mit Stolz ihr Koennen in einem
Klassenzimmer, in dem Telekommunikation unterrichtet wird. Alles
wirkt vollkommen normal, vollkommen sicher.

Fuer junge Auszubildende ist das Berufsbildungszentrum des
Lutherischen Weltbundes (LWB) in Beit Hanina wirklich ein sicherer
Zufluchtsort inmitten einer Umwelt, in der Gewalt, Ausgangssperren
und taegliche Schikanen und Wartezeiten an den israelischen
Militaerkontrollpunkten das Leben bestimmen. Gelegentlich bringen
die Auszubildenden aber auch ihren Zorn und ihre Frustration in
das Zentrum mit und stoeren damit die Ruhe. An ganz trivialen
Dingen koennen sich Auseinandersetzungen und Streit entzuenden.

"Die SchuelerInnen leiden, sie sind die am staerksten betroffene
Altersgruppe", sagt die Direktorin des Ausbildungszentrums, Randa
Hilal Nassar. Die Stadt Ramallah ist nur sieben bis zehn Minuten
entfernt, doch koennen die Auszubildenden bis zu einer Stunde oder
noch laenger unterwegs sein, um von zu Hause ins
Ausbildungszentrum zu gelangen. Es haengt viel von der Laune der
SoldatInnen an den Kontrollstellen ab oder von der Farbe des
Ausweises der Lehrlinge.

In der Hoffnung, Zorn und Frustration abzubauen, bietet das
Ausbildungszentrum psychologische Beratung und
Sportveranstaltungen an und leistet so einen Beitrag zum Aufbau
der palaestinensischen Zivilgesellschaft. Fuer Auszubildende, die
wegen der Schliessung von Kontrollpunkten oder wegen der
Wartezeiten das Ausbildungszentrum von zu Hause nicht erreichen
koennen, stehen 60 Unterkuenfte im Zentrum zur Verfuegung, was
zusaetzlich an den ohnehin schon sehr knappen finanziellen Mitteln
zehrt.

Es kostet groesste Anstrengungen, das Zentrum offen und in Betrieb
zu halten, zumal die palaestinensische Wirtschaft zur Zeit am
Boden liegt, die Infrastruktur zerstoert ist, die Arbeitslosigkeit
in einigten Gebieten bei 80 Prozent liegt und die meisten
PalaestinenserInnen weniger als zwei US-Dollar pro Tag zum Leben
haben.

"Wir stehen am Rand einer Katastrophe" betont Nassar. Sie ist
Mutter von drei Kindern und hat ihr Studium im Bereich
Elektrotechnik an einer britischen Universitaet absolviert. Trotz
aller Schwierigkeiten steigt die Zahl der Auszubildenden. Zur Zeit
sind es 183, im Vergleich dazu waren es vor zwei Jahren 102. Immer
mehr Eltern bemuehen sich um ein sicheres Umfeld und um eine
qualitativ gute Ausbildung fuer ihre Kinder.

Jahrzehntelang hat das Ausbildungszentrum in Beit Hanina nur junge
Maenner zu Automechanikern, Tischlern und Zimmerleuten,
Heizungsbauern sowie Installateuren ausgebildet. Im Jahr 2000 kam
Telekommunikation fuer weibliche Auszubildende hinzu und es wurden
zwei zusaetzliche weibliche Lehrkraefte angestellt. Inzwischen
werden 23 junge Frauen im Zentrum ausgebildet. Es wird angestrebt,
in gleichem Umfang maennlichen und weiblichen Lehrlingen eine
Ausbildung zu ermoeglichen.

Da immer weniger palaestinensische Familien Schulgeld fuer ihre
Kinder zahlen koennen, hat das Ausbildungszentrum ein Programm ins
Leben gerufen, dass es den Auszubildenden ermoeglichen soll, durch
ihre eigene Arbeit selbst fuer die Kosten aufzukommen. Etwa
fuenfzehn Prozent der Auszubildenden im Zentrum sind ChristInnen,
die anderen sind MuslimInnen. Dank dieser Zusammensetzung kann
dazu beigetragen werden, die religioesen und kulturellen
Unterschiede zu ueberbruecken und das gegenseitige Verstaendnis zu
foerdern. Manche muslimische Lehrlinge aus laendlichen Gebieten
sind vor ihrer Ausbildung im Zentrum niemals ChristInnen begegnet.

Direktorin Nassar kann die Frustration verstehen, die junge
Menschen in die Gewalttaetigkeit treibt, aber sie entschuldigt sie
nicht. "Gewalt hilft uns nicht weiter, sie schadet den
PalaestinenserInnen", betont sie. Trotz des anhaltenden Konflikts
und der taeglichen Schikanen gegen PalaestinenserInnen blickt sie
mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft.

"Schliesslich koennen Menschen doch nicht immer so leben", sagt
sie. "Sie sehnen sich nach einem gerechten Frieden." (586 Woerter)

(Ein Beitrag von Michael McAteer, Kanada.)

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