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Mit Gewalt kann kein Frieden geschaffen werden


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Fri, 07 Mar 2003 09:30:33 -0600

LWB-Generalsekretaer Noko fordert Dialog zur Foerderung von
gegenseitigem Verstaendnis und gegenseitigen Beziehungen

Genf, 7. Maerz 2003 (LWI) - Der Generalsekretaer des Lutherischen
Weltbundes (LWB), Pfr. Dr. Ishmael Noko, hat sich klar gegen ein
militaerisches Eingreifen im Irak ausgesprochen. In einem
Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) betonte
Noko, viele lutherische Kirchen weltweit seien sich in der
Position einig, dass Krieg und Gewalt als politisches Mittel oder
als Werkzeug der Gerechtigkeit abzulehnen seien. Diese
Gemeinsamkeit bestehe nicht nur zwischen den Erklaerungen und
Positionen lutherischer Kirchen, sondern auch in der Oekumene in
ihrer gesamten Bandbreite.

Die humanitaeren Folgen eines Krieges, wie die Toetung und
Verstuemmelung Unschuldiger sowie der Tod vieler Menschen durch
Hunger und Krankheiten, stuenden im direkten Widerspruch zur
Achtung des Ebenbildes Gottes in allen Menschen. Ein
militaerisches Eingreifen im Irak werde auch mit groesster
Wahrscheinlichkeit die Beziehungen zwischen Christentum und Islam
nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in den anderen Regionen
gravierend ueberschatten.

Der zur Diskussion stehende Krieg gegen den Irak unter Fuehrung
der USA werde nicht zu mehr Frieden und Sicherheit im
internationalen Bereich beitragen, so LWB-Generalsekretaer Noko.
Er sei ueberzeugt, dass ein Krieg "das Gegenteil zur Folge haben
wird - eine Polarisierung des Westens und der islamischen Welt
sowie darueber hinaus eine Schaedigung der Beziehungen der USA zu
vielen ihrer historischen Freunde und Verbuendeten."

Selbst ein ueberwaeltigender militaerischer Sieg der USA und ihrer
Verbuendeten auf den irakischen Schlachtfeldern wuerde sehr
wahrscheinlich nur eine neue Generation zorniger und
radikalisierter KaempferInnen motivieren, betonte Noko.

Seit langem vertrete der LWB die Position, "dass mit Gewalt kein
Frieden geschaffen werden kann, sondern dass sie nur zu mehr
Gewalt fuehrt. Wir haben diese Position besonders im Zusammenhang
mit dem israelisch-palaestinensischen Konflikt artikuliert, sie
ist jedoch allgemein anwendbar." Menschliche Sicherheit entstehe
aus gegenseitigem Verstaendnis und gegenseitigen Beziehungen auf
der Grundlage von Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.

Das Hauptinstrument zur Foerderung eines solchen Verstaendnisses
und solcher Beziehungen - und folglich auch zur Bekaempfung von
Extremismus und Terrorismus - sei der Dialog, erklaerte Noko.
"Durch den Dialog koennen wir in unserem Gegenueber das uns
gemeinsame Menschsein erkennen und die Feindbilder ueberwinden,
die von Extremismus und Terrorismus verbreitet werden. Durch den
Dialog koennen wir auch das Unrecht und die Ungerechtigkeit besser
verstehen und ihnen begegnen, aus denen die Ablehnung und Wut
entstehen, die der Naehrboden des Extremismus sind." (386 Woerter)

Im Folgenden finden Sie das Interview von LWB-Generalsekretaer
Pfr. Dr. Ishmael Noko mit der Lutherischen Welt-Information (LWI)
im vollen Wortlaut:

Interview mit LWB-Generalsekretaer Pfr. Dr. Ishmael Noko zur
Irakkrise
7. Maerz 2003

Lutherische Welt-Information (LWI): In den vergangenen Wochen
wurde in aller Welt gegen einen Krieg im Irak demonstriert. An den
Demonstrationen beteiligten sich auch viele ChristInnen. Welche
Rolle koennen Kirchen und ChristInnen in dieser Diskussion
spielen?

Noko: Kirchen und ChristInnen kommt in der aktuellen
internationalen Debatte eine wesentliche Rolle zu - als
ProphetInnen des Friedens. Diese Aufgabe ist keineswegs ein
peripheres Element der Sendung der Kirche, vielmehr gehoert sie zu
deren Kern. Die ChristInnen, die sich am weltweiten Widerstand
gegen den Krieg beteiligen, handeln entsprechend dieser
prophetischen Berufung.

Die humanitaeren Folgen des Krieges - ein dezenter Euphemismus
fuer die Toetung und Verstuemmelung Unschuldiger sowie den Hunger
und die Krankheiten, die viele weitere Menschenleben fordern
werden - stehen im direkten Widerspruch zur wirklichen Achtung des
Ebenbildes Gottes in allen Menschen. Wenn das reale menschliche
Leid, das ein militaerisches Vorgehen nach sich ziehen wuerde,
nicht eindeutig und spezifisch Beruecksichtigung findet, wird
Krieg zur "gefaehrlichen Metapher", zur "toedlichen Abstraktion".

Es ist bekannt, dass im Irak nach einem Jahrzehnt Sanktionen die
Infrastruktur fuer die sichere Versorgung mit Grundguetern wie
Wasser und Strom sowie fuer die medizinische Versorgung stark in
Mitleidenschaft gezogen ist. Ueber die erschreckende
Saeuglingssterblichkeit, die vor allem auf verunreinigtes Wasser
und Mangelernaehrung zurueckzufuehren ist, wurde weithin
berichtet. Bei einer Gesamtbevoelkerung von 22 bis 24 Millionen
Menschen ist davon auszugehen, dass 15 Millionen Irakis
vollstaendig von der Versorgung mit Nahrungsmittelhilfe abhaengig
sind. Wie "gezielt" die geplanten Militaerschlaege auch sein
moegen, es ist leicht abzusehen, welche humanitaere Katastrophe
eine weitere Zerstoerung der geschwaechten irakischen
Infrastruktur durch einen wie auch immer gearteten militaerischen
Angriff zur Folge haben wird.

Die Nachfolge unter dem Kreuz erfordert, Leiden bewusst
wahrzunehmen und zu benennen, kurz- wie langfristig, und nicht
etwa zuzulassen, dass Krieg von Abstraktionen verschleiert
stattfindet. So die Wahrheit zu sagen und Leiden unbeschoenigt zu
benennen, muss Teil der ethischen Entscheidungsfindung sein, die
vor, waehrend und nach jeglichem Konflikt erforderlich ist.

LWI: Viele lutherische Kirchen in aller Welt haben in den
vergangenen Wochen und Monaten Erklaerungen zur Irakkrise
abgegeben. Nehmen Sie eine gemeinsame Position wahr?

Noko: Wo die Gemeinsamkeit liegt, ist klar: Krieg und Gewalt
werden als politisches Mittel oder als Werkzeug der Gerechtigkeit
abgelehnt. Diese Gemeinsamkeit besteht nicht nur zwischen den
Erklaerungen und Positionen lutherischer Kirchen, sondern auch in
der Oekumene in ihrer gesamten Bandbreite. Seit dem Kampf gegen
die Apartheid in Afrika habe ich unter den Kirchen zu keinem Thema
mehr einen solchen magnus consensus wahrgenommen.

LWI: Eine Erklaerung des LWB-Rates bei seiner Tagung 2002
anlaesslich des ersten Jahrestages der Terroranschlaege auf die
USA am 11. September betonte die Ueberzeugung des LWB, dass
militaerische Mittel nicht die Sicherheit schaffen werden, nach
der wir, die Welt, streben. Wird der Krieg gegen den Irak unter
Fuehrung der USA zu groesserer weltweiter Sicherheit fuehren?

Noko: Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stellt
die weltweite Sicherheit vor eine neue, gewaltige Herausforderung,
auf die reagiert werden muss. Eine Reaktion, die primaer
militaerischer Art ist und die sich als rein "westlicher" oder
"christlicher" Feldzug gegen ein muslimisches Land interpretieren
laesst, birgt das Risiko, den "Kampf der Kulturen" zu foerdern -
was ja gerade der Zielsetzung der TerroristInnen entspricht -
anstatt die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Das zur
Diskussion stehende militaerische Eingreifen im Irak wird gerade
im Hinblick auf die gegenwaertig anzunehmende Konstellation von
Akteuren mit groesster Wahrscheinlichkeit die Beziehungen zwischen
Christentum und Islam nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in
den anderen Regionen gravierend ueberschatten.

Ein rein militaerisches Vorgehen ist voellig unangemessen, um
einer Bedrohung zu begegnen, die nicht traditionell militaerischer
Art ist, sondern ihre Kraft aus dem Empfinden bezieht, man werde
von den vorherrschenden militaerischen, politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Maechten verfolgt und
angegriffen, wie es einige Einzelpersonen und Gemeinschaften - zu
Recht oder zu Unrecht - wahrnehmen. Selbst ein ueberwaeltigender
militaerischer Sieg der USA und ihrer Verbuendeten auf den
irakischen Schlachtfeldern wuerde sehr wahrscheinlich nur eine
neue Generation zorniger und radikalisierter KaempferInnen
motivieren.

Es sind bisher keine ueberzeugenden Beweise fuer die angeblichen
Verbindungen zwischen dem irakischen Regime und terroristischen
Elementen sowie dafuer, dass der Irak angeblich ueber
Massenvernichtungswaffen und die Moeglichkeit, diese einzusetzen,
verfuegt, erbracht worden - weder gegenueber der Oeffentlichkeit
noch offensichtlich gegenueber zahlreichen politischen
EntscheidungstraegerInnen, die auf hoechster Ebene an der
internationalen Debatte beteiligt sind. Geruechte und Angst sind
als Grundlage fuer die Entfesselung der Daemonen des Krieges und
die Inkaufnahme des menschlichen Leids, das ein Krieg
unvermeidlich nach sich zieht, zutiefst unzureichend.

Meiner Ansicht nach wird der zur Diskussion stehende Krieg gegen
den Irak unter Fuehrung der USA nicht zu mehr Frieden und
Sicherheit im internationalen Bereich beitragen. Ich bin der
Ueberzeugung, dass er das Gegenteil zur Folge haben wird - eine
Polarisierung des Westens und der islamischen Welt sowie darueber
hinaus eine Schaedigung der Beziehungen der USA zu vielen ihrer
historischen Freunde und Verbuendeten.

LWI: Wie steht es mit der Rolle der Vereinten Nationen und der
Moeglichkeit eines Angriffs ohne deren Zustimmung?

Noko: Im Rahmen des Konsenses der Kirchen, den ich eben
beschrieben habe, wird auch die wesentliche Rolle der Vereinten
Nationen in diesem Prozess bekraeftigt sowie Unilateralismus und
der Gedanke eines "Praeventivkriegs" oder einer "Koalition der
Willigen" ausserhalb der Struktur der Vereinten Nationen
abgelehnt. Jegliches militaerische Vorgehen ausserhalb des von der
Charta der Vereinten Nationen vorgegebenen, etablierten Rahmens
kann nur zu einer weiteren Schwaechung des Systems der kollektiven
Sicherheit beitragen, das in der Folge des Zweiten Weltkriegs
geschaffen wurde, als alle Mitglieder der Voelkergemeinschaft noch
unter dem akuten Eindruck der Schrecken des Krieges standen. Die
Charta zu untergraben, wuerde faktisch bedeuten, die Herrschaft
des Rechts durch das "Gesetz des Dschungels" zu ersetzen. Fuer
Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene bestehen dann die
besten Chancen, wenn die Maechtigen bereit sind, ihre Macht der
Herrschaft des Rechts zu unterwerfen - im Sicherheitssystem der
Vereinten Nationen ist diese Chance verkoerpert.

LWI: Wie steht es um das Konzept des gerechten Krieges?

Noko: Die Kriterien fuer einen "gerechten Krieg" wurden als Rahmen
fuer die Auseinandersetzung mit den Problemen im Bereich der
internationalen Beziehungen entwickelt, im Angesicht der Realitaet
der Suende und der andauernden Konflikte, die die menschliche
Gemeinschaft heimsuchen.

Nach der Theorie vom gerechten Krieg sollte sich eine Entscheidung
zur Gewaltanwendung unter anderem auf die Prinzipien des
"gerechten Grundes", der "rechten Absicht", der "legitimen
Autoritaet", des "letzten Mittels" sowie der
"Verhaeltnismaessigkeit" stuetzen. Nach Luther kann nur die
Verteidigung des eigenen Landes einen "gerechten Grund" fuer einen
Krieg darstellen, Angriffs- oder Praeventivkriege sind eindeutig
ausgeschlossen. Entsprechend dem Prinzip der "rechten Absicht"
kann nur die Absicht, den Frieden und die bisherige Ordnung
wiederherzustellen, einen Krieg rechtfertigen. Das Ziel, einen
Feind voellig zu vernichten, oder eine religioese Begruendung fuer
einen Krieg stellen keine "rechte Absicht" dar. "Legitime
Autoritaet" erfordert, dass die Entscheidung, militaerische Mittel
anzuwenden, von einer rechtmaessig konstituierten
Regierungsautoritaet getroffen wird (was gewoehnlich so
interpretiert wird, dass in der modernen zwischenstaatlichen
Konstellation die Vereinten Nationen hierin eingeschlossen sind).
Krieg muss "letztes Mittel" sein und kann nur dann in Erwaegung
gezogen werden, wenn alle friedlichen Mittel zur
Konfliktbewaeltigung und zur Wiederherstellung der urspruenglichen
Gegebenheiten ausgeschoepft sind. Schliesslich muessen die
militaerischen Mittel und Methoden, die zum Einsatz kommen, sowie
das verursachte menschliche Leid und die verursachten Kosten in
einem angemessenen Verhaeltnis zur Zielsetzung stehen.

Diese Kriterien haben besondere Relevanz fuer die Beurteilung der
ethischen Angemessenheit eines Praeventivkriegs gegen den Irak.
Hier geht es um ein offensives (nicht defensives) militaerisches
Vorgehen, das verheerende Auswirkungen auf die direkt Betroffenen
haette und wahrscheinlich zu noch mehr politischer Instabilitaet
in der Region wenn nicht gar weltweit fuehren wuerde. Von
Bedeutung ist dabei, dass diese Kriterien diejenigen, die einen
Krieg in Betracht ziehen, zu einer genauen Pruefung ihrer eigenen
Motive sowie zur Aufrichtigkeit im Blick auf ihre eigenen
Interessen anhalten, anstatt sich primaer auf die vermuteten
Motive anderer zu konzentrieren.

Weiterhin ist in der gegenwaertigen Situation zu betonen, dass
diese Kriterien entwickelt wurden, um den Einsatz kriegerischer
Mittel einzuschraenken und nicht etwa, um einen Rahmen fuer die
ethische Rechtfertigung militaerischer Massnahmen zu bieten.

In jedem Fall bleibt festzustellen, dass das traditionelle Konzept
des gerechten Krieges von VerfechterInnen eines auf Frieden
ausgerichteten Ansatzes zunehmend mehr hinterfragt wird. Ob die
Theorie des gerechten Krieges im Zeitalter der
Massenvernichtungswaffen und des internationalen Terrorismus noch
angemessen und relevant ist, bleibt klaerungsbeduerftig. Diese
Frage sollte von den Kirchen geprueft werden; dies gilt
insbesondere z. B. fuer diejenigen lutherischen Kirchen, die die
Theorie des gerechten Krieges in ihre Theologie integriert haben.

Die Frage, mit der wir heute konfrontiert sind, lautet, ob Krieg
an sich ueberhaupt je gerecht sein bzw. den Zielen der
Gerechtigkeit oder Gottes Heilsplan dienen kann. Ich muss
bekennen, dass ich persoenlich dies nicht glaube.

Selbst im Alten Testament, wo viele Texte von Situationen zu
handeln scheinen, in denen im Streben nach der Verwirklichung von
Gottes Plan militaerische Loesungen zum Einsatz kommen, zeigt sich
bei naeherer Betrachtung, dass militaerische Massnahmen nie eine
dauerhafte Loesung herbeifuehrten. Hinter diesen biblischen
Erzaehlungen steht die Botschaft, dass militaerische und
politische Macht und die Loesungen, die mit ihnen zu erzielen
sind, keine Dauer haben - was bestehen bleibt, sind Gerechtigkeit,
Liebe und Versoehnung.

LWI: Welche Alternative bietet sich in der gegenwaertigen
Situation? Mit welchen Mitteln kann der Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus wirksam begegnet werden?

Noko: Der LWB vertritt seit langem die Position, dass mit Gewalt
kein Frieden geschaffen werden kann, sondern dass sie nur zu mehr
Gewalt fuehrt. Wir haben diese Position besonders im Zusammenhang
mit dem israelisch-palaestinensischen Konflikt artikuliert, sie
ist jedoch allgemein anwendbar. Zwar sind Handfeuer- und andere
Kriegswaffen notwendig fuer die legitime Verteidigung gegen einen
Angriff, mit ihnen kann jedoch keine menschliche Sicherheit
geschaffen werden, dies liegt nicht in ihrer Natur oder ihrem
Zweck. Menschliche Sicherheit entsteht aus gegenseitigem
Verstaendnis und gegenseitigen Beziehungen auf der Grundlage von
Gerechtigkeit und Gleichbehandlung. Das Hauptinstrument zur
Foerderung eines solchen Verstaendnisses und solcher Beziehungen -
und folglich auch zur Bekaempfung von Extremismus und Terrorismus
- ist der Dialog. Durch den Dialog koennen wir in unserem
Gegenueber das uns gemeinsame Menschsein erkennen und die
Feindbilder ueberwinden, die von Extremismus und Terrorismus
verbreitet werden. Durch den Dialog koennen wir auch das Unrecht
und die Ungerechtigkeit besser verstehen und ihnen begegnen, aus
denen die Ablehnung und Wut entstehen, die der Naehrboden des
Extremismus sind.

In der Folge der Terroranschlaege des 11. September 2001 aeusserte
die ueberwaeltigende Mehrheit der muslimischen
VerantwortungstraegerInnen in Religion und Politik weltweit ihre
Ablehnung gegenueber solchen Taten im Namen des Islam. Zu diesem
Zeitpunkt haette die Moeglichkeit bestanden, durch den Dialog
ueber politische und religioese Graeben hinweg starke Buendnisse
gegen die ExtremistInnen aufzubauen, die einen "Kampf der
Kulturen" zu provozieren suchten. Dialog, nicht Krieg, haette die
erste und vorrangige Strategie im Kampf gegen Terrorismus und
Extremismus sein muessen.

Ein Beispiel fuer diesen Ansatz bietet der Interreligioese
Friedensgipfel in Afrika, den der LWB im Oktober 2002 in
Johannesburg initiierte. Dort trafen mehr als 100
ReligionsfuehrerInnen aus ganz Afrika zusammen, die Christentum,
Islam, afrikanische traditionelle Religionen, Judentum, Buddhismus
und Hinduismus vertraten, um praktische Schritte im Bereich des
interreligioesen Dialogs und der Zusammenarbeit fuer den Frieden
in Afrika zu diskutieren. Im Verlauf dieser Gespraeche trat die
Bedeutung persoenlicher Begegnungen und Gespraeche sowie des
Erfahrungsaustausches deutlich zu Tage. Schwerpunkt des Gipfels
waren praktische Schritte zur Ueberwindung eines gemeinsamen
Problems, der Konflikte in Afrika, und weniger die Formulierung
von Erklaerungen oder akademische Diskussionen.

Sowohl im Blick auf die akute Krise im Zusammenhang mit dem Irak
als auch auf die zunehmend von Spannungen gepraegten Beziehungen
zwischen Christentum und Islam insgesamt, die durch die Irakkrise
weiter verschlechtert wurden, sind interreligioeser Dialog und
Zusammenarbeit von zentraler Bedeutung fuer die Vermeidung
zukuenftiger Konflikte. Wo beide Gemeinschaften voneinander
isoliert leben und dementsprechend Feindbilder sehr viel leichter
verinnerlicht werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu
Gewalt kommt, um ein Vielfaches groesser. Im Gegenzug nimmt die
Gefahr, dass Menschen aus der angespannten Erwartung des
prophezeiten "Kampfes der Kulturen" heraus diesen zur Realitaet
werden lassen, mit jeder persoenlichen Begegnung zwischen einem
Christen/einer Christin und einem Muslimen/einer Muslimin ab, in
der beide einander als Mensch wahrnehmen koennen mit den gleichen
Hoffnungen fuer seine/ihre Kinder und den gleichen
Zukunftsaengsten.

Viele Menschen fuerchten die Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus. Nach den Ereignissen des 11. September 2001 und dem
Anschlag von Bali waere es falsch, den Eindruck erwecken zu
wollen, dass diese Angst unbegruendet ist. Als ChristInnen muessen
wir uns jedoch, aus unserer Ueberzeugung heraus, dass, ganz egal,
wie angsterfuellt die Welt ist, unsere Hoffnung und Sicherheit im
Gott des Friedens und der Versoehnung gruenden, der durch das
Kreuz offenbar wurde, allen Appellen und Schritten, die durch
Angst motiviert sind, energisch widersetzen. Wir leben aus der
Gnade Gottes, nicht durch unsere Werke. Dies befreit uns von der
Angst, dass unsere Sicherheit letztlich von politischer oder
militaerischer Macht abhaengig ist. Wir sind befreit von jeder Art
politischem Messianismus, der das Reich Gottes mit bestimmten
politischen Programmen gleichsetzt und unsere FeindInnen
daemonisiert.

LWI: In der Darstellung derjenigen, die sich fuer einen Krieg
gegen den Irak einsetzen, ist der Begriff des Boesen und die
Vorstellung von Saddam Hussein als der Verkoerperung des Boesen
von grosser Bedeutung und wird mit einem nahezu religioesen
Unterton versehen. Ist dies eine aus biblischer Sicht angemessene
Art und Weise, den Begriff "das Boese" zu verwenden?

Noko: Saddam Hussein und sein Regime haben dem irakischen Volk und
auch den Menschen im Iran und in Kuwait grosses Leid zugefuegt.
Sein bisheriges Verhalten zeigt, dass er nicht einmal die
grundlegendsten Prinzipien der Menschenrechte, der Gerechtigkeit
und einer ethisch bestimmten Regierungsfuehrung akzeptiert.

Hier von "dem Boesen" zu sprechen, stellt jedoch einen Versuch
dar, die in allen menschlichen Beziehungen und Handlungen
praesente Suende nach aussen zu projizieren und diese Suende einem
politischen und militaerischen Feind zuzuschreiben. Diese
Strategie ist seit jeher weithin gebraeuchlich, um politische und
militaerische Ziele zu verwirklichen.

Das Boese ist eine Realitaet und diejenigen, die boese Taten
vollziehen oder boese Zielsetzungen verfolgen, verkoerpern die
Existenz des Boesen in unserer Welt. Jedoch aus
Selbstgerechtigkeit anzunehmen, dass wir die Kraefte der Suende
und des Boesen in der Welt besiegen koennen, ist eine Anmassung,
die der grundlegenden paulinischen und lutherischen Sicht des
Menschseins widerspricht.

Menschliche Interessen und Handlungen sind nie frei von Schuld,
ueberall herrscht Taeuschung. Dies zeigt sich auch in der
Tatsache, dass einige derjenigen Regierungen, die jetzt ein
militaerisches Vorgehen gegen den Irak fordern, um das Regime
Saddam Husseins zu entwaffnen, urspruenglich selbst viele dieser
Waffen geliefert haben.

Gut und Boese sind in all unseren Handlungen eng miteinander
verwoben. Daher ist Demut erforderlich, sowohl im persoenlichen
als auch im politischen Bereich. Wir sind mitschuldig am Versagen
der Welt, an Unrecht und Gewalt und koennen uns nicht anmassen,
ausserhalb dieses Dilemmas zu stehen. Diejenigen, die sich gegen
ihre FeindInnen zur Wehr setzen, werden ihnen oft gleich. Rache
und Gewalt erzeugen mehr Rache und Gewalt. Dieser Teufelskreis
gehoert zu unserer menschlichen Versklavung, die letztlich nur von
Gott, nicht aber durch menschliches Bemuehen erloest werden kann.

Diese theologische Anthropologie kann zu einem negativen
Fatalismus im Blick auf menschliche Entscheidungs- und
Handlungsspielraeume fuehren. Sie kann aber auch realistischere
Urteile und Reaktionen hervorbringen, die weder den menschlichen
Hang zum Boesen noch die menschliche Neigung zum Guten naiv
betrachten. Eine solche Anthropologie stellt den Sinn
militaerischer Angriffe, die unvermeidlich Leid fuer Unschuldige
zur Folge haben, aller Wahrscheinlichkeit nach denen in die Haende
spielen, die als "boese" dargestellt werden, und gar in eine noch
dramatischere Gewaltspirale muenden koennten, ernstlich in Frage.
Jesus stellt die Logik des Krieges auf den Kopf, wenn er sagt
"liebet eure Feinde", und regt zur Suche nach alternativen
Reaktionen auf das Boese an. Eine realistische Sicht des
Menschseins erfordert eine umfassendere Diskussion, die
verschiedene Perspektiven aus der ganzen menschlichen Gemeinschaft
beruecksichtigt, und nicht nur eine einseitig erzwungene
"gerechte" Loesung.

Der Praesident der Vereinigten Staaten von Amerika stellt die
Situation immer wieder so dar, als sei die uebrige Welt entweder
"fuer oder gegen ihn", eignet sich so Jesu Worte an und
verfaelscht sie ("Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich", Mt.
12,30). Die Dichotomie zwischen den Kraeften des Guten und denen
des Boesen wird so manichaeisch konsequent aufgebaut, dass kein
weiteres ethisches Nachdenken mehr erforderlich ist. Eine
dogmatische Buchstabentreue bzw. ein dogmatischer Fundamentalismus
gewinnt die Oberhand und wird leicht zum Freifahrschein zum
Totalitarismus. Im Kontext eines solchen Dualismus unterliegt
Widerspruch der Zensur oder wird als unpatriotisch abgestempelt.
Hieraus kann ein zunehmender Fanatismus auf der einen oder anderen
Seite erwachsen - auf der einen Seite, wenn Saddam Hussein als die
Quelle des Boesen betrachtet wird, auf der anderen, wenn die
Vereinigten Staaten entsprechend wahrgenommen werden. Wenn eine
Person oder ein Land "boese" genannt werden, beansprucht die
Person, die dies sagt, das Gute fuer sich selbst, behauptet damit,
auf der Seite Gottes zu stehen und entzieht die eigene Position so
jeder Kritik.

LWI: Wie sehen Sie die zunehmend anti-amerikanische Stimmung in
Europa und in anderen Teilen der Welt im Kontext der
gegenwaertigen Entwicklungen?

Noko: Die weltweit spuerbare, zunehmend anti-amerikanische Haltung
ist eine grosse Herausforderung an unser Verstaendnis von
Communio. Es muss klar unterschieden werden zwischen dem
amerikanischen Volk und der amerikanischen Regierung - und auch
zwischen den einzelnen politischen FuehrerInnen als Menschen und
der von ihnen vertretenen Politik.

In diesem Zusammenhang moechte ich Bischof Mark Hanson und der
Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika meine
besondere Hochachtung aussprechen, die immer wieder in wahrhaft
prophetischer Weise die gesamte Gemeinschaft des LWB in ihrem
eigenen Kontext und gegenueber ihrer politischen Fuehrung
vertreten haben. Ich bitte daher alle LWB-Mitgliedskirchen fuer
die Leitung und die Mitglieder ihrer Schwesterkirchen in den USA
zu beten und ihnen in ihrem Bemuehen, ihrer prophetischen Berufung
zu entsprechen, zur Seite zu stehen. (2.893 Woerter)

*	*	*

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund 61,7 Millionen der
weltweit rund 65,4 Millionen LutheranerInnen in 76 Laendern
angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der
Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen Organisationen.
Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen
gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische Beziehungen, Theologie,
humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene
Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst
des Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes
Material gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die
Haltung oder Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder.
Die mit "LWI" gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit
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***
LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
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Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
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