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VRK: Interview mit Raiser


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Date Wed, 04 Jun 2003 15:49:01 +0200

Vkumenischer Rat der Kirchen
zur Vervffentlichung frei Feat-03-07
4. Juni 2003

Die Protest der Kirchen gegen den Krieg hat ihre moralische Position in der
Gesellschaft gestdrkt

Als die Militdraktionen im Irak beendet waren, mussten die Gegner der
militdrischen Invasion sich mit der - von den Medien und den militdrischen
Siegern vermittelten - Einschdtzung auseinander setzen, dass der Krieg ein
"Erfolg" war. Der Generalsekretdr des Vkumenischen Rates der Kirchen (VRK),
Pfr. Dr. Konrad Raiser, beantwortet im nachfolgenden Interview die
"kritischen Fragen", die Organisationen wie dem Rat, welche in der
Anti-Kriegs-Bewegung eine wichtige Rolle haben, gestellt werden. Er geht auch
auf den "Friedensfahrplan" ein, der eine dauerhafte Zwei-Staaten-Lvsung f|r
den israelisch-paldstinensichen Konflikt ermvglichen soll.  

Frage: In einer fr|heren Stellungnahme als Generalsekretdr haben Sie den
Krieg als "unmoralisch, unrechtmd_ig und unklug " bezeichnet. Nun war es aber
ein Krieg, der schnell beendet war, als "erfolgreich" bezeichnet wird und ein
Minimum an Opfern gefordert hat. Das irakische Volk scheint sich |ber die
Befreiung von einem brutalen Diktator zu freuen. Und deshalb stellen sich
jetzt viele Menschen die Frage, ob der VRK eingestehen wird, dass er die Lage
falsch eingeschdtzt hat.

Antwort: Es gibt gegenwdrtig nur wenig Anlass zu glauben, dass das irakische
Volk sich |ber die Art und Weise freut, wie es "befreit" worden ist. Dass der
Krieg kurz und "erfolgreich" war - zumindest im Blick auf die Beendigung des
Regimes von Saddam Hussein -, ist eine Tatsache. Trotzdem bleibe ich bei
meiner fr|heren kritischen Einschdtzung der Lage. Militdrischer Erfolg
begr|ndet keine moralische Legitimitdt.

Nach den Kriterien der klassischen Kriegs- und Friedensethik muss dieser
Krieg als unmoralisch charakterisiert werden. Es war ein Prdventivkrieg und
wurde keineswegs "als letztes Mittel" eingesetzt. Niemand, noch nicht einmal
die Regierung der Vereinigten Staaten, leugnet, dass der Krieg eine
Verletzung der bestehenden vvlkerrechtlichen Normen, angefangen mit der
Charta der Vereinten Nationen bis zu den Genfer Konventionen, darstellte und
daher als "unrechtmd_ig" eingestuft werden muss.

Bleibt noch die Frage der politischen Zweckmd_igkeit des Einsatzes
militdrischer Gewalt gegen den Irak. Der Hauptgrund, der f|r diesen Krieg
angef|hrt wurde, war, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze und
bereit sei, sie einzusetzen, und damit eine unmittelbare Gefahr f|r den
Weltfrieden und f|r die Sicherheit der Vereinigten Staaten darstelle. Bislang
sind keine solchen Waffen gefunden worden, und selbst wenn sie existieren,
sind sie nicht eingesetzt worden. Somit entsprach die Behauptung, die
Sicherheit der amerikanischen Bevvlkerung sei durch diese Waffen gefdhrdet,
nicht der Wirklichkeit. Deshalb besteht der grv_te "Erfolg" dieses Krieges
darin, dass er seine offiziell angef|hrte Rechtfertigung selbst widerlegt
hat.

Langfristig wird sich, davon bin ich nach wie vor |berzeugt, zeigen, dass der
Krieg keines der politischen Probleme gelvst hat, die als Kriegsziele genannt
wurden, und dass er ein Chaos geschaffen hat, f|r das keine Lvsung in Sicht
ist.

F: Obwohl es nat|rlich zivile Opfer gab, so scheint es doch, dass  es weit
weniger waren als erwartet und dass die "humanitdre Katastrophe", von der der
VRK und andere gesprochen haben, nicht eingetreten ist - und ganz sicher kam
es nicht zu den "massiven Vertreibungen", von denen Sie in Ihrer Erkldrung
gesprochen haben. Haben Organisationen wie der VRK ihre Warnungen vor den
Kriegsfolgen |bertrieben?

A: Wir sind nat|rlich froh, dass die durch den Krieg verursachte Zerstvrung
nach den bis jetzt vorliegenden Erkenntnissen nicht so schlimm ist wie
erwartet. Aber es ist uns auch bewusst, dass es den alliierten Streitkrdften
und den Medien gelungen ist, ein Bild von einem "hygienisch sauberen" Krieg
zu vermitteln, in dem die zivilen Opfer fast vvllig von der Bildfldche
verschwunden sind. Auf jeden Fall glauben wir, dass angesichts des absoluten
Werts, den jedes einzelne Menschenleben in den Augen Gottes hat, jeder Krieg
eine menschliche Tragvdie ist, die nicht mit quantitativen Ma_stdben gemessen
werden kann. 

Hinzu kommt, dass die zerstvrerischen Auswirkungen und die Opfer in der
Zivilbevvlkerung wie auch unter den Angehvrigen der Streitkrdfte, in
High-Tech-Kriegen erst im Laufe der Zeit sichtbar werden. Wie viele
unschuldige Menschen aus der Zivilbevvlkerung werden noch durch nicht
explodierte Streubomben und verborgene Landminen oder durch die Auswirkungen
urangehdrteter Munition getvtet werden? Die zahllosen Kleinwaffen, die
wdhrend des Krieges in den Besitz der Zivilbevvlkerung gelangt sind, werden
ihr tvdliches Werk fortsetzen. Wie viele Kinder werden noch aufgrund der
Zerstvrung der Wasserkldrsysteme sterben? Wenn auch der physische
Wiederaufbau bald beginnt, so wird die psychologische und gesellschaftliche
Stabilisierung doch wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen - ganz zu
schweigen von dem Verlust des au_ergewvhnlich kostbaren irakischen
Kulturerbes.

Es ist deutlich geworden und hat unldngst sogar zu Verdnderungen in den
US-amerikanischen F|hrungsstrukturen gef|hrt, dass die Militdrverwaltung
unfdhig und nicht darauf vorbereitet war, die infolge des Krieges
entstandenen humanitdren Probleme zu lvsen. Die Tatsache, dass professionell
arbeitende Hilfsorganisationen, einschlie_lich des Internationalen Komitees
vom Roten Kreuz, bislang bewusst davon ausgeschlossen worden sind, in dem
humanitdren Chaos vor Ort Hilfe zu leisten, ist nach allen internationalen
Normen inakzeptabel, umso mehr als weiterhin behauptet wird, dass dieser
Krieg zur "Befreiung des irakischen Volkes" diente. 

F: Der VRK hat gegen das Vorgehen der Vereinigten Staaten und ihrer
Verb|ndeten protestiert, aber viele Menschen fragen sich, welche wirklichen
Alternativen es angesichts der Ineffizienz der Vereinten Nationen im Umgang
mit Diktatoren und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie denen, die
es im Irak jahrzehntelang gegeben hat, gibt.

A: Keine der militdrischen Interventionen, die in letzter Zeit gegen
diktatorische Regime und massive Menschenrechtsverletzungen unternommen
wurden, hat eine effektive Lvsung der Probleme gebracht. Auf den ersten Blick
mvgen sie den Anschein von Effizienz erwecken, aber militdrische
Interventionen dringen nie bis zu den eigentlichen Ursachen vor und lassen
die meisten Probleme ungelvst zur|ck. Der Krieg im Irak hat keinen
Regimewechsel, sondern nur die Zerstvrung eines Regimes bewirkt, ohne
konstruktive und nachhaltige Verdnderungen zu bringen. Die Vereinten Nationen
kvnnten sehr viel effektiver arbeiten, wenn Regierungen wie die der
Vereinigten Staaten es ihnen erlauben und ermvglichen w|rden, die verf|gbaren
politischen Instrumente wirksam einzusetzen.

Au_erdem wird die Behauptung der Vereinigten Staaten, sie trete f|r die
Verteidigung der Menschenrechte ein, durch ihr selektives Vorgehen widerlegt,
wobei in anderen Fdllen diktatorische Regime sogar unterst|tzt oder aufgebaut
wurden - siehe die Unterst|tzung, die Saddam Hussein und Osama bin Laden in
der Vergangenheit von der Regierung der Vereinigten Staaten erhielten.

Sie haben die Regierung der Vereinigten Staaten vor und auch bei diesem
Gesprdch kritisiert. Stimmt es, dass der VRK - wie manche meinen -
antiamerikanisch eingestellt ist?

Der VRK ist weder f|r noch gegen irgendeine Regierung. Der Rat tritt von
jeher konsequent f|r Gerechtigkeit, Achtung der Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit und friedliche Konfliktbeilegung ein. Die Kirchen stehen
moralisch in der Pflicht und sollten fdhig sein, ihre Stimme gegen das zu
erheben, was unserer Ansicht nach unvereinbar ist mit den Lehren Christi.

Auf jeden Fall entsprechen die Stellungnahmen des VRK denen unserer
Mitgliedskirchen in den USA, welche entschiedene Kritik an der Haltung ihrer
Regierung zum Irak ge|bt haben, und dies gilt auch f|r die Kirchen in
Gro(britannien. Der VRK-Exekutivausschuss w|rdigte die mutige Haltung beider
Gruppen von Kirchen. Sie sind - ebenso wie wir - jener Art von Kritik
ausgesetzt, die prophetische Aussagen an die Adresse der Mdchtigen sehr
hdufig auf sich ziehen. 				     

F: Unmittelbar nach Ende des Krieges erhielten wir einen Leserbrief, in dem
die Frage gestellt wurde, ob Sie persvnlich den Mut hdtten, nach Bagdad zu
gehen und den Menschen dort, die unter Husseins Schreckensherrschaft gelitten
haben, die Position des VRK zu erkldren? Hdtten Sie den Mut dazu?

A: Wenn die christlichen Kirchen - oder auch die muslimische Gemeinschaft -
im Irak mich einladen w|rden, zu kommen und die Position des VRK zu
erldutern, dann wdre ich bereit zu gehen. Die Position des VRK wurde den
Kirchen im Nahen und Mittleren Osten wie auch den Kirchen im Irak wdhrend der
ganzen Krise auf Englisch und Arabisch erldutert. Wir haben unsere Position
nicht isoliert von diesen Kirchen entwickelt; ganz im Gegenteil haben wir sie
in enger Zusammenarbeit und R|cksprache mit dem Rat der Kirchen im Mittleren
Osten ausgearbeitet. Bislang lassen alle Reaktionen, die wir aus dem Irak und
der ganzen Region erhalten haben, darauf schlie_en, dass die Position des VRK
auf Verstdndnis gesto_en und begr|_t worden ist.

Hinsichtlich der Beziehungen zwischen christlichem Westen und muslimischem
Osten wurde in den fr|heren Erkldrungen des VRK davor gewarnt, dass der Krieg
zu einer weiteren Destabilisierung der ganzen Region des Nahen und Mittleren
Ostens f|hren w|rde. Aber jetzt gibt es einen Fahrplan f|r den Frieden
zwischen Israelis und Paldstinensern, und viele Menschen glauben, dass das
entschlossene Vorgehen im Irak als abschreckendes Beispiel f|r Diktatoren und
Terroristen dienen kann. Wie sehen Sie das?

Der Friedensfahrplan ldsst wesentliche Einzelfragen unber|cksichtigt und ist
bei weitem nicht ideal. Er enthdlt zahlreiche ungenaue und beunruhigende
Elemente. Dennoch bietet er neue - wenn auch sehr begrenzte - Perspektiven
f|r eine Zwei-Staaten-Lvsung. Insbesondere stellt er klar, dass sich eine
Beilegung des Konflikts auf die UN-Resolutionen 242 und 338 st|tzen muss. Die
Umsetzung dieser Resolutionen w|rde die Beendigung der "1967 begonnenen
Besatzung" bedeuten und zur Entstehung eines "unabhdngigen, demokratischen
und lebensfdhigen Paldstina (f|hren), das Seite an Seite mit Israel und
seinen anderen Nachbarn in Frieden und Sicherheit lebt". Des Weiteren erwdhnt
der Fahrplan die von der Arabischen Liga auf ihrem Gipfeltreffen in Beirut
gebilligte Initiative Saudi-Arabiens, in der "die arabischen Staaten zur
Akzeptanz Israels als Nachbarstaat" aufgerufen wurden.	
 
Wie im Osloer Friedensprozess hei(t es auch im jetzt vorliegenden
Friedensfahrplan, Paldstinenser und Israelis m|ssten |ber Fragen im
Zusammenhang mit dem dauerhaften Status verhandeln, also |ber die Grenzen,
Jerusalem, die j|dischen Siedlungen, die Fl|chtlinge etc.; praktisch geht der
Plan aber gar nicht auf diese Fragen ein. 

Ob der Fahrplan beide Seiten von einem Prozess gegenseitiger Zerstvrung auf
einen Weg f|hrt, der f|r beide von Vorteil ist, bleibt abzuwarten. Bislang
hat der Krieg gegen Irak der Region sicher nicht mehr Stabilitdt, sondern nur
neue Unsicherheitsfaktoren gebracht.

Wdhrend die Position der christlichen Kirchen im ganzen Verlauf des Krieges
diesen Eindruck vielleicht zundchst bis zu einem gewissen Grad verhindern
konnte, herrscht bei vielen Muslimen jetzt doch die Ansicht vor, dass der
Krieg Teil einer langfristigen Strategie ist, den Nahen und Mittleren Osten
nach westlichen Interessen neu zu gestalten; die These vom "Zusammenprall der
Zivilisationen" wird hier zum ideologischen Ndhrboden f|r den Krieg. Wenn
diese \berzeugung bestehen bleibt, dann steht hier mehr auf dem Spiel als die
Stabilitdt der Region.

F: Die massive Anti-Kriegs-Bewegung, in der die Kirchen eine wichtige Rolle
gespielt haben, konnte den Krieg nicht verhindern. Einige sehen darin ein
Anzeichen daf|r, dass die institutionellen Kirchen in der heutigen
Gesellschaft keine gro_e Wirkung und Relevanz mehr haben. Wie schdtzen Sie
die Lage ein?

A: Wenn die Kirchen bei ihrer Beteiligung an der Anti-Kriegs-Bewegung die
Lage nach den gleichen Kriterien wie die Regierungen bewertet hdtten, dann
m|sste ihr Engagement als gescheitert angesehen werden, weil sie nichts an
der Entschlossenheit der US-Regierung, Krieg zu f|hren, dndern konnten.
Protest und Widerstand der Kirchen konzentrierten sich jedoch nicht auf das
kurzfristige Ziel der Vermeidung dieses besonderen Krieges, sondern stellten
insgesamt die Akzeptanz des Krieges als eines normalen Instruments der
Machtpolitik in Frage.

Die Kirchen waren nicht - und sind nicht - primdr um pragmatische Wirksamkeit
bem|ht. Selbst wenn es auf den ersten Blick so aussehen kvnnte, als hdtten
sie ihren Kampf verloren, so ging es ihnen in erster Linie doch darum, aus
ihrem Glauben heraus Zeugnis von ihren grundlegenden ethischen \berzeugungen
zu geben. Die Einstimmigkeit, mit der die Kirchen ihren Protest zum Ausdruck
gebracht haben, hat ihrer Stimme Kraft verliehen und ihre moralische Position
in der Gesellschaft gestdrkt. Das ist wichtiger als institutionelle Macht.

F: Der VRK hat zusammen mit Kirchen in aller Welt f|r den Frieden gebetet. Es
scheint so, dass diese Gebete nicht erhvrt wurden. Worin liegt f|r Sie die
Kraft des Gebets?

A: Das Gebet ist zuallererst ein Akt der Hinwendung zu Gott. Im Gebet lassen
wir Gott Besitz von unserem Herzen und unserem Geist ergreifen. Wir wissen,
dass Gottes Gedanken nicht notwendigerweise die unseren sind und dass Gott
unsere Gebete in unerwarteter Weise erhvren kann.

Eine sehr wichtige Dimension des Gebets ist die F|rbitte, in der wir vor Gott
einander gedenken und so die geistliche Gemeinschaft insbesondere mit jenen
stdrken, die Ziele und Opfer von Krieg und Gewalt sind. Die vkumenische
Bewegung ist reich an Zeugnissen von der Kraft der gegenseitigen F|rbitte.

Weitere Informationen erhalten Sie vom B|ro der VRK-Medienbeauftragten,  tel:
+41 (0)22 791 64 21 / 61 53

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Der Vkumenische Rat der Kirchen (VRK) ist eine Gemeinschaft von 342 Kirchen
in |ber 100 Ldndern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen
christlichen Traditionen. Die rvmisch-katholische Kirche ist keine
Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem VRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan
ist die Vollversammlung, die ungefdhr alle sieben Jahre zusammentritt. Der
VRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegr|ndet. An der Spitze
der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretdr Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.

Vkumenischer Rat der Kirchen
VRK-Medienbeauftragte 
Tel: (41 22) 791 6153 / 791 6421
Fax: (41 22) 798 1346
E-Mail: media@wcc-coe.org 
Internet: www.wcc-coe.org 

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1211 Genf 2, Schweiz


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