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50 Jahre Oekumenische Hochschule Bossey


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Date Wed, 18 Jun 2003 10:47:31 +0200

Vkumenischer Rat der Kirchen
VRK-Feature 03-09
zur Vervffentlichung frei
18. Juni 2003

Ein Laboratorium f|r vkumenisches Leben: 
Die Vkumenische Hochschule Bossey feiert 50-jdhriges Bestehen

Hans-Ruedi Weber

Fotos zu diesem Feature sind auf der folgenden Internetseite erhdltlich:
Photo Oikoumene: http://www.photooikoumene.org/eccentre/bossey/index.html 

Wenn die Steine des alten Turms in Bossey sprechen kvnnten, dann hdtten sie
viel zu erzdhlen. Von den Zisterziensermvnchen zum Beispiel, die hier im 12.
Jahrhundert ihren Wein anbauten. Oder von der gutb|rgerlichen Familie, die im
fr|hen 17. Jahrhundert das heutige Wohnhaus baute, oder von denen, die Bossey
im fr|hen 19. Jahrhundert zu einem Zentrum f|r kulturellen Austausch
machten...

Tausende von Geschichten kvnnten |ber Bossey erzdhlt werden - von Menschen
auf der ganzen Welt, die seit der Gr|ndung des Vkumenischen Instituts 1946
und der Ervffnung der Vkumenischen Hochschule 1952/53 hier zusammengekommen
sind. "Bossey" ist nicht nur ein landschaftlich schvner Ort in der Ndhe von
Genf mit Blick auf den Genfer See und die Schweizer und franzvsischen Alpen.
Wer je hier gewesen ist, erinnert sich zuallererst an die Menschen, die aus
vielen Kulturen und christlichen Konfessionen nach Bossey gekommen sind und
die heute eine gemeinsame Vision haben. F|r sie alle war Bossey und besonders
die Vkumenische Hochschule ein "Aussaatbeet", eine "Baumschule", ein
"Treibbeet" f|r angehende vkumenische F|hrungskrdfte und f|r die Oikoumene
insgesamt.

Als die Studierenden vor f|nfzig Jahren nach dem ersten Semester der
Vkumenischen Hochschule auseinandergingen, war das Vkumenische Institut
bereits seit sieben Jahren bahnbrechend tdtig. Hendrik Kraemer und Suzanne de
Diitrich, das erste Direktionsteam, hatten den Akzent auf die Laienausbildung
gelegt. Sie lernten Jugendleiter, Lehrer, Sozialarbeiter, Drzte sowie
Personen aus Industrie, Politik und Kunst an, ihre christliche Berufung in
ihre tdgliche Arbeit einzubringen. In interdisziplindren Konsultationen
setzte man sich mit zentralen Problemen der Nachkriegszeit wie nukleare
Bedrohung, die Zukunft der Familie oder die Bedeutung der Geschichte
auseinander.

Damals kamen die Teilnehmenden hauptsdchlich aus dem vom Krieg verw|steten
Europa und aus Nordamerika und vorwiegend aus protestantischen
Denominationen. Sehr fr|h haben jedoch auch Sachverstdndige aus orthodoxen
und katholischen Traditionen wie auch Gastdozenten aus Ldndern des S|dens
einflussreich in Bossey gewirkt.

Von der Konfrontation zur Versvhnung

Tagungen in Bossey kvnnen sowohl traumatisch als auch heilsam sein. Ich werde
mich immer an einen Jugendleiterkurs in den ersten Jahren dort erinnern. Das
Schloss war damals noch nicht besonders gut f|r seine Aufgabe eingerichtet.
Zwischen den Kursstunden haben wir immer wieder mit Hand anlegen m|ssen,
damit alles funktionierte. Unsere Gruppe bestand in der Mehrzahl aus frisch
entlassenen Kriegsgefangenen, Fl|chtlingen aus Vertriebenenlagern und
Freiwilligen von Hilfswerken und viele von ihnen litten noch unter den
kvrperlichen und seelischen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte. F|r die
meisten von uns war es die erste Tagung, zu der Menschen aus Ldndern kamen,
deren Grenzen ein Jahrzehnt lang geschlossen gewesen waren, und es war auch
die erste Begegnung mit ehemaligen Feinden.

Einige Tage lang studierten, arbeiteten und a_en wir als Fremde
nebeneinander, ohne tatsdchlich zusammenzukommen oder gar in die
Gottesdiensttradition der Anderen einzutreten. Dann aber kam es zur
Explosion: Frustrationen, innere Verletztheit, Drger und tief empfundene
Ressentiments machten sich in gegenseitigen Anschuldigungen Luft. Da wir aber
gleichzeitig mit unserer Bibelarbeit fortfuhren und auch die
Nachkriegsprobleme weiter diskutierten, begannen die Propheten des Alten
Testaments uns mit Nachdruck herauszufordern. Es begann ein schmerzhafter
Prozess des wechselseitigen Beichtens und Versvhnens, der letztlich zum
gemeinsamen Gottesdienst und zu einem wahrhaftigen Pfingsterlebnis f|hrte.

Nicht alle Zusammenk|nfte in Bossey hinterlassen einen derart bleibenden
Eindruck, doch kvnnten viele ehemalige Studierende der Vkumenischen
Hochschule von dhnlichen Erfahrungen wdhrend ihrer Bossey-Zeit berichten, die
ihr Leben verdndert haben. Als beispielsweise wdhrend der Apartheid schwarze
und wei_e S|dafrikaner und S|dafrikanerinnen gemeinsam in Bossey studierten,
musste jedes einzelne Mitglied der Lerngemeinschaft den Schmerz des Rassismus
durchleben und um Heilung ringen.

Warum braucht man bei einem vollen Jahresprogramm noch eine 4-5-monatige
Hochschule?

Um 1950 stieg die Zahl der Personen, die darauf warteten, an den jdhrlichen
Sommerkursen teilnehmen zu kvnnen, welche das Vkumenische Institut f|r
Theologiestudenten, Pfarrer und Missionare anbot. Die vkumenische Bewegung
wurde dynamischer, und 1948 war der Vkumenische Rat der Kirchen (VRK)
offiziell gegr|ndet worden. Es war offensichtlich, dass ein gro_es Verlangen,
 und Hunger, nach vkumenischer Ausbildung bestand  - ein Angebot, das an den
damaligen theologischen Ausbildungsstdtten fehlte.

So griffen Bossey und die Universitdt Genf einen Vorschlag auf, den 25 Jahre
vorher ein Genfer Universitdtsprofessor namens Adolf Keller gemacht hatte,
der in den 1920er Jahren ausgedehnte Besuche in Kirchen in Nordamerika und
Europa unternommen hatte, um zwischenkirchliche Hilfe zu organisieren. Als
ihm klar geworden war, wie wenig die Kirchen voneinander wussten und wie
schlecht sie darauf vorbereitet waren, prophetische Zeugen und priesterliche
Versvhner in einer vom Krieg zerrissenen Welt zu werden, hatte Keller die
Gr|ndung "eines permanenten Ausbildungszentrums und Internats f|r graduierte
vkumenische Studien" vorgeschlagen.

Das war 1928. Und trotz des internationalen Bvrsenkrachs von 1929 begann man,
ein solches Zentrum zu planen. 1934 fand an der Universitdt Genf ein erstes
vkumenisches Sommersemester statt, an dem protestantische und orthodoxe
Theologiestudierende und junge Theologielehrer aus Europa und Amerika
teilnahmen.

Der Unterricht fand auf Franzvsisch, Englisch und Deutsch statt, und Keller
hatte einen Teil des Semesters aus eigener Tasche finanziert. In den darauf
folgenden Jahren wurden diese Genfer Seminare, an denen bis zu 100
Interessenten teilnahmen, fortgesetzt und es lehrten so hervorragende Leute
wie Karl Barth, Reinhold Niebuhr, Stephan Zankov und Toyohiko Kagawa.

Der drohende Krieg machte diesem Unternehmen jedoch ein Ende und die Pldne
f|r ein vkumenisches Ausbildungszentrum mit Internat mussten auf Eis gelegt
werden. Erst 1952/53 konnte der Traum dann verwirklicht werden. Seitdem
gehvrt Bossey von Oktober bis Februar den Studenten und Studentinnen der
Vkumenischen Hochschule.

50 Jahre "gewagte Experimente"

Ein ganzes Buch wdre nvtig, um die vergangenen 50 Jahre Hochschule auch nur
anndhernd zu beschreiben. Worum es bei der Vkumenischen Hochschule im Grunde
genommen geht, ist gemeinsame Bibelarbeit sowie Einf|hrung in die Geschichte
der vkumenischen Bewegung und der verschiedene Konfessionsfamilien,
insbesondere der orthodoxen Kirchen. Dar|ber hinaus ist jedes Semester einem
aktuellen Thema auf der Tagesordnung der Welt und der vkumenischen Bewegung
gewidmet. Dieser Teil des Programms wird hdufig in Zusammenarbeit mit den
Verantwortlichen f|r entsprechende Studien oder Programme im VRK vorbereitet.
Als Beispiele kvnnen Themen genannt werden wie: Die Kirche in einer
technologischen Welt; Kirche, Staat und Macht; Evangelium und Kultur; Dialog
mit Menschen verschiedener Religionen.	 

Im Blick auf die *idealen" Programminhalte, die Dauer und den Aufbau der
Vkumenischen Hochschule ist viel experimentiert worden, nicht immer mit
Erfolg. Sollte man nur theologisch ausgebildete Studenten/innen aufnehmen?
Sollte es zwei Kurzsemester statt einem langen geben? Sollte das
Studiensemester vielleicht mit praktischer Arbeit vor Ort verbunden werden?
(\ber das gegenwdrtige akademische Programm, den Magister- und den Ph.D.-Kurs
in Bossey kvnnen Sie sich unter 
http://www.wcc-coe.org/bossey informieren.)

Ich habe an rd. zwanzig Semestern teilgenommen - als Student, als Direktor
und als Sachverstdndiger - und nie ist eines wie das andere gewesen. Im
Vergleich zu den fr|heren Jahren reprdsentieren sowohl die Studentenschaft
als auch der Lehrkvrper heute eine grv_ere kulturelle und konfessionelle
Vielfalt. Die Vkumenische Hochschule profitiert heute wie damals von
kreativen Denkern und Propheten unserer Zeit, die als Gastdozenten lehren.
Die Verbindung mit der Universitdt Genf ist heute strukturierter, und seit
den 1970er Jahren schlie_en die meisten Semester auch einen einwvchigen
Studienaufenthalt in Rom mit ein.

Trotz aller Vorbereitungen und Planungen wird aber jedes Semester in diesem
vkumenischen Laboratorium zwangsldufig auch zu einem gewagten Experiment f|r
Mitarbeitende und Studierende. Hdufig ist es nicht das vorbereitete Programm,
das das Semester am meisten prdgt, sondern die Zusammensetzung und die
Interaktion der Teilnehmenden sowie die aktuelle Agenda, die sie aus ihren
Gesellschaften und Kirchen mitbringen.

Einige Grundfragen und Erfahrungen sind |ber die Jahre jedoch dieselben
geblieben. Wie kann in dieser vorldufigen Wohn- und Lerngemeinschaft das
rechte Gleichgewicht gefunden werden zwischen akademischem Lehren/Lernen,
Austausch von Lebenserfahrungen und gemeinsamem wie individuellem geistlichen
Wachsen? Wie kvnnen Mdnner und Frauen aus so vielen verschiedenen ethnischen
und sozio-politischen Kontexten, mit so unterschiedlichen wirtschaftlichen
und akademischen Erfahrungen und aus protestantischen, orthodoxen,
rvmisch-katholischen sowie pflingstlichen theologischen Traditionen und
Spiritualitdten auch nur beginnen, einander zuzuhvren, geschweige denn,
voneinander zu lernen?

Die englische Sprache ist zum wichtigsten Verstdndigungsmittel f|r Studium
und Kommunikation geworden. Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Lehrenden und
Teilnehmenden sich in einer Sprache ausdr|cken muss, die ihre erste, zweite
oder gar dritte Fremdsprache ist. Und die Englischsprachigen m|ssen lernen
"vkumenisches Englisch" zu verstehen und zu sprechen. Dieses gemeinsame
sprachliche Handicap wird gerade f|r Theologen, die ja hdufig so wortreich
sind, zu einer heilsamen \bung in Askese!

Wenn sich nach der anfdnglichen Scheu und hvflichen Distanz dann ein
intensives Gemeinschaftsleben entwickelt, kommt es zu scharfen kulturellen,
konfessionellen, und theologischen Spannungen, Konfrontationen und
Auseinandersetzungen. Grv_tenteils unbewusste Vorurteile treten zutage und
werden ebenso in Frage gestellt wie heftig verteidigte Halbwahrheiten, die
man f|r die ganze Wahrheit hdlt.

In dieser Situation werden die gemeinsamen Mahlzeiten, die frvhlichen Feste,
die Volleyball-Spiele und die ndchtelangen Gesprdche zu Gelegenheiten des
Heilens. Abstrakte Konzepte wie etwa "die Asiaten", "die Orthodoxen" oder
"die Feministinnen" werden nun mit einem Gesicht und einer Person verbunden,
die man hdufig sehr lieb gewinnt. Und so wird es umso schmerzlicher
empfunden, dass sich bis heute nicht alle zum gemeinsamen Abendmahl
versammeln kvnnen. Dennoch werden die meisten Teilnehmenden dank der
erfahrenen Gemeinschaft letztlich in erster Linie Bosseys schvne Kapelle in
Erinnerung behalten und weniger die Vorlesungsrdume und die Bibliothek.

Wenn die Oikoumene die neuen F|hrungskrdfte, die sie f|r ihre Gesundheit und
ihr Wachstum unbedingt braucht, entdecken und zur|sten will, dann kann sie
auf ein "Aussaatbeet", eine "Baumschule"oder ein "Treibbeet" wie die
Vkumenische Hochschule nicht verzichten. Damit die Arbeit in den jetzt
renovierten und gut ausgestatteten Gebduden weitergehen kann, wird es vor
allem von zentraler Bedeutung sein, dass in jedem Semester f|r eine
geographisch und konfessionell reprdsentative Studentenschaft gesorgt wird,
indem genug Stipendien zur Verf|gung gestellt werden. Die wechselseitig
bereichernde Interaktion zwischen den weltorientierten, interdisziplindren
Konsultationen des Instituts und der Vkumenischen Hochschule muss erhalten
bleiben. Und ein am Ort wohnendes F|hrungsteam mit der Freiheit und dem Mut,
zu experimentieren, war schon immer das sine qua non der bahnbrechenden
Kreativitdt, die das Wahrzeichen von Bossey ist.

Das erste Mal kam Hans-Ruedi Weber 1948 zu einer Jugendleiterkonferenz nach
Bossey. Sechs Jahre spdter nahm er an der Vkumenischen Hochschule teil. Weber
blieb dem Institut auch in der Zeit nahe, als er im VRK als Leiter des
Referats f|r Laienfragen arbeitete; anschlie_end war er zehn Jahre lang
beigeordneter Direktor von Bossey und danach Leiter des VRK-Ressorts f|r
Bibelstudien. Auch nach seiner Pensionierung 1988 ist Hans-Ruedi Weber dem
Institut verbunden geblieben und steht ihm als Referenzperson zur Verf|gung. 
   

Weitere Informationen erhalten Sie vom B|ro der VRK-Medienbeauftragten,  tel:
+41 (0)22 791 64 21 / 61 53

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Der Vkumenische Rat der Kirchen (VRK) ist eine Gemeinschaft von 342 Kirchen
in |ber 100 Ldndern auf allen Kontinenten und aus praktisch allen
christlichen Traditionen. Die rvmisch-katholische Kirche ist keine
Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem VRK zusammen. Oberstes Leitungsorgan
ist die Vollversammlung, die ungefdhr alle sieben Jahre zusammentritt. Der
VRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegr|ndet. An der Spitze
der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretdr Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.

Vkumenischer Rat der Kirchen
VRK-Medienbeauftragte 
Tel: (41 22) 791 6153 / 791 6421
Fax: (41 22) 798 1346
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