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Title: Besetzte palaestinensische Gebiete: Noch immer leben


From "WCC Media" <Media@wcc-coe.org>
Date Tue, 24 Jun 2003 14:46:48 +0200

Vkumenischer Rat der Kirchen
zur Vervffentlichung frei 03-09
24. Juni 2003

Besetzte paldstinensische Gebiete: Noch immer leben hier Christen

Joel (*),
Begleiter im Rahmen des Vkumenischen Begleitprogramms in Paldstina und Israel
(EAPPI)

(F|r kostenlose Fotos zur Illustration dieses Features - siehe unten) 

Man vergisst leicht, dass im Westjordanland, das heute Schauplatz so vieler
Gewalttaten ist, in fr|heren Zeiten auch ganz andere Dinge geschehen sind.
Hier - oder genauer gesagt in Bethlehem - wurde Jesus geboren, und hier leben
seit fast 2000 Jahren Christen. Bis heute erinnern uns die Kircht|rme in
vielen paldstinensischen Dvrfern an die lange Geschichte der
paldstinensischen Christen in diesem unruhigen Land. 

Ihr Leben ist nie leicht gewesen. Im vergangenen Jahrhundert emigrierten so
viele Christen aus den besetzten Gebieten (sowohl aus dem Westjordanland als
auch dem Gazastreifen), dass heute nur noch 2 % der Bevvlkerung Christen sind
(gegen|ber 20 % im Jahre 1948). Einst waren 90 % der Einwohner von Stddten
wie Bethlehem und Ramallah Christen, heute hingegen liegt ihr Anteil in
Bethlehem bei 25 % und in Ramallah ist er noch geringer. In Chile und
Brasilien leben gegenwdrtig mehr Bethlehemer Christen als in Bethlehem
selbst. Das gleiche gilt f|r US-Stddte wie Detroit und Jacksonville, in denen
mehr Christen aus Ramallah leben als in Ramallah. 

Derzeit gibt es im Westjordanland noch knapp 50 000 und im Gazastreifen noch
2000 Christen. Und es werden - vor allem wegen der gegenwdrtigen Intifada -
von Monat zu Monat weniger. Viele bef|rchten, dies sei das Ende der
2000-jdhrigen Geschichte der hiesigen christlichen Gemeinde. 

Wenn auch diese Sorge durchaus berechtigt ist, so ist doch das kirchliche
Leben noch recht lebendig. Manche Christen sind im Schul- und
Gesundheitswesen sehr aktiv, andere organisieren kulturelle Aktivitdten, in
deren Rahmen sich Jugendliche in einem positiven Umfeld treffen kvnnen.
Sonntags sind sowohl die katholischen als auch die orthodoxen und
protestantischen Kirchen voll. Und dort beten die Gldubigen zu einem Gott,
der sich an eben jenen Orten aufgehalten hat, die noch heute viele
Paldstinenser als ihre Heimat betrachten. 

Leid und Misshandlungen 

Christen sind in Paldstina eine sehr kleine Minderheit, doch wenn man sie
nach ihrem Leben in den besetzten Gebieten fragt, erhdlt man die
unterschiedlichsten Antworten. In der Einschdtzung der israelischen
Besatzungsmacht besteht hingegen weitgehende \bereinstimmung. Es wird
berichtet, dass im Verlauf der gegenwdrtigen Intifada Dutzende von Christen
vor allem aus dem Bethlehemer Gebiet getvtet wurden. Viele sind verhvrt
worden und in israelischen Gefdngnissen gewesen. Geschichten von Leiden und
Misshandlungen durch israelische Soldaten sind in jeder Gemeinde zu hvren.   
								    

Vor zwei Monaten zum Beispiel wurde in Zababdeh, einem Dorf im Norden des
Westjordanlandes, ein 33-jdhriger rvmisch-katholischer Mechaniker von
israelischen Soldaten aus seiner Werkstatt geholt, um ihnen als menschlicher
Schutzschild zu dienen, wdhrend sie auf jemanden schossen, der einen
Molotow-Cocktail in die Ndhe ihres Jeeps geworfen hatte. Die Frau des
Mechanikers feierte an diesem Tag ihren 24. Geburtstag. Der Einsatz
menschlicher Schutzschilde ist vvlkerrechtlich verboten, und Christen wie
Muslime f|rchten die \bergriffe israelischer Soldaten, die sich |ber dieses
Verbot hinwegsetzen und die Paldstinenser ausnutzen. 

Einer der Priester in Zababdeh, Pater Aktham, erwdhnt einen anderen Bereich,
in dem die israelischen Besatzer den paldstinensischen Christen das Leben
schwer machen. Die Schas-Partei, einer der ultrarechten Koalitionspartner der
Regierung Sharon, erhielt im vergangenen Jahr das Innenministerium. Viele
Priester und Nonnen brauchen eine Arbeitsgenehmigung f|r ihre Tdtigkeit in
paldstinensischen Gemeinden des Westjordanlandes. Seit einem Jahr jedoch
werden diese Arbeitsgenehmigungen vom Innenministerium nicht mehr verldngert,
und deshalb sind die rund 80 Priester und Nonnen in einer sehr schwierigen
Lage: Sie wollen ihren Gemeinden treu bleiben, doch wenn sie sich in Israel
oder im Westjordanland aufhalten, versto(en sie gegen die gesetzlichen
Bestimmungen. Mittlerweile ist das Ministerium an eine andere Partei
|bergegangen, die versprochen hat, das Problem zu beheben. 

Minderheitsstatus

Wdhrend manche Christen die Besatzung f|r das Hauptproblem halten, sind
andere der Meinung, ihre Schwierigkeiten seien vor allem dadurch bedingt,
dass sie eine Minderheit in einem vorwiegend muslimischen Umfeld sind. Alle
Christen sind sich dar|ber einig, dass sie durch die israelische Besatzung
Unrecht und Misshandlungen ausgesetzt sind. Weniger einig hingegen sind sie
sich |ber die Auswirkungen ihres Minderheitsstatus in einer mehrheitlich
muslimischen Bevvlkerung. Ein Christ zum Beispiel beklagt sich, Muslime
kvnnten Christen auf jede denkbare Art und Weise diskriminieren. So werde
etwa der Beamte, der einen Lehrer f|r die vffentliche Schule einstellt, dem
christlichen Bewerber einen muslimischen vorziehen, da er es f|r besser
halte, wenn die Kinder von einem Glaubensgenossen beeinflusst werden und
nicht von einem - selbst hvher qualifizierten - Christen. Der Nachbar dieses
Mannes ist ganz anderer Meinung und nennt mehrere Beispiele daf|r, dass
Christen nicht diskriminiert werden, sondern ganz im Gegenteil manchmal
Vorzugsbehandlung genie(en. So sei etwa der prozentuale Anteil von Christen
im Kabinett Arafats hvher als in der Gesamtbevvlkerung. 

Manche Christen erzdhlen, wie sehr ihr Alltag durch westliche Medien
beeinflusst wird. F|r viele Muslime sind die Filme und Sitcoms, die das
Fernsehen bringt, der Beweis f|r das sittlich-moralische Versagen des
Christentums. Das unbekleidete und unverheiratete westliche Paar, das per
Fernsehen in ein muslimisch-paldstinensisches Heim kommt, bestdtigt das
Stereotyp von den unmoralischen und gottlosen Christen. Mit solchen
Klischeevorstellungen mancher Muslime m|ssen sich die paldstinensischen
Christen wohl oder |bel auseinandersetzen. Ein paldstinensischer Priester
sagt: *Die Fernsehsendungen aus dem Westen schaden uns."

Paldstinensische Muslime, die in Gebieten ohne christliche Bevvlkerung leben,
wissen manchmal nichts von der Existenz und der Geschichte christlicher
Paldstinenser. So waren zum Beispiel einige Erstsemester der
Arabisch-Amerikanischen Universitdt ganz in der Ndhe des mehrheitlich
christlichen Dorfes Zababdeh vvllig |berrascht, als sie erfuhren, dass es
auch Paldstinenser gibt, die nicht Muslime sind. Trotz der wichtigen Rolle,
die Christen nach wie vor in der paldstinensischen Gesellschaft spielen,
kvnnen manche Muslime ihren Beitrag zur paldstinensischen Geschichte nicht
richtig einschdtzen, und zwar oft deshalb, weil sie zu wenig dar|ber wissen. 

Manche Muslime werfen den Christen vor, sie beteiligten sich nicht am
Widerstand gegen die israelische Besatzung und f|hrten deshalb ein angenehmes
Leben, wdhrend Muslime kdmpfen und leiden w|rden. Christen empfinden diesen
Vorwurf als schmerzlich und ungerecht. Denn ebenso wie Muslime werden
Christen manchmal getvtet, verhaftet und misshandelt. Auch Christen m|ssen
bei Ausgangssperre in ihren Hdusern bleiben. Auch Christen haben an den
Kontrollposten Schwierigkeiten und d|rfen nicht die f|r Siedler vorgesehenen
Umgehungsstra(en benutzen. Auch Christen leiden unter der Arbeitslosigkeit
und machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder.

Trotz dieser und dhnlicher Schwierigkeiten ist den paldstinensischen Christen
bewusst, dass Muslime und Christen in den besetzten Gebieten eine in vieler
Hinsicht positive Koexistenz haben, und sie sind auch stolz darauf. In
Zababdeh und anderen Dvrfern gehen muslimische und christliche Kinder in die
gleichen Schulen und werden dort von muslimischen und christlichen Lehrern
unterrichtet. Scheichs und christliche Geistliche statten einander manchmal
an hohen religivsen Feiertagen oder wenn Angelegenheiten des Gemeinwesens zu
besprechen sind, Besuche ab. Ein Entwurf der paldstinensischen Verfassung,
die derzeit ausgearbeitet wird, wurde den religivsen Oberhduptern zugeleitet,
damit sie ihn pr|fen und kommentieren. Yassir Arafat nimmt - wenn er nicht
unter Hausarrest in Ramallah steht - jedes Jahr am Weihnachtsgottesdienst in
Bethlehem teil.  

Christen und Muslime sind sich einig in der Ablehnung der israelischen
Besatzung. Es gibt jedoch auch einige Bef|rchtungen im Hinblick auf die
Gestaltung eines unabhdngigen paldstinensischen Staates nach dem Ende der
Besatzung. Islamische Bewegungen spielen eine immer deutlichere Rolle in der
paldstinensischen Politik und im Allgemeinen streben sie eine islamische
Staatsordnung an. Im Gegensatz dazu streben die Christen zusammen mit vielen
anderen Muslimen eine deutlich sdkulare und alle dort lebenden Menschen mit
einbeziehende politische Ordnung an. Sie w|rden es nicht als Fortschritt
empfinden, wenn der israelischen Besatzung ein islamischer Staat folgen
w|rde. 

Das Leben der Christen in den besetzten Gebieten ist hvchst komplex. Sie
leben in einem militdrisch besetzten Land. Sie sind eine kleine Minderheit in
einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft. Und sie sind in mancher
Hinsicht auch isoliert von den Kirchen im Ausland, denn die dortigen Christen
interessieren sich oft mehr f|r die klassischen Bibelstdtten zum Beispiel in
Bethlehem als f|r die dort lebenden Gemeinden. 

(*) Joel (29) aus den USA war bis vor kurzem im Rahmen des Vkumenischen
Begleitprogramms in Paldstina und Israel (EAPPI) als Begleiter in Zababdeh
tdtig. In diesem kleinen, vorwiegend von Christen bewohnten Dorf arbeiteten
Joel und zwei andere vkumenische Begleiter mit einem losen Netzwerk von
Kirchen und Organisationen zusammen, darunter einem Kloster und einer
Sekundarschule des Lateinischen Patriarchats sowie Gemeinden der
griechisch-orthodoxen, der griechisch-melchitischen und der anglikanischen
Kirche. Die drei in Zababdeh wohnhaften Begleiter nahmen an Vorlesungen der
Arabisch-Amerikanischen Universitdt teil, begleiteten Schulbusse und halfen
den CVJM von Dschenin, die Bevvlkerung wdhrend der Ausgangssperre mit
Nahrungsmitteln und Wasser zu versorgen. Joel studierte politische
Wissenschaften und Soziologie und schrieb seine Magisterarbeit |ber ein
kirchengeschichtliches Thema, die paldstinensische Kirche unter der
israelischen Herrschaft.  
(Die Nachnamen der vkumenischen Begleiter werden aus Sicherheitsgr|nden nicht
erwdhnt.)     

Die Fotos sind einzusehen unter
http://www.wcc-coe.org/wcc/what/international/palestine/eappi/index_10.html#z
abadeh 

Wenn Sie Versionen dieser Fotos mit hoher Auflvsung benvtigen, schreiben Sie
uns eine E-Mail an
media@wcc-coe.org 

Weitere Berichte und Fotos zum Vkumenischen Begleitprogramm in Paldstina und
Israel (EAPPI) finden Sie auf unserer Webseite unter	      
http://www2.wcc-coe.org/eappi.nsf oder
http://wcc-coe.org/wcc/what/international/palestine/eappi/index.html 

Weitere Informationen erhalten Sie vom B|ro des VRK-Medienbeauftragten, 
tel: +41 (0)22 791 64 21 / 61 53

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VRK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell gegr|ndet. An der Spitze
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