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Auf der Suche nach Frieden und der Wuerde der Schoepfung


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Tue, 08 Jul 2003 10:10:33 -0500

Mit anderen Religionen auf der Suche nach Frieden und der Wuerde
der Schoepfung
Interview mit LWB-Praesident Landesbischof i. R. Dr. Christian
Krause

Genf, 8. Juli 2003 (LWI) - Die weltweite Gemeinschaft lutherischer
Kirchen stehe vor der zentralen Aufgabe, zu einem interreligioesen
Dialog zu finden und mit anderen Religionen gemeinsam "nach
Faehrten des Friedens und der Wuerde der Schoepfung zu suchen",
betonte der Praesident des Lutherischen Weltbundes (LWB),
Landesbischof i. R. Dr. Christian Krause, in einem Interview mit
der Lutherischen Welt-Information (LWI) im Rueckblick auf seine
sechsjaehrige Amtszeit als LWB-Praesident. Gemeinsam muessten sich
die christlichen Kirchen und die Religionsgemeinschaften fuer die
Ueberwindung von Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt engagieren.

Krause wurde auf der Neunten LWB-Vollversammlung 1997 in Hongkong
(China) zum LWB-Praesidenten gewaehlt, seine Amtszeit endet nach
der Zehnten Vollversammlung, die vom 21. bis 31. Juli im
kanadischen Winnipeg stattfindet.

Aus seiner besonderen Erfahrung heraus sollte der LWB im
interreligioesen Dialog ausloten, "inwiefern das Modell von der
versoehnten Verschiedenheit ueber die christliche Gemeinschaft
hinaus auch fuer die Gemeinschaft der Religionen moeglich ist",
erklaerte der LWB-Praesident. In der Zukunft komme es zudem darauf
an, dass es dem LWB wie auch dem Oekumenischen Rat der Kirchen
(OeRK) gelinge, die charismatischen Bewegungen staerker
aufzunehmen. Er hoffe, so Krause, "dass da ein staerkerer Verbund
moeglich wird, und dass der LWB mit den anderen konfessionellen
Weltbuenden und dem OeRK die kritische Funktion der Theologie zu
verbinden vermoege mit dem missionarischen Aufbruch der eher
charismatisch bewegten Kirchen und Gemeinschaften." (239 Woerter)

Im Folgenden finden Sie den vollen Wortlaut des Interviews mit
LWB-Praesident Landesbischof i. R. Dr. Christian Krause:

Interview mit LWB-Praesident Landesbischof i. R. Dr. Christian
Krause

LWI: Herr Praesident Dr. Krause, im Juli 1997 wurden Sie auf der
Neunten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in
Hongkong zum LWB-Praesidenten gewaehlt. Welche Hoffnungen,
Wuensche und Visionen verbanden Sie mit Ihrem Amtsantritt vor
sechs Jahren, als der LWB sein 50-jaehriges Bestehen feierte?

Krause: Von den 50 Jahren seines Bestehens hatte ich den
Lutherischen Weltbund immerhin seit 1966, als ich
Forschungsassistent der theologischen Abteilung in Genf wurde,
begleitet. Ich war mir der Breite der Aufgaben des Weltbundes aus
eigener Erfahrung bewusst, sowohl von seiner theologischen Arbeit
her als auch spaeter als LWB-Vertreter im Fluechtlingsdienst in
Tansania und schliesslich von meiner Position im Deutschen
Nationalkomitee des LWB. Insofern haben sich meine Wuensche und
Visionen auf ein Vorankommen auf diesen verschiedenen Ebenen
konzentriert. Besonders hatte ich natuerlich die Dialoggespraeche
mit der roemisch-katholischen Kirche im Blick, verbunden mit der
Hoffnung, dass es hier wie insgesamt im Bereich der Oekumene zu
Fortschritten kommt.

Mir ist immer ein besonderes Anliegen gewesen, den Lutherischen
Weltbund nicht als Abgrenzung gegen andere Konfessionen oder gar
gegen die Oekumene zu verstehen, sondern ihn in seiner Offenheit
wahrzunehmen und die oekumenische Dimension des Bekenntnisses
auszugestalten. Hinzu kam natuerlich die besondere Weltsituation.
Die Neunte Vollversammlung fand 1997 relativ kurz nach der grossen
revolutionaeren Wende 1989/90 statt, die eine neue
Grenzenlosigkeit und Offenheit zur Folge hatte und uns vor neue
grosse Herausforderungen stellte, die sich zum Beispiel aus der
Globalisierung ergaben. Neben einer Vielzahl Gefahren auf der
einen Seite gab es auf der anderen die neuen Chancen der
elektronischen Kommunikation und des grenzueberschreitenden
Handelns.

Was mir in Hongkong vor allem vor Augen stand, war das weltweite
Netz des Lutherischen Weltbundes mit seinem Schwerpunkt auf dem
unmittelbaren diakonischen Einsatz, seinem missionarischen
Verkuendigungsansatz, der theologischen Profilierung und eben vor
allem der oekumenischen Weite und Offenheit.

LWI: Auf Ihrer ersten Pressekonferenz als Praesident des LWB haben
Sie am 14. Juli 1997 in Hongkong erklaert, dass konfessionelle
Gemeinschaften wie der LWB fuer die oekumenische Bewegung
wichtiger seien als je zuvor. Sie warnten vor einem Rueckzug, da
gerade Gespraeche wie die ueber die Rechtfertigungslehre mit der
roemisch-katholischen Kirche nur zwischen Bekenntnisfamilien
moeglich seien. Wie lautet Ihr Urteil heute?

Krause: Es ist natuerlich eine selbstverstaendliche, naheliegende
Feststellung, dass Bekenntnisfragen unter Bekenntniskirchen zu
diskutieren und zu klaeren sind. Insofern ist gerade in der
Aufarbeitung der Theologie- und Kirchengeschichte das Gespraech
unter den historischen Kirchen und Konfessionen von
ausserordentlicher Bedeutung. Besonders wichtig ist mir, dass die
konfessionellen Weltgemeinschaften in den vergangenen Jahren
staerker in den Blick gekommen sind und auch selber intensiver
aufeinander zugehen.

Die roemisch-katholische Weltkirche, die Kirchen der Reformation,
also der Reformierte und der Lutherische Weltbund, die
Anglikanische Kirchengemeinschaft, die orthodoxen Kirchen - das
sind wichtige und unverzichtbare Saeulen gerade fuer die
interkonfessionellen Gespraeche, fuer das
Gemeinsam-auf-die-Suche-Gehen, fuer die oekumenische Gemeinschaft
insgesamt und damit auch fuer den Oekumenischen Rat der Kirchen.

LWI: Am 31. Oktober 1999 gehoerten Sie in Augsburg (Deutschland)
zu den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen der Gemeinsamen
offiziellen Feststellung, mit der die Gemeinsame Erklaerung zur
Rechtfertigungslehre zwischen LWB und der roemisch-katholischen
Kirche feierlich bestaetigt wurde. Der Dialog, der letztendlich
zur Gemeinsamen Erklaerung fuehrte, hatte ueber 30 Jahre gedauert.
Ist diese Unterzeichnung der Hoehepunkt Ihrer Amtszeit?

Krause: Ich halte den 31. Oktober 1999 fuer ein ausserordentlich
wichtiges Datum. Die 30 Jahre des Dialogs signalisieren ja nicht
nur die Bedeutsamkeit, sondern auch, wie ueberfaellig diese
Gespraeche waren, um eine fast 500-jaehrige Trennung zumindest im
Ansatz zu ueberwinden. Augsburg war der Ort, wo 1530 mit der
Ablehnung der Confessio Augustana der letzte Versuch gescheitert
war, eine Bruecke zu schlagen. Es folgte eine Auseinandersetzung,
die unendlich viel Leid mit sich brachte, Feindschaften,
Gegenreformation, den Dreissigjaehrigen Krieg - die Liste waere
lange fortzuschreiben. Es gab Machtmissbrauch in ganz
vielfaeltiger Hinsicht, eine politische Instrumentalisierung der
Reformation und ueberhaupt der Konflikte zwischen den Kirchen der
Reformation und der roemisch-katholischen Kirche.

Bemerkenswert ist, dass beide Seiten im Dialog einen Konsens in
Grundwahrheiten erreicht haben. Wir stellen kein Wahrheitsmonopol
gegeneinander, sondern benennen gemeinsam das, worum es im Kern
des Evangeliums geht, naemlich die Rechtfertigung allein aus Gnade
durch den Glauben und damit die zentrale Bedeutung der Heilstat
Gottes. Die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklaerung ist
allerdings nicht ein Schlusspunkt, sondern ein Doppelpunkt. Wir
haben jetzt eine Basis, von der aus wir weitergehen koennen und
muessen. Der Begriff der versoehnten Verschiedenheit unterstreicht
das neue Verhaeltnis nach der langen Zeit der Gegnerschaft.

Die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklaerung hat mit Blick auf
den Lutherischen Weltbund auch gezeigt, dass die Gemeinschaft
innerhalb des Weltbundes fest genug zueinander steht und dass sie
auch bei divergierenden Meinungen zu einer einhelligen Position
kommen kann.

LWI: Was hat sich seit der Unterzeichnung der Gemeinsamen
Erklaerung fuer lutherische und katholische Christen und
Christinnen geaendert? Erst kuerzlich haben Sie bei Ihrem
Abschiedsbesuch bei Papst Johannes Paul II. angemahnt, die
Bemuehungen um eine zumindest gastweise Einladung zum Abendmahl zu
intensivieren. Hatten Sie mit schnelleren sichtbaren Ergebnissen
gerechnet?

Krause: Die Mahnung in Richtung auf ein gemeinsames Abendmahl,
zumindest die gastweise wechselseitige Teilnahme am Abendmahl,
bleibt bestehen. Das ist ein so zentrales Zeugnis der
Gemeinsamkeit im christlichen Glauben, dass wir, wie ich denke,
durchaus Veranlassung haben, dies immer wieder zu benennen. Nur:
Ich halte es fuer voellig falsch, sich ausschliesslich auf das zu
konzentrieren, was wir noch nicht haben.

Man muss nun auch anerkennen, was alles erreicht worden ist. Es
ist ganz entscheidend, dass wir uns in wechselseitigem Respekt,
aber auch in wechselseitigem Vertrauen begegnen und miteinander
handeln. Dabei wird es, wie es bei Menschen und menschlichen
Einrichtungen zur Natur der Sache gehoert, immer wieder auch
Rueckschlaege geben. Aber ich kann nur sagen, dass der Konsens in
Grundwahrheiten des Glaubens eine Versoehnung und ein
Aufeinanderzugehen bewirkt hat, was ich nur als beglueckend
bezeichnen kann. Trotz aller weiter bestehender Unterschiede
duerfen diese Gemeinsamkeiten nicht aus dem Blick geraten.

Anlaesslich meines Abschiedsbesuchs bei Papst Johannes Paul II. im
April in Rom und bei meinen Gespraechen mit Kardinal Walter Kasper
habe ich nicht nur mit allem Nachdruck auf die Abendmahlsfrage
hingewiesen, sondern ich habe ihnen auch ausdruecklich gedankt
fuer die Gemeinsamkeit im Eintreten fuer den Frieden. Zu nennen
waeren hier zum Beispiel das gemeinsame Handeln im Blick auf den
Irak-Krieg oder der gemeinsame Einsatz fuer den Frieden im Nahen
Osten.

In vielen Laendern der Welt sind die lutherischen Kirchen die
vergleichsweise kleinen gegenueber der roemisch-katholischen
Kirche. Oft haben sie sich frueher gegeneinander abgegrenzt. Nach
der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklaerung zur
Rechtfertigungslehre habe ich auf vielen meiner Reisen ueberall
auf der Welt erlebt, wie die Menschen jetzt ohne Scheu aufeinander
zugehen und also die Gemeinsame Erklaerung nicht zu den Akten
legen, sondern aktiv ins Spiel bringen. Es werden gemeinsame
Gottesdienste gefeiert und die Kirchen bemuehen sich um gemeinsame
Positionen in gesellschaftspolitischen Fragen, da, wo es um das
Leben der Menschen geht. Diese Auswirkungen halte ich fuer
ausserordentlich wichtig.

LWI: Zu Ihrem Amtsantritt 1997 hatte der LWB 122 Mitgliedskirchen
in 70 Laendern mit insgesamt rund 57 Millionen Mitgliedern, heute
vertritt er 136 Mitgliedskirchen in 76 Laendern mit ueber 61,7
Millionen Mitgliedern. Was macht aus Ihrer Sicht die fortwaehrende
Attraktivitaet des LWB aus?

Krause: Noch eindrucksvoller ist die Zahl der Gruendungskirchen.
1947 haben 47 Kirchen aus 23 Laendern den LWB gegruendet. Das
heisst, sowohl in der Zahl der Mitgliedskirchen wie der Laender
hat sich der Lutherische Weltbund annaehernd verdreifacht. Hinter
dieser Zahl stehen aber auch massive inhaltliche Verschiebungen.
Die Gruendungskirchen waren mit wenigen Ausnahmen europaeisch und
nordamerikanisch, also beinahe exklusiv nord-atlantisch. Seit 1947
hat sich die Erweiterung des globalen Netzes des LWB im
wesentlichen auf Kirchen und Laender in der suedlichen Hemisphaere
erstreckt, es hat eine Gewichtsverlagerung von Norden nach Sueden
gegeben. Und das scheint mir der eigentliche, gravierende
Unterschied zu sein mit erheblichen inhaltlichen, theologischen
wie ekklesiologischen Konsequenzen.

Alle unsere Mitgliedskirchen suchen Gemeinschaft, eine
Gemeinschaft, die der LWB bietet. Viele von ihnen sind klein, sind
in der Vereinzelung und muessen in ihren Laendern, in ihrem Umfeld
ihren Weg finden. Daher suchen sie auch Orientierung an
Schwesterkirchen in Nachbarlaendern und weltweit. Auf der anderen
Seite erfahren sie auch Staerkung gegenueber ihren Regierungen
oder in den Forderungen im Blick auf gesellschaftliche
Veraenderungen in ihren Laendern, wenn sie deutlich machen
koennen: Wir moegen zwar klein sein, aber wir gehoeren zu einer
grossen Weltgemeinschaft.

LWI: Seit der Siebenten LWB-Vollversammlung 1984 im ungarischen
Budapest versteht sich der LWB nicht mehr als ein lockerer
Kirchenbund, sondern als eine Gemeinschaft von Kirchen. So heisst
es auch in der neuen LWB-Verfassung, die 1990 in Curitiba
(Brasilien) beschlossen wurde. Wird der LWB diesem Ziel gerecht
und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem
Selbstverstaendnis?

Krause: Das ist eine spannende Frage. Dass ein hoeheres Mass an
Gemeinschaft, bzw. an Verbindlichkeit erreicht worden ist, wurde
nachhaltig sichtbar angesichts der Unterzeichnung der Gemeinsamen
Erklaerung zur Rechtfertigungslehre. Der Lutherische Weltbund war
gehalten, alle Mitgliedskirchen zu fragen, die wiederum, wenn sie
sich synodal verfasst hatten, ihre Synoden einzubeziehen hatten.
Und es ist ja nicht zu einem absolut einhelligen Votum der
Mitgliedskirchen gekommen. Nun war die Frage: Wer entscheidet? Mit
ueberwaeltigender Mehrheit und einer sorgfaeltigen theologischen
Auswertung der eingegangenen Voten ist die Empfehlung an den Rat
des Lutherischen Weltbundes gegangen, die Gemeinsame Erklaerung zu
unterschreiben. Der Rat hat dann einstimmig positiv entschieden
und es ist ihm von keiner Mitgliedskirche widersprochen worden.
Die Gemeinschaft hat sich bewaehrt.

Es stellt sich die Frage, wieviel Autoritaet einer Gemeinschaft
von den einzelnen Kirchen uebertragen wird. Das war sicherlich ein
Punkt, wo deutlich wurde, hier ist eine staerkere Verbindlichkeit
nicht nur gewuenscht, sondern auch moeglich. Im Blick auf die
Diskussion, ob der Lutherische Weltbund sich als Communio
bezeichnen soll, bin ich der Ueberzeugung, dass dies noch einer
sehr sorgfaeltigen Definition bedarf. Ein hoeheres Mass an
Verbindlichkeit und an verpflichtendem Charakter der
LWB-Gemeinschaft darf auf keinen Fall seinen Ausdruck in erster
Linie in einer staerkeren Zentralisierung in Genf finden. Wir
brauchen und wollen kein "lutherisches" Rom.

Mir stellen sich vielmehr als zentrale Testfragen: Sind wir in der
Lage, angesichts der Herausforderungen der Zeit verbindlich und
verlaesslich miteinander und fuereinander Position zu beziehen?
Werden sich die Kirchen und die Menschen inmitten bitterster
Armut, die in zwei Dritteln der Welt herrscht, auf
Gemeinschaftsaussagen, teilen zu wollen, verlassen koennen und
duerfen? Oder sind das nur leere Erklaerungen? Wichtig wird sein,
theologisch klar die Frage zu beantworten, worauf sich die
Communio gruendet und ob dies von allen so geteilt wird. Die
wachsenden Unterschiede zwischen Nord und Sued sind nach meinem
Eindruck im oekonomischen Gefaelle zwischen Opfern und Gewinnern
der Globalisierung wie im oekumenischen Gefaelle zwischen den
historischen Kirchen und den charismatischen Gemeinschaften die
entscheidende Bewaehrungsprobe fuer eine solche Communio.

LWI: Waehrend die lutherischen Kirchen des Suedens wachsen,
teilweise sogar erheblich, nehmen die Mitgliederzahlen fast aller
grosser lutherischer Kirchen in Nordamerika und Europa weiter ab.
Worauf fuehren Sie die unterschiedliche Entwicklung zurueck und
was koennen die Kirchen voneinander lernen?

Krause: Unsere existenziellen Fragen in den Kirchen des Nordens
sind entweder sehr individuell oder im oeffentlichen Bereich sehr
abgehoben. Dies ist im Sueden anders. Die Glaubensfrage richtet
sich immer an die Gemeinschaft und deren Zusammenleben und
Ueberleben. Dazu kommt ein ganz natuerliches Verhaeltnis zur
Mission der Kirche und ein ganz natuerlicher Umgang damit. Die
eigene Position des Glaubens darzustellen und zu leben, ist im
Sueden unhinterfragte Selbstverstaendlichkeit.

Sehr viele der Kirchen, die in juengster Zeit zum Lutherischen
Weltbund hinzugekommen sind, sind aus der afrikanischen Mission
erwachsen, zum Beispiel aus der Mission der tansanischen oder der
namibischen Kirche. Und das spielt ja auch in den Gesellschaften
eine Rolle: Das Christuszeugnis oeffentlich zu machen und damit
auch eigene Positionen deutlich zu benennen, in lebendigen,
bewegten Gottesdiensten zum Ausdruck zu bringen und auch
selbstverstaendlich vom eigenen Christsein zu zeugen. Dies aber
ist uns im Norden oft verloren gegangen.

Die lutherischen wie die anderen historischen Kirchen, die im
Augenblick am schnellsten wachsen, sind diejenigen, denen es
gelingt, die charismatischen Bewegungen zu integrieren, in sich
aufzunehmen. So hat sich etwa im gleichen Zeitraum von 30 Jahren
die Mitgliederzahl der lutherischen Kirche in Braunschweig von
circa 670.000 auf 420.000 um knapp 40 Prozent verringert und in
Aethiopien von auch 670.000 auf ueber vier Millionen
versechsfacht.

Natuerlich stellt sich dann die Frage, wer veraendert wen und was
bedeutet das dann wieder fuer die konfessionelle Weltgemeinschaft?
Der grosse Aufbruch der charismatischen Glaubensbewegungen in der
suedlichen Hemisphaere kann nach meiner Auffassung nur im
Zusammenhang mit Armut und Leiden gesehen werden. Das Evangelium
ist das Evangelium der Armen und das Kreuz ist das Zeichen der
Kirche. Gerade im Leiden zeigt sich die Perspektive der Hoffnung,
Leid und Armut zu ueberwinden. Durch das Kreuz ins Leben gehen,
das ist eine Gegenentwurf zur Fun-Gesellschaft.

Darueber hinaus stehen wir heute vor der zentralen Aufgabe, zu
einem interreligioesen Dialog zu finden, mit anderen Religionen
gemeinsam nach Faehrten des Friedens und der Wuerde der Schoepfung
zu suchen und uns gemeinsam fuer die Ueberwindung von Armut,
Ungerechtigkeit und Gewalt zu engagieren. Es geht um die beruehmte
Trias von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schoepfung.
Hierbei ist es unerlaesslich, dass man mit Respekt und Neugier
sowie dem Wunsch, sich kennen lernen zu wollen, aufeinander
zugeht. Genauso wichtig ist aber auch, die eigene Position zu
klaeren: Wofuer stehen wir eigentlich? Und das ist etwas, was wir
von den Kirchen des Suedens lernen koennen: Mit einer natuerlichen
Selbstverstaendlichkeit der eigenen und im eigenen Herzen
verwurzelten Glaubensueberzeugung auch in der Oeffentlichkeit
Position zu beziehen. Aus seiner besonderen Erfahrung heraus
sollte der Lutherische Weltbund im interreligioesen Dialog
ausloten, inwiefern das Modell von der versoehnten Verschiedenheit
ueber die christliche Gemeinschaft hinaus auch fuer die
Gemeinschaft der Religionen moeglich ist.

LWI: In den vergangenen sechs Jahren haben Sie viele
LWB-Mitgliedskirchen persoenlich besucht. Sie waren bei Kirchen
auf allen Kontinenten, in nahezu allen Laendern Mittel- und
Osteuropas zu Gast und haben als erster LWB-Praesident die Kirchen
in Papua-Neuguinea besucht. Welchen Eindruck haben Sie von der
weltweiten lutherischen Gemeinschaft gewonnen und was konnten Sie
auf Ihren Reisen bewegen?

Krause: Ich habe immer wieder das grosse
Zusammengehoerigkeitsgefuehl, ja ein regelrechtes Familiengefuehl
und eine unglaubliche Gastfreundschaft gespuert und erfahren.
Ueberall zu Hause sein zu koennen, wo es lutherische Kirchen gibt,
das war eine grosse und wunderbare Erfahrung. Und dafuer bin ich
von Herzen dankbar.

Der zweite Punkt ist, dass ich auf meinen Reisen den Kirchen immer
wieder deutlich machen konnte: Ihr seid Teil eines groesseren
Ganzen. Das hat konkret etwa in Mittel- und Osteuropa eine ganz
wichtige Rolle gespielt, da wo die kleineren lutherischen Kirchen
in den frueheren Ostblockstaaten sich nun in postkommunistischer
Zeit ganz neu in ihren Gesellschaften positionieren mussten. Dies
betrifft fast alle Fragen des kirchlichen Lebens. Hierzu gehoeren
der Wiederaufbau der Diakonie, die in den kommunistischen Laendern
zu einem nicht geringen Teil untersagt war, die Gefaengnis- und
Militaerseelsorge, die Frage von Religionsunterricht in den
Schulen, kirchliche Feiertage und vieles mehr. Hier kam zugleich
die Bedeutung der Kirchen fuer den neuen Prozess des
Zusammenwachsens Europas in den Blick.

Da hat es doch in vielen Laendern die Moeglichkeit gegeben, dass
anlaesslich des Besuches des Praesidenten des Lutherischen
Weltbundes auch Gespraeche auf hoechster politischer Ebene
stattfanden und damit eben auch die Wahrnehmung der jeweiligen
Regierungen und politisch Verantwortlichen hinsichtlich der
wichtigen Brueckenfunktion der Kirchen in ihren eigenen Laendern
gestaerkt werden konnte. Ein Beispiel ist etwa Indonesien, das
Land, mit den meisten Muslimen in der Welt und den nicht
unerheblichen Spannungen zwischen Christen und Muslimen. Hier
konnte ich mit Staatspraesidentin Megawati sprechen, aber auch mit
den Fuehrern der islamischen Vereinigungen. Es konnten Tueren
geoeffnet werden, was haeufig vor Ort den kleineren Kirchen nicht
moeglich ist. Das sind Erfahrungen, die mich haben spueren lassen,
wie wichtig es fuer diese Kirchen ist, einer Weltgemeinschaft
anzugehoeren und diese dann auch praesent zu machen.

Ich habe meine Besuche immer auch ausdruecklich als pastorale
Besuche begriffen. Ich konnte nicht allen Einladungen folgen, das
ist klar. Aber ich bin in erster Linie denen gefolgt, wo es
Kirchen schwer hatten oder wo sie unmittelbaren Herausforderungen
gegenueberstanden, zum Beispiel auch lutherische Kirchen, die von
Spaltung bedroht waren oder sind. Hier ist es wichtig, dass wir
von der weltweiten Gemeinschaft her zumindest einen Tisch
anbieten, an dem die Konfliktparteien zusammenkommen koennen.

LWI: 1997 stand die Neunte Vollversammlung unter dem Thema: "In
Christus - zum Zeugnis berufen", es war die letzte Vollversammlung
im 20. Jahrhundert sowie die erste auf dem asiatischen Kontinent.
Welche Impulse erhoffen Sie sich von der Zehnten Vollversammlung,
die vom 21. bis 31. Juli im kanadischen Winnipeg zum Thema: "Zur
Heilung der Welt" stattfindet?

Krause: Das Thema der Zehnten Vollversammlung hat eine
ausserordentliche und ueberraschende Aktualitaet. Nach der
Revolution 1989/90 hatten wir erhofft, dass wir jetzt naeher
beieinander sind. Der Ost-West-Konflikt war beendet, Grenzen
fielen und Schwellen wurden niedriger. Und dann brach das auf, was
wir wahrscheinlich zu wenig gesehen hatten, was unter der Kruste
des Ost-West-Konflikts lag, also der gewaltige Riss zwischen Arm
und Reich, die Missachtung der Menschenrechte, Konflikte zwischen
den Religionen und neue Gewalt. Das heisst, es wird unter dem
Stichwort "Zur Heilung der Welt" wichtig sein zu sehen, wo sind
die entscheidenden, schwer wiegenden Brueche, Wunden und Risse,
die wir in den Blick nehmen muessen.

Der zweite ganz entscheidende Punkt ist, klar zu machen, von woher
uns Hilfe kommt. Hier wird die Rechtfertigungslehre noch einmal
eine wesentliche Rolle spielen auch in ihrer sozialethischen
Konsequenz: Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Gnade. Also die
Heilung der Welt wirklich von Gott zu erbitten, zu erhoffen und zu
erwarten und sich so miteinander aufzumachen in der Nachfolge
Jesu.

LWI: Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus? Im Jahr 2017 wird die
lutherische Gemeinschaft den 500. Jahrestag des Beginns der
Reformation begehen, im Jahr 2022 feiert der LWB sein 75-jaehriges
Bestehen. Wo steht der LWB dann, in welcher Weise koennte er sich
veraendert, weiterentwickelt haben?

Krause: Also, da kann man jetzt nur eine Vision formulieren. Ich
vermute, dass aus den Bewegungen des Suedens heraus die parochiale
Kirchlichkeit mit ihren Institutionen und Ordnungsstrukturen
staerker zuruecktreten wird gegenueber spirituellen Bewegungen.
Auch die traditionellen lutherischen Ordnungskirchen werden sich
mehr zu geistlichen Aufbruchskirchen entwickeln. Es mag sein, dass
sie dabei kleiner werden, aber ich glaube, dass sie mehr
Bewegungscharakter bekommen werden. Hier muss ein Lutherischer
Weltbund in erster Linie die Verknuepfungsstelle sein, eine
Dienstfunktion haben, um in einem solchen Prozess Gemeinschaft
weltweit zu ermoeglichen.

Umgekehrt wird damit aber auch ein staerkeres Zuruecktreten des
Lutherischen Weltbundes als diakonische zwischenkirchliche
Hilfsorganisation verbunden sein. Zentrale Frage wird sein: Was
haben wir je aus unserer Situation heraus einzubringen und mit
anderen zu teilen? Und wie bewaehren wir unsere Communio von der
gemeinsamen Grundlage der reformatorischen Theologie her? Die
Globalitaet des Instruments, das wir mit dem LWB in Haenden haben,
muss staerker genutzt werden. Das wird auch zur Foerderung einer
gesamtoekumenischen Gemeinschaft beitragen.

Zudem wird es sehr darauf ankommen, wie sich der Oekumenische Rat
der Kirchen veraendert. Der wird auch die charismatischen, die
geistlichen Bewegungen staerker aufnehmen muessen, worum er sich
ja bereits bemueht. Ich hoffe, dass da ein staerkerer Verbund
moeglich wird, und dass der LWB mit den anderen konfessionellen
Weltbuenden und dem OeRK die kritische Funktion der Theologie zu
verbinden vermoege mit dem missionarischen Aufbruch der eher
charismatisch bewegten Kirchen und Gemeinschaften.

Das andere, was ich mir erhoffe, ist, dass wir an einem Tisch
miteinander sitzen mit den Menschen der verschiedenen Religionen,
um miteinander Wege des Friedens zu suchen. Und in diesem
Zusammenhang hoffe ich, dass auch ein Lutherischer Weltbund, wie
immer er sich dann auch organisatorisch artikulieren mag, mit dazu
beitraegt, jeder Form des Fundamentalismus zu wehren und
gemeinsame Positionen zum Frieden der Welt zu foerdern. Gerade da
sehe ich also die Zukunft des Lutherischen Weltbundes, als
Dialogplattform zu dienen, aber nicht um des Dialogs Willen,
sondern um des Lebens Willen. Das waere ein veraenderter, ein sehr
bewegter Lutherischer Weltbund und ein gewiss nicht mehr primaer
nord-atlantischer. (3.239 Woerter)

(Mit LWB-Praesident Landesbischof i. R. Dr. Christian Krause
sprach LWI-Redakteur Dirk-Michael Groetzsch.)

*	*	*

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund 61,7 Millionen der
weltweit rund 65,4 Millionen LutheranerInnen in 76 Laendern
angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der
Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen Organisationen.
Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen
gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und interreligioese
Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte,
Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und
Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst
des Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes
Material gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die
Haltung oder Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder.
Die mit "LWI" gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit
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***
LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
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