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FEATURE: Heimatlos im eigenen Land


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Sat, 18 Oct 2003 17:54:06 -0500

FEATURE: Heimatlos im eigenen Land
Lutherische Kirche unterstuetzt gemeinsam mit NGOs und Regierung
Neuansiedlung vertriebener Menschen
 
Bogota (Kolumbien)/Genf, 17. Oktober 2003 (LWI) - "Macht euch
weg hier; es wird Kaempfe geben und wir koennen keine
Verantwortung fuer euch uebernehmen", warnte ein
Guerillakommando, das gegen Mittag in die Siedlung des
Kolumbianers Abel Buitrago im Nordosten Kolumbiens einrueckte.
"Wir wollen euer Leben schuetzen, deshalb packt eure Sachen und
haut ab", befahlen mehrere paramilitaerische Kaempfer wenige
Stunden spaeter.
 
Abel Buitrago wusste genau, was das zu bedeuten hatte, und
folgte dem Befehl. Ebenso verliessen auch 40 weitere Familien in
Buitragos Nachbarschaft ihre Haeuser und Tiere. Aus der
Entfernung hoerten sie bald den Laerm, der auf ein Feuergefecht
schliessen liess. Spaeter erfuhren sie, dass zwei unbeteiligte
Jugendliche zwischen die Fronten geraten und getoetet worden
waren. Niemand wusste, wie viele Kaempfer in den Gefechten ihr
Leben verloren hatten. Die Leichen werden normalerweise in den
Sumpf geworfen und treiben von dort allmaehlich den Fluss
hinunter, bis sie von Fischern gefunden werden. Sie werden dann
unter N.N. (Namen unbekannt) registriert. Das ist in Kolumbien
nach vier Jahrzehnten Buergerkrieg zur Routine geworden.
 
Abel Buitrago ist Zimmermann und gehoert zu den rund drei
Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, seit
1985 die Zwangsvertreibungen in Kolumbien begonnen haben. Diese
Vertreibungen sind nicht mehr nur "Kollateralschaeden" in dem
jahrzehntelangen Konflikt, in dem es um Drogenhandel, den Kampf
der Bauern fuer eine Bodenreform und politische Macht geht.
Vertreibungen gehoeren zur zentralen Strategie derer, die die
Kaempfe in dem suedamerikanischen Land mit seinen ueber 41
Millionen EinwohnerInnen schueren, organisieren und davon
profitieren. Diese Statistik veroeffentlichte kuerzlich die
kolumbianische Beratungsstelle fuer Menschenrechte und
Vertreibung CODHES, eine angesehene Nichtregierungsorganisation.
Diesem Bericht wird Bedeutung beigemessen, da die vom staatlichen
Netzwerk fuer soziale Solidaritaet zusammengestellten Zahlen nur
die offiziell registrierten Familien beruecksichtigen, waehrend
viele Vertriebene, die sich aus Angst vor Verfolgung nicht offen
melden, unberuecksichtigt bleiben. 
 
Mehr als 1.000 Menschen werden taeglich vertrieben

Es ist jetzt drei Jahre her, seit Buitrago, seine Frau und drei
Kinder nach Nueva Colombia gekommen sind, einer Barackensiedlung,
die circa 14 Kilometer von ihrem ersten Zufluchtsort, der Stadt
Bucaramanga im Nordosten Kolumbiens, entfernt liegt.
 
Nueva Colombia ist eine Siedlung aus Bretterbuden im
Guatiguara-Tal, einer Landschaft, in der Zuckerrohr und Tabak
angebaut werden und in der sich die Reichen die Zeit in ihren
Luxus-Clubs vertreiben. Strom wird illegal aus einem Tal weiter
unten abgezweigt, das Wasser kommt aus hochgelegenen Bergquellen.
Eine Klaeranlage gibt es nicht. Diese Art von Siedlung ist in
Kolumbien keine Seltenheit. Nach Angaben von CODHES verlassen
taeglich 1.144 Menschen ihre Heimatgebiete. Im letzten Jahr wurde
in 955 von insgesamt 1.100 Gemeinden die Vertreibung eines Teils
der Bevoelkerung registriert. Waehrend die EinwohnerInnenzahl in
152 dieser Ortschaften einen drastischen Rueckgang verzeichnete,
stieg sie in 124 anderen aufgrund des ploetzlichen Zuzugs neuer
BewohnerInnen ungewoehnlich stark an. 
 
Eine Reihe einheimischer und internationaler NGOs setzt sich
fuer die Vertriebenen in Kolumbien ein, da die Regierung die
Vielzahl entwurzelter Menschen nicht ausreichend versorgen kann.
Buitrago und seine Familie erhielten von der
Evangelisch-Lutherischen Kirche Kolumbiens (IELCO), die seit 20
Jahren Entwicklungsarbeit leistet, Unterstuetzung fuer den Bau
einer Unterkunft, Nahrungsmittel und die Erfuellung anderer
Grundbeduerfnisse. Die IELCO wird in ihrer Arbeit unterstuetzt
von der Abteilung fuer Weltdienst (AWD) des Lutherischen
Weltbundes (LWB) und ACT International (Action by Churches
Together - Kirchen helfen gemeinsam), einem weltweiten Netzwerk
von Kirchen und Partnerorganisationen, die ihre Hilfsmassnahmen
fuer Menschen in Not gemeinsam koordinieren. Das Engagement der
Kirche fuer die Vertriebenen ist begrenzt, da die zur Verfuegung
stehenden Mittel nicht ausreichen, um allen Beduerftigen zu
helfen. Sowohl mit NGOs als auch mit Regierungseinrichtungen sind
Kooperationsvereinbarungen unterzeichnet worden, um die
Aktivitaeten in diesem Bereich auszuweiten. Die Regierung strebt
die Rueckkehr von 30.000 Familien pro Jahr an, aber Sicherheit,
Schutz und dauerhaft stabile Lebensbedingungen sind bislang nicht
gewaehrleistet und viele Menschen sind Opfer wiederholter
Vertreibungen.
 
Nach dem Abbruch der Friedensverhandlungen zwischen der
vorherigen Regierung und den Revolutionaeren Streitkraeften
Kolumbiens (FARC) im Februar 2002 und insbesondere nach der
Amtsuebernahme von Praesident Alvaro Uribe Vilez im August 2002
war es zu einem Aufflammen der Kaempfe gekommen, was auf die neue
Politik der "demokratischen Sicherheit" mit ihrer starken
Betonung des Einsatzes militaerischer Mittel zur Beendigung des
innerstaatlichen Konflikts zurueckzufuehren ist. Diese neue
Schwerpunktsetzung geht mit einer deutlich spuerbaren Kuerzung
der Sozialausgaben einher und setzt die Bevoelkerung steigender
Gewalt und Unsicherheit aus.
 
Zu den weiteren Projekten der IELCO in Nueva Colombia gehoert
eine Mehrzweckhalle, die als Kirche, Speisesaal fuer Kinder,
Drogerie, ambulante Krankenstation, Radiosender, Schule, Theater
und Begegnungsstaette genutzt wird. Die lutherische Kirche
Kolumbines engagiert sich vor allem in der Begleitung der
Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit, Versorgung mit sauberem
Trinkwasser und Energie, Risikomanagement, Anpflanzung von
Baeumen und Bildung, mit dem Ziel, Eigenstaendigkeit und
Fortschritt zu erreichen. In 85 Prozent der vertriebenen Familien
in Kolumbien leben Kinder und Jugendliche, die kaum oder keine
Moeglichkeit zu geregeltem Schulbesuch haben. 
 
Abel Buitrago ist damit beschaeftigt, eine der Mauern des
Wasserreservoirs, aus dem fast 300 Familien mit Wasser versorgt
werden, zu befestigen. Er ist stolz auf die Veraenderungen, die
sich dank der psycho-sozialen Betreuung und der
Entwicklungsarbeit der IELCO in seiner Siedlung feststellen
lassen. "Es war unsere Aufgabe, den vielen verbitterten Menschen
hier zu helfen umzudenken", erzaehlt er. "Heute haben wir eine
Gemeinschaft. Wir haetten uns nie traeumen lassen, dass einmal so
viele Menschen bei der Arbeit an dem Wassertank mithelfen
wuerden. Die Frauen schleppen Baustoffe auf ihren Schultern heran
und die Maenner bearbeiten Felssteine."
 
Die 3.000 Mitglieder zaehlende IELCO wurde 1958 gegruendet und
gehoert seit 1966 zum LWB. Ihr Buero fuer Entwicklungsarbeit
wurde 1982 eingerichtet und hat die Aufgabe, ganzheitliche
Entwicklungsprojekte fuer Familien und marginalisierte
Gemeinschaften zu foerdern. (926 Woerter)
 
(Der Beitrag basiert auf Informationen von LWB/AWD und IELCO.)
 
Dieser Beitrag gehoert zu einer Feature-Serie der Lutherischen
Welt-Information (LWI) zum Thema der Zehnten LWB-Vollversammlung
2003 "Zur Heilung der Welt". Die Serie beleuchtet die Relevanz
des Vollversammlungsthemas in den verschiedenen regionalen und
lokalen Kontexten der weltweiten lutherischen Gemeinschaft und
stellt Projekte der Versoehnung und Heilung vor angesichts
weltweiter Bedrohung. Der LWB beschaeftigt sich auch nach
Abschluss der Zehnten Vollversammlung, die vom 21. bis 31. Juli
2003 in Winnipeg (Manitoba/Kanada) stattfand, mit dem
Vollversammlungsthema. LWI wird seiner Feature-Serie zu diesem
Thema auch in Zukunft einen wichtigen Platz einraeumen.
 
*	*	*
 
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft
lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden)
gegruendet, zaehlt er inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund
61,7 Millionen der weltweit rund 65,4 Millionen LutheranerInnen
in 76 Laendern angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat
der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen
in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und
interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe,
Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.
 
Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als
Informationsdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB)
herausgegeben. Veroeffentlichtes Material gibt, falls dies nicht
besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder Meinung des LWB
oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden. 
 
*	*	*
 
LWI online unter: http://www.lutheranworld.org/News/Welcome.DE.html 
 
LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
Postfach 2100, CH-1211 Genf 2, Schweiz
Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
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Fax: +41-22-791-6630	     
E-Mail: dmg@lutheranworld.org 


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