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Schuetzt neue afghanische Verfassung religioese


From "Christian B. Schäffler (APD Schweiz)" <APD@stanet.ch>
Date Wed, 14 Jan 2004 22:48:17 +0100

Minderheiten?

14. Januar 2004
Adventistischer Pressedienst (APD)
Christian B. Schaeffler, Chefredakteur
Fax +41-61-261 61 18
APD@stanet.ch
http://www.stanet.ch/APD
CH-4003 Basel, Schweiz

Schuetzt neue afghanische Verfassung religioese Minderheiten?

Kabul, Afghanistan.	    Nach Jahrzehnten des Krieges und der
Taliban-Herrschaft hat am 4. Januar 2004 die Grosse
Ratsversammlung (Loja Dschirga) in Kabul eine neue Verfassung
fuer Afghanistan beschlossen und damit erstmals den Weg zu
freien Wahlen geebnet. Nach dreiwoechigen teils zaehen
Verhandlungen verstaendigten sich die 502 Delegierten in
mehreren Streitpunkten auf Kompromisse. Die Islamische
Republik Afghanistan verfuegt jetzt ueber eine starkes
Prdaeidialsystem, in dem der Islam als heilige Religion gilt,
gleichzeitig aber Religionsfreiheit gewaehrleistet ist.

Bis zuletzt hatten die Delegierten darueber gestritten, ob die
Sprache des Minderheitenvolks der Usbeken als dritte
Amtssprache gleichberechtigt neben den bisherigen Staatssprachen
Paschtu und Dari stehen soll. Der Kompromiss sieht vor, dass die
Sprachen von Minderheiten in deren Hauptsiedlungsgebieten
neben den beiden Amtssprachen den Status einer offiziellen
Sprache erhalten. Der neuen Verfassung zufolge gelten fuer
Maenner und Frauen gleiche Rechte und Pflichten. Der Loja
Dschirga ist es offensichtlich gelungen, den Anspruch eines
demokratischen Rechtsstaats mit der Realitaet einer islamischen
Stammesgesellschaft zu verbinden.

Beobachter meinen, ohne den Druck des amerikanischen
Botschafters Zalmay Khalilzad, des eigentlichen Regenten in
Kabul, haetten sich die Delegierten an der Grossen
Ratsversammlung wohl kaum einigen koennen. Das ist ein
grossartiger Erfolg fuer das afghanische Volk sagte der UNO-
Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi. Auch der UNO-Beauftragte
musste mit diplomatischem Geschick nachhelfen, den erbitterten
Konflikt ueber den Stellenwert der afghanischen Landessprachen
auszuraeumen. Brahimi sprach von Schuerfwunden, die in den
kommenden Monaten geheilt werden muessten.

Der Vorsitzende der Loja Dschirga, der fruehere afghanische
Praesident Sibghatullah Mudschadeddi gab den Delegierten nach
Sitzungsende noch eine Mahnung mit auf den Weg: Lasst uns vor
Gott und unserem Volk versprechen, diese Verfassung in die
Wirklichkeit umzusetzen. Wenn nicht, wird uns das nicht zum
Guten gereichen. Die Umsetzung der neuen Verfassung soll von
einer neu zu bildenden parlamentarischen Kommission ueberwacht
werden.

Nach Ansicht von Menschenrechtlern enthaelt die neue Verfassung
Unwaegbarkeiten im Blick auf die Religionsfreiheit von
Minderheiten. Zwar erklaere die Verfassung das Land zu einer
Islamische Republik und die Anhaenger anderer
Glaubensrichtungen duerften ihre religioesen Praktiken in
Uebereinstimmung mit den Gesetzesvorschriften ausueben. Der
Verfassungstext sage aber nichts ueber eine Trennung von
Religion und Staat aus und spreche unterschiedlichen
Religionsgemeinschaften nicht die gleichen Rechte zu, schreibt der
Evangelische Nachrichtendienst idea. Woertlich heisst es in
Artikel 3 der Verfassung: Kein Gesetz kann dem Glauben und
Bestimmungen der heiligen Religion des Islam entgegengesetzt
sein. US-amerikanische Beobachter saehen die Verfassung fuer
nicht ausreichend an, um Glaubensminderheiten zu schuetzen.

In Afghanistan waren die meisten Menschen froh, als mit der
Zerstoerung ihres islamischen Staates der Versuch der Taliban
endete, eine besonders engstirnige Auslegung der religioesen
Gebote mit einem System durchzusetzen, das Religion und Politik
voellig verschraenkte und einerseits an die strenge Kirchenzucht
unter Calvins Regiment in Genf nach 1541 und andererseits in
seiner Menschenverachtung im Namen der Tugend an das
Terrorregime der Jakobiner im Frankreich der Franzoesischen
Revolution erinnerte.

Ob allerdings mit dem Scheitern des Taliban-Regimes und der
Einfuehrung einer neuen demokratischen Verfassung fuer
Afghanistan das Problem islamischer oder saekularer Staat aus
der Welt geschaffen wurde, bleibt offen. Bereits vor der Eroberung
Kabuls durch die Taliban 1996 war der Praesident ein
Religionsgelehrter und hiess der Staat ganz offiziell "Islamische
Republik Afghanistan". Wie alle anderen Buergerkriegsparteien
hatten auch die hinter dem damaligen Praesident Burhanuddin
Rabbani stehenden Fraktionen in den Jahren zuvor fuer die
Errichtung eines islamischen Staates gekaempft - allerdings war
der Kampf weniger darum gefuehrt worden, wie dieser Staat
konkret gestaltet werden solle, als darum, wer ihn beherrscht.

Im Vielvoelkerstaat Afghanistan zaehlen mehr als 50 Prozent der
Einwohner zum Staatsvolk der Paschtunen, die das Land
traditionell beherrschten. Die Tadschiken machen etwa ein Viertel
aus, Usbeken und Hasara je ein Zehntel.

Von den rund 25 Millionen Einwohnern Afghanistans sind 98
Prozent Muslime (84 Sunniten; 14 Prozent Schiiten). Anhdaeger
anderer Religionen wie Christen, Hinduisten, Sikhs und
Zoroastrier bilden winzige Minderheiten.


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