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Weltsozialforum motiviert junge lutherische TheologInnen, sich


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Fri, 30 Jan 2004 13:36:50 -0600

Weltsozialforum motiviert junge lutherische TheologInnen, 
sich politisch am Kampf der Urvoelker zu beteiligen
Indischer Bischof: "Was einer Kirche oder Gemeinschaft geschieht, geht uns
alle."
 
Mumbai (Indien)/Genf, 30. Januar 2004 (LWI) - Idan Topno war begeistert, dass
sie am Vierten Weltsozialforum (WSF) teilnehmen durfte, das vom 16. bis 21.
Januar in Mumbai (Indien) stattfand. Die junge Theologin interessierte sich
schon lange fuer die sozialen Anliegen ihrer Gemeinschaft und ihrer Kirche.
Sie hoffte, beim WSF werde man etwas ueber die Arbeit und den Kampf anderer
Urvoelker wie ueber den ihres eigenen Volksstamms - der Adivasis - erfahren.
90 Prozent der 361.520 Mitglieder ihrer Kirche, der indischen
Evangelisch-Lutherischen Gossner-Kirche in Chotanagpur und Assam (GELC),
gehoeren der indigenen Bevoelkerung an. So auch Topno, die erstmals an einem
WSF teilnahm.
 
Das WSF, das unter dem Thema "Eine andere Welt ist moeglich" stand, wurde zu
einem "Forum fuer die Rechte meines Volkes und meiner Kirche", empfand Topno,
als sie die Ansprachen ganz unterschiedlicher RednerInnen in mehreren
Seminaren zu den Problemen der Urvoelker hoerte. "In Mumbai habe ich
erfahren, dass zwar manche Kirchen wegen ihrer unterschiedlichen historischen
Praegungen nicht zu vereinigen sind, dass sie aber hier zusammenkommen und
mit einer Stimme fuer die Rechte der Marginalisierten in unserer Gesellschaft
eintreten koennen." Sie gehoerte zu der neunkoepfigen WSF-Delegation der
Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Indien (UELCI), dem
Zusammenschluss von zehn lutherischen Kirchen, von denen neun Mitglieder des
LWB sind. 
 
Was Topno beim WSF in Mumbai erlebte, war indessen fuer sie, und wie sie
hoffte, auch fuer andere VertreterInnen der UELCI, zugleich Anlass zu
Selbstkritik. Ihr wurde bewusst, dass sich die GELC und andere lutherische
Kirchen zwar am Kampf der Adivasis (und anderer marginalisierter
Gemeinschaften, etwa der Dalits) mit Entwicklungs- und Bildungsprojekten
beteiligten, dass das aber noch nicht ausreicht. "Unsere lutherischen Kirchen
muessen die Urbevoelkerung zuruesten, politische Macht einzufordern. Wir
wissen viel ueber die Rechte und den Kampf der Urvoelker und der Dalits, und
hier habe ich noch weitere Informationen erhalten. Diese Informationen aber
muessen wir an die Menschen an der Basis weitergeben", sagte sie. Topno
verliess das WSF fest entschlossen, sich staerker am Kampf der Adivasis und
Dalits zu beteiligen und vor allem, ihnen zu groesserer politischer Kompetenz
zu verhelfen. "Als Stammesvoelker und Dalits ohne rechtliche Instrumente
koennen wir unsere Probleme nic
 h!
t wirksam anpacken." Ihren kuenftigen Arbeitsschwerpunkt fasste die angehende
Pfarrerin mit den Worten zusammen: "Ich muss politisch aktiv werden."
 
Fuer eine andere junge Theologiestudentin, Sanchita Kisku, war das WSF ein
Ort, an dem die Gleichheit aller Menschen unabhaengig von ihrem Geschlecht,
ihrer Kaste, Religion, sozialen Stellung, wirtschaftlichen oder politischen
Ausrichtung zum Ausdruck kam. Unter zahlreichen oeffentlichen Versammlungen
und Seminaren, Demonstrationen, Konzerten, Theaterauffuehrungen und
literarischen Werken, Filmvorfuehrungen, Fotoausstellungen und einer Vielzahl
anderer Kulturveranstaltungen, die von einem breiten Spektrum von Gruppen
angeboten wurden, fuehlte sie sich vor allem von einer Botschaft ermutigt:
"Auf dem WSF gibt es keine obere Kaste und keine Dalits, nicht Maechtige und
Machtlose. Hier sind alle gleich."
 
Ihre Erlebnisse weckten in Kisku, die der Noerdlichen
Evangelisch-Lutherischen Kirche angehoert, hohe Erwartungen: "eine andere
Welt ist moeglich". Sie ist davon ueberzeugt, dass ihrem Volk, ihrer Kirche
und der UELCI eine wichtige Rolle zukommt, wenn es darum geht, dafuer zu
sorgen, dass allen Menschen, die an den Rand der Gesellschaft geraten sind,
Gerechtigkeit widerfaehrt. Als Beispiel nannte sie die wirtschaftliche
Globalisierung und ihre negativen Auswirkungen auf Urvoelker wie ihr eigenes.
Unter dem Vorwand, Arbeitsplaetze zu schaffen und hoehere finanzielle Profite
fuer "alle" zu sichern, duerften multinationale Konzerne das Land der
Urbevoelkerung zur Erschliessung erwerben und natuerliche Ressourcen
ausbeuten, die nicht erneuerbar seien. Das WSF sei ein Forum, meinte sie, bei
dem man sich gegen die Machenschaften von Regierung und multinationalen
Konzernen zur Wehr setzen koenne. Darueber hinaus rufe es die Kirchen auf,
mit vereinter Kraft und mit einer Stimme fuer 
 d!
ie Machtlosen einzutreten.
 
Kisku und Topno gehoerten der neunkoepfigen UELCI-Delegation an, die zusammen
mit einer Gruppe von Stabsmitgliedern des Genfer Sekretariats des
Lutherischen Weltbundes (LWB), MitarbeiterInnen der LWB-Laenderprogramme und
VertreterInnen des Rates des LWB verschiedene Problembereiche verfolgte, die
beim WSF 2004 zur Sprache kamen. Viele der UELCI-Delegierten, mit denen die
Lutherische Welt-Information (LWI) sprach, aeusserten sich dankbar fuer die
neu gewonnenen Erkenntnisse und die neuen Herausforderungen, die zu
Problembereichen wie den Rechten der Dalits und der Stammesvoelker,
religioeser Intoleranz, Gewalt gegen Frauen, Sexualitaet, HIV/AIDS,
nachhaltiger Entwicklung und Umweltfragen, Wasser, Privatisierung und
Globalisierung auf der Tagesordnung standen.
 
Zu Migration gehoert heute auch Frauen- und Kinderhandel zu sexuellen Zwecken

Bischof Lawrence G. Rao von der indischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Madhya Pradesh begruesste die vielfaeltigen Moeglichkeiten zur Vernetzung,
die das WSF biete. Er hatte zum ersten Mal an einer so grossen Zusammenkunft
teilgenommen, an der ein so breiter Querschnitt der Zivilgesellschaft
beteiligt war, die "so viel Substanz hatte und bei der alle gleichberechtigt
waren". Er hob besonders die Zeugnisse der verschiedenen Kulturen in
vielfaeltigen kuenstlerischen Darbietungen hervor. 
 
Ebenso wichtig war fuer den Bischof aus Madhya Pradesh die Herstellung von
Kontakten zu anderen Netzwerken, die die Ausbeutung von Urvoelkern in Indien
und weltweit anprangern. Beim WSF erfuhr Rao aber auch, dass die Migration
von Menschen weltweit auch Frauen- und Kinderhandel zu sexuellen Zwecken
einschliesst. Dagegen muesse die Kirche ihre Stimme erheben, bemerkte er. In
Mumbai hoerte er weltweit angesehene RednerInnen und sozial engagierte
Gruppen, die kritisierten, dass multinationale Konzerne gegenueber
Einheimischen bevorzugt wuerden, wenn die Ausbeutung von Naturschaetzen zur
sogenannten Entwicklung sowie die Beschaeftigung von Einheimischen durch
AuslaenderInnen genehmigt werde. "Entwicklung ist etwas Positives",
bekraeftigte er. Er habe aber auch erfahren, dass "die Urbevoelkerung nicht
fuer die Zerstoerung von Natur und Umwelt verantwortlich sei. Sie beschuetze
sie vielmehr, denn ihr Leben ist auf diese von Gott gegebenen Ressourcen
angewiesen." Ob wir nun selbst v
 o!
n den Problemen betroffen sind, mit denen andere in der UELCI und in der
groesseren Gemeinschaft zu kaempfen haben, oder nicht, "es ist Zeit, unsere
Stimmen fuer die Gerechtigkeit zu erheben. Was einem von uns geschieht, geht
alle an", so Rao.
 
Die Teilnahme am WSF hat das Interesse des Exekutivsekretaers des Nationalen
Komitees des LWB in Indien, Pfr. Augustine Jeyakumar, fuer das geweckt, was
er als "gespaltene" Herangehensweise an die Probleme von Kirche und
Gesellschaft beschrieb. Er stellte fest, dass die UELCI nahezu 40 Projekte
angestossen habe, die das Leben der an den Rand der Gesellschaft geratenen
Menschen verbessern sollen und die weitgehend auch vor dem WSF verhandelt
worden seien. "Wir neigen zu der Vorstellung, dass wir uns nur um Entwicklung
zu kuemmern haetten, und dass andere dafuer zustaendig waeren, ihre Stimme zu
erheben. Wir koennen viel mehr bewirken, wenn wir uns deutlicher zu Wort
melden."
 
Das WSF ist ein offener Versammlungsort, an dem Gruppen und Bewegungen aus
der Zivilgesellschaft, die sich energisch dem Neoliberalismus und einer von
wirtschaftlichen Interessen beherrschten Welt widersetzen, ihre Vorstellungen
entwickeln, ihre Ideen demokratisch diskutieren, Vorschlaege formulieren und
ihre Erfahrungen offen miteinander austauschen sowie sich fuer wirksames
gemeinsames Handeln vernetzen koennen. Es hat nicht das Ziel, so das Mitglied
des Organisationskomitees des WSF, Vincent Manoharan, Erklaerungen
herauszugeben oder Aktionsplaene zu entwickeln. Es ermoeglicht die Debatte
ueber alternative Wege zu globalisierter Solidaritaet, die die allgemeinen
Menschenrechte und die Rechte aller Maenner und Frauen in allen Nationen
achten. Das Forum will demokratische Weltsysteme und -institutionen fuer den
Dienst zugunsten sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und der Souveraenitaet
aller Menschen vorantreiben.
 
Zum ersten Mal hat das WSF ausserhalb Brasiliens stattgefunden, wo es im
Jahre 2001 in Porto Alegre ins Leben gerufen worden war. Seine Gruendung
kennzeichnete den Widerstand gegen die Ziele des Weltwirtschaftsforums, das
sich seit 1971 in Davos, Schweiz, versammelt und weltweit eine neoliberale
Politik propagiert und verteidigt. 2001 zaehlte das WSF 20.000
TeilnehmerInnen aus 117 Laendern, 2002 50.000 TeilnehmerInnen aus 123
Laendern; 2003 waren es 100.000 TeilnehmerInnen aus 130 Laendern. In diesem
Jahr waren mehr als 73.000 DauerteilnehmerInnen gemeldet; an weitere 24.000
wurden laut Manoharan Tageskarten ausgegeben. (1.276 Woerter)
 
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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer Kirchen
weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er inzwischen 136
Mitgliedskirchen, denen rund 61,7 Millionen der weltweit rund 65,4 Millionen
LutheranerInnen in 76 Laendern angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht eine
enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) und anderen
weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner
Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und
interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte,
Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.
 
Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material gibt,
falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder Meinung des
LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI" gekennzeichneten
Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe abgedruckt werden. 

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LWI online unter: www.lutheranworld.org/News/Welcome.DE.html 

LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
Postfach 2100, CH-1211 Genf 2, Schweiz
Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
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E-Mail: dmg@lutheranworld.org 


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