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Westjordanland: Es ist absurd - die Ernten verrotten und die


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Mon, 02 Feb 2004 14:57:42 -0600

Westjordanland: Es ist absurd - die Ernten verrotten und die Menschen
sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen
Friedlicher Protest gegen die "Mauer" im Westjordanland
 
Jayyous (Westjordanland)/Genf, 2. Februar 2004 (LWI) - "Warum bauen sie
die Mauer nicht entlang der gruenen Linie? Warum nehmen sie uns 70
Prozent unseres wertvollsten Landes? Was soll mit den Leuten geschehen,
die zwischen der gruenen Linie und der Mauer wohnen? Wovon sollen wir in
Zukunft leben? Die Arbeitsstellen in Israel sind schon verloren, jetzt
verlieren wir auch noch unser Land, von dem wir leben." Abu Assam, einer
der wohlhabenden Bauern in Jayyous, nordoestlich von Kalkilija im
Westjordanland, steht auf dem Huegel, auf dem sein Dorf liegt, und
blickt hinunter auf die fruchtbare Kuestenebene, auf sein Land jenseits
der "Mauer", wie die Sperranlage in Palaestina genannt wird. Bereits im
September 2002 war von Jayyous aus schon zu sehen, was auf die Menschen
zukommen wuerde. 
 
Der Bau der sogenannten "Mauer" begann mit einer gross angelegten
Enteignungsaktion. Im Nordwesten der besetzten palaestinensischen
Gebiete zwischen Jenin und Kalkilija fanden Bauern Mitte 2002 amtliche
Benachrichtigungen an ihre Baeume geheftet: Sie wurden von der
israelischen Zivilverwaltung fuer das Westjordanland davon in Kenntnis
gesetzt, dass bestimmte Stuecke Land aus militaerischen Gruenden
konfisziert wuerden. Gegen diesen Bescheid koenne innerhalb von 14 Tagen
Einspruch eingelegt werden. Als Begruendung wurden die schweren
Anschlaege genannt, die in der ersten Jahreshaelfte 2002 von
palaestinensischen SelbstmordattentaeterInnen auf die israelische
Zivilbevoelkerung ausgeuebt wurden. Das Westjordanland sollte abgesperrt
werden, um das Eindringen von TerroristInnen zu verhindern.
 
Was die LandbesitzerInnen aufbrachte, war weniger die Aussicht, in
Zukunft von Israel - und damit von ihren palaestinensischen Verwandten
in Israel und von israelischen Arbeitsplaetzen - abgeschnitten zu
werden, sondern der Verlauf der geplanten Sperranlage. Der folgte zu
Beginn der Bauarbeiten im Norden von Jenin noch der sogenannten "gruenen
Linie", der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland, wie sie 1967
nach dem Sechs-Tage-Krieg als Waffenstillstandslinie festgelegt worden
waren. Aber das Land, das fuer den Bau der Sperranlage weiter suedlich
konfisziert werden sollte, lag nicht an der gruenen Linie. Es lag an
vielen Stellen nicht nur einige hundert Meter, sondern einige Kilometer
oestlich dieser Grenze auf dem Boden der besetzten palaestinensischen
Gebiete. 
 
Zehntausende Olivenbaeume fielen dem Bau der "Mauer" bisher zum Opfer

Alle Einsprueche gegen die Enteignung wurden abgewiesen, und der Bau
begann. Mit schwerem Geraet wurde eine breite Schneise quer durch
Orangen- und Olivenplantagen geschlagen. Ueber 100.000 Baeume wurden
seither ausgerissen, darunter viele Olivenbaeume, die schon mehrere
Jahrhunderte ihre EigentuemerInnen ernaehrt hatten.
 
Die Erbitterung der Menschen entlang der neuen Grenze war gross. Es war
nicht nur der Verlust wertvollen Landes. Viele Gemeinden fanden sich nun
zwischen der gruenen Linie und der Sperranlage wieder, andere sahen sich
von ihrem Land westlich der neuen Grenze abgeschnitten. Alle
befuerchteten, dass sie nun keinen Zugang mehr zu den so wichtigen
Wasserquellen fuer die Bewaesserung der Felder und Gewaechshaeuser und
zur Gewinnung von Trinkwasser haben wuerden.
 
Mit Unterstuetzung durch internationale Solidaritaetsgruppen
organisierten die Betroffenen friedliche Proteste an der Baustelle. Der
Imam von Jayyous lud seine Gemeinde zum Freitagsgebet auf die Felder
ein. Aber kein Protest half, die Sperranlage nahm Gestalt an. Sie wurde
nicht nur ein "Sicherheitszaun", wie ihn die israelischen Behoerden
nannten. Es entstand eine befestigte Grenze mit allem, was dazu gehoert.
Und um die Staedte Tulkarem und Kalkilija herum wurde tatsaechlich eine
hohe Betonmauer gebaut.
 
Waehrend der Bauphase - bis hinein in die erste Haelfte 2003 - war es
den Bauern/Baeuerinnen noch moeglich, die Baustelle mit ihren Traktoren
und Transportern zu ueberqueren. Die Sicherheitskraefte, die die
BauarbeiterInnen schuetzen sollten, liessen sie gewaehren. Nur die
HaendlerInnen mit ihren Lastwagen blieben zunehmend aus. Das Fahren
wurde zunehmend schwieriger und die Sicherheitskraefte strikter. 
 
Im August 2003 war die Sperranlage schliesslich fertig. Auf jeder Seite
des 2,5 Meter hohen Zaunes verliefen eine Strasse, ein tiefer Graben mit
mehreren Rollen Stacheldraht, der mit kleinen, rasierklingenscharfen
Metallplaettchen besetzt ist. 
 
Die Tore bleiben wochenlang geschlossen

Unueberwindbar. Aber es gab auch zwei landwirtschaftliche Tore im Zaun
fuer Jayyous. Abu Assam war zwar skeptisch, aber nicht ganz ohne
Hoffnung. "Wir koennen auf unser Land. Das haben sie uns zugesagt. Aber
wir werden dort auch uebernachten, wenn es sein muss in Zelten."
 
Die Tore, die zunaechst weit offen standen, wurden im Oktober 2003
geschlossen und nur zu bestimmten Tageszeiten fuer kurze Zeit geoeffnet.
Nach neuen Anschlaegen in Israel und waehrend der israelischen Feiertage
wurden die Tore wochenlang ueberhaupt nicht geoeffnet. Wer auf den
Feldern uebernachtete, wurde unter Androhung schwerer Geldstrafen
vertrieben. Den Hirten von Jayyous, die mit ihren Schaf- und
Ziegenherden umherziehen, wurde der Zugang zum Land jenseits der
Sperranlage verweigert. Schliesslich wurden Passierscheine ausgegeben,
mit denen der Personenkreis, der ueberhaupt noch hinueberdurfte,
festgelegt wurde. Abu Assam und mit ihm viele andere Landbesitzer bekam
keinen. "Ich weiss nicht, warum. Aber ich gebe nicht auf", betonte er. 
 
Als naechstes plante Abu Assam eine Demonstration an einem der beiden
Tore. Er war wieder mit seinem Zelt da. Und bei ihm waren nicht nur die
Leute von Jayyous sondern auch viele internationale Freiwillige. Unter
ihnen auch Mitglieder des Oekumenischen Begleitprogramms in Palaestina
und Israel (EAPPI), die seit Oktober 2002 die Situation in Jayyous vor
Ort begleiten. Es kamen auch Busse mit israelischen
MenschenrechtsaktivistInnen. Abu Assam ist Mitglied einer Dialoggruppe,
zu der sowohl PalaestinenserInnen als auch Israelis gehoeren. 
 
"Eines Tages wird auch diese Mauer fallen!"

Er ist voller Lob und Anerkennung fuer die internationale
Unterstuetzung, die die Menschen in Jayyous sehr konkret in ihrem Dorf
erleben. Hinzu kommt die humanitaere Hilfe, insbesondere auch von
christlichen Organisationen. Darunter auch vom Lutherischen Weltbund
(LWB). "Diese Unterstuetzung ist fuer uns alle eine grosse Ermutigung
und ein Zeichen dafuer, dass die Welt uns nicht vergessen hat. Eines
Tages wird auch diese Mauer fallen!"
 
Abu Assam ist sich wohl bewusst, dass es ihm vergleichsweise noch gut
geht. Viele Menschen in Jayyous sind inzwischen auf humanitaere Hilfe
angewiesen. Nahrungsmittelhilfe kommt auf grossen Lastwagen ins Dorf.
"Die Verteilung ist schwierig, es gibt zu viele Arme, es reicht nicht
fuer jeden. Und das in einem Dorf, das nicht nur sich selbst, sondern
viele andere Menschen mit landwirtschaftlichen Produkten ernaehren
koennte. Unsere Ernten verrotten jetzt - und unsere Leute stehen
Schlange vor den Verteilstellen. Es ist absurd. Wie lange soll das noch
so weitergehen?" (1.017 Woerter)
 
(Ein Beitrag von Rudolf Hinz. Von Maerz 2002 bis Dezember 2003 war er
im Auftrag des LWB "Koordinator fuer Internationale Begegnung, Dialog
und Versoehnung" in Jerusalem.)
 
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