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'Kirchen nehmen die Regierungen in die Verantwortung.' Doch


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Tue, 03 Feb 2004 11:18:47 -0600

'Kirchen nehmen die Regierungen in die Verantwortung.'
 Doch wer fordert Rechenschaft von den Kirchen?
LWB-Konsultation will neue Strategien zur gegenseitigen
Verantwortlichkeit von Kirche und Staat entwickeln

Genf, 3. Februar 2004 (LWI) - Zu Transparenz und Ausuebung des
politischen Amtes zum Wohle der Bevoelkerung haben rund 20
internationale TeilnehmerInnen der Konsultation des Lutherischen
Weltbundes (LWB) "Kirchen nehmen die Regierungen in die
Verantwortung" aufgerufen. Die Konsultation fand vom 22. bis 25.
Januar 2004 unter der Leitung der LWB-Abteilung fuer Theologie
und Studien (ATS) in Genf statt. "Wir muessen eine lutherische
Sozialethik entwickeln, die als Ansatz das Verstaendnis aller
Kirchen als Communio verwendet und das Konzept der gegenseitigen
Verantwortlichkeit mit einbezieht", so ATS-Direktorin Pfarrerin
Dr. Karin Bloomquist. 
 
Die vorwiegend theoretisch-ethische Diskussion zum Verhaeltnis
von Kirche und Regierung der letzten Jahre habe haeufig nicht die
politische Realitaet und das tatsaechliche Verhaeltnis von Kirche
und Staat in vielen Laender mit in Betracht gezogen, betonte
Bloomquist. Nun gelte es, die Ansaetze noch einmal global im
Kontext der oekonomischen Globalisierung zu durchdenken und auf
ihre Realitaetsnaehe zu ueberpruefen. Aufbauend auf bisherigen
Veroeffentlichungen und Seminaren der ATS zum Thema der
oekonomischen Globalisierung sei das Ziel der Konsultation
Bloomquist zufolge vor allem, an die bisherige Beschaeftigung mit
dem Thema anzuschliessen und Bereiche ausfindig zu machen, die
noch der weiteren Arbeit beduerfen. 
 
Kernpunkt der Diskussion der TeilnehmerInnen bildete vor allem
das Konzept der Anwaltschaft, sprich das Eintreten fuer die
Rechte von Benachteiligten. Die Konsultation betonte dabei vor
allem die Notwendigkeit der Anwaltschaft seitens der Kirchen in
Beziehung zu Regierungen. Besonders erschien es notwendig, in der
Anwaltschaft je nach Kontext, Land und Ebene (lokal, national,
international) inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Jedoch ist
strittig, wer wann nach welchen Kriterien ueber diese
Schwerpunktsetzung entscheiden soll. 
 
Besonders auf lokaler Ebene gibt es in Hinblick auf
Anwaltschaftsarbeit laut Pfr. Dr. Molefe Tsele, Generalsekretaer
des Suedafrikanischen Kirchenrates, noch grossen Nachholbedarf.
"Wenn wir Anwaltschaft auf der lokalen Ebene wollen, muessen wir
in unseren Gemeinden das Bewusstsein schaffen, dass Anwaltschaft
Teil der prophetischen Rolle der Kirche ist", so Tsele. Mit
diesem Bewusstsein sei jedoch die Frage nach dem
Selbstverstaendnis und der Identitaet von Kirche und die Rolle
der Kirche in der Welt aufs Engste verbunden. Eine Integration
weltbezogener politischer und sozialer Fragen sowohl in das
Gemeindeleben als auch in die theologische Ausbildung sei leider
immer noch eher die Ausnahme als die Regel, erklaerte Tsele.
 
Kritik an Regierungen gestaltet sich schwierig

Als ein weiteres Problem nannte der Generalsekretaer der
nordwestlichen Dioezese der Evangelisch-Lutherische Kirche in
Tansania, Pfr. Dr. Fidon Mwombeki, die enge personelle
Verflechtung von Kirche und Politik in einigen Laendern, die
nicht selten zu einer eingeschraenkten politischen
Kritikfaehigkeit seitens der Kirche fuehre. "Es gibt so viele
Lutheraner und Lutheranerinnen in der Regierung und sie sind der
Kirche sehr behilflich. Deshalb ist es schwer, sie am naechsten
Tag zu kritisieren, wenn sie dir noch am Tag zuvor geholfen
haben", beschrieb Mwombeki die Situation. Gerade in einem solchen
Fall stelle es eine besondere Herausforderung an die Kirchen dar,
ihre prophetische Stimme nicht instrumentalisieren zu lassen. 
 
Als Reaktion auf diese Ausfuehrungen forderte Molefe Tsele eine
Form der "kritischen Solidaritaet" gegenueber den Regierungen und
betrachtete es als Verantwortung der Kirchen, die Regierung stets
an ihre Wahlversprechen zu erinnern und sie an deren Umsetzung zu
messen. 
 
Politische Partizipation der Kirchen ist unentbehrlich

Laut Susanne Buchweitz von der Evangelischen Kirche Lutherischen
Bekenntnisses in Brasilien verharren die Kirchen in Brasilien
nach jahrzehntelanger Militaerdiktatur und angesichts der neuen
Regierung und des Staatschefs Lula da Silva einer abwartenden
Haltung. Doch das Misstrauen in die politische Fuehrung und die
Angst vor politischer Einmischung, die die Militaerdiktatur bei
den Kirchen hinterlassen habe, sei noch deutlich spuerbar. "Die
Kirchenmitglieder haben immer noch Angst, auf die Strasse zu
gehen und frei das auszusprechen, was sie denken", so die
brasilianische Journalistin. Haeufig herrsche die Auffassung vor,
dass politische Fragen nicht zu den Aufgaben der Kirchen
gehoerten.
 
Sasi Prabha, Sozialaktivistin aus Indien, aeusserte sich
ebenfalls kritisch ueber die fehlende Partizipation der Kirchen
an politischen und sozialen Fragen. Die Gruende seien
Selbstschutz und Angst: "Die Kirche ist eines der groessten
Netzwerke von Menschen in der Welt. Leider haben wir noch nicht
einmal versucht, diese riesige Staerke zu realisieren", so
Prabha. "Die Kirche muss das Konzept der Mission als
Buergerbewegung begreifen."
 
Nicht nur die Beziehung der Kirchen zum Staat, sondern auch zu
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zur Wirtschaft, zur
internationalen Politik und zu den Medien wurde problematisiert.
Unter den DiskussionsteilnehmerInnen herrschte Konsens, dass es
besonders in der Zusammenarbeit mit NGOs noetig sei, sich als
zivilgesellschaftliche Gruppierungen in gemeinsamen Interessen zu
solidarisieren, jedoch gleichzeitig die eigene Identitaet als
Kirche zu betonen und auch Unterschiede zwischen NGOs und Kirchen
herauszustellen. Ausserdem muesse man die Partner in Hinblick auf
Glaubwuerdigkeit, Repraesentation und Interessen genau
ueberpruefen.
 
Kirchen sind gefordert, sich fuer die Betroffenen einzusetzen

Auch im Hinblick auf wirtschaftliche AkteurInnen sei Sasi Prabha
zufolge der Einsatz der Kirche fuer die durch die Folgen der
neoliberalen Globalisierung Entrechteten und Enteigneten
unbedingt geboten. Durch ihren Einsatz fuer die Belange der
indigenen Bevoelkerung in Orissa (Indien) erfahre sie hautnah,
was diese politische Handlungsunfaehigkeit fuer die Menschen vor
Ort bedeute. Viele wuerden von ihren Laendereien vertrieben, weil
die Regierung das Land an internationale Konzerne verkaufe, die
es dann fuer industrielle Zwecke nutzen und die Ressourcen
ausbeuten wuerden. Die Kirche sei hier in ganz besonderem Masse
gefordert. Vor allem muessten die Kirchen Abkommen und Vertraege
der Regierung mit internationalen Wirtschaftsinstitutionen
studieren, die damit verbundenen negativen Effekte der
Globalisierung dokumentieren und in Gemeinde und Bevoelkerung
Bewusstsein schaffen. 
 
Mit der Erarbeitung eines Papiers zum Abschluss der
LWB-Konsultation mit dem Arbeitstitel "Reclaiming The Vocation Of
Government" ("Rueckbesinnung auf den Auftrag des Staates"), das
sich mit Rolle und Berufung des Staates auseinandersetzt, wurden
Ergebnisse der Diskussion und neue Wege und Strategien
festgehalten, wie Regierungen konkret von den Kirchen in die
Verantwortung genommen werden koennten. Doch bevor Rechenschaft
von Staat, NGOs und Wirtschaft gefordert werde, muesse dem Papier
zufolge die Kirchen auch die Probleme und Defizite in den eigenen
Reihen ausfindig machen, anerkennen und willens sein, an sich
selbst zu arbeiten. (989 Woerter)
 
(Ein Beitrag von LWI-Volontaerin Anne Christin Sievers.)
 
*	*	*
 
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft
lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden)
gegruendet, zaehlt er inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund
61,7 Millionen der weltweit rund 65,4 Millionen LutheranerInnen
in 76 Laendern angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat
der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen
in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und
interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe,
Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.
 
Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als
Informationsdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB)
herausgegeben. Veroeffentlichtes Material gibt, falls dies nicht
besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder Meinung des LWB
oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden. 
 
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