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Deutsche Kirchen uneins ueber Kopftuch-Verbot muslimischer


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Thu, 11 Mar 2004 13:51:47 -0600

Deutsche Kirchen uneins ueber Kopftuch-Verbot muslimischer Lehrerinnen
Mehrere Bundeslaender bereiten Gesetzesinitiativen zum Kopftuch-Verbot
an oeffentlichen Schulen vor 

Hannover (Deutschland)/Genf, 11. Maerz 2004 (LWI) - In der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehen die Meinungen zum
Kopftuch-Verbot fuer muslimische Lehrerinnen an oeffentlichen Schulen
weiter auseinander. Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Dr. Wolfgang Huber,
die hannoversche Landesbischoefin Dr. Margot Kaessmann, der bayerische
Landesbischof Dr. Johannes Friedrich oder der wuerttembergische
Landesbischof Dr. Gerhard Maier gehoeren zu den BefuerworterInnen eines
Verbots. Sie sehen im Kopftuch ein antidemokratisches politisches
Symbol. Gegen ein Kopftuch-Verbot fuer muslimische Lehrerinnen haben
sich unter anderen die nordelbischen Bischoefinnen Maria Jepsen
(Hamburg) und Baerbel Wartenberg-Potter (Luebeck) sowie der
Landesbischof von Schaumburg-Lippe, Juergen Johannesdotter,
ausgesprochen.
 
Entbrannt war der Rechtsstreit um das Kopftuch, weil die aus
Afghanistan stammende Lehrerin Fereshta Ludin ihr Kopftuch im Unterricht
tragen wollte. Das Bundesland Baden-Wuerttemberg hatte Ludin deswegen
nicht in den Schuldienst uebernommen. Dagegen klagte die Lehrerin. Ende
September 2003 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die deutschen
Bundeslaender muessten eigene Gesetze schaffen, wenn sie ein
Kopftuch-Verbot durchsetzen wollten. 
 
Ausloeser zahlreicher Reaktionen war unter anderem die Rede des
deutschen Bundespraesidenten Johannes Rau anlaesslich des Festakts zum
275. Geburtstag von Gotthold Ephraim Lessing am 22. Januar in
Wolfenbuettel. Rau warnte davor, Religionen unterschiedlich zu behandeln
und wandte sich ausdruecklich gegen ein Kopftuch-Verbot fuer muslimische
Lehrerinnen, wie es von mehreren Bundeslaendern angestrebt wird. Das
Kopftuch sei, so Rau, kein eindeutiges politisches Symbol des
islamischen Fundamentalismus. "Ich fuerchte naemlich, dass ein
Kopftuchverbot der erste Schritt auf dem Weg in einen laizistischen
Staat ist, der religioese Zeichen und Symbole aus dem oeffentlichen
Leben verbannt. Ich will das nicht", betonte der Bundespraesident.
 
Mitte Februar sprachen sich im saarlaendischen Landtag die Christlich
Demokratische Union (CDU) und die Sozialdemokratische Partei (SPD)
geschlossen fuer ein Kopftuch-Verbot an staatlichen Schulen aus. Die
Regierungen der Bundeslaender Baden-Wuerttemberg, Bayern und
Niedersachsen wollen ebenfalls die Schulgesetze aendern. Die hessische
CDU loeste mit ihrem Vorhaben, Beamtinnen generell das Tragen von
Kopftuechern verbieten, eine heftige Debatte im Landesparlament aus. Der
Berliner Senat plant, bei einer Aenderung des Gesetzes alle religioesen
Symbole im oeffentlichen Dienst einzuschliessen, waehrend in den anderen
ostdeutschen Bundeslaendern sowie in Hamburg, Schleswig-Holstein und
Rheinland-Pfalz bisher noch keine Gesetzesinitiativen auf den Weg
gebracht wurden.
 
BefuerworterInnen eines Verbots: Kopftuch ist auch ein politisches
Symbol

In seinem Bischofswort im Rundfunk Berlin-Brandenburg bezog der
Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Dr. Wolfgang Huber, am 31. Januar,
deutlich Position gegen die ablehnende Haltung von Bundespraesident Rau
zum Kopftuch-Verbot. "Wer fuer die Religionsfreiheit eintritt, braucht
darum noch nicht das Kopftuch der islamischen Lehrerin zu bejahen. Und
wer findet, die Pflicht von Lehrern zum Verzicht auf demonstrative
Aktionen schliesse auch den Verzicht auf das Kopftuch ein, der verbannt
damit nicht die Religion aus dem oeffentlichen Raum", so Huber. 
 
Landesbischoefin Dr. Margot Kaessmann von der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Hannovers befuerwortet ebenfalls ein Kopftuch-Verbot.
Gleichzeitig wies sie Forderungen zurueck, als Konsequenz auch
christliche Symbole aus oeffentlichen Raeumen zu verbannen. Das Kopftuch
sei nicht einfach ein religioeses Symbol, sondern auch ein politisches,
das zudem die Gleichstellung von Mann und Frau sichtbar in Frage stelle,
sagte Kaessmann Anfang Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd).
 
Fuer den Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern,
Dr. Johannes Friedrich, ist das Kopftuch mit der im Grundgesetz
festgeschriebenen Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht vereinbar.
Nicht die "innere Haltung" einer Lehrerin, die das Kopftuch im
Unterricht tragen wolle, sei ausschlaggebend, sondern was dieses Symbol
ausstrahle, so der Bischof Ende Januar beim Jahresempfang der
Evangelischen Akademie Tutzing. 
 
Das der deutschen Verfassung zugrunde liegende Menschenbild ist zu
respektieren

In einer gemeinsamen Stellungnahme erklaerten Landesbischof Dr. Gerhard
Maier, Evangelische Landeskirche in Wuerttemberg, und Bischof Dr. Ulrich
Fischer, Evangelische Landeskirche in Baden, als Lehrerin an einer
oeffentlichen Schule habe Frau Ludin das der deutschen Verfassung
zugrunde liegende Menschenbild einschliesslich der Gleichberechtigung
von Mann und Frau nicht nur zu respektieren, sondern aktiv zu vertreten.
"Durch das Tragen des Kopftuches im Unterricht scheint uns diese
Voraussetzung nicht gewaehrleistet. Ausserdem steht zu befuerchten, dass
durch das Urteil der Druck auf muslimische Frauen und Maedchen waechst,
die das Kopftuch selbst nicht tragen wollen." 
 
Die Initiative der niedersaechsischen Landesregierung, muslimischen
Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches in der Schule zu verbieten,
wurde von Landesbischof Dr. Friedrich Weber von der
Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig begruesst. Dieses
koenne als politisches Symbol der Unterdrueckung von Frauen verstanden
werden, so Weber Mitte Januar. Ein Kopftuch-Verbot sei kein Zeichen der
Intoleranz gegenueber dem Islam, sondern versuche lediglich, falsche
Vorbilder abzuwehren. Noetig sei ein intensiverer Dialog zwischen
Christentum und Islam, um die jeweiligen kulturellen Praegungen besser
zu verstehen.
 
Nach den evangelischen Kirchen in Baden-Wuerttemberg haben auch die
katholischen Bischoefe des Bundeslandes ein Kopftuch-Verbot bei
muslimischen Lehrerinnen gefordert. Das Kopftuch koenne auch als
"fragwuerdige politische Botschaft" verstanden werden, die mit der
rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau unvereinbar sei, erklaerten
der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch und der Bischof von
Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fuerst, Anfang Februar in einer
gemeinsamen Stellungnahme. 
 
Kopftuch-Verbot laesst keine Differenzierungen zu

Unterstuetzt wurde Bundespraesident Johannes Rau in seiner ablehnenden
Haltung zum Kopftuch-Verbot vom Praeses der Evangelischen Kirche im
Rheinland, Nikolaus Schneider. Er sei gegen ein einfaches
Kopftuch-Verbot, weil es keine Differenzierungen zulasse, so Schneider
Ende Januar in der Zeitung "Welt am Sonntag". 
 
Mit ihrer Unterschrift unter den ueberparteilichen Aufruf unter dem
Motto "Religioese Vielfalt statt Zwangsemanzipation" sprachen sich auch
die beiden Bischoefinnen der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen
Kirche Maria Jepsen (Hamburg) und Baerbel Wartenberg-Potter (Luebeck)
gegen ein Kopftuch-Verbot an oeffentlichen Einrichtungen aus. Es gehoere
zur christlichen Grundhaltung, "Respekt vor anderen Menschen und ihrer
Kultur zu haben", sagte Wartenberg-Potter dem epd. Zudem sei die
Religionsfreiheit im Grundgesetz festgeschrieben. 
 
Ebenso lehnt Landesbischof Juergen Johannesdotter von der
Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe ein
Kopftuch-Verbot ab. "Nicht jede muslimische Frau, die ein Kopftuch
traegt, ist gleich eine Fundamentalistin", sagte der Bischof Ende Januar
dem epd. Das Tuch sei als "religioeses Brauchtum" zu werten. 
 
Kopftuch-Verbot koennte laizistischer Gesellschaft Vorschub leisten

Davor, dass sich ein Kopftuch-Verbot kontraproduktiv auswirken koenne,
weil somit der Laizismus an Boden gewinne, hat der Praeses der
Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buss, in einem epd-Interview,
wenige Tage vor seiner Amtseinfuehrung am 29. Februar gewarnt.
 
Der Praesident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
Hans-Joachim Meyer, warnte vor den Folgen eines speziell auf das
Kopftuch bezogenen Verbots fuer das Verhaeltnis von Staat und Religion.
Ein solches Verbot koennte aus "sehr unterschiedlichen Motivationen
heraus" einer laizistischen Gesellschaft Vorschub leisten, in der
Religion reine Privatsache sei, sagte Meyer Ende Januar in der
"Rheinischen Post". Deutschland sollte nicht dem franzoesischen Modell
folgen, bei dem alle religioesen Symbole aus dem oeffentlichen Raum
verbannt wuerden. 
 
In der Kopftuch-Debatte hat der Generalsekretaer des Zentralrats der
Muslime in Deutschland, Axel Ayyub Koehler, vor einer "zunehmenden
Anti-Stimmung gegen den Islam" gewarnt. Mit einem Kopftuch-Verbot
ueberschreite der Staat eindeutig seine Grenzen und missachte das
Toleranzgebot. Noetig sei gegenseitiger Respekt der Religionen vor den
verschiedenen Lebensformen, so Koehler am 21. Januar bei einer
Podiumsdiskussion des Evangelischen Bildungswerks in Bonn.
 
In Grossbritannien oder Oesterreich unterrichten Lehrerinnen seit
Jahren mit Kopftuch

Ein Kopftuch-Verbot fuer Lehrerinnen koennte nach Einschaetzung des
Interkulturellen Rats in Deutschland "fatale" Auswirkungen auf den
Integrationswillen vieler MuslimInnen haben. Ein Verbot bedeute die
"institutionelle Diskriminierung" einer Religionsgemeinschaft, ausserdem
fuehre es wie in Frankreich und der Tuerkei zu einem "Streit ohne Ende",
betonte der Interkulturelle Rat Ende Januar in einer Erklaerung. Ein
Blick in europaeische Nachbarlaender wie Grossbritannien oder
Oesterreich zeige, dass dort seit Jahren Lehrerinnen mit Kopftuch
unterrichten, ohne dass es zu nennenswerten Problemen gekommen waere. 
 
Auch die Internationale Liga fuer Menschenrechte in Berlin hat sich
gegen ein Verbot von Kopftuechern ausgesprochen. "Wer Kopftuch-Verbote
per Gesetz verordnet, christliche Symbole wie Kruzifixe an oeffentlichen
Schulen aber von dem Verbot ausnimmt, macht sich verfassungsrechtlich
angreifbar", sagte der Praesident der Liga, Rolf Goessner, Ende Januar
in Goettingen (Deutschland). (1.257 Woerter)
 
Bereits Anfang Februar hatte der Generalsekretaer des Lutherischen
Weltbundes (LWB), Pfr. Dr. Ishmael Noko, in einem Schreiben an den
franzoesischen Praesidenten Jacques Chirac vor der Einfuehrung eines
Gesetzes gewarnt, das das Tragen auffaelliger religioeser Zeichen und
Kleidungsstuecke an franzoesischen staatlichen Schulen verbietet.
Weitere Informationen finden Sie auf der LWB-Webseite unter:
www.lutheranworld.org/News/LWI/DE/1409.DE.html 
 
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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund 62,3 Millionen der weltweit
knapp 66 Millionen LutheranerInnen in 76 Laendern angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht
eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK)
und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als
Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B.
oekumenische und interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere
Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.
 
Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden.
 
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LWI online unter: www.lutheranworld.org/News/Welcome.DE.html 

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