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Urteil: HIV-positiv - Kampf gegen Diskriminierung und


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Mon, 26 Apr 2004 09:22:54 -0500

Urteil: HIV-positiv - Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung
Tausende Betroffene in der Ukraine hoffen auf Behandlung mit
antiretroviralen Medikamenten

Odessa (Ukraine)/Genf, 24. April 2004 (LWI) - Seit neun Jahren weiss
Sergej Fjodorow, dass er HIV-positiv ist. 1995 wurde der damals
drogenabhaengige Student ohne sein Wissen getestet und von einem Arzt
informiert, er habe AIDS. Weitere Informationen gab ihm der Arzt nicht.
Sergej war schockiert, er konnte nicht glauben, dass er sich infiziert
hatte, hier in seiner Stadt, der Schwarzmeermetropole Odessa. Ueber
HIV/AIDS wusste er damals so gut wie nichts, nur dass es in den USA eine
Viruserkrankung geben soll, die unheilbar ist und zum Tod fuehrt. Ueber
sein Testergebnis sprach er mit niemandem in seiner Familie, nur mit
Freunden, die so wie er nicht von den Drogen loskamen und von denen
viele auch bald erfuhren, das sie HIV-positiv waren.

Der sympathische 30-Jaehrige berichtet waehrend der Konsultation
europaeischer KirchenleiterInnen zum Thema HIV/AIDS, die vom 20. bis 25.
April 2004 in Odessa (Ukraine) stattfindet, ueber seine Infektion und
sein heutiges Engagement. Aeusserlich erinnert Sergej eher an einen
jungen ukrainischen Manager, nichts laesst auf seine fruehere
Drogensucht schliessen. Mit stockender Stimme berichtet er ueber seinen
zweiten HIV-Test, dem er sich 1999 unterziehen musste. Erinnerungen
werden wach an seinen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, in die
er zu einem Drogenentzug geschickt worden war. Eine richtige Behandlung
sei ihm dort nicht zuteil geworden, betont Sergej. Hinter verschlossenen
Tueren sei er einfach auf Entzug gesetzt worden, ohne Medikamente, ohne
Betreuung. Ploetzlich mit den Drogen aufzuhoeren sei schwer, aber noch
schwerer sei es, wenn man HIV-positiv ist. 

Von seinem zweiten Testergebnis unterrichten die Aerzte der
psychiatrischen Klinik Sergejs Familie, ohne ihn vorher zu informieren
oder um Zustimmung zu bitten. Dies war eine klarer Verstoss gegen
ukrainische Gesetze, erklaert Sergej, denn HIV-Positiven steht das Recht
auf Anonymitaet zu. Auf die Frage, wie seine Mutter auf diese Nachricht
reagiert habe, antwortet Sergej, dass sie wahrscheinlich bereits geahnt
hatte, dass er HIV-positiv ist. Die Aerzte haetten ihr dann
vorgeschlagen, extra Geschirr und Besteck fuer Sergej zu kaufen, damit
sich die Familie nicht infiziere. Erst nach einiger Zeit, als auch seine
Mutter sich besser ueber HIV/AIDS informiert hatte, konnte Sergej wieder
ganz normal, ohne Einschraenkungen mit seiner Familie essen. 

In seinem Kampf gegen die Drogen erfuhr Sergej grosse Unterstuetzung
durch Freunde, die es bereits geschafft hatten, sowie durch verschiedene
kirchliche Einrichtungen in Odessa. Ab dem Moment, in dem er verstanden
hatte, dass er jetzt etwas tun muesse, um in seinem Leben noch etwas zu
erreichen, war es einfacher. Doch bis dahin war es ein langer,
schwieriger Weg. 

Heute ist Sergej Fjodorow Mitglied des Allukrainischen
Koordinationsrates der Menschen, die mit HIV/AIDS leben, und
Verwaltungsvorsitzender der Selbsthilfegruppe und
Nichtregierungsorganisation (NGO) "Leben Plus" in Odessa. "Leben Plus"
wurde 1999 von HIV/AIDS-Betroffenen gegruendet und betreibt mit 46
MitarbeiterInnen und vielen Freiwilligen, die meist selbst von HIV/AIDS
betroffen sind, ein AIDS-Zentrum in Odessa. Das Zentrum unterstuetzt
HIV/AIDS-Betroffene, betreut ambulant AIDS-Kranke und engagiert sich in
der Prophylaxe und Aufklaerungsarbeit.

Zu den Menschen, denen "Leben Plus" geholfen hat, gehoert auch Marina.
Die heute 40-Jaehrige hatte bei der Geburt ihres vierten Kindes
erfahren, dass sie HIV-positiv ist und den Virus bei der Geburt auf ihr
Kind uebertragen hatte. Mit Hilfe von "Leben Plus" und der NGO Aerzte
ohne Grenzen konnte sie das Leben ihres Kindes retten. Sie erhielt
kostenfrei gute Babynahrung, Medikamente und aerztliche Betreuung.
Damals war Marina obdachlos, ihr Mann war bereits gestorben, und so
musste sie ihre Kinder in ein Kinderheim geben. Mit Hilfe von "Leben
Plus" und ihrer Mutter, die nach Odessa kam, um sie zu unterstuetzen,
gelang es Marina, eine Einzimmerwohnung zu finden, wo sie heute mit
ihren vier Kindern lebt. Inzwischen ist sie eine der Freiwilligen, die
sich gemeinsam mit "Leben Plus" fuer andere Betroffene engagiert. 

Jeden Monat kommen ueber 500 Betroffene in die Raeume von "Leben Plus"
und erhalten Hilfe, Unterstuetzung und Beratung. Allein in der Stadt
Odessa sind ueber 6.400 HIV-Positive offiziell registriert. Nach
Schaetzungen von UNAIDS sind 250.000 EinwohnerInnen der Ukraine, rund
ein Prozent der Bevoelkerung im Alter zwischen 15 und 49, mit dem
HI-Virus infiziert. Betroffen sind vor allem intravenoese
DrogengebraucherInnen sowie Prostituierte und Maenner, die
Sexualbeziehungen mit Maennern unterhalten. Zunehmend betrifft die
HIV/AIDS-Pandemie aber auch alle anderen gesellschaftlichen Schichten. 

Eine weitere wichtige Aufgabe von "Leben Plus" ist die rechtliche
Beratung. So sei es in Odessa vorgekommen, dass Arbeitgeber die
MitarbeiterInnen zu einem HIV-Test verpflichteten und die Angestellten
bei einem positiven Testergebnis ohne Angabe von Gruenden fristlos
entliessen, berichtet Sergej. 

Als ganz zentrales Problem benennt "Leben Plus" die Versorgung
Betroffener mit antiretroviralen Medikamenten. Gegenwaertig erhalten in
Odessa nur rund 120 PatientInnen die ueberlebenswichtigen Medikamente.
Nach Schaetzungen des Globalen Fonds zur Bekaempfung von AIDS,
Tuberkulose und Malaria (GF-ATM) muessten jedoch in einer ersten Phase
mindestens 4.000 Betroffene Zugang zu einer antiretroviralen Therapie
erhalten. Der Globale Fonds hatte bereits mit NGOs in der Ukraine
Abkommen ueber die Bereitstellung von finanziellen Mitteln zum Erwerb
der Medikamente getroffen, setzte die Foerderung aber zu Beginn des
Jahres aus, weil eine Evaluierung der Partnerorganisationen
Missmanagement und Verzoegerungen bei der Durchfuehrung der Programme
ergeben hatte. Nun hoffen alle Betroffenen, dass die finanzielle
Unterstuetzung bald wieder einsetzt, damit ihnen geholfen werden kann. 

Fuer Sergej ist es ein Skandal, dass viele Menschen sterben muessen,
nur weil sie keinen Zugang zu diesen Medikamenten haben. Ihm selbst geht
es gegenwaertig gesundheitlich sehr gut, betont er, daher gehoert er zur
Zeit nicht zu denen, die auf antiretrovirale Medikamente angewiesen
sind. Staatliche Behoerden haetten zugesichert, dass im Juni die
noetigen Gelder fuer den Einkauf der Medikamente fuer zumindest 4.000
Betroffene zur Verfuegung stehen sollen. Doch an dieses Versprechen
glauben nur wenige, sagt Sergej. 

Er selbst hofft, dass die medizinische Forschung Fortschritte macht und
bald bessere Behandlungsmethoden bereitstehen. Bis dahin vertraut er auf
die Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten. Dank der Medikamente
werde sich sein Leben dann nicht oder kaum von dem anderer Menschen
unterscheiden, hofft er. Er will weiter lernen, mit der Infektion zu
leben und er will andere darin unterstuetzen. Weiterhin will er sich
auch in Zukunft fuer die Rechte der HIV/AIDS-Betroffenen einsetzen. 

An der Konsultation, die vom Lutherischen Weltbund (LWB) in
Zusammenarbeit mit der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der
Ukraine (DELKU) veranstaltet wird, nehmen rund 40 VertreterInnen
europaeischer LWB-Mitgliedskirchen und Verantwortliche in der Frauen-
und Jugendarbeit sowie MitarbeiterInnen regionaler und internationaler
NGOs teil. Die Tagung ist die letzte von vier Regionalkonferenzen, die
auf der Grundlage der 2002 initiierten globalen LWB-Kampagne gegen
HIV/AIDS und deren Aktionsplan "Anteilnahme, Umkehr, Zuwendung: Kirchen
reagieren auf die HIV/AIDS-Pandemie" geplant wurden. Die erste
Regionalkonsultation hatte 2002 in Afrika stattgefunden, es folgte im
Maerz 2003 eine weitere fuer die Region Lateinamerika und Karibik, die
Konferenz fuer die Region Asien fand im Dezember 2003 statt. (1.103
Woerter)

*	*	*

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund 62,3 Millionen der weltweit
knapp 66 Millionen LutheranerInnen in 76 Laendern angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht
eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK)
und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als
Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B.
oekumenische und interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere
Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden.

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LWI online unter: www.lutheranworld.org/News/Welcome.DE.html 

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