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Interreligioese Toleranz ist entscheidend fuer Friedensprozesse


From "Frank Imhoff" <Frank.Imhoff@elca.org>
Date Mon, 01 Nov 2004 10:02:45 -0600

Interreligioese Toleranz ist entscheidend fuer Friedensprozesse
Pfarrerin Barnett: Sierra Leone kann als Vorbild fuer religioese
Toleranz dienen

Genf, 31. Oktober 2004 (LWI) - "Wir sind in unserer Region mit
religioeser Toleranz gesegnet", erklaerte Pfarrerin Marie Jilo Barnett
von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sierra Leone. Ihr Land sei
ein gutes Beispiel dafuer, dass religioese Toleranz einen zentralen
Beitrag zur Schaffung von Frieden leisten koenne, so Barnett am Rande
der LWB-Ratstagung Anfang September in Chavannes-de-Bogis bei Genf
gegenueber JournalistInnen. Die Theologin war sechs Jahre Mitglied des
Parlaments in Sierra Leone und hat sich in einem interreligioesen
Programm fuer Frauen engagiert. Zusaetzlich war Barnett viele Jahre
Regionalkoordinatorin fuer Westafrika des Referats "Frauen in Kirche und
Gesellschaft" des Lutherischen Weltbundes (LWB). 

Als der Konflikt im westlichen Afrika eskalierte, haetten sich
muslimische und christliche KirchenleiterInnen zusammengefunden, um
einen interreligioesen Rat in Sierra Leone zu bilden, berichtete
Barnett. Zusammen haetten sie Strategien entwickelt, wie sie andere
Laender in Westafrika dazu ermutigen koennten, Friedensinitiativen ins
eben zu rufen. Fuer Barnett steht fest: "Der interreligioese Rat in
Sierra Leone kann anderen Laendern als Beispiel dienen."

Angesichts des zumeist maennlich dominierten interreligioesen Dialogs
sei ein interreligioeser Frauenrat eingerichtet worden, um die Frauen
fuer Themen wie Frieden, Familie und Gesundheit und insbesondere
HIV/AIDS zu sensibilisieren. Gerade die weibliche Perspektive in der
Konfliktloesung und damit auch im interreligioesen Dialog sei
unverzichtbar. Frauen haetten oft andere Strategien, um Konflikte zu
loesen. "Das Engagement von Frauen im interreligioesen Dialog ist
absolut essentiell", betonte Barnett. Sie machten jedoch haeufig die
Erfahrung, von internationalen Dialogen zu Frieden und Konfliktloesung
ausgeschlossen zu werden, dabei haetten sie viel beizutragen. "Frauen
sind sehr friedfertig. Wir kommen einfach zusammen und vergessen allen
Hass und alle Feindseligkeiten. Wir glauben an den Konsens." 

Die von der Arbeitsgruppe zum interreligioesen Dialog fuer Frauen
hinsichtlich des Kriegs gegen den Terrorismus gestarteten lokalen
Initiativen haetten das Ziel, "Training und Konfliktloesung sowie Wissen
ueber und Verstaendnis fuer die unterschiedlichen Weltregionen zu
entwickeln und auch die ethnischen, kulturellen und religioesen
Implikationen unseres Umgangs miteinander genau zu betrachten",
berichtete Barnett. Besonders wenn die Gemeinschaften ihre Projekte
selbst initiierten und MuslimInnen wie ChristInnen an der Planung
beteiligt seien, truegen die Bemuehungen Fruechte. Als Abgeordnete habe
sie sechs Jahre lang als Bindeglied zwischen der Regierung und dem
interreligioesen Rat vermittelt. Dies habe zur Loesung von Konflikten in
Sierra Leone als auch Liberia beigetragen. "Wir muessen weiter zusammen
fuer Friedensinitiativen arbeiten", so die ehemalige Parlamentarierin.

Indien: Interreligioeser Dialog zu konkreten Themen

"In der Vergangenheit waren wir in Indien mit religioesem
Fundamentalismus aus den unterschiedlichsten Richtungen konfrontiert",
berichtete Pfr. Chandran Paul Martin, Geschaeftsfuehrer der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Indien (VELKI).

In Indien stellten die Hindu die grosse Mehrheit, aber es gebe auch
viele ChristInnen, MuslimInnen, Bahai' sowie Mitglieder vieler anderer
Religionsgemeinschaften. Der religioese Fundamentalismus der vorherigen
Regierung in Indien habe dazu gefuehrt, dass fuehrende
ReligionsvertreterInnen zusammengekommen seien, um die gegenseitigen
Rechte zu schuetzen und um sich gegen die Verletzung von Menschenrechten
auszusprechen. Zwar gebe es nicht viele interreligioese Foren in Indien,
doch wuerde der Dialog zu konkreten Themen gefuehrt, so Martin. Als
Beispiel nannte er die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2002 in
Gujarat, die einen Katalysator fuer den interreligioesen Dialog zwischen
religioesen Minderheiten gebildet haetten. Es gaebe ein wachsendes
Interesse, sich mit Angelegenheiten gemeinsamen Interesses zu befassen.
Eines dieser Themen sei HIV/AIDS, so der Leiter der VELKI, zu der elf
lutherische Kirchen in Indien gehoeren, von denen neun Mitglied des LWB
sind. 

Kampf fuer die Rechte der Dalits ist Anfrage an Kastensystem

Eines der problematischen Themen des interreligioesen Dialogs sei der
Kampf gegen die Diskriminierung der Dalits, berichtete Martin. Dalits
gebe es in nahezu allen Religionen, den Islam eingeschlossen. Es sei
einfach, das Thema der Verletzung der Menschenrechte von Dalits in
Indien in Minderheitsreligionen wie im Christentum, Judentum und Islam
anzusprechen und zu diskutieren und fuer die Rechte von Dalits zu
kaempfen. Doch im weiteren interreligioesen Kontext gestalte es sich als
sehr schwierig, dieses Denkmuster mit Hindu zu diskutieren. "Man trifft
damit direkt die blank gelegten Nerven des Hinduismus, von denen eines
das Kastensystem ist." Der Angriff auf das Kastensystem komme einem
Angriff auf das Fundament des Hinduismus gleich, erklaerte Martin. Rund
80 Prozent der ueber eine Milliarde InderInnen sind Hindu, elf Prozent
sind MuslimInnen und 2,3 Prozent ChristInnen. 

Interreligioeser Dialog ist eine der groessten Herausforderungen

Es sei keine Ueberraschung, den interreligioesen Dialog als eine der
groessten Herausforderungen in der heutigen Welt zu bezeichnen,
erklaerte Peter Prove, Assistent des LWB-Generalsekretaers fuer
Internationale Angelegenheiten und Menschenrechte. "Wenn dieses Thema
jemals als rein akademische Aufgabe haette beschrieben werden koennen,
ist das heute nicht mehr der Fall. Es ist eine wichtige taegliche
Angelegenheit fuer eine wachsende Zahl von Menschen in dem Kontext, in
dem wir heute leben." 

Die lange Geschichte des interreligioesen Dialogs habe viele Dokumente
und Erklaerungen hervorgebracht. Der LWB habe das Ziel des
interreligioesen Dialogs neu formuliert hin zur Betonung einer
"Diapraxis" - der praktischen Realitaet des Zusammenlebens und
-arbeitens von Menschen verschiedener Religionen. "Aus unserer
Perspektive genuegt es nicht mehr, nur ueber unsere jeweiligen
religioesen Traditionen zu reden, sondern wir muessen im Blick auf
Angelegenheiten gemeinsamen Interesses gemeinsam handeln." 

Konzentration auf Frieden und Konflikt 

Den Schluessel dazu boeten die Begriffe Frieden und Konflikt. So
konzentriere sich die LWB-Abteilung fuer Theologie und Studien (ATS) in
ihren Programmen mit Menschen anderen Glaubens - insbesondere in
laufenden Programmen zum Dialog mit MuslimInnen - speziell auf die
Themen Frieden und Konflikt. 

"Die Herausforderung ist nicht, ueber Fragen zu Konflikt und Frieden zu
reden, sondern zusammenzuarbeiten, um sie anzugehen." Afrika koenne fuer
die "Diapraxis" als Vorbild dienen. "In vielen Teilen dieser Region
herrscht eine lange historische Tradition von ChristInnen und
MuslimInnen, die in perfekter Harmonie leben", so Prove. 

Als Antwort auf den besonders von den USA vorangetriebenen Krieg gegen
den Terrorismus und den Konflikt zwischen den Religionen, beschrieb
Prove den interreligioesen Dialog als einen der besten Wege, um auf
religioesen Fundamentalismus zu reagieren. "Wenn wir vom
interreligioesen Dialog sprechen, ist es unvermeidbar, auch ueber den
Kampf gegen den Terrorismus und ueber den zunehmenden islamistischen
Terrorismus nachzudenken." Fundamentalismus sei ein Teil aller
religioesen Traditionen und wuerde auch die christliche Gemeinschaft in
diese Richtung fuehren, "wenn wir es zulassen". 

Prove unterstrich die Position des LWB-Generalsekretaers, Pfr. Dr.
Ishmael Noko, dass es so etwas wie einen religioesen Krieg nicht gebe.
In Konfliktsituationen komme es allerdings vor, dass politisch
interessierte Parteien die religioese Verschiedenheit fuer ihre eigenen
Zwecke missbrauchten. 

"Diapraxis" als Konzept gegen Fundamentalismus und Terrorismus

Die Antwort auf die Frage, wie der Terrorismus bekaempft werden koenne,
laute "*Diapraxis', miteinander in Kontakt zu kommen und einander als
Mitmenschen zu erfahren", betonte Prove. "Wenn wir miteinander nicht in
Kontakt stehen, koennen wir zu leicht der Manipulation durch andere zum
Opfer fallen und den anderen als den Feind betrachten." Die christliche
Gemeinschaft muesse der Versuchung widerstehen, sich in ihre
gegenseitigen Lager zurueckzuziehen und andere von den Gespraechen
auszuschliessen. Als gutes Beispiel fuer gelebte "Diapraxis" diene das
Laenderprogramm der LWB-Abteilung fuer Weltdienst (AWD) in Mauretanien.
Nur der Direktor des Programms komme aus dem internationalen Umfeld,
nahezu alle Angestellten seien Einheimische und somit muslimischen
Glaubens. 

"Hier arbeiten Christen und Christinnen sowie Muslime und Musliminnen
zusammen und arbeiten fuer eine gemeinsame Sache: humanitaere Hilfe und
Entwicklung", so Prove. Durch Erfahrungen wie diese koennten die
negativen Konsequenzen des Fundamentalismus ueberwunden werden. (1.215
Woerter)

(Ein Beitrag von Anne-Christin Sievers, Tuebingen, Deutschland.)

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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 138 Mitgliedskirchen, denen rund 65 Millionen LutheranerInnen
in 77 Laendern weltweit angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht
eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK)
und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als
Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B.
oekumenische und interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere
Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst des
Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes Material
gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder
Meinung des LWB oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit "LWI"
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden. 

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