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Kindersymposium verurteilt Hamburgs Umgang mit minderjaehrigen


From "Frank Imhoff" <Frank.Imhoff@elca.org>
Date Sat, 18 Dec 2004 23:07:47 -0600

Kindersymposium verurteilt Hamburgs Umgang mit minderjaehrigen
Fluechtlingen
Es darf nicht von Zufaellen abhaengen, ob ein Kind zu seinem Recht kommt

Hamburg (Deutschland)/Genf, 18. Dezember 2004 (LWI) - Deutsche Behoerden
sprechen von "unbegleiteten minderjaehrigen Fluechtlingen", oder kurz
von "UMF". Sie meinen damit Kinder aus den Kriegs- und Armutsregionen
der Welt. Getrennt von der Familie und meist traumatisiert hoffen diese
Kinder auf einen Ort, der ihnen eine Zukunft eroeffnet. Doch statt
Begleitung erfahren sie durch deutsche Behoerden oft einen Umgang, der
nach Meinung von KinderrechtlerInnen gegen internationale Konventionen
verstoesst. Die Durchsetzung grundlegender Kinderrechte forderten
deshalb ueber 200 MenschenrechtlerInnen waehrend des Internationalen
Symposiums "Kinder auf der Flucht", das am 27. November an der Hamburger
Universitaet stattfand.

Der Veranstaltungsort war bewusst gewaehlt: "Hamburg spielt die
*Vorreiterrolle' einer gnadenlosen Politik, um sich der
Kinderfluechtlinge zu entledigen", betonte Fanny Dethloff,
Fluechtlingsbeauftragte der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen
Kirche und Mitveranstalterin des Symposiums. Von 360 Kindern und
Jugendlichen, die im vergangenen Jahr in die Hansestadt kamen, haetten
es nur 40 in eine gesicherte Unterbringung geschafft. Lediglich 25
Plaetze fuer die Erstaufnahme von UMF seien von ehemals 250 Plaetzen
uebrig geblieben. "Diese Kuerzung mit dem Verweis auf den Rueckgang von
ankommenden Fluechtlingen zu begruenden, ist nicht haltbar", so die
Pfarrerin. 

Stattdessen erlebten MitarbeiterInnen von Fluechtlingseinrichtungen ein
"systematisches Aeltermachen" der Kinder durch die Behoerden. Der
Hintergrund dafuer ist, dass nach geltendem Gesetz Jugendliche unter 16
Jahren in die Zustaendigkeit des Bundeslandes fallen, in dem sie
angekommen sind. Sie erhalten einen Vormund, der sie bei ihrem
Asylantrag unterstuetzt. Sind sie ueber 16 Jahre, muessen sie ihr
Verfahren ohne Vormund betreiben und koennen in andere Bundeslaender
umverteilt werden. 

Altersfeststellung erfolgt in entwuerdigender Weise

Die Methoden der Altersfeststellung sind unter ExpertInnen umstritten:
Mittels "Inaugenscheinnahme" von Bartwuchs oder Koerpergroesse durch
Sachbearbeiter der Auslaenderbehoerde oder medizinischen Untersuchungen
der Zaehne und Sexualorgane wird das Alter geschaetzt. "Die Begutachtung
erfolgt ohne muttersprachliche Erklaerung und in entwuerdigender Weise",
sagt Cornelia Gunsser vom Hamburger Fluechtlingsrat. Den meisten
Jugendlichen sei nicht nachvollziehbar, warum sie sich vor fremden
AerztInnen ausziehen und an den intimsten Koerperteilen beruehren lassen
muessten.

Der Sonderweg Deutschlands, bestimmte Normen der Kinderrechtskonvention
nicht auf auslaendische Kinder anzuwenden, bereite dem Fluechtlingsrat
der Vereinten Nationen (UNHCR) Sorgen, betonte Prof. Stefan Berglund,
UNHCR-Vertreter in Deutschland. Durch die so genannte
Interpretationserklaerung koennen Minderjaehrige ohne deutschen Pass
schon ab 16 Jahren von speziellen Schutzmassnahmen ausgenommen werden.
Dies werde dem Kindeswohlprinzip nicht gerecht. 

Der UNHCR sei der Auffassung, dass bei der Feststellung des Alters alle
wichtigen Faktoren beruecksichtigt werden muessten. Dies bedeute, dass
sowohl koerperliche, als auch entwicklungsbedingte, psychische und
kulturelle Faktoren beruecksichtigt werden muessten. Die Feststellung
des Alters sollte grundsaetzlich nur von unabhaengigen Fachleuten, die
ueber die notwendige Kenntnis des ethnischen und kulturellen
Hintergrundes des Kindes verfuegen, vorgenommen werden, so Berglund. 

Behoerden nutzen kaum noch Spielraeume zu Gunsten von Jugendlichen

In einem Grusswort verwies die Beauftragte der Bundesregierung fuer
Migration, Fluechtlinge und Integration, Marieluise Beck, darauf, dass
die Hansestadt Hamburg lange Zeit ein Fluchtpunkt fuer jugendliche
Fluechtlinge und Kinder, die sich allein und ohne ihre Eltern in
Sicherheit bringen konnten, gewesen sei. Beispielhaft fuer die
Bundesrepublik sei ein System der kindgerechten Betreuung in
Jugendwohnungen und anderen Einrichtungen geschaffen worden. 

Seit dem Regierungswechsel 2001 in Hamburg scheine sich die Praxis zu
veraendern. Es werde vermehrt von einem behoerdlichen Vorgehen
berichtet, nach dem Spielraeume kaum noch zu Gunsten von Jugendlichen
und Kindern genutzt wuerden. Das Wohl des Kindes sollte jedoch bei allen
staatlichen Entscheidungen im Vordergrund stehen, so Beck.

Neben zahlreichen Faellen des "Aeltermachens" wurden auf dem
Kindersymposium auch andere Methoden dokumentiert, die gegen
Internationale Konventionen verstossen: So hat Hamburg seit 2002 die
Moeglichkeit, Minderjaehrige "geschlossen unterzubringen". Der
UN-Fluechtlingsrat lehnt eine Abschiebehaft bei Kindern unter 16
grundsaetzlich ab. "Nicht der Gedanke der Betreuung kennzeichnet das
Hamburger Konzept, sondern Ausgrenzung und Bestrafung", erklaerte Anke
Wagner vom Diakonischen Werk Blankenese. 

Adaequate Betreuung von minderjaehrigen Fluechtlingen gefordert

"Das Wohl des Kindes ist vorrangig zu beachten", heisst es in Artikel 3
der UN-Kinderrechtskonvention. Die TeilnehmerInnen des Hamburger
Symposiums forderten den Senat des Hansestadt auf, ihn endlich ernst zu
nehmen und eine adaequate Betreuung und Begleitung von minderjaehrigen
Fluechtlingen zu gewaehrleisten. 

"Ich wuensche mir, dass es nicht von Zufaellen abhaengt, ob ein Kind in
dieser Stadt zu seinem Recht kommt", erklaerte Fanny Dethloff in ihrer
Eroeffnungsansprache des Symposiums. Die Nordelbische Kirche unterhaelt
hierzu drei Beratungsstellen in Hamburg sowie eine
Vormundschaftsberatungsstelle. Weiterhin hat die Kirche einen
Fluechtlingsausschuss der der Kirchenleitung beratend zuarbeitet. 

Einen Schwerpunkt der zukuenftigen Arbeit werde das Thema
undokumentierte, in der Illegalitaet lebende Fluechtlinge betreffen, so
Dethloff. Seit Februar 2002 gebe es dazu einen Beschluss der
Nordelbischen Synode, dass haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen,
die illegalisierten Fluechtlinge in Not helfen und mit dem Gesetz in
Konflikt geraten, geschuetzt wuerden durch die Kirche.

Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche hat rund 2,2 Millionen
Mitglieder und gehoert seit 1977 zum Lutherischen Weltbund (LWB). (786
Woerter)

(Dieser Beitrag beruht auf einem Bericht von Oliver Spiess, Hamburg.)

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