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Ruanda: Nie wieder Voelkermord


From "Frank Imhoff" <Frank.Imhoff@elca.org>
Date Sat, 22 Jul 2006 20:03:07 -0500

Ruanda: Nie wieder Voelkermord

Interreligioese Gruppe bieten Traumabegleitung mit LWB-Unterstuetzung an

Kigali (Ruanda)/Genf, 22. Juli 2006 (LWI) - In einem der Videofilme erzaehlt ein junger Mann, der Zeuge des kaltbluetigen Mordes an seiner Mutter war, die mit einem Kopfschuss getoetet wurde. In einem anderen Film erinnert sich eine junge Frau an den Moment, als sie ihr juengstes Geschwisterchen zum letzten Mal sah. Ein Freund der Familie versprach, den Saeugling zu seinen Eltern zu bringen, und trug ihn vom Versteck der Schwester fort. Die Eltern waren jedoch zu diesem Zeitpunkt schon ermordet worden. Diejenigen, die solche Geschichten erzaehlen, halten ihr eigenes Ueberleben fuer ein Wunder.

Zwischen April und Juli 1994 wurde Ruanda von einer Mordwelle ueberschwemmt, der nahezu eine Million Menschen - vor allem Tutsi und gemaessigte Hutu - zum Opfer fielen. Die Augenzeugenberichte sind Teil der Ausstellung in der Bewusstseinsbildungs- und Gedenkstaette in der ruandischen Hauptstadt Kigali, die im April 2004 eroeffnet wurde, als sich der Beginn des 100-taegigen Genozids zum zehnten Mal jaehrte.

Auch die Mordinstrumente, zum Beispiel Macheten und Knueppel, sind ausgestellt. Des Weiteren wird der geschichtliche Hintergrund des ruandischen Genozids erlaeutert und bis zu den ersten Massenmorden zwischen Hutu und Tutsi 1959, drei Jahre vor der Erlangung der Unabhaengigkeit von der Kolonialmacht Belgien, zurueckverfolgt. In der Gedenkstaette sind darueber hinaus Genozide und ethnisch motivierte Massenmorde weltweit dokumentiert, unter anderem Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Gedenkstaette in Kigali ist eine von mehreren aehnlichen Einrichtungen, die in Ruanda durch die internationale Organisation Aegis Trust in Zusammenarbeit mit der Regierung und den jeweiligen Gemeinwesen aufgebaut wurden. Sie sollen ein bleibendes Gedenken an die Opfer des Genozids ermoeglichen, das internationale Bewusstsein fuer das Leiden der Menschen in Ruanda wecken und, ueber die Bildung, einem erneuten Voelkermord in einem Land, das nach wie vor erheblich gefaehrdet ist, vorbeugen.

Afrikanische ReligionsvertreterInnen besuchten im Rahmen der Eroeffnungstagung der Kommission der Interreligioesen Initiative fuer Frieden in Afrika (IFAPA) am 22. Juni die Gedenkstaette in Kigali. Ihre Botschaft - "Nie wieder" - ueberbrachten sie auf Blumenkraenzen, die auf einem der Betongraeber mit hunderten Saergen niedergelegt wurden, in denen die sterblichen Ueberreste Tausender in und um die Hauptstadt Ermordeter ruhen. Die afrikanischen ReligionsvertreterInnen bekraeftigten ihre Entschlossenheit, konzertiert und religionsuebergreifend taetig zu werden, damit weder in Ruanda noch sonst irgendwo auf der Welt nochmals Aehnliches geschehen kann.

Pfr. Dr. Ishmael Noko, IFAPA-Initiator und Generalsekretaer des Lutherischen Weltbundes (LWB), geleitete die TeilnehmerInnen der IFAPA-Tagung zur Gedenkstaette.

Frieden und Versoehnung vor Ort

Die Gedenkstaette gehoert zu einer Reihe Frieden und Versoehnung foerdernder Initiativen, die die ruandische Regierung in Zusammenarbeit mit ihren lokalen und internationalen PartnerInnen ergriffen hat. Ein friedliches Zusammenleben der ethnischen Gruppen im Land, die Wiederherstellung eines normalen Lebens und das Engagement dafuer, dass nie wieder ein Voelkermord geschieht, sind auch Schwerpunkte der Arbeit des Laenderprogramms der LWB-Abteilung fuer Weltdienst (AWD) in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo).

Im Bezirk Rukira im Osten Ruandas engagiert sich eine von LWB/AWD-Ruanda/DR Kongo initiierte interreligioese Gruppe, der VertreterInnen von 18 christlichen Konfessionen sowie muslimische Verantwortungstraeger angehoeren, auf der lokalen Ebene fuer Frieden und Versoehnung.

Der Vorsitzende der Gruppe, Pfr. Theonesti Mugengana, berichtete TeilnehmerInnen eines LWB-Jugendkommunikationsworkshop, der vom 19. bis 24. Juni in Kigali stattfand, bei einem Besuch von der geleisteten Friedens- und Versoehnungsarbeit. Die gewaehlte Leitung der Gruppe konzentriere sich vor allem auf Traumabegleitung fuer Ueberlebende des Voelkermords, die Foerderung des friedlichen Miteinanders der ethnischen Gruppen Ruandas sowie Probleme wie HIV und AIDS.

Die Herausforderungen seien gross. Es falle nicht leicht, jemandem beratend zur Seite zu stehen, wenn man selbst mit den Narben der "Genozid-Wunde" lebe, erklaerte Mugengana.

Annette (Name wurde geaendert), ein Mitglied der Gruppe, untermauerte Mugenganas Schilderungen mit ihren Erfahrungen. Annettes gesamte Familie - fuenf Personen - wurden waehrend des Voelkermordes getoetet. Sie ueberlebte, wird aber die Narben einschliesslich der erlittenen Vergewaltigung ihr Leben lang tragen. Den Verlust ihrer engsten Angehoerigen und den sexuellen Missbrauch zu verarbeiten, sei nicht leicht, betonte sie. Schliesslich heiratete sie einen Pfarrer und begann - wie viele andere RuanderInnen - ein neues Kapitel ihres Lebens. Ein weiterer Einschnitt folgte, als sie erfuhr, dass sie das HI-Virus in sich trug. Wenig spaeter starb ihr Mann, und Annette war zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts Witwe. Sie haelt inne, ihr Blick richtet sich in die Ferne. Dann erhellt ein Laecheln ihr Gesicht und sie erklaert, warum sie jetzt nicht stillsitzen und sich selbst bemitleiden wolle: so viele Menschen brauchen Traumabegleitung und Heilung, und sie koenne ihnen dabei helfen.

Vertrauen und Hoffnung wiederherstellen

Die Mitglieder der Gruppe haben ihre Kenntnisse im Bereich Traumabegleitung in verschiedenen, von LWB/AWD-Ruanda/DR Kongo durchgefuehrten Workshops erworben. Ausgrenzendem Stammesdenken entgegenzuwirken, gehoert nach wie vor zu den wichtigen Aufgaben.

Schwer sei es, Menschen, die bekennen, am Voelkermord teilgenommen zu haben, in die Gemeinschaft der Kirche oder Moschee zu fuehren. Die Regierung und ihre PartnerInnen haetten zwar landesweit Friedens- und Versoehnungsarbeit initiiert, jedoch bleibe es ein sehr schwieriges Vorhaben, Misstrauen abzubauen und Vertrauen und Glauben wiederherzustellen. Viele Menschen haetten nach wie vor mit Schuldzuweisungen zu kaempfen, so Mugengana.

Dennoch gibt es trotz aller Probleme Hoffnung. Die Mitglieder der interreligioesen Gruppe in Rukira schreiben die neuen gemeinsamen Aktivitaeten im Gemeinwesen und die Wiederherstellung von Beziehungen dem Engagement des LWB und seiner Weitsicht zu, aufgrund derer der Ausschuss gewaehlter ReligionsfuehrerInnen eingerichtet wurde.

Seit 1994 in Ruanda praesent

Im August 1994 wurde das AWD-Programm in Ruanda eingerichtet und begann nach dem Voelkermord, Nothilfe fuer Opfer und Binnenvertriebene zu leisten und zurueckkehrende Fluechtlinge zu unterstuetzen. Die Traumaheilung wurde in die Arbeit integriert, um Einzelnen und Gemeinwesen bei der Bewaeltigung von Wut, Feindseligkeit und Ablehnung zu helfen und die noetigen Faehigkeiten zu entwickeln, um die Vergangenheit zu verarbeiten und zu lernen, in Gemeinschaft zusammenzuleben.

Seit dem Beginn der Gacacas (traditionelles ruandisches Gericht) und der Freilassung von Gefangenen unterstuetzt das AWD-Programm seine PartnerInnen bei der Schaffung von Beratungsmoeglichkeiten und Strukturen zur Konfliktloesung auf lokaler Ebene, die die Heilung foerdern und das neuerliche Trauma, das eine Entlassung von Haeftlingen hervorrufen koennte, so gering wie moeglich halten sollen. Die Unterstuetzung fuer die PartnerInnen, zu denen insbesondere Kirchen gehoeren, setzt sich fort in den Bereichen AIDS-Aufklaerung und Engagement gegen die Stigmatisierung von Menschen, die von HIV betroffen sind.

Im Bereich integrierte laendliche Entwicklung setzt das Programm Schwerpunkte bei Ernaehrungssicherung, Wasser und Abwasser sowie Umweltschutz. Von HIV betroffenen Menschen werden Workshops zum Thema Kleinstkredite und Einkommensschaffung angeboten und die Gemeinwesen erhalten Unterstuetzung beim Bau von Einrichtungen fuer AIDS-Waisen und alte Menschen. (1.049 Woerter)

(Dieser Bericht wurde von TeilnehmerInnen des

LWB-Jugendkommunikationsworkshops verfasst, der vom 19. bis 24. Juni in Kigali stattfand.)

Weitere Informationen zu LWB/AWD-Ruanda/DR Kongo finden Sie auf der LWB-Webseite unter: www.lutheranworld.org/Arbeitsfelder/Awd/Laenderprogramme/AWD-Ruanda.html

Dieser Beitrag gehoert zu einer Feature-Serie der Lutherischen Welt-Information (LWI) zum Thema der Zehnten LWB-Vollversammlung 2003 "Zur Heilung der Welt". Die Serie beleuchtet die Relevanz des Vollversammlungsthemas in den verschiedenen regionalen und lokalen Kontexten der weltweiten lutherischen Gemeinschaft und stellt Projekte der Versoehnung und Heilung vor angesichts weltweiter Bedrohung. Auch nach Abschluss der Zehnten Vollversammlung, die vom 21. bis 31. Juli 2003 in Winnipeg (Manitoba/Kanada) stattfand, bildet das Vollversammlungsthema einen der Schwerpunkte der Arbeit des LWB.

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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er inzwischen 140 Mitgliedskirchen, denen rund 66,2 Millionen ChristInnen in 78 Laendern weltweit angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.

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