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EU-Kommission dringt erneut auf Religionsfreiheit in der Tuerkei


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Date Sun, 26 Nov 2006 10:58:25 +0100

EU-Kommission dringt erneut auf Religionsfreiheit in der Tuerkei

25. November 2006

Adventistischer Pressedienst (APD)

Christian B. Schaeffler, Chefredakteur

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EU-Kommission dringt erneut auf Religionsfreiheit in der Tuerkei

Bruessel/Belgien, 25.11.2006/APD - Als die Europaeische Union im Oktober 2005 Beitrittsgespraeche mit der Tuerkei aufnahm, erklaerte sie die Religionsfreiheit zu einem "wesentlichen Verhandlungspunkt". Ein Jahr spaeter sieht man in Bruessel wenig Grund zur Zufriedenheit. Die Situation nicht-muslimischer Minderheiten habe sich nicht verbessert, heisst es im 75-seitigen Fortschrittsbericht, den EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn Anfang November vorgelegt hat.

"Wir leben in einem rechtlichen Vakuum", bekraeftigt Holger Nollmann, evangelischer Pfarrer in Istanbul. Nicht-muslimische Glaubensgemeinschaften in der Tuerkei haben nach wie vor keine eigene Rechtspersoenlichkeit. Das fuehrt Nollmann zufolge zu den verschiedensten Problemen: So koennen sie offiziell keine Grundstuecke erwerben und keine Haeuser bauen. Auch die Ausbildung von Geistlichen unterliegt strengen Beschraenkungen.

Prominentestes Beispiel ist die griechisch-orthodoxe Theologische Hochschule auf der Insel Chalki bei Istanbul, die 1971 von den tuerkischen Behoerden geschlossen wurde. Das tuerkische Praesidium fuer religioese Angelegenheiten (Dyianet) verteidigt die Schliessung bis heute mit dem Argument: "Wenn die orthodoxe Priesterschule Chalki als eigenstaendige Hochschule wieder eroeffnet wird, dann wuerden sich hier sofort vierzig islamische Hochschulen unterschiedlicher Bewegungen gruenden", so Ali Dere vom Dyianet.

Seit vielen Jahren bemueht sich der Oekumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., vergeblich um die Wiedereroeffnung. Seine Schreiben wurden von Ankara nie beantwortet. Das Patriarchat sorgt sich daher sehr, dass ohne Priesternachwuchs der orthodoxe Glaube in der Tuerkei ausstirbt. Der Dialog mit den Orthodoxen ist ein Schwerpunkt der Reise von Papst Benedikt XVI. vom 28. November bis 1. Dezember in die Tuerkei.

"Auch fuer die roemisch-katholische Kirche ist die derzeitige Situation aeusserst schwierig", so der Praesident der Tuerkischen Bischofskonferenz und Apostolischer Vikar von Istanbul, Bischof Louis Pelatre. "De facto sind wir anerkannt, aber de jure gibt es uns nicht", so bringt Pelatre den Status der drei katholischen Bischoefe des lateinischen Ritus in der Tuerkei auf den Punkt. Der Bischof betont aber gleichzeitig, dass es falsch sei, von einer "verfolgten Kirche" zu sprechen. Die roemisch-katholische Kirche in der Tuerkei sei "mit Hindernissen konfrontiert, werde aber nicht verfolgt". Die offiziellen Stellen muessen jedoch immer wieder daran erinnert werden, dass Religionsfreiheit mehr bedeute als blosse Kultfreiheit.

Die Kontroll-Massnahmen der tuerkischen Behoerden sind nicht primaer gegen Minderheiten gerichtet, sondern dienen der Eindaemmung des fundamentalistischen Islam. Auch muslimische Hochschulen wurden in den 1970er Jahren konfisziert und verstaatlicht. Als Vertreter einer Volksreligion geniessen muslimische Geistliche in dem Land dennoch eine wesentlich staerkere Stellung. In der Tuerkei ist islamischer Religionsunterricht fuer Schueler der Grund- und Mittelstufe Pflichtfach.

Ernste Probleme hat auch die Religionsgemeinschaft der Aleviten, wie die EU-Kommission in ihrem Bericht betont. Diese stellt mit 20 bis 25 Millionen Anhaengern etwa ein Viertel der tuerkischen Bevoelkerung und ist damit die zweitgroesste Glaubensgemeinschaft des Landes. Ihre Gotteshaeuser, die so genannten "Cem"-Haeuser in denen Maenner und Frauen gemeinsam beten, sind nicht als Gebetsstaetten anerkannt und erhalten keine Unterstuetzung vom Staat. Die Aleviten haben auch keine eigene Vertretung innerhalb der Religionsbehoerde Dyianet, die einen tuerkischen Einheitsislam foerdert.

Immerhin koennten die Angehoerigen der verschiedenen Glaubensrichtungen relativ ungestoert Gottesdienste abhalten, urteilt die EU-Kommission. Sie verweist ausserdem darauf, dass die Regierung einen Entwurf fuer ein neues Stiftungsgesetz vorgelegt hat, das die Rechte der religioesen Minderheiten staerken soll. Welche Auswirkungen das Gesetz haben wird, lasse sich allerdings erst nach seiner Verabschiedung beurteilen, so die Kommission. Noch sind die Ausfuehrungsbestimmungen dieses neuen Gesetzes nicht bekannt.

Die christlichen Minderheitskirchen wollen den Reformprozess im Lande fuer ihre Anliegen nutzen und unterstuetzen deswegen einen EU-Beitritt der Tuerkei: "Wir lieben unser Land und wollen, dass es ein europaeisches Land wird", so Bartholomaios I.

Auf die Frage, ob der tuerkische Beitrittsprozess zur EU in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat Klarheit bringen wird, meint der roemisch-katholische Bischof Pelatre mit einem Schulterzucken: "Sie wissen alles in Bruessel. Sie haben dicke Dossiers ueber all diese Fragen."

Die Tuerkei ist gemaess der Verfassung ein "laizistischer Rechtsstaat", in dem "religioese Gefuehle... auf keine Weise mit den Angelegenheiten der Politik und des Staates vermischt werden". Ausserdem verpflichtet die Verfassung, "die Freiheit des Gewissens, der religioesen Anschauung und UEberzeugung" zu wahren. Da aber auch die Einheit des Landes ein hoher Wert ist, wurde der staatlich gefoerderte Islam sunnitischer Praegung fast eine Staatsreligion. Nach tuerkischen Angaben sind mehr als 99 Prozent der ueber 70 Millionen Bewohner Muslime.

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Diese Agenturmeldung ist auch im Internet abrufbar:

http://www.stanet.ch/apd/news/1269.html

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