From the Worldwide Faith News archives www.wfn.org


(LWI 07-04-2009) Auch 20 Jahre nach Ende des Kommunismus ringen lutherische Kirchen um ihren Platz i


From "Dirk-Michael Grötzsch" <dmg@lutheranworld.org>
Date Thu, 09 Jul 2009 17:08:40 +0200

LWI online unter: www.lutheranworld.org/News/Welcome.DE.html 

>LUTHERISCHE WELT-INFORMATION
>Postfach 2100, CH-1211 Genf 2, Schweiz
>Deutsche Redaktion: Dirk-Michael Groetzsch
>Tel.:	+41-22-791-6352
>Fax:	+41-22-791-6630         
>E-Mail: dmg@lutheranworld.org 

Auch 20 Jahre nach Ende des Kommunismus ringen lutherische
Kirchen um ihren Platz in der Gesellschaft

Freiheit bringt neue Chancen und Herausforderungen mit sich

Budapest (Ungarn), 09. Juli 2009 (LWI) - Der Fall des
Kommunismus vor zwei Jahrzehnten habe fuer die - zumeist
kleineren - lutherischen Kirchen in Mittel- und Osteuropa neue
Freiheiten und viele schwierige Aufgaben mit sich gebracht,
betonte Pfarrerin Dr. Eva Sibylle Vogel-Mfato am 26. Juni
waehrend einer Konsultation des Lutherischen Weltbundes (LWB) in
Budapest (Ungarn).

Von diesen Kirchen, die zuvor unter einem unterdrueckerischen
Regime gelebt haetten, erwarte der Staat jetzt, “dass sie eine
aktive Rolle in der Gesellschaft uebernehmen”, so die
LWB-Europareferentin im Rahmen der LWB-Tagung, die vom 26. bis
29. Juni zum Thema “Kirche und Staat in Gesellschaften im
Prozess des Wandels” stattfand. Diese Kirchen muessten mit dem
Staat ueber ihre rechtliche Anerkennung und ueber die Zurueckgabe
kirchlichen Eigentums verhandeln, das waehrend der
kommunistischen Aera beschlagnahmt worden sei. 

Auch die Emigration stelle fuer einige ein Problem dar, bemerkte
Pfarrerin Dr. Annette Leis-Peters. “Das Ende des Eisernen
Vorhangs bedeutete, dass Migration sehr viel einfacher wurde”,
so die deutsche Theologin, die an der Universitaet von Uppsala
(Schweden) den Einfluss der Religion auf die Gesellschaft
erforscht. Eine grosse Zahl von Mitgliedern lutherischer
Minderheitskirchen sei in westliche Laender ausgewandert. 

In Ungarn werde die Regierung die meisten Kirchen und kirchliche
Gebaeude, die nach 1948 vom kommunistischen Regime beschlagnahmt
worden seien, bis zum Jahr 2011 an die Kirchen zurueckgeben,
berichtete Pfr. Dr. Gábor Orosz. Fuer die uebrigen Gebaeude
wuerden Entschaedigungszahlungen geleistet. Orosz, Dozent an der
Evangelisch-Lutherischen Theologischen Universitaet in Budapest,
erklaerte weiter, LutheranerInnen haetten die Moeglichkeit, ein
Prozent ihrer Steuern an die Kirche abzutreten. Weiterhin
erhielten 20 lutherische Schulen mit Tausenden von SchuelerInnen
vom Staat die gleiche finanzielle Unterstuetzung wie staatliche
Schulen. 

Die Rueckgabe von beschlagnahmtem Eigentum kann ganz eigene
Probleme mit sich bringen. “Wir haben alte baufaellige Kirchen,
aber nicht die dazugehoerigen Grundstuecke zurueckbekommen”,
stellte Erzbischof Dr. Edmund Ratz von der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten
fest.

Die Evangelische Kirche der Boehmischen Brueder spielt eine
wichtige Rolle in den tschechischen Sozialdiensten. Ihre
diakonische Organisation betreibt 33 Zentren und acht
Sonderschulen. Dazu gehoeren Hospize, Altersheime sowie
Kindertagesstaetten fuer Kinder mit Lernschwierigkeiten, die
sonst in Heimen untergebracht werden muessten. “Wir mussten
Einrichtungen schaffen, die es in unseren Gesellschaften vorher
ueberhaupt nicht gab”, erklaerte Eva Grollová, stellvertretende
Diakoniedirektorin der Kirche. “Ohne Partner in auslaendischen
Schwesterkirchen haetten wir mit unserer Arbeit nicht anfangen
koennen.”

In Slowenien machen ProtestantInnen weniger als ein Prozent der
Bevoelkerung des Landes aus. Eine marginale Gemeinschaft wie die
Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Slowenien,
die 20.000 Mitglieder zaehle, koenne “mit der immer noch
grossen und einflussreichen roemisch-katholischen Kirche mit
ihren vielen Einrichtungen nicht mithalten”, bemerkte der
slowenische Pfarrer Simon Sever. Aber die Kirche lege Wert
darauf, ihren “Protestantismus” durch Predigt und diakonische
Arbeit zum Ausdruck zu bringen und “mit produktiver Kritik”
einen Beitrag zur Schaffung einer menschlicheren Gesellschaft zu
leisten.

In Kroatien, wo der Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawien zum
Krieg gefuehrt habe, versuchten die evangelischen
Minderheitskirchen nach wie vor, sich staerker gesellschaftlich
zu engagieren, erklaerte Enoh Seba, baptistischer Mitarbeiter der
theologischen Fakultaet Matthias Flacius Illyricus in Zagreb
(Kroatien). Ihnen fehle es jedoch an Humanressourcen und seit dem
Ende des Krieges bemuehten sie sich um die Klaerung ihres
Rechtsstatus.

In der ehemaliger Deutschen Demokratischen Republik seien die
evangelischen Kirchen, denen historisch gesehen die Mehrheit der
Bevoelkerung angehoert habe, zu einer marginalisierten Minderheit
geworden, berichtete Dr. Marianne Subklew. Nach der
Wiedervereinigung Deutschlands 1990 haetten die Kirchen in den
neuen Bundeslaendern das Modell der Staatsvertraege zwischen
Kirchen und Bundeslaendern von den westlichen Kirchen
uebernommen, wo die evangelischen Kirchen und die
roemisch-katholische Kirche die Mehrheit der Bevoelkerung
ausmachten. 

Sie haetten das Modell des staatlichen Kirchensteuereinzugs
sowie den Religionsunterricht in den Schulen und grosse Bereiche
der diakonischen und sozialen Arbeit uebernommen, wo sie oft in
Konkurrenz zu anderen Wohlfahrtseinrichtungen getreten seien.

“Einige hatten gehofft, dass die Menschen nach dem politischen
Umsturz wieder massenweise in die Kirchen zurueckkehren wuerden,
aber diese Hoffnung wurde enttaeuscht”, erklaerte Subklew, die
selbst aus den neuen Bundeslaendern stammt, jetzt aber in Hamburg
fuer die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche arbeitet. 

Die Zukunft haenge davon ab, ob es den Gemeinden gelinge,
Strukturen und Modelle zu entwickeln, die neue Mitglieder
anzoegen. “Die Menschen haben die Kirche zwar scharenweise
verlassen, aber zurueckgewonnen werden muss jeder und jede
Einzelne”, so Subklew.

Die Konsultation in Budapest war die letzte Tagung im Rahmen der
europaeischen Studie zum Thema “Kirche und Staat in
Gesellschaften im Prozess des Wandels”. Diese Studie wurde 2006
mit dem Ziel lanciert, LWB-Mitgliedskirchen in Mittel- und
Osteuropa Gelegenheit zu geben, gemeinsam ihre Beziehung zum
Staat nach dem Fall des Kommunismus zu untersuchen. Spaeter sei
die Studie dann auch auf Kirchen in anderen Teilen Europas
ausgeweitet worden, erklaerte LWB-Europareferentin Vogel-Mfato,
“denn wir erkannten immer deutlicher, wie viele Anliegen wir
in ganz Europa gemeinsam haben”. (796 Woerter)

(Ein Beitrag von Stephen Brown, Chefredakteur von Ecumenical
News International, der fuer LWI ueber die Konsultation in
Budapest berichtete.)

>*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft
lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden)
gegruendet, zaehlt er inzwischen 140 Mitgliedskirchen, denen rund
68,5 Millionen ChristInnen in 79 Laendern weltweit angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat
der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen
in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und
interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe,
Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als
Informationsdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB)
herausgegeben. Veroeffentlichtes Material gibt, falls dies nicht
besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder Meinung des LWB
oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit “LWI”
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden. 


Browse month . . . Browse month (sort by Source) . . . Advanced Search & Browse . . . WFN Home