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Zum Tod Von Paulo Freire


From smm@wcc-coe.org
Date 07 May 1997 04:03:20

O"kumenischer Rat der Kirchen
Pressemitteilung
Zur Vero"ffentlichung frei
6. Mai 1997

ZUM TOD VON PAULO FREIRE (1921-1997)

Nachstehend folgt der Wortlaut einer Wu"rdigung von Paulo Freire durch
den Generalsekreta"r des O"kumenischen Rates der Kirchen, Pfr. Dr.
Konrad Raiser:

"Am 2. Mai starb der weltbekannte brasilianische Pa"dagoge Paulo Freire
im Alter von 75 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Der
O"kumenische Rat der Kirchen, der in den 70er Jahren, in denen Paulo
Freire zum Mitarbeiterstab des O"RK geho"rte, grundlegende Ansto"sse
von ihm erfahren hat, betrauert den Tod eines Freundes und eines der
grossen Vordenker unseres Jahrhunderts.

Paulo Freire wurde 1921 im Staat Pernambuco im Nordosten Brasiliens
geboren. Nach dem Studium der klassischen Philosophie und der
Bildungsphilosophie wurde er zu einem der einflussreichsten Methodiker
auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung und der Volksbildung allgemein.
Zusammen mit seiner ersten Frau Elsa, die selbst als Pa"dagogin ta"tig
war, entwickelte Paulo Freire seine kreative Alphabetisierungsmethode
fu"r Erwachsene, die er in der Stadt Recife anwandte.  Diese Methode
geht von der U"berzeugung aus, dass Bildung ein dialogischer Prozess
sein muss und dass die Menschen an ihrer eigenen Entfaltung teilhaben
mu"ssen. Daru"ber hinaus mu"ssen die Schlu"sselwo"rter, mit denen die
Menschen Lesen und Schreiben lernen, an ihrer eigenen ta"glichen
Erfahrung festgemacht sein. Und schliesslich muss Bildung laut Freire
immer eine kollektive Erfahrung sein. Alphabetisierung muss in einer
Lerngemeinschaft stattfinden.

Paulo Freire kam durch seine Erfahrungen zu der Erkenntnis, dass
Lernen, bei dem die Wu"rde der Lernenden respektiert wird, selbst arme
Ma"nner und Frauen in den Stand setzt, Kultur hervorzubringen und die
Kultur des Schweigens zu u"berwinden. Hauptziel vn Freires Methode
war die Vera"nderung des Bewusstseins und damit des Lebens der
Menschen. Der von ihm gepra"gte Begriff conscientizacao
(Bewusstmachung) ist zum Inbegriff seiner Pa"dagogik geworden.

Der Anfangserfolg, der Freires Methode in Recife beschieden war,
veranlasste die bundestaatlichen Beho"rden zur Einfu"hrung seiner
Methode der Erwachsenenbildung in ganz Pernambuco. 1964 fu"hrte die
brasilianische Regierung seine Methode landesweit ein. Wenige Wochen
spa"ter wurde die Zivilregierung jedoch durch einen Staatsstreich
entmachtet. Freires Methode wurde verboten und er selbst verhaftet.
Nach seiner Haftentlassung ging Freire ins Exil, zuna"chst nach Bolivien,
dann nach Chile. 1969, Freire lehrte zu der Zeit in den USA, erschien
sein Buch Pa"dagogik der Unterdru"ckten, das in viele Sprachen
u"bersetzt worden ist. 1970 erhielt Freire die Einladung, als Berater fu"r
Volksbildung im neu eingerichteten Bu"ro fu"r Bildungsfragen des
O"kumenischen Rates der Kirchen mitzuarbeiten. Wa"hrend seiner
9ja"hrigen Ta"tigkeit im O"RK hat Paulo Freire die Ausrichtung und
Methodik der o"kumenischen Bildungsarbeit massgeblich beeinflusst. Das
Konzept des "o"kumenischen Lernens" stu"tzt sich weitgehend auf
Freires Erkenntnisse. Daneben wurde Paulo Freire von der Regierung
des damals gerade unabha"ngig gewordenen Guinea Bissau eingeladen,
die Entwicklung und Einfu"hrung eines neuen Bildungsgsystems zu
beaufsichtigen, und in der Folge  wurde er fu"r viele der neuen sozialen
Bewegungen und deren Bemu"hungen um Volksbildung zur
Referenzperson. 1980 ging Freire in sein Heimatland Brasilien zuru"ck,
wo er an der Universita"t von Campinas und an der Katholischen
Universitat von Sao Paulo lehrte. Er stand der Arbeiterpartei nahe und
wurde nach deren kommunalem Wahlsieg Bildungsreferent der Stadt Sao
Paulo.

Paulo Freire hat sich stets zu seinem christlichen Glauben bekannt. Als
Mitglied der ro"misch-katholischen Kirche trat er fu"r O"kumenismus ein
und beeinflusste nachhaltig die Entwicklung der lateinamerikanischen
Befreiungstheologie und insbesondere das Wirken der christlichen
Basisgemeinschaften. Der O"RK ist Gott dankbar fu"r das Leben und den
ausserordentlichen Beitrag, den Paulo Freire nicht nur zur Theorie und
Praxis der Bildungsarbeit, sondern daru"ber hinaus zur Entwicklung
menschlicherer Formen der menschlichen Gemeinschaft geleistet hat.
Seine Freunde in der o"kumenischen Bewegung werden ihm stets ein
freundschaftliches und ehrendes Andenken bewahren."

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Der O"kumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von
inzwischen 332 Kirchen in u"ber 100 La"ndern auf allen Kontinenten und
aus praktisch allen christlichen Traditionen. Die ro"misch-katholische
Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem O"RK zusammen.
Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefa"hr alle
sieben Jahre zusammentritt. Der O"RK wurde 1948 in Amsterdam
(Niederlande) offiziell gegru"ndet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft
steht Generalsekreta"r Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in
Deutschland.

O"kumenischer Rat der Kirchen
Presse- und Informationsreferat
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Fax:  (41.22) 798.13.46
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