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Safiuddins Kampf - Ueberleben in den Fluten von Bangladesch
From
FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date
29 Sep 1998 13:14:33
Char Narayanpur (Bangladesch)/Genf, 28. September 1998 (lwi) - Tausende von
Familien haben sich auf hoeher gelegene Landteile gerettet und kaempfen ums
Ueberleben in der wahrscheinlich schlimmsten Ueberschwemmungskatastrophe in
der Geschichte von Bangladesch.
"Gestern brachte ich das letzte Huhn, das ich besass, zum Markt und
verkaufte es, um drei Kilogramm Reis fuer meine Familie kaufen zu koennen.
Heute habe ich noch ein Kilogramm Reis uebrig. Normalerweise brauche ich
jeden Tag vier Kilogramm Reis fuer meine Familie, aber das ist alles, was
ich jetzt habe", erzaehlt Safiuddin, ein 50jaehriger Mann aus Kurigram im
Nordwesten von Bangladesch.
Safiuddin verliess Mitte Juli sein Heim, um sich und seine Familie vor der
Flut zu schuetzen. Als sein Haus von Wassermassen ueberflutet wurde, fanden
er, seine 35jaehrige Frau Tara Banu und seine sechs Kinder hier in Jhunkuti
Zuflucht. Seither lebt Safiuddins Familie auf engstem Raum zusammen mit 21
anderen Familien.
Die meisten leben in einer kleinen, aus Wellblech gebauten Grundschule, die
als Zufluchtsort vor der Ueberschwemmung dient. Aber auch hier gibt es
keine wirkliche Sicherheit. Aufgrund der starken Stroemung des Flusses
zeigen sich schon erste Zeichen der Bodenerosion auf dem Schulgelaende als
Vorboten dafuer, dass bald der ganze Grund weggeschwemmt zu werden droht.
Sollte diese Situation eintreten, werden die meisten Menschen, die in der
Schule Zuflucht genommen haben, unter freiem Himmel schlafen muessen.
Schon seit zwei Monaten bedecken die Ueberschwemmungen zwei Drittel des
Landes. Sie haben ueber 500 Menschenleben gefordert und schaetzungsweise
24 Millionen Menschen obdachlos gemacht. Das Schlimmste an dieser
Katastrophe ist, dass das Wasser in den ueberschwemmten Gebieten nicht
abfliesst, sondern stagniert, wodurch der bereits enorme Schaden an der
Infrastruktur vergroessert und die reife Ernte vernichtet wurde. 45 der 64
Distrikte des Landes sind davon betroffen. Safiuddin sorgt sich vor allem
um die Gesundheit seines juengsten, sechsjaehrigen Sohnes. Um ihn vor
Naesse zu schuetzen, traegt er ihn die meiste Zeit des Tages auf seinen
Schultern. Andere Familien haben ihr Vieh und ihre Huehner mitgebracht, um
ihr weniges Hab und Gut vor den Fluten zu retten. Aber Nahrungsmittel und
Futter fuer die Tiere sind rar. Die Menschen warten darauf, dass das Wasser
sinkt und sie wieder nach Hause gehen koennen. Doch dies wird noch lange
dauern.
Das Jhunkuti-Hochland in Char Narayanpur in Nageswari Thana, einem
Unterdistrikt von Kurigram, wurde 1996 vom Rangpur Dinajpur Rural Service
(RDRS) des Lutherischen Weltbundes (LWB) ausgewaehlt, um dort eine
Grundschule zu bauen, nun dient sie auch als Zuflucht vor dem Wasser.
"Das Projekt hat uns vor der Flut gerettet", erklaert Murtaza Ali Dewan.
"Ich lebe hier seit zwei Monaten mit meiner Familie. Wenn es kein Hochland
wie dieses gaebe, waeren die Menschen, die hier Zuflucht genommen haben,
vielleicht schon mit all ihrem Hab und Gut weggeschwemmt worden."
Zusammen mit dem von LWB und dem Oekumenischen Rat der Kirchen getragenen
internationalen Hilfsnetzwerk "Kirchen helfen gemeinsam" (ACT) verteilt
RDRS Hilfsgueter fuer Familien, die sich in verzweifelter Lage befinden.
Murtaza Ali Dewan: "Wenn uns weitere Hilfe erreicht, koennen wir noch mehr
Familien versorgen. Zur Zeit benoetigen fast alle Nahrungshilfe und Futter
fuer die Tiere. Wenn das Wasser endlich zurueckgeht, werden wir schnell
wachsendes Getreide- und Gemuesesaatgut brauchen, damit wir sobald wie
moeglich wieder unser Vieh und uns selbst versorgen koennen. Auch
Medikamente gegen durch verunreinigtes Wasser verursachte Krankheiten
waeren eine grosse Hilfe."
"In einer solchen Situation kann man keinen Unterricht mehr erteilen",
erklaert der Grundschullehrer Mohammed Ali. "Wenn das Wasser weiter steigt,
wird auch diese Schule zerstoert werden. Das Leiden der Leute ist
unbeschreiblich. Es gibt wenig Ueberlebenshoffnung, wenn die Wassermassen
nicht in absehbarer Zeit zurueckgehen. Die Leute werden sterben, an
Unterernaehrung oder Krankheiten, vor allem die Kinder und Alten. Die
Situation wird mit jedem Tag hoffnungsloser."
Safiuddin befindet sich in solch einer verzweifelten Lage. Er hat schon all
seine Wertgegenstaende, Haushaltsgueter und Huehner verkauft, um seine
Familie zu ernaehren. Nun hat er nichts mehr zum Verkaufen. Geld besitzt er
nicht. Gestern hatte er gerade noch zwei Taka - ein paar Pfennige -, um die
Fahrkarte fuer die Bootsfahrt zum Markt zu bezahlen. Der Bootsmann war
aber so freundlich, ihn auch ohne Bezahlung mitzunehmen.
"Bis jetzt haben unsere Nachbarn und Verwandten uns mit Nahrungsmitteln
geholfen", erklaert Safiuddin, "aber meine Frau und ich sind fast immer
hungrig. Wenn diese Situation anhaelt und wir keine weitere Hilfe bekommen,
wird es schwierig werden zu ueberleben." Auf die Frage, was sie uebermorgen
essen werden, zuckt Safiuddin mit den Schultern: "Nur Allah weiss es."
*Das Wasser kam und blieb
"Die Ueberschwemmungen dieses Jahres sind ausserordentlich", erklaert der
Projektkoordinator von RDRS/ACT Nazrul Ghani. "Das Wasser kam am 13. Juli
und blieb einige Tage. Dann ging es zurueck, und wir waren erleichtert.
Aber am 21. Juli stieg es wieder stark an, fast um 30 bis 40 Zentimeter in
24 Stunden. Es ueberschwemmte weite Gebiete im Brahmaputra-Becken. Ueber
einen Monat stagniert das Wasser nun hier. Ich vermute, dass der
Wasserstand noch einen weiteren Monat so bleiben wird."
Laut erster Schaetzungen sind rund drei Millionen Tonnen Feldfruechte von
den Wassermassen vernichtet worden. Der Nordwesten von Bangladesch, ein
Gebiet, in dem vor allem Reis angebaut wird, hat dieses Jahr etwa 60
Prozent der Ernte verloren. Jute, eines der wichtigsten Handelsprodukte,
hat auch unter der Ueberschwemmung gelitten. Laut Nazrul Ghani sind
zwischen 40.000 und 50.000 Familien, die am Ufer des Brahmaputra, im Gebiet
des Teesta und in den Subdistrikten von Kurigram lebten, obdachlos. Andere
Distrikte sind ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
In den Distrikten Lalmonirhat und Kurigram, wo RDRS taetig ist, sind rund
738.500 Menschen von der Ueberschwemmung betroffen. RDRS/ACT hat in einer
ersten Hilfsaktion Hilfsmaterial im Wert von 30.000 USDollar an die Opfer
der Ueberschwemmung verteilt. Mit einer zweiten Nothilfeoperation will RDRS
nun weiteren von der Ueberschwemmung betroffenen Familien in seinem
Einsatzgebiet helfen.
Insgesamt stellen fuenf von ACT koordinierte Hilfsprogramme und
-organisationen in Bangladesch, RDRS miteingeschlossen, humanitaere Hilfe
fuer annaehernd 150.000 Menschen zur Verfuegung. Sie arbeiten gemeinsam in
18 von den 45 Ueberschwemmungsdistrikten. In einem Appell fuer Bangladesch
hatte ACT am 29. Juli um 342.745 USDollar gebeten. 71 Prozent des Betrages
konnten bislang gedeckt werden.
Die ACT-Mitglieder planen bereits Rehabilitationsprogramme in den von der
Ueberschwemmung betroffenen Gebieten. Mit Saatgut fuer schnell wachsende
Winterfeldfruechte und Getreide koennte die Nahrungsmittelknappheit rasch
behoben werden. Prioritaet soll zudem die Gesundheitsvorsorge, Wasser und
Hygiene haben. Fuer die Wiederherstellung der Infrastruktur, unter anderem
fuer den Wiederaufbau von Haeusern, Schulen, Strassen und Abflusskanaelen,
ist darueber hinaus langfristige Planung noetig.
Die Ueberschwemmungen in Bangladesch sind auf die diesjaehrigen schweren
Monsunregen zurueckzufuehren, die Situation wurde noch verschlimmert durch
den erhoehten Wasserstand des Ganges und anderer Fluesse. Laut juengster
Berichte steigt der Wasserspiegel der Fluesse weiter an.
***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redakteurin: Karin Achtelstetter
E-mail: ka@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/
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