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Sexual Orientation
From
Sheila MESA <smm@wcc-coe.org>
Date
09 Oct 1998 08:22:40
Okumenischer Rat der Kirchen
Hintergrundinformation
Zur Veroffentlichung frei
9. Oktober 1998
HINTERGRUNDINFORMATION
DER ORK, DIE VOLLVERSAMMLUNG VON HARARE UND DIE FRAGE DER
SEXUELLEN ORIENTIERUNG
1. Was es fur den ORK bedeutet, "eine Position" oder "einen Standpunkt"
zu einer Frage einzunehmen
Der ORK ist nicht selbst eine Kirche, sondern eine Gemeinschaft von
unabhangig organisierten christlichen Kirchen. Somit hat er weder eine
legislative, kanonische oder rechtliche Weisungsbefugnis noch eine
Lehrautoritat gegenuber seinen Mitgliedskirchen und ihren Mitgliedern und
strebt dies auch nicht an. Gemass seiner Verfassung hat der ORK "eine
beratende Funktion" und soll den Kirchen "die Moglichkeit zum
gemeinsamen Vorgehen in Fragen von allgemeinem Interesse" bieten.
Ein solches "gemeinsames Vorgehen" erfolgt manchmal in Form von
Verlautbarungen, die von den Leitungsgremien des ORK (der
Vollversammlung, dem Zentralausschuss oder unter bestimmten
Umstanden auch dem Exekutivausschuss oder leitenden
Amtstragern/innen, darunter dem Generalsekretar) zu wichtigen Themen
abgegeben werden. Aufgrund der im ORK reprasentierten Vielfalt
konnen solchen Verlautbarungen Bedeutung und Einfluss zukommen,
doch wird in der Satzung des ORK klar herausgestellt, dass ihre
Autoritat "nur in dem Gewicht" besteht, "welches sie durch die ihnen
innewohnende Wahrheit und Weisheit haben".
Der weitaus grosste Teil der vom ORK im Rahmen seiner Arbeit
herausgegebenen Texte fallt nicht unter diese Kategorie von
"Verlautbarungen" der Leitungsgremien. Zu den Texten des ORK
gehoren: Berichte und Empfehlungen von ORK-Konsultationen und
Konferenzen sowie von Besuchen von ORK-Delegationen; Zeitschriften
und Veroffentlichungen zu Fragen von okumenischem Interesse;
Hirtenbriefe und andere offene Briefe sowie Texte unterschiedlicher
Lange, die fur okumenische Studienprozesse vorbereitet oder im Laufe
solcher Prozesse ausgearbeitet werden. Auch hier gilt, dass die
"Autoritat" solcher Texte allein von ihrer eigenen Uberzeugungskraft
abhangt; solange die Vollversammlung oder der Zentralausschuss sie
nicht entgegengenommen und daruber beschlossen haben, konnen sie
nicht als "offizielle Position des ORK" angesehen werden. In vielen Fallen
wird ein Leitungsgremium solche Materialien den Mitgliedskirchen zur
Prufung, Beschlussfassung oder Stellungnahme empfehlen.
2. Was der ORK zu Fragen der menschlichen Sexualitat gesagt hat
(Eine ausfuhrlichere Darstellung enthalt: Birgitta Larsson, "A Quest for
Clarity: The World Council of Churches and Human Sexuality", in: "The
Ecumenical Review", 50. Jg., Nr. 1, Januar 1998, S. 30-40.)
Seit der Dritten Vollversammlung des ORK 1961 in Neu-Delhi sind Fragen
der menschlichen Sexualitat bei mehreren Tagungen von
Leitungsgremien des ORK angesprochen worden. Als Reaktion darauf
haben diese Gremien aber keine ausfuhrlichen ethischen Erklarungen
abgegeben, weil sie sich bewusst waren, dass die grosse Bandbreite
von Positionen, die Mitgliedskirchen aus unterschiedlichen theologischen
Traditionen und kulturellen Kontexten zu diesen Fragen haben, eine
Konsenserklarung unmoglich machen wurde. Vielmehr haben sie immer
wieder die grundsatzliche Notwendigkeit eines Dialogs unterstrichen, der
diese unterschiedlichen Kontexte und die biblische und theologische
Tradition berucksichtigt; daneben wurden die Kirchen dazu aufgerufen,
eine eigene Untersuchung dieser Fragen durchzufuhren. (Bei mehreren
Versuchen des ORK, Aufschluss uber die Standpunkte seiner
Mitgliedskirchen zu Fragen der menschlichen Sexualitat zu erhalten, sind
Stellungnahmen vorwiegend von Kirchen in nordlichen und westlichen
Landern eingegangen.)
Besonders in fruheren Jahren war die Diskussion uber Fragen der
menschlichen Sexualitat im Kontext des ORK zu einem grossen Teil mit
den Themenkreisen der Familie (einschliesslich der Problematik der
Polygamie) und des globalen Bevolkerungswachstums verbunden. Man
konzentrierte sich auf die "sozial-ethischen" (und nicht die
"personlich-ethischen") Dimensionen dieser Fragen. Ausserdem stand
die seelsorgerliche Verantwortung der Kirchen fur ihre Mitglieder in
diesem Bereich im Vordergrund.
Durch die schweren Folgen der AIDS-Pandemie fur Menschen und
Gemeinschaften auf der ganzen Welt ruckte der Zusammenhang
zwischen Sozial- und Individualethik ins Blickfeld. Im Jahre 1994 richtete
der Zentralausschuss des ORK eine internationale Beratungsgruppe ein,
die sich eingehend mit AIDS und der Reaktion der Kirchen darauf
befassen sollte. Diese Gruppe erarbeitete ein 100 Seiten umfassendes
Studiendokument, das den Mitgliedskirchen vom Zentralausschuss
empfohlen wurde ("AIDS und die Kirchen - Eine Studie des
Okumenischen Rates der Kirchen", Frankfurt am Main: Lembeck 1997). In
der vom Zentralausschuss angenommenen begleitenden Erklarung heisst
es: "Die AIDS-Pandemie erfordert ... die Untersuchung einer ganzen
Reihe von miteinander verknupften Faktoren. Dazu gehoren: theologische
und ethische Auffassungen, die fur unser Verstandnis von AIDS
hilfreich sind oder sich daraus ergeben; die Auswirkungen der Armut auf
Einzelne und Gemeinschaften; Fragen der Gerechtigkeit und der
Menschenrechte; das Verstandnis menschlicher Beziehungen und das
Verstandnis der menschlichen Sexualitat. Von allen diesen Faktoren hat
die okumenische Gemeinschaft dem Aspekt der Sexualitat bisher die
geringste Aufmerksamkeit entgegengebracht. Wir sind der Auffassung,
dass eine eingehendere Untersuchung dieser Frage fur das Verstandnis
der durch HIV/AIDS aufgeworfenen Probleme unerlasslich ist."
Das spezifische Thema der Homosexualitat wurde in einem der
Sektionsberichte angesprochen, die den Kirchen von der
Vollversammlung in Uppsala (1968) empfohlen wurden. Darin wurde
dringend dazu aufgefordert, dass Materialien zur Untersuchung dieser
und anderer Fragen der menschlichen Sexualitat "fur eine
verantwortliche Prufung und Beschlussfassung" vorgelegt werden
sollten. In einem "Fachgruppenbericht", der den Kirchen von der
Vollversammlung in Vancouver (1983) empfohlen wurde, wurden die
Kirchen dazu ermutigt, "die Frage der Homosexualitat mit besonderer
Betonung der seelsorgerlichen Verantwortung der Kirchen uberall fur
diejenigen, die homosexuell sind, allein und miteinander zu prufen und zu
studieren". In der Zeit nach der Vollversammlung von Vancouver wurden
zwar etliche Berichte und Studienmaterialien zur menschlichen Sexualitat
ausgearbeitet und verbreitet (zum Beispiel: Jeanne Becher [Hrsg.]:
"Women, Religion and Sexuality: Studies on the Impact of Religious
Teachings on Women", Genf: WCC 1990; "Living in Covenant with God
and One Another", Genf: WCC Education Office 1990); keiner davon
wurde jedoch den Leitungsgremien des ORK zur Annahme vorgelegt.
In den letzten Jahren ist das Bewusstsein dafur gewachsen, dass
ethische Fragen, darunter solche im Zusammenhang mit der
menschlichen Sexualitat, haufig tiefere Spannungen, sowohl innerhalb
von als auch zwischen den Kirchen, zur Folge haben als Fragen der
Doktrin und der Kirchenverfassung, die in der Vergangenheit die Kirchen
gespalten haben. Daher wurde von der Gemeinsamen Arbeitsgruppe
des ORK und der romisch-katholischen Kirche ein Text zu dem Thema
"Der okumenische Dialog uber ethisch-moralische Fragen: Potentielle
Quellen des gemeinsamen Zeugnisses oder der Spaltung"
("Okumenische Rundschau", Juli 1996, 45. Jg., Heft 3, S. 355-370)
entworfen. Auch wenn dieser Text selbst keine konkreten ethischen
Probleme behandelt, enthalt er eine Reihe von Richtlinien fur eine
konstruktive Erorterung ethischer Unterschiede in einem okumenischen
Umfeld. Wo Kirchen unterschiedliche Standpunkte zu hochkontroversen
Themen vertreten, mochte der ORK den Kirchen einen offenen Raum
anbieten, in dem sie - im gegenseitigen Respekt voreinander und auf der
gemeinsamen Suche nach Gottes Wegweisung - miteinander sprechen
und einander zuhoren konnen. Bei manchen Problemen kann sich dieser
Dialog schwierig gestalten, doch erklart die Gemeinsame Arbeitsgruppe
in ihren Leitlinien: "Wenn sich im Dialog herausstellt, dass mit
Uberzeugung vertretene ethisch-moralische Positionen offensichtlich
nicht miteinander vereinbar sind, dann bekraftigen wir aus unserem
Glauben heraus, dass die Tatsache unserer Zusammengehorigkeit in
Christus von grundlegenderer Bedeutung ist als die Tatsache unserer
unterschiedlichen ethischen Positionen."
3. Homosexualitat und die Achte Vollversammlung des ORK
a. Der Kontext in Simbabwe: Kurz nachdem der Zentralausschuss des
ORK im Januar 1994 beschloss, die Einladung der Kirchen von
Simbabwe zur Abhaltung der Achten Vollversammlung in Harare
anzunehmen, wurden als Reaktion auf Medienberichte uber die
Einstellung der simbabwischen Behorden gegenuber Homosexuellen und
deren Behandlung besorgte Stimmen laut. Daraufhin unterzeichneten der
ORK, der Kirchenrat von Simbabwe und die Regierung Simbabwes eine
Vereinbarung. Darin wird garantiert, dass alle vom ORK akkreditierten
Personen auch zur Vollversammlung in das Land einreisen durfen; es
wird die vollstandige Freiheit der Vollversammlung anerkannt, sich ihre
eigene Tagesordnung zu geben und jedes beliebige Thema zu erortern;
und schliesslich wird den Journalisten das Recht zugesichert, vollstandig
und frei uber die Vollversammlung zu berichten.
b. Das Programm der Vollversammlung: Neben der Wahl eines neuen
Zentralausschusses besteht die Hauptaufgabe der
ORK-Vollversammlung darin, die wahrend der vergangenen sieben Jahre
geleistete Arbeit des ORK zu uberprufen und allgemeine Richtlinien fur
die Programmarbeit des ORK in den kommenden sieben Jahren
festzulegen. Grundlage der Festlegung der zukunftigen
Programmschwerpunkte ist die Frage, mit welchen Schlusselproblemen
die Kirchen auf der ganzen Welt in den Augen der Delegierten
konfrontiert sind. Da der ORK seit seiner Vollversammlung von 1991
keine Programmarbeit uber die menschliche Sexualitat durchgefuhrt hat,
steht dieses Thema nicht auf der Tagesordnung fur den Teil der
Vollversammlung, der der Uberprufung und Auswertung der bisher
geleisteten Arbeit gewidmet ist.
Zielsetzungen und Programmschwerpunkte fur die kommenden sieben
Jahre werden der Vollversammlung von ihrem Ausschuss fur
Programmrichtlinien vorgeschlagen, der sich auf die intensiven
Diskussionen in einer Reihe von sechs Hearings im Mittelteil der
Vollversammlung stutzt. Die Delegierten sind eingeladen, Prioritaten fur
die Arbeit des ORK vorzuschlagen, die sich aus dem Kontext ihrer
eigenen Kirchen ergeben und aus den Diskussionen und Beitragen im
"Padare" der Vollversammlung hervorgehen - ein offenes Programm, in
dem Kirchen sowie okumenische Gruppen und Organisationen aus der
ganzen Welt ihre Arbeit, Erfahrungen und Anliegen mit den
Teilnehmern/innen der Vollversammlung teilen. In den funf Tagen des
Padare werden mehr als 400 solcher Beitrage vorgestellt, darunter
Workshops und Seminare, Ausstellungen und Darbietungen mit Musik,
Pantomime und Theater. In mehreren Beitragen des Padare wird die
Frage thematisiert, wie Kirchen und Christen mit Fragen der sexuellen
Orientierung in ihrem Kontext umgehen.
Der Padare ist kein Forum, auf dem Menschen dazu mobilisiert werden
sollen, die Vollversammlung zu einem bestimmten Thema zu
beeinflussen. Der Padare ist kein Teil des Entscheidungsprozesses der
Vollversammlung; auf dem Padare sollen keine Berichte geschrieben
oder Empfehlungen formuliert werden. Die Verbindung zwischen dem
Padare und dem offiziellen Vollversammlungsprogramm wird durch die
Delegierten selbst hergestellt. Jeder Vorschlag an die Vollversammlung
fur die kunftige Arbeit des ORK zu einem bestimmten Thema wird somit
durch die Hearings und den Ausschuss fur Programmrichtlinien
kanalisiert. Ebenso ist in der ORK-Satzung festgelegt, dass jeder
Vorschlag eines/r Delegierten oder einer Gruppe von Delegierten, die
Vollversammlung moge eine Erklarung zu einem bestimmten Thema
verabschieden, den Geschaftsausschuss passieren muss; neue
Tagesordnungspunkte konnen nicht direkt in eine Plenarsitzung
eingebracht werden.
11. September 1998
**********
Der Okumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von inzwischen
332 Kirchen in uber 100 Landern auf allen Kontinenten und aus praktisch
allen christlichen Traditionen. Die romisch-katholische Kirche ist keine
Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ORK zusammen. Oberstes
Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die ungefahr alle sieben Jahre
zusammentritt. Der ORK wurde 1948 in Amsterdam (Niederlande) offiziell
gegrundet. An der Spitze der Mitarbeiterschaft steht Generalsekretar
Konrad Raiser von der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Okumenischer Rat der Kirchen
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Tel: (41.22) 791.61.52/51
Fax: (41.22) 798.13.46
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