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ÖRK-Vollversammlung in Harare: Ratlosigkeit bleibt


From "Christian B. Schäffler" <APD_Info_Schweiz@compuserve.com>
Date 21 Dec 1998 07:24:53

18. Dezember 1998
Adventistischer Pressedienst (APD)
Christian B. Schaeffler, Chefredakteur
Fax +41-61-261 61 18
APD@stanet.ch
CH-4003 Basel, Schweiz

APD-Kommentar:
ÖRK-Vollversammlung in Harare: Ratlosigkeit bleibt

Mit Jubelrufen und Trommelschlägen begann die Achte 
Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 
(ÖRK) am 3. Dezember in Harare/Simbabwe. Doch zum 
Jubeln war den 958 Delegierten und 3 600 weiteren 
Teilnehmern des alle sieben Jahre tagenden obersten 
Gremiums des ÖRK nicht unbedingt zumute. Bei einem 
Gottesdienst am 5. Dezember im Rufaro-Fussballstadion in 
Harare blieben dreiviertel der Tribünen leer, da sich kaum 
Einheimische einfanden. Die Angereisten waren unter sich, 
die Bevölkerung schien von dem internationalen 
Christentreffen kaum Notiz zu nehmen. Der Vorsitzende des 
ÖRK-Zentralausschusses, Katholikos Aram I., ein armenisch-
orthodoxer Kirchenführer,  machte in seinem 
Rechenschaftsbericht deutlich, dass die institutionalisierte 
Ökumene in einer Krise steckt. Er bewertete sie optimistisch 
als "Krise eines Reifungsprozesses". Doch er musste 
eingestehen, dass sich seit dem Zusammenbruch des 
Kommunismus die Kluft zwischen den orthodoxen Kirchen 
und der ökumenischen Bewegung vergrössert hat. Die 
Missstimmung in den Beziehungen zwischen dem ÖRK und 
den orthodoxen Kirchen sei vor allem darauf zurückzuführen, 
dass die protestantische Theologie weiterhin die Sprache, 
das Denken und die Arbeitsmethoden des Weltkirchenrates 
beherrsche. Deshalb werde der Rat seitens der Orthodoxen 
als eine westliche, protestantische und liberale Bewegung 
angesehen, auf die sie kaum Einflussmöglichkeiten hätten. 

Bereits 1997 gab die Orthodoxe Kirche von Georgien ihren 
Austritt aus dem ÖRK bekannt. Im Falle einer weiteren 
Mitgliedschaft hätte sonst eine Spaltung der Kirche gedroht, 
hiess es. Der von der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche 
angekündigte Austritt wurde in Harare wirksam. Auch hier 
habe die Mitgliedschaft im ÖRK zur "Verwirrung in ihren 
Gemeinden" geführt. Die Russisch-Orthodoxe Kirche, der 25 
Delegierte zustanden, sandte nur fünf Vertreter zur 
Vollversammlung, darunter keinen ihrer Bischöfe. Ausserdem 
hatten sich die Delegierten der Russisch-Orthodoxen und 
Griechisch-Orthodoxen Kirche im Vorfeld entschieden, nicht 
an Gottesdiensten der Tagung teilzunehmen und auch nicht 
bei Abstimmungen mitzuwirken. 

Deshalb sah auch ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser den 
Ökumenischen Rat fünfzig Jahre nach seiner Gründung an 
einem Scheideweg. Er beklagte, dass sich viele Kirchen 
"unter dem Druck innerer und äusserer Herausforderungen 
hinter konfessionelle und institutionelle Verteidigungslinien" 
zurückzögen. 

Enttäuschung löste bei manchen Delegierten auch das 
Grusswort von Papst Johannes Paul II. an die Achte 
Vollversammlung aus. Katholische Beobachter des 
Christentreffens sprachen von einem "nichtsagenden" Brief. 
Sie hatten aus Anlass des 50jährigen Jubiläums herzlichere 
Worte des Papstes und eine ausführlichere Würdigung der 
Arbeit des ÖRK erwartet. Der schottische Bischof Mario Conti 
(Aberdeen), Leiter der 25köpfigen römisch-katholischen 
Beobachterdelegation in Harare, machte gegenüber 
Medienvertretern deutlich, dass eine Mitgliedschaft seiner 
Kirche im Ökumenischen Rat derzeit nicht zur Diskussion 
stehe. Er wies darauf hin, dass die katholische Kirche erst 
nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 die 
Zusammenarbeit mit dem Weltrat aufnahm und daher nicht 
an seinen Gründungsdokumenten mitwirkte. Ausserdem 
bestehe das Problem, dass der römisch-katholischen Kirche 
etwa eine Milliarde Menschen angehören, den 
Mitgliedskirchen des ÖRK aber nur halb so viele.

Acht Kirchen wurden in Harare als neue Vollmitglieder 
aufgenommen. Sechs stammen aus Afrika und zwei aus 
Asien. Damit gehören der Genfer Dachorganisation jetzt 339 
evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit etwa 
500 Millionen Gläubigen an. Nach drastischen Kürzungen 
seiner Ausgaben und der Halbierung des Personals auf rund 
160 Mitarbeiter hat sich die finanzielle Situation des ÖRK 
stabilisiert. Ein besonderes Problem ist dabei jedoch die 
finanzielle Abhängigkeit von den Kirchen aus Westeuropa 
und Nordamerika, die 97,6 Prozent des Etats aufbringen. 
Allein die deutschen Kirchen und Hilfswerke sind mit 40 
Prozent an den Gesamtzuwendungen beteiligt. Einige der 
Hauptfinanziers haben jedoch selbst finanzielle 
Schwierigkeiten, so dass der ÖRK künftig mit geringeren 
Einnahmen rechnen muss. Ob hier andere Kirchen 
einspringen können oder wollen, ist zweifelhaft. Von den 
bisher 332 Mitgliedskirchen haben im vergangenen Jahr nur 
174 Mitgliedsbeiträge überwiesen. Darunter war keine der 
grossen orthodoxen Kirchen. Nimmt man die Zahlung von 
Beiträgen als Messlatte der Identifizierung einer Kirche mit 
dem ÖRK, dann ergibt sich ein finsteres Bild. Die Finanzen 
des Ökumenischen Rates sind daher noch lange nicht 
gesichert. Er wird auch künftig sparen müssen.

Heftigen Streit gab es während der Vollversammlung wegen 
der Besetzung des neuen Zentralausschusses. Insbesondere 
Jugendliche und Frauen verlangten eine stärkere Vertretung 
in dem 150 Personen-Gremium, das die Geschicke des 
Weltrates zwischen den Vollversammlungen leitet. Doch wie 
der US-amerikanische Bischof Melvin Talbert als Vorsitzender 
des Nominierungsausschusses mitteilte, hatten sich manche 
Kirchen strikt geweigert, mehr Frauen vorzuschlagen, andere  
erklärten, dass sie "niemals einer Frau Platz machen" 
würden. Ähnliches galt auch für die Vertretung junger 
Menschen. Es scheint, dass die Ökumenische Dekade 
"Kirchen in Solidarität mit den Frauen", die in den letzten 
zehn Jahren den ÖRK beschäftigte, bereits zwischen den 
Aktendeckeln der Kirchen verschwunden ist. Nur 14,7 
Prozent der Mitglieder des neuen Zentralausschusses sind 
jünger als 30 Jahre. Damit wurde die angestrebte 
Jugendquote von 20 Prozent deutlich verfehlt. Auch die 
geforderte Frauenquote von 50 Prozent erwies sich als 
Wunschtraum, es blieb bei einem Drittel. 

Wieder in den Zentralausschuss gewählt wurden die 
Schweizer Heinz Rüegger (45), Ökumenebeauftragter des 
Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) sowie   
Bischof Hans Gerny von der Christkatholischen  Kirche der 
Schweiz. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die 
bisher sieben Delegierte hatte, verfügt im neuen 
Zentralausschuss nur noch über fünf Sitze. Dort sind jetzt 
Wolfgang Huber (55), Bischof der Evangelischen Kirche in 
Berlin-Brandenburg, Margot Kässmann (40), 
Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen 
Kirchentages, Marita Krüger (48), Oberkirchenrätin der 
Thüringischen Landeskirche, Christa Kronshage (55), 
Mitglied der Kirchenleitung in Westfalen, und Heike Bosien 
(28), Vikarin der Württembergischen Landeskirche, 
vertreten. Die europäischen Mennonitengemeinden vertritt 
Fernando Enns, Studienleiter am Ökumenischen Institut der 
Universität Heidelberg. Einer der acht Präsidenten des 
Ökumenischen Rates, die eine repräsentative Funktion 
haben, ist der württembergische Landesbischof Eberhardt 
Renz.

Die Vollversammlung beschloss, ab dem Jahr 2000 "eine 
Dekade zur Überwindung der Gewalt" auszurufen. 
Ausserdem wurde ein weitreichender Schuldenerlass für 
Entwicklungsländer gefordert. In einem Dokument 
verpflichtet sich der ÖRK, die Grundsätze der "Allgemeinen 
Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen "zu 
fördern und zu verteidigen". Selbstkritisch wurde 
eingeräumt, dass sich Christen "nicht immer mutig" für 
Verfolgte eingesetzt hätten. Hier wurde ein wunder Punkt 
berührt. Zwar gab der Ökumenische Rat besonders seit der 
Fünften Vollversammlung in Nairobi 1975 sehr deutliche 
politische Erklärungen heraus, doch er handelte sich den 
Vorwurf ein, auf dem "linken Auge" blind zu sein, da er meist 
nur Missstände in westlichen Ländern anprangerte, nicht 
aber im damaligen Ostblock. In Harare bemängelten 
ausserdem in einem Grundsatzpapier zwölf Delegierte aus 
Afrika, Asien und Australien, darunter sieben Bischöfe, wie 
der anglikanische Erzbischof von Kenia, David Gitari, dass 
der ÖRK zwar immer wieder gegen 
Menschenrechtsverletzungen zu Felde gezogen sei, doch 
"mit einer krassen Ausnahme, der religiösen Verfolgung".

Zum Abschluss der Vollversammlung am 14. Dezember zog 
ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser vor Medienvertretern 
eine positive Bilanz. Die Ökumene habe wieder Schwung 
bekommen und die Gefahr eines Auseinanderbrechens des 
Ökumenischen Rates bestehe nicht mehr. Doch ist dies nicht 
Schönfärberei? Um die orthodoxen Mitgliedskirchen zu 
halten, soll eine Sonderkommission eingerichtet werden, die 
je zur Hälfte aus orthodoxen und nichtorthodoxen Vertretern 
besteht. Sie hat die Aufgabe, in dreijähriger Arbeit nicht nur 
strukturelle Kompromisse auszuhandeln, sondern auch nach 
der "Erkenntnis des Willens, der Wahrheit und der Liebe 
Gottes" zu suchen. Aus Kreisen der Russisch-Orthodoxen 
Kirche verlautete, dass sie ihre Mitwirkung im 
Zentralausschuss ruhen lässt, bis die Kommission ihre 
Ergebnisse vorgelegt hat. Man kann daraus schliessen: 
Gefallen ihr die Resultate nicht, wird sie doch austreten. So 
steht der ÖRK erneut unter Druck. Am Schlusstag der 
Vollversammlung warnte der russisch-orthodoxe Delegierte 
Vladimir Shmaliy davor, sich überhaupt mit Fragen der 
menschlichen Sexualität zu beschäftigen. Eine solche 
Diskussion sei "gefährlich" und würde das weitere Verbleiben 
seiner Kirche im Rat in Frage stellen. Andere Orthodoxe 
bezeichneten die Frauenordination als "gotteslästerlich". 
Konrad Raiser kennt diese Probleme, doch er scheint froh zu 
sein, sie erst einmal vertagt zu haben.

Neuen Schwung in die Ökumene soll das "Forum christlicher 
Kirchen und ökumenischer Organisationen" bringen. Erstmals 
soll es im Jahre 2001 zusammentreten. Gedacht ist an etwa 
200 Teilnehmer von internationalem Rang vor allem aus 
Kirchen, die nicht dem ÖRK angehören. Römische 
Katholiken, Orthodoxe, Evangelikale, Pfingstler und andere 
Bekenntnisfamilien sollen ebenso dazugehören wie regionale 
und internationale ökumenische Organisationen. Der Weltrat 
beansprucht in diesem Gremium, das mit einem "Minimum 
an Regeln und Strukturen" auskommen soll, keine 
Führungsrolle.  Es gehe dabei nicht um das Erstellen von 
Dokumenten und Empfehlungen, sondern um den 
"freimütigen Meinungsaustausch". Abstimmungen seien nicht 
vorgesehen. Dieses Modell war während der 
Vollversammlung heftig umstritten. Der EKD-
"Auslandsbischof" Rolf Koppe befürchtet dadurch eine 
Verflachung der ökumenischen Bewegung. Der anglikanische 
Bischof John Neill aus Irland warnte, "vor aktuellen 
Problemen in die Forums-Idee zu flüchten". Es besteht die 
Gefahr, dass das Forum, statt neuen Schwung in den ÖRK zu 
bringen, diesen schwächen wird.

Am Ende des elftägigen Treffens bekundeten die 958 
Delegierten den Willen "beieinander zu bleiben". Zu mehr 
reichte es nicht. Es verwundert daher nicht, dass zahlreiche 
Teilnehmer der Vollversammlung die Abschlusserklärung als 
nichtssagend empfanden. Der Schweizer Pfarrer Von Sinner 
erhielt Applaus für seine Meinung, dass es "peinlich" wäre, 
eine solche Erklärung den Gemeinden zu übergeben. Gelöst 
hat der Ökumenische Rat der Kirchen seine Probleme in 
Harare nicht. Sie wurden lediglich vertagt. Wie eine Lösung 
wirklich aussehen könnte, darüber herrscht weiter 
Ratlosigkeit.

Holger Teubert, Journalist DJV
Chefredaktor des Adventistischen Pressedienstes APD 
Deutschland
 


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