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ACT-Nothilfe erreicht Fluechtlinge aus dem Kosovo
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FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date
14 Apr 1999 13:06:57
Zu den Aktivitaeten gehoert auch Bewusstseinsbildung unter den
Fluechtlingen
Genf, 14. April 1999 (LWI) - Unterstuetzt vom Lutherischen Weltbund (LWB)
und dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) koordiniert das weltweite
Netzwerk *Kirchen helfen gemeinsam* (ACT) Hilfsaktionen fuer
Kriegsfluechtlinge aus dem Kosovo. Neben dringend notwendiger
Nahrungsmittelhilfe hat die medizinische und hygienische Versorgung der
Fluechtlinge hohe Prioritaet.
ACT ist als Organisation im Lutherischen Weltbund (LWB) und im
Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) in Genf angesiedelt. ACT ist ein
weltweites Netzwerk von Kirchen und Hilfswerken, die ihre Hilfsmassnahmen
fuer Menschen in Not untereinander koordinieren.
ACT kooperiert in Albanien, Mazedonien, Montenegro und Serbien auch mit vor
Ort arbeitenden Diensten wie der Internationalen Orthodoxen Christlichen
Hilfsorganisation (IOCC), dem Mazedonisches Zentrum fuer internationale
Kooperation (MCIC) und dem Diakonischen Werk der Naechstenliebe der
Orthodoxen Kirche Albaniens (Diaconia Agapes, DA). Um Information aus
erster Hand weitergeben zu koennen, hat ACT zwei Pressebueros in Skopje und
Tirana eingerichtet.
Nils Carstensen, Kommunikationbeauftragter von ACT, ist zur Zeit in
Albanien Er berichtet aus Kukes:
*Enver Sllamnuku lehnt gegen den kleinen roten Traktor, der ihn gerade
aus Kosovo gebracht hat. *Serbische Soldaten: *Bum, bum, bum'!* imitiert
der breitschultrige baertige 50Jaehrige Schuesse aus Maschinengewehren.
Neben ihm steht seine Tochter, ein Teenager in Jeans, und lacht ueber
die kindischen Gesten ihres Vaters. Ploetzlich verstummt sie, sieht
sich verwirrt um und setzt sich auf den kleinen hoelzernen
Traktoranhaenger, in dem sich alles befindet, was die Familie noch
besitzt: einige Matratzen und Decken, Buendel mit Kleidern, verbeulte
Koffer und Sporttaschen, auf denen der fuenfjaehrige Bruder und die
Grossmutter schlafen.
Mit ungefaehr 1.500 anderen Personen ueberquerten die Sllamnukus am 10.
April die albanische Grenze und machten die erste Rast vor den
Aussenbezirken der kleinen Stadt Kukes. Mehr als hundert Traktoren,
Anhaenger, Ladas, Opel Kadets und andere kleine Autos parken auf einem
mit Abfall bedeckten Feld unter einem schneebedeckten Berghang.
Menschen sitzen in kleinen Gruppen beisammen oder ruhen sich auf ihrem
duerftigen Hab und Gut aus. Es wird kaum gesprochen, die meisten haengen
eigenen Gedanken nach. Einige Muetter geben ihren Kindern von einer
fruehen Brotverteilung oder von den Lebensmitteln, die sie mitgebracht
haben, zu essen. Mehrere Journalisten, Photographen und Fernseh-Teams
tummeln sich unter den Traktoren, Autos und Fluechtlingen und suchen
nach Leuten, die sie interviewen oder photographieren koennen. Einige
hundert Meter weiter links vervollstaendigen die Ruinen einer
aufgeloesten albanischen Industrieanlage das absurde Bild.
Alle Fluechtlinge kommen aus dem kleinen Dorf Vragoli, einige Kilometer
ausserhalb der Kosovo-Provinzhauptstadt Pristina. Der dreissigjaehrige
Avdyl Orllati war dort Lehrer. *Das serbische Militaer kam gestern
frueh, bedrohte uns und gab Warnschuesse ab. Sie sagten uns, wir sollten
sofort weggehen*, erklaert er. *Zuerst hiess es, wir sollten zu Fuss
gehen, doch dann aenderten sie ihre Meinung und erlaubten uns, Traktoren
und Autos mitzunehmen. Sie gaben uns eine halbe Stunde Zeit zum
Aufbruch. *Geht nach Albanien*, sagten sie, *Kosovo ist fuer die
Serben*. *Ihr sollt jetzt zur NATO gehen - die wird auf euch aufpassen*,
haben uns die Serben erzaehlt! Bevor wir das Dorf verliessen, nahmen sie
all unsere Papiere und konfiszierten die Nummernschilder unserer Autos.
Einigen nahmen sie Geld weg, aber nicht allen*.
Orllati wird von seiner Frau, seinen beiden Soehnen und drei anderen
Familienmitgliedern begleitet. Auf der 14stuendigen Reise durch Kosovo
zur Grenze habe er niedergebrannte Haeuser, tote Pferde, verlassene
Kuehe und kaputte Autos gesehen - aber niemanden sonst, mit Ausnahme der
serbischen Soldaten, ihren Panzern und Laustautos. Im Gegensatz zu
einigen der Fluechtlinge, die ein paar Tage frueher ankamen, berichtete
niemand aus dieser Gruppe, dass sie in Kosovo geschlagen und verletzt
wurden oder gesehen haben, wie ihre Verwandten erschossen wurden.
Die enge Strasse mit Schlagloechern, die nach Kukes fuehrt, war noch nie
so befahren. Lastwagen bringen Nahrungsmittel und Zelte, sie fahren
langsam und benoetigen acht Stunden von der Hauptstadt Tirana hierher.
Die gleiche gewundene Bergstrasse ist mit einem noch dichteren Strom von
Traktoren und Autos vom Kosovo ohne Nummernschilder, vielen Autobussen
und albanischen Militaerfahrzeugen befahren. Alle bringen Fluechtlinge
nach Tirana und in andere Teile Zentral- und Suedalbaniens, wo sie
entweder von Familien aufgenommen oder in Transitzentren, Sportstadien,
Schulen und anderen Institutionen untergebracht werden. Einige begeben
sich in die Fluechtlingslager, die zur Zeit an vielen Stellen der
tiefliegenden und relativ wohlhabenden Region Albaniens in der Naehe der
Mittelmeerkueste emporschiessen.*
Anfang April hat ACT Zelte und Decken fuer 900 Familien in Albanien
eingeflogen (etwa 7.000 Personen). Die Arbeit wurde nun auch in einem
ersten Lager fuer 2.000 Fluechtlinge aufgenommen. Mehr als 60 Tonnen
Nahrungsmittel wurden im Anfangsstadium der Nothilfe verteilt. Ungefaehr
20 Tonnen wurden am 5. April in Kukes verteilt. Am 7. April wurden etwa
40 Tonnen in die suedalbanische Stadt Corsa zur Verteilung unter den
Fluechtlingen transportiert, die aus dem benachbarten Mazedonien
eingetroffen waren. Weitere 20 Tonnen Lebensmittel und Toilettenartikel
werden in den kommenden Tagen verteilt. ACT plant darueber hinaus,
Tausende von Fluechtlingen und Gastfamilien in ganz Albanien zu
unterstuetzen.
Unter der Leitung von *Diaconia Agapes* (DA), dem diakonischen Zweig der
Albanischen Orthodoxen Kirche, wird der ACT-Einsatz vom Nothilfestab
verschiedener Mitglieder des Netzwerkes, u.a. dem LWB, Norwegian Church
Aid, Dan Church Aid, Dutch Interchurch Aid und Christian Aid unterstuetzt.
Wie alle anderen, die den Fluechtlingen aus dem Kosovo humanitaere Hilfe
geben, plagt die ACT-Mitglieder in der Region zumindest eine grosse
Ungewissheit: Was geschieht danach? Bilden Familien wie die Orllatis und
Sllamnukus das Ende des Exodus, der Ende Maerz begann? Oder stehen sie am
Anfang einer neuen Fluechtlingswelle aus dem Kosovo?
Die Ungewissheit unter den Fluechtlingshelfern und Journalisten in Kukes
ist so schlimm wie das Chaos unter den neu angekommenen Fluechtlingen.
Inzwischen stehen viele Fluechtlinge zur Nahrungsmittelverteilung oder vor
den oeffentlichen Telefonzellen an, um zu versuchen, ueber das Schicksal
von Verwandten zu erfahren, zu denen sie den Kontakt verloren haben.
Waehrend der letzten 12 Monate sind mehr als 756.000 Menschen aus dem
Kosovo geflohen. Die Zahl derer, die in den vergangenen Wochen in
Albanien, Montenegro und Mazedonien Zuflucht gesucht haben, wird
inzwischen auf ueber 300.000 geschaetzt und wird weiter wachsen. Die
meisten kommen ueber Kukes. Wie Jacques Franquin vom UNHCR-Buero in
Kukes berichtet, befanden sich am 10. April ungefaehr 70.000
Fluechtlinge in der Stadt. Viele bezweifeln, dass bald eine Aenderung
eintreten wird, und die Fluechtlinge zurueckkehren koennen.
***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Barbara Robra
E-mail: br@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/
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