From the Worldwide Faith News archives www.wfn.org


Kaffeepause mit Fluchtlingen im Stadion von Tirana


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 12 May 1999 07:59:44

ACT errichtete erstes Fluchtlingslager in Ndroq

(Roswitha Dinger, Beauftragte fur Fluchtlinge beim  Lutherischen
Weltbund (LWB), Abteilung Weltdienst, war im April in Albanien und
berichtete nun dem lwi uber ihre Erfahrungen mit Kosovo-Fluchtlingen in
Tirana.)

Tirana (Albanien), 27. April  1999 (lwi) - "Mochten Sie sich zu uns
setzen und einen Kaffee mit uns trinken?" fragt mich eine Frau, die mir
freundlich zulachelt, als ich sie mit ihren Kindern fotografiere. Eine
zweite junge Frau kommt mit ihren beiden kleinen Kindern hinzu. Wir
sitzen zusammen auf der Matratze und schlurfen den heissen, nach lokalem
Brauch stark gesussten Kaffee. Als ich sie fragte, ob ihre Ehemanner
auch hier sind, verneinen beide: "Sie sind im Kosovo - und ob sie noch
leben, wissen wir nicht." Ich frage weiter nach ihren Eltern -  die sind
auch noch im Kosovo. Sie haben keine Nachricht von ihnen, seit  sie vor
drei Wochen getrennt und  aus ihren Hausern vertrieben wurden. Insgesamt
sind sie 13 Stunden mit  ihren sieben Kindern marschiert.

Ich bin im sogenannten  "Stadion", einer uberdachten Sportarena, rechts
und links hohe  Tribunen, auf denen jetzt Kinder spielen. Es ist sehr
dunkel.  Die riesige Halle wird nur durch wenig Tageslicht erhellt, das
durch enge Luken in den Seitenwanden hereinkommt. Der einzige Luxus in
diesem riesigen Betonbau ist der Parkettfussboden, der vollstandig mit
Schaumgummimatratzen bedeckt ist. Man hat gerade Platz, um den Fuss
zwischen die Matratzen zu setzen, auf denen  Familien, alte Menschen,
Kindergruppen und Teenager sitzen. Manche vertreiben sich die Zeit mit
Kartenspielen. Es gibt nichts zu tun - man schlaft, redet mit den
Nachbarn, trostet weinende Kinder, die nicht begreifen, was eigentlich
mit ihnen geschieht - nun schon seit Wochen. Es gibt keinen
Schulunterricht oder eine andere organisierte Beschaftigung fur die
Kinder.

Insgesamt sind etwa  2.200 Menschen hier auf engstem Raum untergebracht.
Es it sehr sauber, es riecht nicht, es larmt nicht, nur ab und zu werden
Durchsagen uber Lautsprecher verbreitet. Im Moment werden alle
aufgerufen, ihre Essensrationen abzuholen. Viele Frauen arbeiten hier
mit einer albanischen Nichtregierungsorganisation, die die Rationen
abpackt, je nach Grosse der Familen. Heute gibt es trockenes Weissbrot
und ein Stuck Kase. Die Frauen, mit denen ich Kaffee trinke, sagen mir,
dass sie bisher noch keine warme Mahlzeit bekommen haben - und dies seit
drei Wochen. Sie konnten sich ausserhalb des Fluchtlingslagers eine
warme Mahlzeit kaufen, wenn sie Geld hatten. Aber alles, was sie
besassen, mussten sie im Kosovo zurucklassen, einschiesslich Bargeld und
Dokumente.

Nebenan in den Umkleidekabinen befindet sich der  Gesundheitsposten
sowie eine kleine Apotheke. Verdauungsprobleme haben fast alle,
besonders die Kinder. Die Mutter meinen, das liege vor allem an der
schlechten Trinkwasserqualitat. Vor der Sporthalle liegt ein
Gartenschlauch, mit  dem Frauen und Kinder Eimer und
Mineralwasserflaschen abfullen. Es riecht sehr stark nach Chlor.
Erstaunlich, dass noch keine Epidemien ausgebrochen sind.

An einer Seite des Stadions stehen eng nebeneinander zehn holzerne
Latrinen. Einige Baume spenden Schatten - ihre Aste dienen als
Waschetrockner. Heute ist der erste sonnige, warme Tag nach
langandauernden Regenfallen. Uberall steht das Wasser in den Strassen -
ein offentliches Abwassersystem gibt es wohl in ganz Tirana nicht.

Ich frage die Frauen, was sie sich jetzt erhoffen. Naturlich wollen sie
sobald wie moglich wissen, was mit ihren Ehemannnern und Eltern
geschehen ist. Auch mochten sie beide wieder nach Kosovo zuruck. Gefragt
nach ihrem  sehnlichsten Wunsch antworten sie: "Wir mochten so schnell
wie moglich aus diesem dunklen, kuhlen  Stadion heraus und zusammen in
einem Familienzelt in einem Lager untergebracht werden."

Der LWB leistet gemeinsam mit anderen okumenischen Partnerorganisationen 
innerhalb des Netzwerkes ACT (Kirchen helfen gemeinsam) auch hier in
Albanien Hilfe fur Fluchtlinge. Organisatorisch ist ACT im LWB und im
Okumenischen Rat der Kirchen (ORK) in Genf angesiedelt. ACT ist ein
weltweites Netzwerk von Kirchen und Hilfswerken, die ihre
Hilfsmassnahmen fur Menschen in Not untereinander koordinieren.
Kirchliche Organisationen, die in Albanien mit ACT kooperieren, sind der
LWB, der diakonische Zweig der Albanischen Orthodoxen Kirche "Diaconia
Agapes" (DA), DanChurchAid, NorwegianChurchAid, FinnChurchAid, Church of
Sweden Aid und Christian Aid UK.

Dinger bestatigte, dass ACT etwa 50 km nordlich von Tirana  von der
Hochkommissarin fur Fluchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) ein
Gebiet  zugeteilt worden ist, auf dem zwischen 15.000 bis 20.000
Personen  in Familienzelten untergebracht werden sollen. Jedes Zelt
bietet genugend  Raum fur eine Familie von etwas sechs Personen. UNICEF
weist dringend darauf hin, dass beim Aufbau von Zeltlagern genugend
Platz fur Kinderspielplatze freigehalten wird.

Sobald die Wasseringenieure Brunnen und sanitare Anlagen fertiggestellt
haben, das dauert nur einige Tage, konnen die ersten Zelte aufgebaut und
belegt werden.  Dinger ist zuversichtlich: "Auch die beiden Frauen, mit
denen ich Kaffee getrunken habe, werden dort eine vorubergehende, aber
menschenwurdigere Bleibe finden."

Die Regierung von Albanien gibt taglich Lageberichte heraus. Am 26.
April 1999 zum Beispiel befanden sich insgesamt  356.631
Kosovo-Fluchtlinge in Albanien. UNHCR hat aber auch eine "Humanitare
Informationszelle" in einem zentralgelegenen Gebaude eingerichtet, das
man wegen seiner eigenartige Bauweise "Pyramide" nennt. Dort  kann man
sich taglich uber die Lage der Fluchtlinge informieren,  Probleme teilen
und gemeinsam Losungen suchen. Es sind dort die UN-Organisationen, die
albanischen und internationalen Hilfsorganisationen und die Regierung
vertreten.

UNHCR wird seit Wochen vorgeworfen, es mangele an Koordination, bemerkt
Dinger. "Man darf jedoch nicht vergessen, dass wir es hier mit einer
grossen, komplizierten Fluchtlingssituation zu tun haben, wo
militarische und  humanitare Aktionen sehr eng beieinander liegen",
schliesst Dinger ihren Bericht.

Am 3. Mai 1999 wurde das erste von ACT International in Zusammenarbeit
mit der Albanischen Orthodoxen Kirche eingerichtete Fluchtlingslager in
Ndroq, der Hauptstadt Tirana vorgelagert, bezugsfertig. Etwa 200
Fluchtlinge aus dem Kosovo sind inzwischen dort untergebracht. Insgesamt
konnen ungefahr 1500 Menschen hier Unterkunft finden. ACT plant fur die
folgenden Wochen die Einrichtung weiterer Fluchtlingslager.

Am 4. Mai fruh morgens kam das ACT-Team in die Sportarena von Tirana,
berichtet Hans Marklund, ACT-Pressebeauftragter in Albanien. Viele
Fluchtlinge lebten nun schon seit vier Wochen in der Arena. Sie sind
verunsichert und wollen sich nicht fraglos auf einen weiteren
Umsiedlungsprozess einlassen - wer weiss, was in der neuen Bleibe auf
sie wartet. Einige nahmen zunachst die in Aussicht gestellten
Unterkunfte in Augenschein, bevor sie sich mit der Ubersiedlung
einverstanden erklarten. Schliesslich entschlossen sich 200 Personen,
die Arena zu verlassen und das neue Lager zu beziehen.

Auf einem Hugel gelegen mit Blick uber ein grunes Tal bietet das
weitlaufige Lager ausreichend Platz fur Zelte. Auch einige Baracken
dieses ehemaligen Militarlagers wurden mit etwas Farbe und geringen
finanziellen Mitteln wieder instand gesetzt. Etliche Gebaude sind
bislang noch nicht restauriert, stehen aber spater ebenfalls zur
Verfugung. Zwei grosse Raume eignen sich zum Beispiel als Klassenzimmer
fur den Schulunterricht. Einige Gebaude befinden sich noch im Bau,
konnen voraussichtlich aber nachste Woche schon bezogen werden.

Mit offensichtlicher Spannung erreichte die erste Fluchtlingsgruppe das
Lager in Ndroq. Was wurde auf sie zukommen? Auch das Empfangsteam im
Lager war erwartungsvoll. Wie wurden die Fluchtlinge reagieren?

Die Registrierung der Neuankommlinge konnte sofort beginnen. In kurzer
Zeit waren Betten, Kuchengerate und andere Utensilien zugeteilt und die
Fluchtlinge in ihren Zelten untergebracht.

Wenig spater bot das Lager ein buntes Bild: Alle waren damit
beschaftigt, ihre vorubergehende Bleibe wohnlich und personlich zu
gestalten. Die Kinder, die in der Arena weder Platz noch
Beschaftigungsmoglichkeiten hatten, freuten sich: Hier konnen sie
endlich wieder richtig spielen.

(Fotos von ihrem Besuch in Albanien konnen bei Roswitha Dinger
angefordert werden. Roswitha Dinger ist per E-mail erreichbar:
rod@lutheranworld.org)

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Barbara Robra
E-mail: br@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


Browse month . . . Browse month (sort by Source) . . . Advanced Search & Browse . . . WFN Home