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Interview mit Julius Filo (Slowakischen Republik)


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 28 Jun 1999 10:05:26

Generalbischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in
der Slowakischen Republik
Pressemeldung 11/99: LWB-Rat

Bratislava (Slowakische Republik), 27. Juni 1999 (lwi) - Herr
Generalbischof, was bedeutet die Ratstagung fur Sie und Ihre Kirche?

Wir haben den Lutherischen Weltbund (LWB) schon lange eingeladen. Das
war bereits vor der Vollversammlung in Hongkong. Wir wollten damit die
Moglichkeiten des Luthertums in diesem Teil der Welt deutlich und aus
erster Hand erlebbar machen. Wir haben derzeit eine sehr fruchtbare
Ernte. Der ideologische Druck und die Kontrollen sind weg. Jetzt
orientieren sich viele Menschen neu. Aus Umfragen wissen wir, dass rund
80 Prozent der Bevolkerung kirchlich orientiert sind. Glaube, so scheint
es, ist die wichtigste Alternative fur das Lebensziel vieler Menschen.
Jetzt mussen wir nach den Jahren der Schwachung unsere Chance nutzen.
Und das bedeutet auch eine Chance fur den LWB, Kirche als Leib Christi
zu begreifen.

Fur uns bedeutet dieses Treffen hier in Bratislava einen Hohepunkt fur
die Region. Viele Ratsmitglieder sind mit grossen Erwartungen und
Hoffnungen hierhergekommen. Wir versuchen ausserdem, durch
sozialpolitische und mediale Aktivitaten auf unsere Kirche hinzuweisen.
Fur viele Lutheraner in der Slowakei ist diese Ratstagung eine
Ermutigung zum Bekenntnis zu ihrer Kirche. Wir hoffen auch, dass das
Selbstbewusstsein des LWB durch diese Tagung gestarkt wird, dass Fruchte
unserer Arbeit sichtbar werden. Am neuen Gebaude unserer theologischen
Fakultat wird dies ja schon deutlich. Dazu kommen unsere zweisprachigen
Schulen. Auch dass wir in diesen Tagen Kinder aus dem jugoslawischen
Kriegsgebiet aufgenommen haben, ist ein Zeichen. Wir sind dankbar, dass
uns dabei der LWB und die wurttembergische Landeskirche unterstutzt
haben. So etwas verstarkt die "missio dei" und tragt zum Wachsen der
Kirche bei.

Welche aktuellen Probleme und Vorhaben gibt es in Ihrer Kirche?

Wir fordern konsequent die diakonische Arbeit. Diakonie muss Bestandteil
der Mission sein. Diakonie ist ein Werk der Kirche Christi. Das ist
derzeit unsere wichtigste Herausforderung. Dazu kommt die geistliche
Arbeit in unserer Kirche. Auch wollen wir das Netzwerk unserer
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen starken. Derzeit kommt ein Pfarrer auf
rund 1000 Gemeindeglieder. Das ist nicht effektiv. Der Pfarrer hat
lediglich Zeit, "die religiosen Bedurfnisse der Menschen zu
befriedigen", wie es in fruheren Zeiten die "Genossen" genannt haben.
Der Rest bleibt offen. So haben wir beispielsweise nicht genugend
Mitarbeiter in unserer Kirche, die mit Kindern oder Jugendlichen
arbeiten. Ich bin dankbar, dass wir derzeit 180 Theologiestudierende
haben. Das lasst hoffen. Nun brauchen wir aber auch Sozialarbeiter,
Jugendleiter und Diakone, um den Rand der Kirche auch zu entdecken und
unseren Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Diese Mitverantwortung
fur andere haben wir von Gott aufgetragen bekommen.

Wie haben Sie in Ihrer Kirche den Kosovo-Konflikt verarbeitet?

Wir haben ihn uberhaupt noch nicht verarbeitet. Immer wieder erreichen
uns jetzt noch schlechte Nachrichten, zum Beispiel die Erschiessung von
Serben im Kosovo. Es gab wahrend des Krieges keine offizielle
Stellungnahme der Kirche. Mein Gewissen sagt mir aber, dass durch Krieg
keine Gerechtigkeit kommen kann. Recht kann man nur durch Recht
erzielen. Und wir mussen bekennen, es wurde im Vorfeld nicht alles
getan, um eine friedliche Losung zu erreichen. Die UN hatte eine
starkere Rolle spielen mussen. Russland hatte eingebunden werden mussen.
Wie erwahnt haben wir ja 140 Kinder aus dem Krisengebiet bis jetzt bei
uns aufgenommen. Innerhalb von nur vier Tagen haben sich 500 Familien
bereit erklart, diese Kinder bei sich aufzunehmen. Dazu kamen noch etwa
40 Mutter und Begleiterinnen. Dies sind unschuldige Opfer dieses
Krieges. Die Menschheit sollte daraus lernen, dass Krieg nie die Losung
von Konflikten sein kann.

Welche Erwartungen haben Sie an den LWB als Dachverband?

Der LWB sollte die Dezentralisierung vorantreiben, mehr die Krafte der
einzelnen Mitgliedskirchen nutzen - andererseits die Genfer Zentrale und
die gemeinsamen Organe und Programme starken und somit ein effektives
Instrument der Befahigung zum Dienst in allen Mitgliedskirchen schaffen.
Kleine und grosse Mitgliedskirchen brauchen einander. Die grossen konnen
sich an den Zeichen des Lebens in den kleinen Kirchen ein Beispiel
nehmen und die kleinen Kirchen brauchen die Solidaritat der grossen.
Ausserdem sollten wir die derzeitige okumenische Chance nutzen,
Wachstumsimpulse geben, mehr theologisch arbeiten, um Einigkeit in
grundlegenden Glaubensfragen zu erzielen. Zu grosse Pluralitat behindert
die Starkung unserer Arbeit.

Wie ist das Verhaltnis von Kirche und Staat in der Slowakei?

Es gibt keine Einmischung von seiten des Staates. Wir haben eine totale
Trennung. Trotzdem gibt es Unterstutzung fur unsere Kirche. Wir erhalten
regelmassige Zuschusse, und auch die Gehalter der Pastoren werden
bezahlt. Seit 1989 haben wir eine gute Zusammenarbeit beim geistlichen
und ethischen Umbau und der Neugestaltung der Gesellschaft. Ausserdem
haben wir einen guten Zugang zu den Medien. Es ist uns erlaubt,
kirchliche Schulen zu betreiben. Allerdings mussen wir zuerst diese
Schulen vorfinanzieren, der Staat deckt dann spater die laufenden
Kosten. Insgesamt wurde ich das Verhaltnis als sehr positiv bezeichnen.
Bei der Volkszahlung 1990 ergab sich ein Anteil von 6,3 Prozent
Lutheranern in der Slowakei. Damit stehen wir an zweiter Stelle hinter
der katholischen Kirche. Vor kurzem hat jedoch eine Meinungsumfrage
ergeben, dass sich 12,6 Prozent der Bevolkerung zu uns bekennen. Dieses
latente Interesse der Menschen gilt es zu nutzen. Das ist derzeit unsere
grosste Herausforderung.

Die Fragen stellte Klaus Rieth

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Barbara Robra
E-mail: br@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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