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Interview mit Bischof Jan Valent (Slowenien)


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 28 Jun 1999 10:07:20

Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Slowenien
Pressemeldung 09/99: LWB-Rat

Bratislawa (Slowakische Republik), 26. Juni 1999 (lwi) - Wie ist die
Situation in Ihrem Land, in Ihrer Diozese derzeit?

In der Voivodina ist nichts mehr wie es fruher war. Im Bereich meiner
Diozese ist die Situation sehr schlimm. Es gibt nicht genug Wasser,
Strom gibt es nur acht Stunden am Tag. Von Normalitat kann man nicht
sprechen. Zwar haben die Leute noch genug zu essen, aber wenn man auf
den Markt geht, merkt man, dass es weniger wird. Es kommt bei uns zu
einer neuen Armut. Dazu kommt, dass viele der durch die Bombardements
zerstorten Wohnungen noch nicht wieder repariert sind. Dazu fehlt
einfach das Geld. Zur Zeit wohnen viele Leute in Hotels, weil sie noch
nicht in ihre Wohnungen zuruckgehen konnen.

Wie wurden Sie die Stimmung unter der Bevolkerung beschreiben?

Die Leute sind nachdenklich geworden, und sie haben Angst vor der
Zukunft. Wo sollen die Kinder in die Schule gehen, wenn es keine Schule
mehr gibt? Das sind grosse Sorgen. Deshalb bin ich froh, dass vor
wenigen Tagen rund 500 Kinder aus unserer Gegend die Gelegenheit
erhielten, in die Slowakei zu gehen und hier jetzt sechs Wochen lang gut
untergebracht sind. Diese Aktion wurde vom LWB, der slowakischen und der
wurttembergischen Kirche finanziert.

Was wird denn am dringendsten benotigt?

Wir brauchen Geld, um Schulmaterial zu kaufen, und fur Kleider, wenn die
Kinder wieder zu Hause sind. Allerdings ist es auf dem Land noch viel
schlimmer als in der Stadt. Viele Bauern haben nicht einmal Diesel, um
mit ihren Traktoren aufs Feld fahren zu konnen.

Wie ist die Situation in Ihrer Kirche?

Ich bin als Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen
Bekenntnisses in Novi Sad fur rund 50.000 Menschen zustandig. In meinem
Bereich gibt es 22 Pfarrer. Derzeit studieren 16 Theologiestudenten in
Bratislava. Davon bleiben in der Regel ein Drittel dabei. Die anderen
verlieben sich oder finden etwas anderes. In der Vergangenheit haben wir
sogar bis zu zehn Pfarrer an die slowakische Kirche abgegeben. Wir haben
38 Gemeinden in insgesamt 27 Muttergemeinden.

Gibt es auch ordinierte Pfarrerinnen?

Ja, wir haben vier Pfarrerinnen und von den 16 Theologiestudenten sind
vier weiblich.

Seit wann sind Sie Bischof?

Ich bin seit 1996 Bischof. Aber das ist kein leichtes Amt. In der
Serbisch-Orthodoxen Kirche ist der Bischof ein Herr, in meiner Kirche
ist der Bischof ein Diener.

Welche Erwartungen haben Sie in diesen Tagen an den LWB?

Der LWB soll sich unser annehmen. Unsere Kirchengebaude sind vom Krieg 
zerstort und mussen dringend repariert werden. Die meisten
Fensterscheiben sind bei den Luftangriffen zerstort worden. Fruher, vor
dem Krieg, wurden die Pfarrer unserer Kirche direkt von den Gemeinden
bezahlt. Aber was ist nun, wenn unsere Gemeindeglieder selbst kein Geld
mehr haben? Wie sollen sie dann ihren Pfarrer bezahlen oder ihrer Kirche
etwas geben? Wir haben zwar seit drei Jahren eine Synodalkasse, um
gerecht die eingehenden Gelder verteilen zu konnen. Aber diese Kasse
muss auch von aussen aufgefullt werden. Da erwarten wir viel von
einzelnen Mitgliedskirchen des LWB, denn wir brauchen das Geld jetzt!
Wir mussen nicht nur unsere Pfarrer damit bezahlen, sondern auch die
Kantoren und die Mesner und die Religionslehrer, die auf Honorarbasis
arbeiten.

Wie ist das Gemeindeleben bei Ihnen derzeit?

Die Gottesdienste sind gut besucht. Zehn bis 20 Prozent aller Mitglieder
sind sonntags im Gottesdienst. Wir haben zwar noch keine richtige
Diakonie, aber wir haben sogenannte "Altarkreise". Das sind Frauen, die
sich regelmassig treffen und Besuchsdienste und ahnliches machen.

Welche Vorhaben sind fur die Zukunft geplant?

Viele Gemeinden haben eigenes Land. Da sollen Gemeindemitglieder zum
Beispiel Mais anbauen und verkaufen. Oder sie sollen Milch von den Kuhen
sammeln und in einer Molkerei Kase daraus machen. Auch das bringt Geld.
Wissen Sie, auch um solche Dinge muss ich mich als Bischof kummern.

Wie ist Ihr Verhaltnis zu der orthodoxen Kirche?

Das ist ausgezeichnet. Weil unsere Feiertage ja nicht zusammenfallen,
besuchen wir uns gegenseitig an solchen Tagen. Manchmal gibt es auch
gemeinsame Bestattungsfeiern.

Wie sehen Sie die politische Lage in Jugoslawien derzeit? Und stimmen
Sie dem zu, was in den Medien zu horen war, dass die serbisch-orthodoxe
Kirche die Ablosung von Prasident Milosevic fordert?
.
Ich denke, Prasident Milosevic ist nicht das Monster, als das er
dargesetllt wird. Er hat Menschen in seiner Umgebung, die sind
gefahrlich. Aber ich hoffe, dass wir bald mehr Demokratie haben werden.
Dass wir uns mehr zum Westen hinwenden. Einen anderen Weg einschlagen,
das ware gut. Immerhin war Milosevic vom jugoslawischen Volk gewahlt
worden.

Was ware die besondere Rolle der Kirchen bei diesem Prozess?

Die Kirchen sollten sich besser verstehen als die Politiker. Politiker
haben Macht. Wer Geld hat, hat die Macht. Das ist westliches Denken.

 Wie geht es Ihnen, wenn Sie hier mit Bischofen aus den USA
zusammentreffen?

Ich sehe in ihnen meine Mitmenschen, meine Bruder und Schwestern und
nicht die NATO-Mitglieder. Die Amerikaner sind keine Verbrecher, sondern
Menschen, die von Gott geschaffen wurden. Wissen Sie, ich bin gegen
jeden Zwang. Mit Bomben kann man keinen Frieden schaffen. Im Kosovo ist
kein Friede.

Wie beurteilen Sie die Vertreibungen, die stattgefunden haben?

Jede Vertreibung ist ungerecht. Also gefallt das Gott nicht. Aber die
westlichen Massenmedien haben nur die eine Seite gezeigt. Ich habe im
Fernsehsender arte zehnmal dasselbe Bild gesehen. Das ist schlechte
Propaganda. Ich habe nie Bilder aus der Voivodina gesehen, dass auch
dorthin Fluchtlinge gekommen sind. Ich bin Slowake, ich kann das Ganze
von aussen betrachten.

Was wurden Sie den Mitgliedern auf dieser Ratstagung raten?

Kommt zu uns! Lebt eine Woche mit uns! Macht euch ein komplettes Bild!
Mein Motto ist: Leben!, aber auch erlauben, dass die Nachsten leben
konnen.

Die Fragen stellte Klaus Rieth

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redaktion: Barbara Robra
E-mail: br@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


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