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Anglikanisch-lutherische Gesellschaft tagte in London


From FRANK.IMHOFF@ecunet.org
Date 31 May 2000 09:16:30

Vortrag: : "Meissen - zerbrechlich wie Porzellan oder haltbare Beziehung?"

Genf, 31. Mai 2000 (LWI) - Michael Bourke, anglikanischer Bischof von
Wolverhampton, England, hielt bei der Mitgliederversammlung der
Anglikanisch-lutherischen Gesellschaft am 18. Maerz 2000 einen Vortrag mit
dem Titel: "Meissen - zerbrechlich wie Porzellan oder haltbare Beziehung?".
Er vertritt die anglikanische Seite im gemeinsamen Vorsitz des Ausschusses,
der das Meissener Dokument beobachtet, das die Kirche von England und die
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 1991 geschlossen haben. Es folgen
geringfuegig redigierte Auszuege dieses Vortrags, die im Mai in "The
Window", dem Nachrichtenblatt der Anglikanisch-lutherischen Gesellschaft,
abgedruckt wurden.

"Aus historischen Gruenden waren die Beziehungen der englischen Kirchen zu
den Reformierten auf dem Kontinent von jeher enger als zu den Lutheranern.
Aus meiner Sicht haben anglikanische Kontakte mit dem Luthertum eine
Mischung aus Unwissenheit, frappierenden Aehnlichkeiten und faszinierender
Fremdheit zu Tage gebracht.

Aehnlichkeiten
Wir Anglikaner haben eine erfreuliche Aehnlichkeit unserer Traditionen
entdeckt. Unsere Kirchen in England und Deutschland sind Volkskirchen auf
der Basis von Kirchengemeinden, es besteht Verantwortungsgefuehl fuer das
oeffentliche Leben und private Froemmigkeit. Es gibt aehnliche liturgische
Formen und bedeutende Traditionen im Bereich von Kirchenmusik und -gesang.

Von Seiten der Anglikaner haben wir immer neidvoll festgestellt, in welchem
Masse die Lutheraner ihre Klostergebaeude und mittelalterlichen sakralen
Kunstschaetze bewahrt haben....  Im Gegensatz dazu kann man an unseren
englischen Kirchen die Narben sehen, die die puritanische Kulturrevolution
hinterlassen hat; nur wenig hat diese Zeit unbeschadet ueberstanden. Erst
Sir Christopher Wren im 17. Jahrhundert und die Oxforder Bewegung im 19.
Jahrhundert haben unsere Kirchen wieder verschoenert. Manchmal frage ich
mich, ob die Tatsache, dass in England ein solch grosser Teil der
vorreformatorischen Kunst verlorengegangen ist, dazu beitrug, dass in
unserer Kirche auf dem Episkopat als "sichtbarem Zeichen", und zwar in
unserem Fall als mehr oder minder einzigem sichtbarem Zeichen,
ekklesiastischer Kontinuitaet so energisch bestanden wird.

Die Aehnlichkeiten zwischen unseren Kirchen haben bedeutenden Anteil daran,
dass das Meissener Dokument, das am 29. Januar 1991 unterzeichnet wurde,
allgemein so positiv betrachtet wird. Wir haben uns darum bemueht, auf allen
Ebenen tragfaehige Beziehungen zwischen unseren Kirchen aufzubauen - nicht
nur durch theologische Gespraeche, sondern auch durch Gemeindebesuche.

Aus dem Meissener Dokument sind auch zwei Bibliotheken entstanden - fuer
deutschen Protestantismus in Durham, England, und eine anglikanische in
Tuebingen, Deutschland.

Wir engagieren uns auch fuer die Entwicklung gemeinsamer Formen der
Episkop‚/des Leitungsdienstes. Dies kommt vor allem in gegenseitigen
Einladungen zu unseren jeweiligen Synoden zum Ausdruck, sowie auch darin,
dass KirchenleiterInnen zu den jeweiligen Bischofskonferenzen eingeladen
werden.

Alle diese Kontakte, aus denen ein starkes Band gegenseitigen
Verstaendnisses und Engagements erwachsen ist, zeigen die Aehnlichkeiten
zwischen unseren beiden Traditionen. Sie geben der Herausforderung, unsere
Einheit noch voller zum Ausdruck zu bringen (insbesondere durch den
Austausch von Pfarrern), zusaetzliches Gewicht....  Ungeklaert bleibt
allerdings das Problem, dass von anglikanischer Seite weiterhin darauf
bestanden wird, dass fuer eine geeinte Kirche der historische Episkopat
noetig ist als Voraussetzung fuer eine Aequivalenz des Amtes.

Was kommt zuerst, Kirche oder Lehre?
Stark vereinfacht formuliert koennte man sagen, dass fuer Lutheraner die
Lehre die Kirche ausmacht, waehrend fuer Anglikaner die Kirche die Lehre
bestimmt. Anglikaner setzen ihren Studienschwerpunkt eher bei der
Kirchengeschichte als bei der Lehre....  In diesem Zusammenhang ist es
bezeichnend, dass es von der Reformation bis in die allerjuengste
Vergangenheit in England keinen Lehrstuhl fuer systematische Theologie gab.

Die Kirche wird zusammengehalten von einer gemeinsamen Loyalitaet der
Schrift gegenueber, von der Anerkennung des gleichen Evangeliums (in einem
nicht allzu genau definierten Sinn) in unseren verschiedenen Theologien, vom
gemeinsamen Gottesdienst und der Zugehoerigkeit zur selben Kirche durch die
Gemeinschaft mit dem Bischof. Denn die Kirche ist keine Ansammlung einzelner
Glaeubiger, sondern eine Bundesgemeinschaft mit einer Struktur....  Um Teil
der wahren Kirche zu sein, muss die Ortskirche mit der Weltkirche verbunden
sein, und in der Kontinuitaet der historischen Kirche und des historischen
Glaubens der Apostel stehen.

Die Faszination, die Anglikaner und Lutheraner aufeinander ausueben, ruehrt
daher, dass es uns schwerfaellt, zu verstehen, wie die jeweils andere Seite
denkt. Und doch erkennen wir, dass wir beiderseits dasselbe Evangelium
verkuenden. Wir wissen, dass unser eigenes Verstaendnis und unsere eigene
Artikulation des Glaubens nicht mit dem Glauben selbst verwechselt werden
duerfen, und dass unsere Formulierungen fehlbar und vorlaeufig sind. Niemand
hat ein Monopol auf mangelnde Konsistenz. Wir wissen zum Beispiel, dass bei
den Anglikanern gleichzeitig das Amt aller Kirchenmitglieder und ein Sinn
fuer die ehrenamtliche Beteiligung von LaiInnen gefoerdert wird, obwohl
theologisch das ordinierte Amt und Priestertum solch starke Betonung
erfaehrt. Ebenso sind manche lutherischen Kirchen sehr stark klerikal und
von professioneller Seelsorge gepraegt, trotz der Lehre vom Priestertum
aller Glaeubigen.

Im Meissener Dokument erkennen sich die Kirche von England und die
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gegenseitig als wahre Kirchen an,
in denen das Wort Gottes authentisch verkuendigt wird und die dem Evangelium
entsprechenden Sakramente gespendet werden. Dass bei den Anglikanern auf dem
historischen Episkopat bestanden wird, bedeutet nicht, dass wir Aemter und
Sakramente der deutschen Kirchen nicht anerkennen. Es bedeutet vielmehr,
dass die historische Sukzession als Zeichen fuer die und nicht als Garantie
der Kontinuitaet der Kirche im apostolischen Glauben ein wertvolles und
notwendiges Element einer sichtbar einen Kirche ist. Diese Haltung, die in
dem anglikanischen Dokument "Apostolicity and Succession" (Apostolizitaet
und Sukzession) dargelegt wird und im Porvooer Dokument mit den nordischen
und baltischen Lutheranern enthalten ist, bedeutet einen echten Wandel im
anglikanischen Denken.

Theologischer Pluralismus
Aus anglikanischer Sicht ist die Leuenberger Konkordie zwischen lutherischen
und reformierten Kirchen interessant, da sie erstmals die Legitimitaet eines
theologischen Pluralismus anerkennt. Kirchen mit verschiedenen Bekenntnissen
koennen in den jeweils anderen Traditionen den wahren Glauben erkennen und
auf dieser Grundlage in eine Einheit in versoehnter Verschiedenheit
eintreten. Fuer die Lutheraner bedeutet das "satis est" in Artikel 7 des
Augsburger Bekenntnisses, dass es fuer die Einheit ausreicht, dass wir
gegenseitig Lehre und Sakramente anerkennen. Auf dieser Grundlage ist die
Vereinbarkeit verschiedener Formen des Amtes oder der kirchlichen Struktur
nicht notwendig fuer die Einheit, daher wird auch der Formulierung
"versoehnte Verschiedenheit" der Vorzug gegeben vor "sichtbarer Einheit".

Im Verlauf des fortgesetzten Meissener Dialogs bleibt abzuwarten, wie weit
dieses Prinzip der theologischen Grosszuegigkeit ausgedehnt werden kann.
Kann man naemlich das wahre Evangelium in einer anderen Kirche erkennen,
auch wenn die Theologie dieser Kirche sich von der eigenen unterscheidet, so
bedeutet Einheit mit dieser Kirche, dass man gewisse Zugestaendnisse an
deren Selbstverstaendnis machen muss. Haben sich die Anglikaner einerseits
in Richtung auf eine Anerkennung und Akzeptanz von Aemtern, die nicht auf
dem historischen Episkopat beruhen, als echte Aemter im Dienst an Wort und
Sakrament bewegt, ist es dann nicht auch moeglich, dass Lutheraner sich auf
eine Akzeptanz des historischen Episkopats hin bewegen und ihn als Teil der
legitimen christlichen Vielfalt anerkennen?

Das Lernen voneinander und das Engagement fuereinander bauen auf starke
Bande der Gemeinschaft auf. Theologisches Arbeiten braucht Verantwortung und
wir muessen unsere Kirchen mitnehmen, wenn dass Meissener Porzellan nicht
zerschlagen werden soll. Die Zeit allein wird zeigen, ob unser theologischer
Weg zu einem Durchbruch oder in die Sackgasse fuehren wird. Wir bitten um
Ihr Gebet."

*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer Kirchen
weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er inzwischen 128
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humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte
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Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION wird als Informationsdienst des
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