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Chile: Kirchen und Militaers uebergeben Dokumente
From
FRANKI@elca.org
Date
12 Jan 2001 08:18:02
zu spurlos verschwundenen Opfern der Militaerdiktatur
Praesident Lagos: Viele wurden ins Meer und in Fluesse oder Seen
geworfen
Santiago de Chile/Genf, 12. Januar 2001 (LWI) - Der chilenische
Praesident Ricardo Lagos hat Berichte und Dokumente der Armee und von
Kirchen und religioesen Gemeinschaften ueber die noch rund 1.000
verschwundenen Opfer der Militaerdiktatur (1973 - 1990) dem Obersten
Gerichtshof Chiles uebergeben. Die Dokumente seien ein wichtiger
Schritt, um die Schicksale der bis heute vermissten Regimegegner
aufzuklaeren, so Lagos. In einer Fernsehansprache betonte der
chilenische Praesident am Sonntagabend, dass die von der Armee
vorgelegten Informationen Anerkennung verdienten, doch sie reichten bei
weitem nicht aus. Er forderte die Streitkraefte auf, weitere Auskuenften
ueber die verschwundenen Opfer zu geben.
Die Berichte und Dokumente wurden Praesident Lagos am Freitag,
5.01.2001, von Vertretern der katholischen Kirche, der juedischen
Gemeinschaft, protestantischer Gemeinden und der Freimaurer im
Praesidentenpalast La Moneda uebergeben. Den Bericht der Armee und der
Polizei ueberbrachte der roemisch-katholische Militaerbischof Lizama.
Praesident Lagos gab seine persoenliche Betroffenheit zum Ausdruck
ueber die nun zu Tage getretenen "grausamen und schmerzhaften
Wahrheiten". Nach einer ersten Sichtung geben die neuen Dokumente, so
Lagos, Auskunft ueber das Schicksal von rund 180 Personen, die waehrend
der Militaerdiktatur spurlos verschwanden. Rund 130 Tote seien damals
"im Meer und in Chiles Fluessen und Seen versenkt" worden, 20 Leichen
laegen in einem bisher unbekannten Massengrab in der Region der
Hauptstadt Santiago.
Die neuen Berichte sind das Ergebnis der Vereinbarungen eines Runden
Tisches zum Thema Menschenrechtsverletzungen. Nach monatelangen
Verhandlungen mit MenschenrechtlerInnen hatten chilenische Militaers im
vergangenen Juni zugestimmt, Informationen zu Verschwundenen offen zu
legen. Seit dem 6. Juni 2000 konnten sich aussagewillige TaeterInnen
oder MitwisserInnen an Priester, Rabbiner, PastorInnen und Logenbrueder
wenden oder innerhalb militaerischer Strukturen aussagen. Die von
Regierung und Parlament einhellig unterstuetzte Massnahme war von der
Vereinigung der Angehoerigen der Opfer kritisiert worden, da den
aussagewilligen Militaers Anonymitaet zugesichert worden war. Die
zahlreichen Vermittlungsversuche kirchlicher VertreterInnen hatten am
Ergebnis der Verhandlungen am Runden Tisch entscheidenden Anteil.
Der katholische Erzbischof Errazuriz und Methodistenbischof Aravena
aeusserten Kritik an der Schweigsamkeit der Militaers. Sie verwiesen auf
die zahlenmaessig eher mageren Ergebnisse der Aufklaerungsbemuehungen
und die besondere Verantwortung von Streitkraeften und Polizeitruppen.
Familien von verschwundenen Opfern kritisierten die Duerftigkeit und
Widerspruechlichkeit der Informationen. Auch die chilenische Presse
reagierte enttaeuscht auf den Armeebericht. Die Streitkraefte haetten
praktisch nur Faelle aus dem ersten halben Jahr nach dem Militaerputsch
vom September 1973 genannt und die damals besonders gefuerchtete,
inzwischen aufgeloeste Geheimpolizei Dina unberuecksichtigt gelassen,
berichtete die Tageszeitung "La Tercera".
Angesichts hunderter noch immer unaufgeklaerter Schicksale forderte
Staatschef Lagos TaeterInnen und MitwisserInnen auf, ihre Informationen
preiszugeben. Sie sollten so mit ihrem Gewissen ins Reine kommen, den
Angehoerigen der Opfer endlich Gewissheit ueber deren Verbleib geben und
damit dem ganzen chilenischen Volk bei der Verarbeitung dieses
nationalen Traumas helfen. Lagos betonte, "Chile kann nicht in die
Zukunft blicken, ohne die Schatten der Vergangenheit aufzuklaeren".
Nach der Uebergabe der Berichte an den Obersten Gerichtshof kuendigte
der Praesident des Gerichtshofs, Hernan Alvarez, an, es wuerden
Untersuchungsrichter mit Nachforschungen beauftragt. Ob es zu Prozessen
komme werde, sei nicht absehbar. Nach chilenischen Zeitungsberichten hat
Richter Hector Carreno am Donnerstag, 11. Januar, mit der Suche nach
Graebern von verschwundenen Opfern begonnen. Zusammen mit
Gerichtsmedizinern nahm er die Arbeit in Cuesta Barriga auf, wo nach
Informationen der Armee sechs 1976 von der Geheimpolizei ermordete
Kommunisten begraben sein sollen.
Unter das 1978 von Ex-Diktator Pinochet erlassene Amnestiegesetz fuer
Toetungsdelikte und Menschenrechtsverletzungen faellt nach einem Urteil
des Gerichtshofes nicht das Verschwindenlassen von Menschen. Juristisch
handelt es sich in diesen Faellen um ungeklaerte Entfuehrungsfaelle.
Diese Auslegung des Amnestiegesetzes von 1978 hat in Chile zu
zahlreichen Irritationen gefuehrt. Ueber Jahre hatte das Amnestiegesetz
automatisch die Einstellung der Ermittlungen zur Folge. Grosse Teile der
Justiz, darunter Pinochets ehemalige Justizministerin Madariaga,
befuerworten inzwischen eine Neuinterpretation. Sie streben an, dass nur
eine bereits verurteilte Person amnestiert werden kann.
Insgesamt wurden in Chile gegen Ex-Diktator Pinochet 205 Anzeigen wegen
der Verbrechen seines Regimes erstattet. Im Fall der beruechtigten
"Todeskarawane" soll nun Anklage erhoben werden. Bei dieser
Militaeroperation Ende 1973 wurden mindestens 72 Oppositionelle
ermordet, 18 Opfer sind weiterhin spurlos verschwunden. Zur Zeit muss
sich der 85-jaehrige General a.D. und Senator auf Lebenszeit gerichtlich
angeordneten medizinischen Tests unterziehen, um seine
Verhandlungsfaehigkeit festzustellen. Wird Pinochet fuer
verhandlungsunfaehig erklaert, kann er nicht vor Gericht gestellt
werden.
Unter der Miltaerdiktatur Augusto Pinochets wurden insgesamt rund 3.000
Menschen ermordet. Vor allem in den ersten Jahren nach dem
Militaerputsch 1973 wurde mit grosser Brutalitaet gegen
GewerkschafterInnen, SozialistInnen und KommunistInnen vorgegangen. Von
den insgesamt rund 1.200 spurlos verschwundenen RegimegegnerInnen wurden
bisher erst 171 aufgefunden.
Dieser Beitrag basiert auf Berichten von SEPCH (SERVICIO EVANGELICO DE
PRENSA CHILE - Chilenischer evangelischer Pressedienst) und epd
(Evangelischer Pressedienst).
* * *
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