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Wie sollen wir in Zukunft gemeinsam beten?
From
"Sheila Mesa" <smm@wcc-coe.org>
Date
Fri, 17 May 2002 13:26:27 +0200
(Sonderkommission, Teil 3)
Okumenischer Rat der Kirchen
Feature, Feat-02-05
zur Veroffentlichung frei
17. Mai 2002
Wie sollen wir in Zukunft gemeinsam beten?
Die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ORK auf dem Weg
zu ihrem abschliessenden Bericht (Teil 3)
vgl. ORK-Feature, Feat-02-03, 15. Mai 2002
vgl. ORK-Feature, Feat-02-04, 16. Mai 2002
Die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im Okumenischen
Rat der Kirchen (ORK) hat wiederholt auf die Notwendigkeit
sorgfaltig ausgearbeiteter theologischer und praktischer
Leitlinien fur das gemeinsame Gebet hingewiesen.
Im Brennpunkt der Diskussion steht der interkonfessionelle
okumenische Gottesdienst, das heisst der Gottesdienst bei
okumenischen Anlassen, der auf vielfaltigen Gebetstraditionen
aufbaut. Fur viele Menschen ist diese bunte Mischung des
interkonfessionellen Gottesdienstes inzwischen ein
unverzichtbares Element liturgischen und spirituellen
okumenischen Lebens, fur andere dagegen befremdend oder gar
ein Argernis.
"Orthodoxe Christen mussen sich mit der Frage auseinandersetzen,
ob es ihnen kirchenrechtlich uberhaupt gestattet ist, mit
Nicht-Orthodoxen auch nur gemeinsam zu beten. Wenn diese Frage
geklart ist - und verschiedene Leute geben darauf sehr
unterschiedliche Antworten -, mussen wir uns mit dem Problem
auseinandersetzen, dass wir uns in interkonfessionellen
Gottesdiensten unter Umstanden ganzlich fremd fuhlen", schreibt
Peter Bouteneff von der Orthodoxen Kirche in Amerika in seinem
Beitrag. Bouteneff beschreibt seine eigene innere Entwicklung,
die ihn schliesslich dazu fuhrte, seine ursprungliche Haltung neu
zu uberdenken.
Wie fur Bouteneff sind auch fur Bischof Rolf Koppe von der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Spannungen, die mit
dem gemeinsamen Gebet verbunden sind, eine traurige Tatsache. Er
schreibt dazu: "Es ist und bleibt eine offene Wunde am Leib
Christi, dass wir nicht frohlich und frei aufeinander zugehen und
uns als Kinder Gottes unbefangen vor dem Angesicht unseres
gemeinsamen Vaters zum Gebet versammeln konnen."
Wie also sollen wir in Zukunft gemeinsam beten? Vater K. M.
George von der Orthodoxen Syrischen Kirche von Malankara (Indien)
startet in seinem Beitrag einen Versuch, die Diskussion um die
Leitlinien fur ein gemeinsames Gebet mit konkreten Vorschlagen
weiterzubringen.
Damit handelt er auch ganz im Sinne von Peter Bouteneff, der am
Ende seine Beitrages zu den optimistischen Schluss kommt, dass
"die Arbeit in der Sonderkommission einige von uns bereits dazu
gefuhrt (hat), langjahrige Uberzeugungen zu uberdenken, tiefere
Fragen zu stellen und Antworten zu finden, die dauerhafte
Verbesserungen ermoglichen konnten."
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Konfessioneller oder interkonfessioneller Gottesdienst:
eine innere Auseinandersetzung
Peter Bouteneff
Wenn Christen verschiedener Traditionen zusammenkommen, um
gemeinsam zu beten, so werden dabei tiefe Gefuhle angesprochen.
Es kann nicht anders sein. Beten liegt in der menschlichen Natur,
und es ist richtig, dass wir als Christen gemeinsam beten wollen.
Es ist auch nur naturlich, dass die Art, wie wir beten, starke
Gefuhle in uns auslost, denn wir beten aus tiefstem Herzen und
das Gebet ruhrt uns zutiefst an. Es ist eher unproblematisch,
Christen derselben Tradition, Nationalitat und Sprache zum Gebet
zu versammeln. Aber je vielfaltiger die Zusammensetzung der
Gebetsgemeinschaft ist, desto grosser werden die
Herausforderungen.
Eine Herausforderung kann positiv oder negativ sein. Manchmal
habe ich Gottesdienste in der Okumene als bewegendes Gotteslob,
als inspirierende Erfahrung erlebt. Ich habe jedoch auch weniger
uberzeugende Beispiele in Erinnerung, wie zum Beispiel wenn
okumenische Gottesdienste fur politische Erklarungen
missbraucht werden oder wenn das Bemuhen um Vielfalt und
Integration absurde oder sogar synkretistische Zuge annimmt.
An dieser Stelle mochte ich - als lebenslanges Mitglied der
orthodoxen Kirche, als jahrzehntelanger Beobachter und Teilnehmer
an okumenischen Tagungen und als ehemaliges Mitglied des
ORK-Stabs und seiner Gottesdienstausschusse - versuchen, uber
diese Fragen sowohl objektiv als auch subjektiv nachzudenken.
Interkonfessionelle Gottesdienste - ein riskantes Unterfangen
Okumenische Gottesdienste oder, genauer gesagt,
interkonfessionelle Gottesdienste sind von ihrer Natur her ein
riskantes Unterfangen - und das aus mehreren Grunden. Das, was
wir feiern, wenn wir als Christen unterschiedlicher Traditionen
zum Gebet versammelt sind, ist zum Teil eben die Tatsache, dass
wir versammelt sind. Manchmal heben wir das dadurch hervor, dass
wir auf eine Vielzahl von Quellen aus allen Konfessionen und
Traditionen zuruckgreifen. Das Problem liegt darin, dass es sehr
schwierig ist, gleichzeitig breite Vielfalt und innere Koharenz
zu erreichen. Die Resultate erwecken manchmal den Eindruck von
Eklektizismus als reinem Selbstzweck.
Interkonfessionelle Gottesdienste werden haufig ad hoc von
Ausschussen zusammengestellt, statt jeweils aus einer bestimmten
Tradition zu erwachsen. Dieses Merkmal tragt sowohl zu den
positiven Aspekten - Vielfalt, breites Zugehorigkeitsgefuhl,
Frische - als auch zu den negativen Aspekten - potenzielle
Inkoharenz, Oberflachlichkeit, Anpassung an abgenutzte
Modeerscheinungen - des gottesdienstlichen Lebens auf
okumenischen Versammlungen bei.
Da diese Aspekte bei okumenischen Gottesdiensten unweigerlich
zum Problem werden, hat es grundlegende Einwande gegen die Art
und Weise gegeben, wie der Okumenische Rat der Kirchen (ORK) sein
gottesdienstliches Leben auf Tagungen gestaltet. Diese Einwande
werden in verschiedenen Traditionen vorgebracht. Aber die
orthodoxen Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben die damit
verbundenen Probleme von Anfang an immer wieder angesprochen.
Orthodoxe Christen mussen sich mit der Frage auseinandersetzen,
ob es ihnen kirchenrechtlich uberhaupt gestattet ist, mit
Nicht-Orthodoxen auch nur gemeinsam zu beten. Wenn diese Frage
geklart ist - und verschiedene Leute geben darauf sehr
unterschiedliche Antworten -, mussen wir uns mit dem Problem
auseinandersetzen, dass wir uns in interkonfessionellen
Gottesdiensten unter Umstanden ganzlich fremd fuhlen.
Haufig, wenn wir unser Unbehagen mit Aspekten des
gottesdienstlichen Lebens des ORK zum Ausdruck bringen, wird uns
gesagt, dass alle solches Unbehagen empfanden. Solche
Gottesdienste seien naturgemass etwas Neues, Eklektisches. Und es
wird uns gesagt, dass es gerade deshalb zwangslaufig fremd
anmutende Elemente gebe - und zwar fur alle. Aber das stimmt
nicht ganz. Es gibt sehr viele okumenisch engagierte Menschen,
die nicht nur zufrieden mit der Art und Weise sind, wie
interkonfessionelle okumenische Gottesdienste normalerweise
gestaltet werden, sondern die sich darin ausgesprochen wohl
fuhlen. Wenn der ORK jemals beschliessen sollte, so sagen sie,
seine Gottesdienste und Andachten so zu feiern, dass Vielfalt,
Neuheit und Eklektizismus verloren gingen, so wurden sie sich
ganzlich zuruckziehen. Daher die grundlegende Forderung, das
Gottesdienstleben okumenischer Tagungen primar so zu lassen, wie
es jetzt ist: interkonfessionell.
Die Alternative, die von Orthodoxen und Christen anderer
Traditionen, die ahnlich empfinden, am haufigsten vorgeschlagen
wird, ist, das okumenische Gottesdienstleben nach konfessionellen
Kriterien zu gestalten: an die Stelle "interkonfessioneller
Gottesdienste" sollten "konfessionelle Gottesdienste" treten. Wir
haben genug Obstsalat gegessen: wir wollen jetzt abwechselnd jede
Frucht einzeln geniessen. Schafft Raum fur die verschiedenen
Traditionen, von denen jede eine eigene, ganzheitliche
Gottesdiensttradition mit ihren besonderen Gaben hat.
Jetzt zu meinen subjektiven Empfindungen: meine Einstellung zu
dieser Frage hat uber die Jahre hinweg einen gewissen
Entwicklungsprozess durchlaufen.
Argumente fur und gegen interkonfessionelle Gottesdienste
Meine Einwande gegen interkonfessionelle Gottesdienste beruhen
auf folgenden Grunden:
In meiner (orthodoxen) Tradition entsteht das gemeinsame Gebet
nicht spontan, sondern es folgt festen Regeln. Integraler
Bestandteil unserer Spiritualitat ist es, an jedem Punkt eines
Gottesdienstes genau zu wissen, an welcher Stelle man ist und wie
es weitergeht: gerade diese festen Strukturen geben dem Geist die
Freiheit, sich dem Gebet immer wieder neu zu offnen. Und da
unsere Gebete auch haufig sehr explizit theologisch verankert
sind - das, was wir beten, ist auch das, was wir glauben, und
vice versa -, ist diese Verlasslichkeit unserer
Gebetsgottesdienste fur uns von wesentlicher Bedeutung.
"Okumenische" oder interkonfessionelle Gottesdienste sind von
ihrer Natur her ein kunstliches Konstrukt. Gebete und Riten, die
nie dazu bestimmt waren, nebeneinander zu stehen, werden
zusammengewurfelt. Das kann wunderbar funktionieren. Aber
schlimmstenfalls haben wir es mit einer kunterbunten Mischung a
la Benetton zu tun, in der wir willkurlich Dinge miteinander
vermischen und uns standig gegenseitig zu unserer grossen
Integrationsfahigkeit, unserer geistigen Aufgeschlossenheit und
unserer postmodernen Fortschrittlichkeit begluckwunschen.
Zudem ist das okumenische Gebet dabei, sich zu einer eigenen
Tradition zu entwickeln, und wenn der ORK erst einmal eine
okumenische Gebetstradition, eine Gottesdiensttradition hat,
lauft er Gefahr, sich wie eine *okumenische Kirche" zu
benehmen - eine Entwicklung, die der Sensibilitat zahlreicher
Traditionen, aus denen er sich zusammensetzt, einschliesslich der
Orthodoxen, diametral entgegensteht.
Was "konfessionelle Gottesdienste" anbetrifft, so konnte ihnen
die wesentliche Funktion zukommen, "Platz" fur die jeweiligen
Traditionen "zu schaffen". Sie geben Gebeten Luft zum Atmen in
eben dem Umfeld, das sie hervorgebracht hat. Sie stellen im
Allgemeinen eine Garantie fur Ganzheitlichkeit dar - fur
Gottesdienste mit einer inneren Harmonie und spirituellen
Sensibilitat, die den Test der Zeit in einem bestimmten Kontext
bestanden haben. Des Weiteren stellen sie eine der besten
Gelegenheiten dar, wie wir unser jeweiliges christliches Leben
und unsere Traditionen gegenseitig kennen lernen konnen. Und
schliesslich kann das "konfessionelle Gebet" bei okumenischen
Zusammenkunften - an einem Morgen im Rahmen eines lutherischen
Gottesdienstes, an einem anderen in einem orthodoxen
Morgengottesdienst und an wieder an einem anderen Morgen nach
baptistischer Tradition - Schutz vor einigen der Exzesse, dem
Synkretismus und der Politisierung bieten, die in okumenischen
Gottesdiensten entstehen konnen.
So weit zu den Argumenten, die mich veranlasst haben, dafur zu
pladieren, dass auf okumenischen Veranstaltungen in der Regel
konfessionelle Gottesdienste abgehalten werden sollten. Viele
dieser kritischen Anfragen sind auch heute noch gultig und sogar
von entscheidender Bedeutung. Aber die Erfahrung - und einige
sehr feinfuhlige und nachdenkliche Menschen - haben mir geholfen,
die oben genannten Eindrucke in einigen wichtigen Punkten zu
hinterfragen und Einschrankungen vorzunehmen.
So zum Beispiel kann ein konfessioneller Gottesdienst in
okumenischem Umfeld genauso kunstlich wirken wie ein
"okumenischer" Gottesdienst. Die Veranstaltung eines
orthodoxen Morgengottesdienstes oder einer Quakerversammlung
konnte leicht wie eine Show, wie eine Theaterauffuhrung wirken
und ganzlich ungeeignet sein, eine echte Gebetsatmosphare
entstehen zu lassen. Und wer sagt, dass solche Erfahrungen fur
die Teilnehmenden weniger fremd und merkwurdig sein wurden?
Sodann stellt sich zum Beispiel die Frage, wer entscheidet, wie
konfessionelle Ganzheitlichkeit auszusehen hat? Wer entscheidet,
was eine "Tradition" ausmacht?
Hinzu kommt, dass wir, sobald wir dieser oder jener Tradition
einen Morgen zur Verfugung stellen, dem theologischen oder
geistlichen Inhalt ihrer Gebete und Riten keine Grenzen mehr
setzen konnen. Bei einem von einer Gruppe konzipierten
okumenischen Gottesdienst wurden die Orthodoxen zusammen mit
anderen theologisch konservativen Kirchenvertretern und
-vertreterinnen zum Beispiel die Einbeziehung von Gebeten
ablehnen, in denen Gott als "Mutter" angeredet wird, und sie
waren dagegen, wenn die versammelten Christen als "universale
Kirche" begrusst wurden. Wenn Glaubensuberzeugungen, die zu
solchen Formulierungen fuhren, in der fur den Gottesdienst
verantwortlichen konfessionellen Tradition jedoch ihren Platz
haben, ware es dann moglich oder angemessen, sie zu zensieren?
Interkonfessioneller Gottesdienst: das "Gebet gespaltener
Christen"
Diese Fragen haben mir zunehmend deutlich gemacht, dass es fur
das Problem der Gestaltung unserer gemeinsamen Gottesdienste
keine einfachen Losungen gibt. Und was noch wichtiger ist: mir
ist klar geworden, dass die Frage nicht nur lautet, ob wir
Gottesdienste in okumenischem Rahmen entweder ausschliesslich
nach "konfessionellen" oder nach "interkonfessionellen" Kriterien
strukturieren. Es geht vielmehr darum, dass wir uns so deutlich
wie moglich bewusst machen, was wir tun. Wenn wir einen
interkonfessionellen Gottesdienst feiern, dann darf nicht das
Gefuhl entstehen, dass es sich dabei um den Gottesdienst einer
okumenischen Kirche handelt: es ist das Gebet gespaltener
Christen oder gespaltener Gruppierungen von Christen. Wenn wir
einen Gottesdienst nach unserer eigenen konfessionellen Tradition
feiern, dann mussen wir ihn auch ganz klar so benennen.
Abgesehen davon, dass diese Klarheit wichtig ist, konnte es
viele verschiedene Richtlinien geben, die uns weiterhelfen
wurden. Zum Beispiel sollten Gottesdienste in okumenischem
Rahmen Gott in den Mittelpunkt stellen - "Jesus Christus...als
Gott und Heiland...zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und
des Heiligen Geistes", um die Formulierung aus der Basis des ORK
zu benutzen. Sodann sollte in gemeinsamen Gottesdiensten sowohl
in theologischer als auch in jeder anderen Hinsicht alles getan
werden, um nicht die Gefuhle derer zu verletzen, die sich zum
gemeinsamen Gebet versammelt haben. Und schliesslich sollten wir
uns in konfessionellen wie interkonfessionellen Gottesdiensten
gleichermassen bemuhen, Kunstliches zu vermeiden und Ganzheit,
inneren Zusammenhang und harmonisches Fliessen zu erreichen.
Die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ORK ist dabei,
Empfehlungen zu einem breiten Spektrum von Fragen,
einschliesslich dem gottesdienstlichen Leben des Rates,
auszuarbeiten. Wenn es ihr gelingt, einige Richtlinien fur dieses
gottesdienstliche Leben zu erstellen, die allgemein akzeptiert
werden, dann ware dies ein uberaus nutzlicher Beitrag zur
okumenischen Bewegung insgesamt. Aber die Arbeit in der
Sonderkommission hat einige von uns bereits dazu gefuhrt,
langjahrige Uberzeugungen zu uberdenken, tiefere Fragen zu
stellen und Antworten zu finden, die dauerhafte Verbesserungen
ermoglichen konnten.
____________________
Der Verfasser, Dr. Peter Bouteneff, war funf Jahre lang
Stabsmitglied des ORK im Team "Glauben und Kirchenverfassung"und
lehrt gegenwartig Systematische Theologie und Spiritualitat am
Orthodoxen Theologischen Seminar St. Wladimir in Crestwood/New
York. Er hat die Arbeit der Sonderkommission in beratender
Funktion begleitet.
--------------------------
Die Frage des okumenischen Gottesdienstes -
eine offene Wunde am Leib Christi
Rolf Koppe
Der Zwischenbericht der Sonderkommission uber die Beteiligung
der orthodoxen Kirchen am Leben des Okumenischen Rates der
Kirchen, der auf der Zentralausschusssitzung in Potsdam im Januar
2001 gegeben wurde, ist im grossen und ganzen positiv aufgenommen
worden. Die Delegierten hatten zu Recht den Eindruck bekommen,
dass die 60kopfige Kommission einen gegenseitigen Lernprozess
durchgemacht hatte und sich uber eine ganze Reihe von Problemen
verstandigen konnte. Aber es klang auch schon an, dass die von
orthodoxer Seite vor der Vollversammlung des ORK auf einer
Konferenz in Thessaloniki getroffene Entscheidung, gemeinsamen
gottesdienstlichen Handlungen fernzubleiben, noch nicht revidiert
worden war und der weiteren theologischen Klarung bedurfte.
Bei der Nachbesprechung der Steuerungsgruppe wurde der Stand der
Dinge auf den Begriff gebracht: "If we can't pray together we
can't stay together" ("Wenn wir nicht zusammen beten konnen,
konnen wir nicht zusammenbleiben"). Denn warum sollten wir uns
so intensiv uber Mitgliedschaftsfragen, Verfahrensablaufe und
Abstimmungsmodalitaten Gedanken machen, wenn im Kern die
geistliche Frage, weshalb wir uns als orthodoxe und
protestantische Kirchen in einem Rat der Kirchen
zusammenschliessen, unbeantwortet bleibt?
Nach dem 11. September 2001 konnten zwar Juden, Christen und
Muslime in New York, in Brussel oder in Assisi an interreligiosen
Feiern teilnehmen und ihre Gebete nacheinander oder nebeneinander
an Gott richten, aber es ist bis jetzt immer noch unklar, ob
Christen miteinander zum Dreieinigen Gott beten konnen, auf
dessen Namen sie getauft sind, in dessen Namen sie ihre
Gottesdienste feiern und in dessen Namen sie um das Kommen seines
Reiches bitten.
Der fur Aussenstehende vollig unverstandliche Grund, namlich die
unterschiedlichen Lehren vom Wesen und Auftrag der Kirche, ist
fur die Kenner der Tradition und der Gegenwart aber keineswegs
eine Nebensache, sondern eine fundamentale Frage. Denn sie hat in
der Geschichte der Kirche und der Kirchen seit den Konzilien der
ersten Jahrhunderte innerhalb der Kirchen und spater dann
zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens kirchentrennende
Wirkung gehabt. Die ab dem 16. Jahrhundert hinzugekommenen
protestantischen Kirchen treffen die Verwerfungen von damals zwar
nicht direkt, aber sie sind auch nicht - trotz der erklarten
Ruckkehr zur Alten Kirche und zur biblischen Tradition - davon
ausgenommen. Zwar gibt es eine kirchliche Praxis, in der wegen
der geistlichen Nahe und der Annaherungen in theologischen
Dialogen gemeinsam Andachten gehalten werden und fast
selbstverstandlich miteinander gebetet wird, aber diese Praxis
"kat oeconomia", das heisst auf Grund des Zusammenlebens, ist,
wenn die Frage erst einmal im strengen Sinn gestellt wird, durch
die Theologie der Liturgie und besonders des Amtes nicht gedeckt.
Bezeichnenderweise muss dazu gesagt werden, dass nicht alle
orthodoxen Vertreter und Vertreterinnen diese strenge Auslegung
vertreten, so dass zu hoffen ist, Wege aus dieser theologischen
Sackgasse zu finden. Aber auch von Seiten der Protestanten sind
Stimmen lauter geworden, darunter auch meine, die danach fragen,
wie lange eigentlich solch ein Klarungsprozess noch dauern soll.
Ware es dann nicht ehrlicher, sich die Unuberbruckbarkeit in
dieser zentralen Frage einzugestehen und nach 50 Jahren
gemeinsamen Weges wieder auseinander zu gehen und sich auf
freundschaftliche Art und Weise zum Beispiel in einem orthodoxen
und in einem protestantischen Weltbund wieder zu begegnen?
Andererseits haben viele die Hoffnung noch nicht aufgegeben,
dass wir uns wenigstens in einem "Laiengottesdienst"
zusammenfinden konnen, das heisst in einer Form, die jede
Konfession kennt und in der nicht die Amtstrager oder die
Amtstragerinnen die Kirche reprasentieren, sondern sich
Vertreterinnen und Vertreter aus dem Volk Gottes versammeln, um
Gott mit Gebet und Lobgesang die Ehre zu geben.
Was auch immer am Ende der dreijahrigen Beratungen der
Sonderkommission in dieser Sache dem Zentralausschuss im August
vorgeschlagen wird: es ist und bleibt eine offene Wunde am Leib
Christi, dass wir nicht frohlich und frei aufeinander zugehen und
uns als Kinder Gottes unbefangen vor dem Angesicht unseres
gemeinsamen Vaters zum Gebet versammeln konnen.
_____________________
Der Autor, Bischof Dr. h.c. Rolf Koppe, ist seit 1993 Leiter der
Hauptabteilung "Okumene und Auslandsarbeit" des Kirchenamtes der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Bischof Koppe war von
1984 bis 1988 Pressesprecher der EKD sowie Publizistikreferent im
Kirchenamt der EKD und anschliessend Landesuperintendent der
hannoverschen Landeskirche fur den Sprengel Gottingen. Er ist
Ko-Moderator der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im
ORK.
----------------------
Wie sollen wir zusammen beten?
Anmerkungen zu den "Leitlinien fur gemeinsames Gebet"
K.M. George
Gottesdienst und Gebet
Die Unterscheidung zwischen "Gottesdienst" und "Gebet", wie sie
im November 2000 auf der Kairoer Tagung der Sonderkommission zur
orthodoxen Mitarbeit im Okumenischen Rat der Kirchen (ORK)
getroffen wurde, ist sicherlich von Nutzen, denn diese Worte
werden in der Praxis haufig gleichgesetzt. Auch eine
Unterscheidung zwischen sakramentalem Gottesdienst und
gemeinsamem Gebet konnte hilfreich sein.
Die orthodoxe Tradition nimmt im Hinblick auf das "Gebet" einige
grundsatzliche Unterscheidungen vor. Sie unterscheidet zwischen
sakramentaler Liturgie oder sakramentalem Gottesdienst,
kanonischem Stundengebet und personlichem Gebet oder personlichen
religiosen Praktiken. Ein Beispiel fur das Erste ist die Heilige
Eucharistiefeier der Gemeinde. Andere sakramentale Feiern leiten
ihre Bedeutung aus der Eucharistie ab. Ein Beispiel fur das
Zweite sind die in Kirchgemeinden, Klostern und Seminaren
abgehaltenen Morgen- und Abendgebete. Kurzformen sind mancherorts
in Familiengebeten ublich. Und personliches Gebet sowie
personliche religiose Praktiken konnen auf eine grosse
Bandbreite kanonischer Gebete, geistlicher Schriften der
Kirchenvater und verschiedene Praktiken wie etwa das
"Jesus-Gebet" zuruckgreifen.
Das Gemeinsame Gebet, wie es derzeit im "okumenischen Rahmen"
ublich ist, kann im Grossen und Ganzen dem kanonischen
Stundengebet zugeordnet werden, denn - das Stundengebet ist im
technischen Sinne nicht-"sakramental" (im theologischen Sinn
umfasst das Sakrament ein sehr viel breiteres Spektrum);
- obgleich es in seiner ordo einigen liturgischen Prinzipien
folgt, ist es flexibler als eine sakramentale Liturgie;
- es ist ein offentliches gemeinsames Gebet und es gibt keine
theologischen Grunde, irgend jemanden, der an diesem Gebet
teilnehmen mochte, davon auszuschliessen;
- es erfordert nicht die Anwesenheit einer ordinierten Person,
da Laiengemeinschaften dieses Gebet verwenden konnen;
- es wird von Frauen verwendet, wie es in Nonnenklostern einiger
Kirchen ublich ist.
Okumenisches Gebet
Das okumenische Gebet ist fur unsere Kirchen etwas relativ
Neues. Die Idee entstand wahrscheinlich aus der Zeit der Grundung
des ORK. Im materiellen Bereich - also im Hinblick auf technische
Neuerungen wie den Einsatz von Mikrofonen bis hin zum Internet
bei der Verkundigung des Evangeliums - kommen unsere Kirchen gut
mit dem "Neuem" zurecht. Doch wie gehen wir mit einer neuen
geistlichen Frage im Zusammenhang mit unserem Ziel der sichtbaren
Einheit um?
Die Antwort lautet, dass wir mit der "neuen" Herausforderung des
gemeinsamen Gebets unter Zuhilfenahme der Prinzipien des
liturgischen Wissens aus der christlichen Tradition zurechtkommen
konnen. Aus orthodoxer Sicht muss jegliches gemeinsame Gebet
meines Erachtens die folgenden Grundelemente aufweisen:
- die Doxologie oder Lobpreisung des dreifaltigen Mysteriums von
"Vater, Sohn und Heiligem Geist, dem einen wahrhaftigen Gott"
- das Vaterunser, wie es Christus gelehrt hat
- eine Lesung aus dem Evangelium
- ein Glaubensbekenntnis, vorzugsweise das Nizanum
- ein Furbittgebet oder eine Litanei, die unser gegenwartiges
Leben einbezieht
- eine Erinnerung an die Heiligen und Martyrer oder die "Wolke
von Zeugen"
- einen Segen unter Verwendung einer der biblischen Segnungen,
vorzugsweise der trinitarischen Segnung aus dem Neuen Testament.
Symbole
Symbole sind bei jedem Gebet oder Gottesdienst unerlasslich,
denn Worte konnen das Gemeinte nur teilweise und unzulanglich
wiedergeben. Kreuz, Kerzen, Weihrauch, Gewander und Farben sind
traditionelle Symbole im gemeinsamen Gebet.
Schlichtheit und allgemeine Akzeptanz sollten die Leitgedanken
sein. Das Kreuz zum Beispiel ist ein einzigartiges Symbol, das
das Mysterium von Gottes Menschwerdung und unsere Erlosung
begreiflich macht. In den liturgischen Buchern wird es haufig
"der Baum" genannt, an dem "Jesus aufgehangt wurde". Von der
erschaffenen Natur bis hin zum Baum des Lebens, von der
Jakobsleiter bis hin zur axis mundi symbolisiert dieser
einzigartige Kreuzesbaum die personliche und die kosmische
Dimension unseres christlichen Glaubens und unserer Erlosung. Man
stelle sich vor, ein paar oko-kosmische Eiferer ignorierten
dieses traditionelle Symbol und entwurzelten einen jungen Baum,
um ihn zum Gottesdienst in die Kirche zu bringen (wie es an
einigen Orten tatsachlich geschehen ist). Dies ware eine
Verletzung der Grundgedanken der Okologie, der Schlichtheit und
der allgemeinen Akzeptanz, und es wurde vielen Leuten sicherlich
nicht gefallen. Doch da sich unser Umfeld standig verandert,
sollten wir neuen Symbolen gegenuber aufgeschlossen sein.
Das gemeinsame Gebet par excellence
Das gemeinsame Gebet par excellence ist nichts anderes als das
Vaterunser. Die Schonheit und universelle Bedeutung dieses
Gebets, das uns Christus gelehrt hat, suchen ihresgleichen. Ich
habe Hindus und Muslime gesehen, die es gemeinsam mit Christen
beteten, ohne unbedingt von den christlichen Lehren uberzeugt zu
sein. Hat auch nur ein einziger Christ das Recht, sie von dem
Gebet auszuschliessen, das unser Herr der Menschheit geschenkt
hat?
Es illustriert auch den Grundsatz, dass christliches Gebet fur
alle und im Namen aller gesprochen wird. Eine Kirche, die "mit
der Sonne und dem Mond und den Sternen, mit der Erde und den
Weltmeeren, mit den Engeln und den Erzengeln, mit den Seraphim
und Cherubim ..." (syrische Liturgie des Hl. Jakob) betet, kann
nur integrativ beten.
Bei jeglicher Formulierung eines gemeinsamen Gebets sollte das
Vaterunser zum Vorbild genommen werden. Es sollte aber auch
bedacht werden, dass es gewisse Gruppen gibt, welche Anlasse zum
okumenischen Gebet fur ihre sektiererischen Zwecke
missbrauchen. Diese Art von Manipulation konnte der Grund fur die
starke Abwehr mancher Kreise gegenuber dem gemeinsamen Gebet
sein.
_________
Vater Kondothra M. George ist Dozent am Orthodoxen Theologischen
Seminar in Kottayam, Kerala (Indien). Er ist ordinierter Pfarrer
der Orthodoxen Syrischen Kirche von Malankara in Kottayam. Von
1989-94 gehorte er dem Lehrpersonal des Okumenischen Instituts
Bossey bei Genf an. Seit 1998 ist der Mitglied des
ORK-Zentralausschusses und derzeit Vorsitzender des
Programmausschusses des ORK-Zentralausschusses.
Fotos zu diesen Features finden Sie auf unserer Webseite:
http://www.photooikoumene.org/bio/misc/index.html
Weitere Informationen erhalten Sie von: Karin Achtelstetter,
Medienbeauftragte
Tel: (++41.22) 791.61.53 Handy: (+41) 79.284.52.12
**********
Der Okumenische Rat der Kirchen (ORK) ist eine Gemeinschaft von
342 Kirchen in uber 100 Landern auf allen Kontinenten und aus
praktisch allen christlichen Traditionen. Die romisch-katholische
Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ORK
zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die
ungefahr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ORK wurde 1948 in
Amsterdam (Niederlande) offiziell gegrundet. An der Spitze der
Mitarbeiterschaft steht Generalsekretar Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.
Okumenischer Rat der Kirchen
ORK-Medienbeauftragte
Tel: (41 22) 791 6153 / 791 6421
Fax: (41 22) 798 1346
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org
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1211 Genf 2, Schweiz
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