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ORK - Die Spiritualitat der Menschen wahrnehmen


From "Sheila Mesa" <smm@wcc-coe.org>
Date Tue, 09 Jul 2002 14:57:42 +0200

Okumenischer Rat der Kirchen
ORK-Feature
zur Veroffentlichung frei
9. Juli 2002

Die Spiritualitat der Menschen wahrnehmen -
ORK-Konsultation sucht neue Formen kirchlicher Zugehorigkeit

Michael Stahl

"Religiositat ohne Zugehorigkeit?" war das Thema der
Konsultation des Okumenischen Rates der Kirchen (ORK), die Ende
Juni im Christian Jensen Kolleg in Breklum in Norddeutschland
stattfand. Die 50 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, zumeist
Theologen/innen aus europaischen und nordamerikanischen Kirchen,
suchten nach "neuen Paradigmen fur Kirche und Mission in
sakularisierten und postmodernen Kontexten", diskutierten neue
Formen der Religiositat, die in vielen Landern entstehen, und
fragten, zu welcher Art von Spiritualitat die Kirchen aufgerufen
seien. "Die westliche Erfahrung von Kirche macht es den Menschen
moglich zu glauben, ohne dazuzugehoren, und dazuzugehoren, ohne
zu glauben", heisst es in einem der Arbeitsgruppenberichte. Die
Kirche hat jedoch die missionarische Aufgabe, "ein tieferes
Gefuhl der Zugehorigkeit entstehen zu lassen", stellten die
Teilnehmer/innen fest.  

Im Hinblick auf die Religiositat derer, die nicht zur Kirche
gehen, berichtete der Direktor des Orthodoxen Instituts fur
Mission und Okumene in St. Petersburg, Vladimir Fedorow, dass
"sich in Russland  viele Menschen als orthodoxe Christen
verstehen, ohne Mitglieder einer institutionellen  Kirche zu
sein". Seine Kollegin, Anne-Marie Kool, eine Professorin fur
Missiologie und Direktorin des Protestantischen Instituts fur
Missionsstudien in Budapest, vertrat ebenfalls die Meinung, dass
unter den Menschen in Osteuropa trotz eines starken Misstrauens,
das noch ein Erbe der kommunistischen Vergangenheit sei, "ein
Gefuhl von Glaubigkeit ohne kirchliche Zugehorigkeit"
herrsche. Kool setzt sich fur einen neuen kontextorientierten
missionarischen Ansatz ein, der ausgerichtet ist auf "die
Wiederherstellung des biblischen Schalom, Versohnung sowie eine
christliche Gemeinschaft der Liebe, der Fursorge und des
Heilens".  

Nach einer neueren Studie aus Grossbritannien, die auf der
Konsultation vorgelegt wurde, ist die Beteiligung an
Gottesdiensten dort von 1987 bis 1999 um rund 20% gesunken,
wahrend die Zahl der Menschen, die von spirituellen oder
religiosen Erfahrungen berichten, im gleichen Zeitraum um mehr
als 60% gestiegen ist. Aber, so Simon Barrow, der Referent der
Kommission fur Mission der britischen und irischen Kirchen, "die
alternativen spirituellen Praktiken, die heute in Grossbritannien
im Volk verbreitet sind, haben nichts zu tun mit den
traditionellen Vorstellungen von Gott und Religion". Fur ihn
handelt es sich hierbei eher um "sakulare Ausdrucksformen von
Spiritualitat". Im Hinblick auf die Situation in ihrem eigenen
Land teilten die meisten der Teilnehmenden Barrows
Lagebeurteilung:"Die riesige Kluft zwischen der offiziellen
kirchlichen Lehre und den diffusen, oft sehr individualistisch
gepragten spirituellen Erfahrungen bietet keinen einfachen Ausweg
aus dem anhaltenden Ruckgang des Einflusses traditioneller,
institutionell verankerter Kirchlichkeit." Barrow
charakterisierte die Antwort der Kirchen als "uberwiegend
technokratisch und managementorientiert statt spirituell und
theologisch fundiert". Sie basiert nicht auf den eigenen Quellen
des Glaubens und der Verheissung von Gottes Zukunft. Er rief die
Kirchen auf, "sehr viel systematischer und ohne Vorurteile der
Spiritualitat derer ein offenes Ohr zu schenken, die ausserhalb
ihrer Tore sind".  

Barrows Argumente wurden von einem anderen auf der Konsultation
vorgelegten Bericht gestutzt, in dem es hiess, dass "neue Formen
der Spiritualitat die Bevolkerung insgesamt beeinflussen" und
dass viele Menschen "sich in einem kirchlichen Umfeld, das keine
Beruhrungsflache mehr mit den Veranderungen in ihrem Leben hat,
nicht mehr zu Hause fuhlen". Die Konsultation formulierte die
Verpflichtung, die neue spirituelle Suche der Menschen in der
ganzen Welt sehr ernst zu nehmen.  Es gibt "keinen Grund zu
jammern", erklarte sie. Stattdessen sollten die Kirchen Antworten
auf die neuen Formen der Spiritualitat geben und dabei aus "all
den geistlichen Ressourcen in der langen und reichen christlichen
Tradition" schopfen und "nach Wegen suchen, wie sie diese einem
breiteren Publikum zuganglich machen konnen".  

George Hunsberger, Professor am Western Theological Seminary in
Michigan, erklarte, dass "unsere Angewohnheit, die Geschichte des
Christentums als eine Erfolgsstory darzustellen, am Ende ist,"
und dass die Kirchen, die lediglich versuchen, ihre privilegierte
pastorale Rolle in der Gesellschaft wiederzuerlangen, sich als
moralische Instanz zu behaupten oder loyale und glaubige "Kunden"
fur ihre Gottesdienste zu mobilisieren, in Gefahr sind. Sie
sollten in seinen Augen lieber versuchen, "neu zu klaren, was es
fur sie bedeutet, missionarisch zu sein" und Menschen ermutigen,
"es zuzulassen, dass das Evangelium ihre Denk- und Lebensweise
neu pragt, und zu einer neuen Lebensweise zu finden, die sich von
der in ihrem kulturellen Rahmen vorgegebenen Form unterscheidet".
 

Ein Vertreter der Kirchen des Sudens, Jyoti Sahi, der Grunder
des Art Ashram bei Bangalore, Indien, kritisierte die
europaischen Kirchen dafur, dass sie "sich allzu sehr auf
rationelles Denken eingelassen und deshalb den Kontakt zu den
symbolischen und mystischen Dimensionen des Lebens verloren
haben". Er ermutigte die Kirchen des Nordens dazu, sich "den
Erkenntnissen anderer Glaubensrichtungen und Religionen" zu
offnen. "Christus gehort nicht uns Christen allein. Christus
verlangt von uns, dass wir uber unsere Grenzen hinausgehen",
erklarte er. Diese Meinung vertrat auch der koreanische
Theologe Hong Eyoul Hwang, ein Forscher am Centre for Theological
Studies of Peace and Reunification in Korea:"Die Christen mussen
die Gelegenheit ergreifen und von den Kulturen und Religionen der
Urvolker lernen, wie sie sich den Herausforderungen der
postmodernen Gesellschaft stellen konnen". Das Bewusstsein dafur
wachse, so Hong Eyoul Hwang, dass die Armen nicht nur
Ausbeutungsobjekte seien, sondern "die stolzen Vertreter
kultureller und religioser Traditionen mit einer wahrhaft
ganzheitlichen und lebenszugewandten Weltsicht".  

Fur Dietrich Werner, einen Theologen am Nordelbischen Zentrum
fur Weltmission, war die Konsultation ein Beispiel fur die
Ruckwendung der Missionsdebatte, insbesondere der Fragen von
Evangelium und Kultur, auf die Lander des Nordens, wahrend
gleichzeitig die Fragen von Modernisierung und Sakularisierung
als theologische Herausforderung von den Theologen des Sudens
aufgegriffen werden. "Wir erkennen mehr und mehr, dass die
Globalisierung nicht nur wirtschaftliche und soziale, sondern
auch kulturelle und religiose Konsequenzen hat", erklarte er.  

Michael Stahl arbeitet im Amt fur Offentlichkeitsarbeit der
Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Hamburg.

Weitere Informationen erhalten Sie vom Buro der
ORK-Medienbeauftragten, Tel.:  (+41.22) 791.61.53    

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Der Okumenische Rat der Kirchen (ORK) ist eine Gemeinschaft von
342 Kirchen in uber 100 Landern auf allen Kontinenten und aus
praktisch allen christlichen Traditionen. Die romisch-katholische
Kirche ist keine Mitgliedskirche, arbeitet aber mit dem ORK
zusammen. Oberstes Leitungsorgan ist die Vollversammlung, die
ungefahr alle sieben Jahre zusammentritt. Der ORK wurde 1948 in
Amsterdam (Niederlande) offiziell gegrundet. An der Spitze der
Mitarbeiterschaft steht Generalsekretar Konrad Raiser von der
Evangelischen Kirche in Deutschland.

Okumenischer Rat der Kirchen
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