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FEATURE: "Heilung durch Offenheit und Solidaritaet"


From "Frank Imhoff" <FRANKI@elca.org>
Date Tue, 08 Jul 2003 10:11:50 -0500

Lutherische Frauen in Namibia setzten sich fuer Heilung in ihren
Gemeinschaften ein

Okahandja (Namibia), 8. Juli 2003 (LWI) - Sie kamen aus dem Sueden
und aus dem Westen, viele Stunden waren sie unterwegs gewesen auf
der Fahrt vom Atlantischen Ozean durch die Namibwueste bis in die
Mitte des Landes. Auch aus dem Norden hatten sie sich aufgemacht,
waren von den Savannen des Ovambolandes und der Kavangoregion mehr
als 700 Kilometer gefahren, in engen Minibussen oder mit einer
Mitfahrgelegenheit nach langem Warten am Strassenrand. Und viele
kamen aus den Staedten Namibias, aus Windhoek und Tsumeb, aus
Gobabis und Grootfontein, sowie von entlegenen Farmen im
oestlichen Hereroland oder kleinen Siedlungen "mitten im Busch".
Es waren alte und junge, reiche und arme Frauen, Akademikerinnen,
Hausfrauen und Farmerinnen und sie sprachen insgesamt mindestens
sechs verschiedene Sprachen. Aber alle hatten das gleiche Ziel:
die alle zwei Jahre stattfindende Phillipine-Konferenz der
lutherischen Frauen in Okahandja vom 29. Mai bis 1. Juni.

Ungefaehr zwei Drittel aller ChristInnen in Namibia sind Mitglied
einer der drei noch immer getrennten lutherischen Kirchen
Namibias. Nach Jahrzehnten der Trennung durch Kolonialismus und
Apartheid wird zurzeit ernsthaft und mit Erfolgsaussichten an
einem Zusammenschluss gearbeitet. Die Frauen der drei Kirchen
hatten allerdings schon 1980 eine uebergreifende
Frauenorganisation gegruendet, die sich seit 1995 "Phillipine
Conference" nennt, nach einem der Gruendungsmitglieder, Phillipine
Stefanus. Seit ueber 20 Jahren treffen sich Frauen der drei
lutherischen Kirchen regelmaessig landesweit und sind zu einer
treibenden Kraft im Vereinigungsprozess der Kirchen geworden.

Vortraege und Diskussionen waehrend der diesjaehrigen Konferenz
fanden in vier Sprachen statt, die zeitaufwendige Verdolmetschung
vom Englischen in die einheimischen Sprachen wurde dabei oft zu
einer Herausforderung fuer Geduld und Toleranz. "Wir muessen die
Gegebenheiten unseres Landes akzeptieren und damit leben",
erklaerte Gastrednerin Rosa Namises. Sie fasste ganz
selbstverstaendlich ihre eigenen Ausfuehrungen sowohl in Afrikaans
als auch in Nama zusammen und wartete geduldig auf die
zusaetzliche Verdolmetschung ins Oshivambo. Dank des
sechssprachigen Kirchengesangbuchs "Cantate Domino" konnten
zahlreiche Lieder gemeinsam gesungen werden, auch das Vaterunser
war taeglich ein vielsprachiges Gebet.

Ein Geist der Toleranz und des gegenseitigen Verstaendnisses
bildete die Grundlage der Konferenz zum Thema: "Zur Heilung
unserer Gemeinschaften". In Anlehnung an das Thema der im Juli
stattfinden Zehnten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes
(LWB) im kanadischen Winnipeg "Zur Heilung der Welt" kamen auf der
Konferenz die zunehmende Gewalt in Familie und Gesellschaft zur
Sprache. Die Teilnehmerinnen versuchten auch, Ansaetze fuer
moegliche Heilungsprozesse fuer Opfer und Taeter zu finden. Alle
Frauen, ob sie aus den Staedten Namibias oder aus laendlichen
Gebieten kamen, berichteten von Vergewaltigungen und dem
Missbrauch von Kindern, von Gewalt innerhalb der Familie und von
Kriminalitaet, aber auch von zerstoererischen Formen der Hexerei
und unverantwortlichen traditionellen HeilerInnen.

Die zunehmende Brutalisierung der Gesellschaft angesichts der sich
wandelnden Sozialstrukturen und Werte und insbesondere der
HIV/AIDS-Pandemie beschrieben alle Teilnehmerinnen auf aehnliche
Weise. "Wir fuehlen uns in unserer Gemeinschaft nicht mehr sicher,
selbst unsere Familie ist kein Hort der Sicherheit und des
Friedens mehr", so eine Frau aus dem Sueden. "Es gibt Maenner, die
herausfinden, dass sie HIV-positiv sind, bewusst ihren
Krankheitszustand verschweigen und wissentlich Frauen infizieren,
vielleicht weil sie nicht allein sterben wollen", berichtete eine
Teilnehmerin aus Windhoek. Und es gebe immer noch "Zauberdoktoren,
die infizierten Maennern raten, mit einer Jungfrau Sex zu haben,
um geheilt zu werden. Dies ist ein Grund fuer die Zunahme des
Missbrauchs von Kindern und sogar Babys".

Rosa Namises, seit 2000 Parlamentsmitglied und langjaehrige
politische Aktivistin und Sozialarbeiterin, war eine der beiden
Gastrednerinnen der Konferenz. Sie sprach ueber Formen der Gewalt
in unserer Gesellschaft, informierte die Frauen ueber die
Rechtslage in Namibia und sprach ueber ihren eigenen Weg der
Heilung. Wichtig sei dabei die Ueberwindung des Gefuehls der
Ohnmacht gewesen sowie die Befreiung aus einer Isolation, die
viele christlich orientierte Frauen erleben, wenn sie innerhalb
der Familie Gewalt erfahren. Namises warnte die Zuhoererinnen
davor, Unterdrueckung und Gewalt als gottgewollte Formen des
Leids, das man widerspruchslos ertragen muesse, hinzunehmen.
"Gewalt zwischen Mann und Frau in einer Partnerschaft oder
zwischen Eltern und Kindern ist nicht gottgewollt", betonte sie.

Namises forderte dazu auf, die revolutionaere Kraft der
christlichen Botschaft, die Liebe und Gerechtigkeit ins Zentrum
des gesellschaftlichen Zusammenlebens stellt, zu nutzen. Sie
ermutigte die Teilnehmerinnen, sich gegen Unterdrueckung und
Gewalt in ihrer Gemeinschaft zu wehren und Netzwerke der
Solidaritaet zu gruenden. "Wir schaffen es nicht allein", so
Namises, "fuer die Heilung unserer Gemeinschaft brauchen wir neue
soziale Strukturen wie Frauenhaeuser, Beratungsstellen und vor
allem einen Kreis verlaesslicher Freunde und Freundinnen, die sich
gegenseitig eine Stuetze sind".

Auch Bience Gawanas, seit 1997 Namibias Ombudswoman, berichtete
ueber Gewalt, Rassismus und Ungerechtigkeit, die sie am eigenen
Leib erfahren hatte. Sie erzaehlte den Zuhoererinnen, wie sie es
schaffe, Angst, Hass und Bitterkeit zu ueberwinden und den
schweren Weg der Versoehnung einzuschlagen. "Um eure Familie oder
Gemeinde zu heilen, muesst ihr euch zunaechst selbst heilen",
betonte Gawanas, "und um den Prozess der Heilung zu beginnen,
muessen wir einander unsere Geschichten erzaehlen". Der erste
Schritt auf dem Weg zur Selbstheilung sei, dass ueber die eigenen
verletzten Gefuehle gesprochen werde.

Gawanas ermutigte die Frauen, auch ueber persoenlich erlebte
Gewalt innerhalb der Familie oder Kirche zu sprechen, selbst wenn
dies in traditionellen Gemeinschaften und autoritaer
strukturierten Kirchengemeinden eine Art Tabu brechen wuerde.
"Afrikanische Gesellschaften sind stark sozial-orientiert und man
spricht als Einzelne/r nicht ueber seine persoenlichen Gefuehle",
so Gawanas, "aber in der modernen Gesellschaft ist es wichtig zu
lernen, unsere Beduerfnisse und Aengste zu artikulieren und uns
auch als Einzelpersonen zu behaupten. Ich-betonte Aussagen stehen
in gewisser Weise im Widerspruch zur afrikanischen Philosophie des
uBuntu, die sagt: *Ich bin, weil ihr seid.' Aber wir muessen ein
Gleichgewicht finden zwischen dem Ausdruck unserer individuellen
Gefuehle und unserer afrikanischen Orientierung auf die
Gemeinschaft hin."

In kleineren Gruppengespraechen erzaehlten Frauen im Blick auf die
von Maennern dominierten Familien- und Kirchenstrukturen in ihren
Gemeinden, dass die "Angst vor der Macht der Traditionen" laehme.
Selbst Pfarrer und Bischoefe stellten sich oft hinter
gewalttaetige maennliche Gemeindemitglieder oder Freunde, wenn
Frauen bei ihnen Hilfe suchten. "Und sogar Frauen ergreifen oft
die Partei der Maenner, wenn in einer Familie Gewalt und
Missbrauch aufgedeckt werden", berichtete eine junge Frau aus dem
Ovamboland. Gawanas forderte die Frauen auf, Eifersucht, Neid und
Konkurrenzdenken zu ueberwinden und sich gegenseitig bewusster zu
unterstuetzen, auch unabhaengig von familiaeren Bindungen. "Wenn
wir unseren Mitmenschen das zukommen lassen, was wir selber so
dringend brauchen - Liebe, Fuersorge und Unterstuetzung - dann
koennen wir eine geheilte und heilende Gemeinschaft schaffen."

Im Abschlussgottesdienst sassen die etwa 80 Teilnehmerinnen nicht
mehr hintereinander auf Kirchenbaenken, sondern in einem grossen
Kreis. Sie eroeffneten den Gottesdienst mit einem meditativen
Tanz, bei dem sie sich an den Haenden hielten und sich waehrend
des Abendmahls Brot und Wein weiterreichten. "Mir hat diese
Konferenz so gut getan", sagte eine Frau beim Kofferpacken fuer
die lange Rueckreise nach Hause. "Durch das Zusammensein mit den
Frauen hier hat meine persoenlichen Heilung schon begonnen. Ich
fuehle mich jetzt stark genug, meine Probleme zu Hause neu
anzupacken." (1.143 Woerter)

(Ein Beitrag von LWI-Korrespondentin Erika von Wietersheim,
Windhoek.)

Dieser Beitrag gehoert zu einer Feature-Serie der Lutherischen
Welt-Information (LWI) zum Thema der Zehnten LWB-Vollversammlung
2003 "Zur Heilung der Welt". Die Serie beleuchtet die Relevanz des
Vollversammlungsthemas in den verschiedenen regionalen und lokalen
Kontexten der weltweiten lutherischen Gemeinschaft und stellt
Projekte der Versoehnung und Heilung vor angesichts weltweiter
Bedrohung. Die Zehnte LWB-Vollversammlung findet vom 21. bis 31.
Juli 2003 in Winnipeg (Manitoba/Kanada) statt.

*	*	*

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer
Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er
inzwischen 136 Mitgliedskirchen, denen rund 61,7 Millionen der
weltweit rund 65,4 Millionen LutheranerInnen in 76 Laendern
angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der
Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen Organisationen.
Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen
gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und interreligioese
Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte,
Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und
Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als Informationsdienst
des Lutherischen Weltbundes (LWB) herausgegeben. Veroeffentlichtes
Material gibt, falls dies nicht besonders vermerkt ist, nicht die
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Die mit "LWI" gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit
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***
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