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AIDS-Pandemie zwingt zur Neudefinition ethischer Grundfragen
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"Frank Imhoff" <Frank_Imhoff@elca.org>
Date
Thu, 15 Jul 2004 18:57:19 -0500
AIDS-Pandemie zwingt zur Neudefinition ethischer Grundfragen
Norwegischer Bischof Stelsett: "Wir tun nicht genug"
Bangkok (Thailand)/Genf, 15. Juli 2004 (LWI) - Der lutherische Bischof
von Oslo (Norwegen), Gunnar Stelsett, hat bei der 15. Internationalen
AIDS-Konferenz in Bangkok (Thailand) die Initiative zur interreligioesen
Zusammenarbeit ergriffen. Angesichts des Anstiegs der Zahl der
AIDS-Infizierten auf eine Rekordhoehe von knapp 40 Millionen weltweit
rief er dazu auf, ethische Grundfragen in den Glaubensgemeinschaften neu
zu ueberdenken. Sozial- und Sexualmoral seien in der Zeit vor der
AIDS-Pandemie formuliert worden, sagte Stelsett waehrend einer
Podiumsdiskussion in Bangkok, die vom Globalen Oekumenischen
Aktionsbuendnis (Ecumenical Advocacy Alliance - EAA) organisiert worden
war. Die Internationale AIDS-Konferenz findet die vom 11. bis 16. Juli
2004 in Bangkok (Thailand) statt.
Im Blick auf die steigende Zahl von neu Infizierten, betonte Stelsett:
"Wir tun nicht genug" - eine Tatsache, die der Theologe als "Verbrechen
gegen die Gesellschaft" bezeichnete. Darum muessten die Religionen ihre
Gegensaetze ueberwinden und gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um in
der Zeit nach dem Auftauchen von AIDS die Sexualmoral auf eine neue
Grundlage zu stellen.
Die ehemalige UN-Hochkommissarin fuer Menschenrechte Mary Robinson
bezeichnete den Vorstoss Stelsetts als "durchdachte, reflektierte und
selbstkritische" Position, die unter den Religionsgemeinschaften
diskutiert werden sollte. Bischof Stelsett hatte sich auf den Konflikt
um das sogenannte ABC-Programm im Rahmen der AIDS-Vorbeugung bezogen. Er
empfiehlt Enthaltsamkeit, Treue oder den Gebrauch von Kondomen. Nach
Ansicht Stelsetts ist eine Abkehr von der Ansicht, dass Kondome etwas
Boeses seien, notwendig. Er trat dafuer ein, auch fuer den Gebrauch von
Kondomen zu werben. Im Blick auf die Vorbeugungskampagnen, die unter dem
Stichwort ABC Enthaltsamkeit, eheliche Treue oder den Gebrauch von
Kondomen propagieren, plaedierte er dafuer, alle Elemente zu
beruecksichtigen und nicht ausschliesslich auf Abstinenz oder Treue zu
setzen.
Der Streit zwischen BefuerworterInnen und GegnerInnen von Kampagnen zum
Gebrauch von Kondomen wurde in Bangkok durch die Aeusserungen des
ugandischen Staatspraesidenten Yoweri Museveni verschaerft. Er warnte
davor, im Gebrauch von Kondomen die ultimative Loesung fuer die
AIDS-Problematik zu sehen. Abstinenz und eheliche Treue seien
effektivere Methoden. Damit bestaerkte er die von der US-Regierung
propagierten Enthaltsamkeitskampagnen. Gegen die einseitige Betonung der
Enthaltsamkeit protestieren zahlreiche AerztInnen und
AIDS-AktivistInnen, die alle drei Elemente der Kampagne umsetzen
wollen.
Mary Robinson kritisierte Musevenis Erklaerung. Sie forderte, die
Realitaet im Blick zu behalten. Es wuerden mehr verheiratete Maedchen
infiziert als unverheiratete, erklaerte sie. Auch der ugandische Bischof
Canon Gideon Byamugisha zeigte sich enttaeuscht von den Aeusserungen
seines Praesidenten. Die religioesen Fuehrer in Uganda haetten alle drei
Elemente des ABC-Programms propagiert, betonte der Theologe, der selbst
HIV-infiziert ist. Museveni wuerde ignorieren, was in der Vergangenheit
geschehen sei, sagte er und wies zudem darauf hin, dass 61 Prozent der
infizierten Frauen in Afrika niemals Sex mit einem anderen Mann gehabt
haetten: "Sie sind treu, aber infiziert."
Die AIDS-Expertin Sonja Weinreich vom Deutschen Institut fuer
aerztliche Mission betonte, dass es bei der Praevention gar nicht in
erster Linie um den Gebrauch von Kondomen gehe. Niemand leugne, dass
Enthaltsamkeit sinnvoll sei, aber Abstinenz sei eben nicht immer zu
garantieren, betonte sie. Bei der Internationalen AIDS-Konferenz wurde
von vielen ExpertInnen und Frauenvertreterinnen vor der "Illusion der
Treue" gewarnt. Eine steigende Zahl von Frauen werde durch ihre untreuen
Maenner infiziert, hiess es.
Doch bei der Frage der Propagierung des Gebrauchs von Kondomen gingen
die Meinungen zwischen den VertreterInnen der verschiedenen Religionen
auseinander. Der katholische Bischof Bernard Moras aus Indien sieht
darin einen Niedergang der Moral, zumal Kondome die Menschen
faelschlicherweise in Sicherheit wiegen wuerden. Diese Meinung teilten
der Hindu Shri Satkari Mukhopadhyaya sowie der Muslim Scheich Omar
el-Bastawisi. Der Buddhist Phramaha Boonchuay Doojai ging in der
Podiumsdiskussion darauf nicht ein.
Einmuetig beklagten die DiskussionsteilnehmerInnen auf dem Podium, dass
es noch immer Stigmatisierung und Diskriminierung in der Gesellschaft
gebe. Die Menschen wuerden aus Scham die Krankheit verheimlichen, nicht
zur Behandlung gehen oder sich gar nicht erst testen lassen. Das koste
unnoetig Menschenleben, betonte Byamugisha. Die Religionen muessten
deshalb Vorurteile gegenueber die Kranken abbauen, fuer sie sorgen und
sie begleiten.
Auf der Internationalen AIDS-Konferenz wollen fuehrende
ReligionsvertreterInnen eine gemeinsame Erklaerung verabschieden. Darin
verpflichten sie sich, ihre Anstrengungen im Kampf gegen die
AIDS-Pandemie zu intensivieren, wie aus dem Entwurf hervorgeht. Neben
der Praevention sollen die Pflege, Unterstuetzung und Behandlung von
AIDS-Infizierten und -Kranken im Mittelpunkt stehen.
Einer der Schwerpunkte der AIDS-Konferenz in Bangkok ist die
AIDS-Pandemie in Asien, wo sich laut UN-Angaben das Virus rasant
ausbreitet und mittlerweile 7,4 Millionen Infizierte leben. Das sind
knapp 20 Prozent aller HIV-Infizierten weltweit. AIDS sei mehr als eine
Gesundheitskrise und somit eine Gefahr, mit der sich die hoechsten
EntscheidungstraegerInnen in den Regierungen auseinandersetzen muessten,
betonte UN-Generalsekretaer Kofi Annan zum Auftakt der Konferenz. (755
Woerter)
(Ein Beitrag von Rainer Lang, Stuttgart.)
* * *
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